GEGENARGUMENTE

Gegenstandpunkt & Diskussion


Ein Beitrag zum besseren Verständnis des Faschismus

Freitag 14.3. 2008 um 19:00

Cafe SIEBENSTERN

Siebensterngasse 31

1070 Wien

 

Der Faschismus war ein Unrechtsregime und Hitler ein Verbrecher, der viel Schaden und Schande über Verlierernation(en) gebracht hat - und die Demokratie ist so ziemlich das Gegenteil davon. Soweit die demokratische Allgemeinbildung, mehr muss man nicht wissen. Wieso muss der Staat dann mitten in der Demokratie "den Anfängen wehren" und wieso müssen die staatstragenden Parteien deswegen allen rechtsradikalen Wählern eine politische Heimat bieten, damit diese - ohne sich zu ändern - allen Grund zur Zufriedenheit haben?

 

Zum Programm des Faschismus
Als Hitler antrat, um eine Bewegung zur Rettung der Nation in Marsch zu setzen und mit seiner Partei die politische Macht in Deutschland zu übernehmen, kamen die Deutschen (und auch die Österreicher) in den Genuss eines Angebots, sich anders regieren zu lassen. Die Alternative hat der spätere Führer in dem Buch „Mein Kampf“ begründet; seine Bewegung hat seine Diagnose bezüglich der Lage der Nation sowie die fälligen Konsequenzen in lauter unmissverständliche Losungen gegossen, damit das Volk wusste, worauf es ankam.
Das Programm umfasste a) die Beseitigung der Schranken deutscher Macht, die dem Kriegsverlierer Deutschland durch andere Nationen auferlegt worden waren. Die Staatsgrenzen wie die wirtschaftlichen Sanktionen galten als unrechtmäßige Verhinderung deutschen Reichtums, als eine unerträgliche Demütigung der Nation, der einfach die Rolle einer Weltmacht zustand. Daraus, dass sie eine gründliche Korrektur des internationalen Kräfteverhältnisses – der „Weltordnung“, wie man heute sagt – anstrebten und dieses Vorhaben manchen Feldzug erforderte, machten die Nationalsozialisten überhaupt kein Geheimnis. Dem Volk, an das sie sich wandten, erläuterten sie seine Drangsale als Konsequenzen der Not, in welcher sich das Gemeinwesen befand. Dabei hüteten sie sich, in Bezug auf den Wohlstand, der den mit und ohne Arbeit armen Landsleuten durch die nationalsozialistische Ausübung der Staatsgewalt blühen sollte, große Versprechungen zu machen. Als Lohn für den geforderten und staatlich organisierten Einsatz winkte die Ehre, als deutscher Arbeiter nach den Maßstäben zu (über)leben, die die bürgerliche Gesellschaft für diesen Stand vorsieht. Die analoge Behandlung verhießen die Faschisten auch dem Nährstand, und die Klasse, die im Kapitalismus für die Wirtschaft Verantwortung trägt, sollte schon gleich ihr Geld in den Dienst an der Nation stellen – welches Gebot von Industriellen wie Bankiers zu Recht nicht als Risiko missverstanden, sondern als großartige Gelegenheit zum Geldverdienen wahrgenommen wurde.
Versprochen wurde b) der Gebrauch der staatlichen Macht nach innen in einer Weise, die den Erfolg dieser nationalen Mobilmachung sicherstellte. Die Faschisten haben einerseits die „Weimarer“ Führung des Vaterlandes kritisiert und bekämpft, weil diese es versäumte, das Volk zu einen und dessen Leistungen, die jedem Politiker als die Quelle nationaler Größe geläufig sind, herbeizuregieren. Hitler und seine Partei hielten die demokratische Konkurrenz um die Macht für eine einzige Schwächung der öffentlichen Gewalt, der Opportunismus ihrer demokratischen Gegner galt ihnen als landesverräterisch – und insgesamt bezichtigten sie die politische Elite Deutschlands des Vergehens, sich zum Diener un- und antideutscher Interessen erniedrigt zu haben. Die Linksparteien kürten sie gleich zum Feind.
Andererseits gingen die Faschisten auch mit dem Volk ins Gericht, weil es seiner Mission – die Deutschland heißt – nicht nachkam. Als mildernden Umstand für die allgemeine Pflichtvergessenheit und sozialistische Umtriebe ließen sie nur die Fehler der amtierenden Führung gelten, die nicht einmal in der Lage war, die Massen mit Arbeit zu versorgen, geschweige denn, sie unter tatkräftiger Benützung ihrer Leistungskraft für Höheres einzuspannen. Verzeihen wollten die Nazis aber auch den Angehörigen der niederen Stände ihre Irrwege nur, wenn sie sich eines besseren besannen und sich dem nationalen Aufbruch anschlossen, zu dessen Organisation die Hakenkreuzler bereitstanden.
c) Mit dem Beschluss, allen Instanzen und Klassen der bürgerlichen Gesellschaft ein Zusammenwirken aufzuherrschen, das den Erfolg der Nation sicherstellt, trieben die Faschisten die im Kapitalismus beheimatete moralische Kritik auf die Spitze. Im Namen der Volksgemeinschaft, die einzig in der gemeinsamen Unterwerfung unter dieselbe Staatsgewalt besteht – ansonsten sind die um ihren Erwerb konkurrierenden Volksgenossen damit befasst, sich gegenseitig zu beschränken und ihre Interessen auf Kosten der anderen durchzusetzen –, veranstalteten sie einen Test auf die Brauchbarkeit ihrer Mitmenschen. Faschisten sind eben mit der Sortierung des Volkes, die die Konkurrenz hervorbringt, nicht einverstanden; sie erhöhen sie nicht nur ideologisch, sondern ergänzen sie praktisch durch die Auslese nach dem Gesichtspunkt des Beitrages, den jeder an seinem Platz der Nation abstattet. Auch dieses Vorhaben, das als staatliche Verfolgung des missratenen Willens, der undeutschen Gesinnung ebenso blutig wahrgemacht wurde wie die rassistische Vernichtung derer, die wegen ihrer undeutschen Anlagen gar keine andere Fähigkeit mitbrachten als die, der deutschen Sache Schaden zuzufügen – auch der hoheitlich organisierte Terror also wurde von den Nazis ausdrücklich angekündigt.
Zum Erfolg des Nationalsozialismus in Deutschland
Die Nationalsozialisten haben sich bekanntlich durchgesetzt. Weniger bekannt ist – der Eifer beim „Lernen aus der Geschichte“ hat da zielstrebig versagt – warum.
Erstens sind sie mit ihrer Definition der Drangsale, unter denen Land und Leute so leiden, gut angekommen. Sie sind auf Mitbürger gestoßen, die ziemlich genau ihrer Meinung waren (und zwar ohne den Anflug eines demokratischen Gewissens: der schlaue Einwand, mit solchen Ideen wäre schon einmal unsäglicher Schaden über Deutschland gekommen, war ja noch nicht zu haben). Die Not der Massen, die von Arbeit leben müssen, aber keine finden, galt im ganzen Land als Ungerechtigkeit, welche die Obrigkeit zu beheben hatte. Selbst in linken Vereinen beheimatete Arbeiter sind in Hungermärschen mitgelatscht und haben „Arbeit!“ gerufen; da wollte kaum jemand bemerkt haben, dass der Staat selbst die Unterwerfung der Arbeiter unter die Gewinnrechnung des Kapitals in Kraft setzt – und dass die Regierung wegen ihrer Unzufriedenheit mit den nationalen Erträgen die Härten der Lohnarbeit nicht abschaffte, sondern ihr eine Abteilung staatlicher Zwangsarbeit zur Seite stellte. Den wohltätigen Charakter dieser Maßnahme entdeckten die politisierten Proleten auch nicht im fürstlichen Lohn – auch da schlossen sie sich eher den faschistischen Lehren an: So hatten wenigstens Müßiggang und der die Nation zersetzende Sozialkampf ein Ende; und dass die „Beschäftigung“ nicht nur einen erzieherischen Sinn hatte, sondern auch ihren Zweck, die Herstellung nationaler Wehrkraft, wurde durchaus gebilligt. Denn die Auffassung, dass es mit der internationalen Entwürdigung Deutschlands nicht mehr so weitergehen dürfe, war von demokratischen Volksfreunden längst erfolgreich verbreitet worden. „Unglaubwürdig“ wurden die Volksvertreter und politischen Parteien andererseits darüber, dass sie „nichts taten“ gegen die vielbeschworene Not des von ihnen regierten Volkes; hochanständigen Deutschen war eben die schlechte Meinung über Politiker geläufig, die im Streit um die Pfründe der Macht ihre Pflichten vernachlässigten. Das Bedürfnis nach ehrlicher und effektiver Führung, nach kompromisslosem Gebrauch der Macht, der an die Stelle des Missbrauchs zu treten hatte, brauchte die NSDAP jedenfalls nicht zu erfinden, weil sie es im enttäuschten Gemeinsinn des politisierten Volkes vorfand. Zu dessen festen Überzeugungen gehörte auch längst die „Einsicht“, dass sich da volksfremde Schmarotzer und Schädlinge auf Kosten aller ehrlichen Deutschen breitgemacht hatten. In diesem Punkt wurden sich in ihrer nationalen Ehre gekränkte Werktätige locker mit Geschäftsleuten und der braunen Partei einig, die von allen Übeln des deutschen Kapitalismus den Schluss auf die kriminelle Energie und den betrügerischen Geschäftssinn von Juden bewerkstelligten.
Kurz – die Nazi-Bewegung hatte erst einmal deswegen Erfolg, weil sie mit ihrem Programm sämtliche Kritikpunkte der nationalen Moral einzulösen versprach. Das verschaffte ihr massenhaft Anhänger.
Zweitens sind die Nationalsozialisten mit ihren Gegnern fertig geworden. Der politischen Konkurrenz, den bürgerlichen Parteien, haben sie ihre Anhänger abspenstig gemacht, indem sie der Basis an sämtlichen Ärgernissen des nationalen Lebens den Verrat vorrechneten, den die unfähigen Führer am Gemeinwesen begingen. Unter Berufung auf sämtliche Ideale, welche die bürgerliche Politik bezüglich des Zusammenwirkens von Volk und Staat, der Gerechtigkeit im ökonomischen Leben und der historischen Mission Deutschlands so in Umlauf gebracht hat, demonstrierte die faschistische Agitation ihre eindeutige Botschaft: Alle, denen an einem ordentlichen Leben in Deutschland und an dessen Erfolg gelegen war, mussten dessen aktuellen Verwaltern die Gefolgschaft kündigen. Und im Zuge der Eroberungen, die den Nazis im Volk gelangen, stellte sich heraus, dass die demokratische Elite an der neuen faschistischen Alternative gar keinen Gegensatz zu ihren Anliegen erkennen wollte. Die Konkurrenz um die Mandate und Ämter fand in Koalition und Zusammenarbeit ihre erzdemokratische Ergänzung; die sittlichen Betreuer des Volksgeistes, Professoren wie Kirchenleute, fanden Geschmack an der Erneuerung, die da verheißen wurde und in deren moralischen Imperativen sie unschwer ihre eigenen entdecken konnten...
Selbst die erklärten Feinde der NSDAP, die Linken, die es immerhin zu einer stattlichen Arbeiterbewegung gebracht hatten, zeigten sich von der faschistischen Bewegung beeindruckt. Unter Sozialdemokraten war es nach Jahren heißer Debatten über „Reform oder Revolution“, die zugunsten der „Reform“ entschieden waren und zur organisierten Spaltung der Arbeiterbewegung geführt hatten, sowieso üblich, den Sinn besagter Klassenkämpfe in der Verbesserung der kapitalistischen Ordnung zu sehen. Wer die Arbeiterklasse mit dem Recht von Bürgern ausstatten will, die einen gleichberechtigten Anspruch auf politische Repräsentation und Mitwirkung haben, ist von einem Hitler eben gar nicht so weit entfernt. Auch der wollte „den deutschen Arbeiter wieder dem deutschen Volke geben“ – und in ihren ersten Auftritten in der Rolle der amtierenden Staatsgewalt hatten Sozialdemokraten gezeigt, wie sie mit demonstrierenden und streikenden Arbeitern umgehen, die sich gar nicht „integrieren“ lassen wollen. Insofern war es auch nicht verwunderlich, dass führende wie geführte Sozis im Respekt Hitlers vor einem durch „Arbeit und Brot“ nützlich gemachten „deutschen Arbeiter“, der dann als ein Volk hinter seiner Reichsführung steht, zunehmend eine wählbare Antwort auf ihre brennendsten Fragen erblickten...
Leider sind auch die Kommunisten der Weimarer Republik, mit denen sich die Sozis partout nicht zum gemeinsamen antifaschistischen Kampf zusammentun wollten, nicht als Verhinderer des Faschismus, sondern als dessen Opfer in die Geschichte eingegangen. Was sie verkehrt gemacht haben, geht exemplarisch aus einer 1935 zu Protokoll gegebenen Selbstkritik hervor:
„Welches ist die Quelle des Einflusses des Faschismus auf die Massen? Es gelingt dem Faschismus, die Massen zu gewinnen, weil er in demagogischer Weise an ihre brennendsten Nöte und Bedürfnisse appelliert. Der Faschismus entfacht nicht nur die in den Massen tief verwurzelten Vorurteile, sondern er spekuliert auch mit den besten Empfindungen der Massen, ihrem Gerechtigkeitsgefühl und mitunter sogar ihren revolutionären Traditionen. Warum spielen sich die deutschen Faschisten, diese Lakaien der Großbourgeoisie und Todfeinde des Sozialismus, vor den Massen als „Sozialisten“ auf und stellen ihren Machtantritt als „Revolution“ hin? Weil sie bestrebt sind, den Glauben an die Revolution, den Drang zum Sozialismus auszunutzen, der in den Herzen der breiten werktätigen Massen Deutschlands lebt.“
„Eine der schwächsten Seiten des antifaschistischen Kampfes unserer Parteien besteht darin, dass sie ungenügend und nicht rechtzeitig auf die Demagogie des Faschismus reagieren und bis auf den heutigen Tag fortfahren, die Fragen des Kampfes gegen die faschistische Ideologie mit Geringschätzung zu behandeln. Viele Genossen glaubten nicht, dass eine so reaktionäre Abart der bürgerlichen Ideologie, wie die Ideologie des Faschismus, die sich in ihrer Unsinnigkeit häufig bis zum Wahnsinn versteigt, überhaupt fähig ist, Einfluss auf die Massen zu gewinnen. Das war ein großer Fehler. Die weit fortgeschrittene Verwesung des Kapitalismus dringt in das Kernstück seiner Ideologie und Kultur, und die verzweifelte Lage der breiten Volksmassen macht gewisse Schichten für die Ansteckung mit den ideologischen Abfällen dieser Verwesung empfänglich.“
„Wir Kommunisten sind unversöhnliche und grundsätzliche Gegner des bürgerlichen Nationalismus in allen seinen Spielarten. Wir sind aber keine Anhänger des nationalen Nihilismus und dürfen niemals als solche auftreten. Die Aufgabe der Erziehung der Werktätigen im Geiste des proletarischen Internationalismus ist eine der grundlegenden Aufgaben jeder kommunistischen Partei. Aber derjenige, der glaubt, dass ihm dies gestatte oder gar veranlasse, alle nationalen Gefühle der breiten werktätigen Massen zu missachten, der ist vom wirklichen Bolschewismus weit entfernt, hat von der Lehre Lenins und Stalins über die nationale Frage nichts verstanden.“ (G. Dimitroff, auf dem Kongress der Kommunistischen Internationale in Moskau 1935)
Diese „grundsätzlichen Gegner“ des bürgerlichen Nationalismus haben sich bei ihrer „Unversöhnlichkeit“ eine ziemlich wuchtige Ausnahme genehmigt. Die „Spielart“ des Nationalismus, der sie mit Nachsicht begegnen, findet sich bei ziemlich vielen Leuten – und dadurch ist sie auch schon definiert: Die „werktätigen Massen“, die sie als Kommunisten für nichts Geringeres als die Revolution zu gewinnen sich vorgenommen hatten, gelangen in den privilegierten Genuss, ihre patriotische Einstellung nicht übel genommen zu kriegen. Offenbar ist diesen revolutionären Avantgardisten des Klassenkampfs noch nicht einmal aufgefallen, dass „nationale Gefühle“ eher die Bereitschaft zum Mitmachen verbürgen als dazu angetan sind, die Gegensätze auszutragen, die die Werktätigen im Rahmen der staatlichen Zwangsgemeinschaft auszuhalten haben. Die von Marx aus der politischen Ökonomie entnommene Bestimmung des revolutionären Subjekts war für diese Partei nie die schlichte, aber richtige Auskunft über den unabdingbaren Weg zur Beseitigung der ökonomischen Herrschaft des Kapitals und der politischen Macht des Klassenstaats. Dass die arbeitende Klasse dem Geld, von dem sie abhängt, ihre Dienste entziehen muss und damit ihren politischen Willen aufkündigt, sich den Belangen der Nation unterzuordnen, weil Kapital und Staat ihre Macht eben aus den Leistungen dieser Klasse beziehen, galt diesen Kommunisten als Aussage über den fortschrittlichen Charakter ihrer Adressaten. Statt diesen ihre nationale Gesinnung als Fehler vorzurechnen, der sie teuer zu stehen kommt, ergingen sich die Theoretiker und Agitatoren der KPD in einer abenteuerlichen Ehrenrettung manipulierter Moral – einer Moral, die sie ihrer prädestinierten Anhängerschar zurechneten. Ausgerechnet bei Arbeitern, die als Manövriermasse des Kapitals und gehorsames Staatsvolk auch noch selbstbewusste, fordernde Nationalisten werden, sollten die „nationalen Gefühle“ der zwar verdrehte, aber Ausdruck von klassenkämpferischem Streben und abgrundtief guten Traditionen sein! Statt mit Argumenten für den notwendigen Klassenkampf dem Verstand, über den auch Proletarier verfügen, die Absage an den schädlichen Nationalismus nahezubringen, scheuten sich die „revolutionären“ Linken vor solcher Kritik am vorgefundenen Bewusstsein der Klasse, die sie für ihre „natürlichen“ Parteigänger hielten. Als ob nicht das Gründen und Wirken einer kommunistischen Partei völlig überflüssig wäre, wenn die schiere Stellung in der Klassengesellschaft den klassenbewussten Willen zum Umsturz herbeiführen würde, ist man zum „Verständnis“ auch noch für die in die Irre geführten Arbeiter und ihre „verzweifelte Lage“ geschritten. Dabei wäre die Feststellung der Tatsache, dass die „Massen“ mit dem ihnen angedichteten „Glauben an...“ und „Drang zu...“ glatt Hitler mit der KPD verwechselten, dazu geeignet gewesen, mit der Lehre von Lenin und vor allem Stalin zur „nationalen Frage“ aufzuräumen. Aber „Theorie“ war in der Arbeiterbewegung längst nicht mehr zur Beantwortung und Erledigung von „Fragen“ üblich, sondern als Name für die Rechtfertigung alberner taktischer Berechnungen, die ein gediegenes Wissen über den kapitalistischen Zirkus, also auch über die eigenen Feinde gar nicht brauchen konnten. Der „proletarische Internationalismus“, der sich im „Lernen von der Sowjetunion“ seine Direktiven holte, gab im Übrigen den nationalen Kalkülen der damaligen russischen Führung den Vorzug vor dem Klassenkampf, dessen Erfolg allein der Sowjetunion den Krieg erspart hätte.
Drittens hat sich Hitler weder auf den wachsenden Zuspruch im Land noch auf die Fehler seiner Widersacher verlassen. Die Einheit von Volk und Führung herzustellen, war nach der Amtsübernahme die bleibende Aufgabe der Staatsgewalt und ihrer Organe. Die auf Minderheiten reduzierten Gegner seines Programms hat er konsequent verfolgt und um die Ecke gebracht; dabei beschränkte sich die mit dem Säubern betraute Mannschaft, die er aus Polizei und Justiz des demokratischen Weimar ebenso rekrutierte wie aus den Kampftruppen der Partei, keineswegs auf die brutale Ahndung von Widerstand. Es ging um „Gleichschaltung“, und die nötigte jedem Volksgenossen in jeder öffentlichen Lebenslage, in Worten wie Taten, ein positives Bekenntnis zur deutschen Sache ab; so machte sich mancher verdächtig und schuldig, der es am mehr oder minder demonstrativen Einsatz für die Partei fehlen ließ, auch wenn ihm gar nicht eingefallen ist, aufständisch tätig zu werden. Amtshilfe fanden die Behörden und Schergen in der Überzeugung vieler Untertanen von der Gerechtigkeit der neuen Ordnung ebenso wie in der bürgerlichen Gewohnheit, sich um des eigenen Fortkommens willen den Bedingungen zu unterwerfen, die dafür von der Obrigkeit aufgemacht werden. Hitler hat auf das Mitläuferwesen ausdrücklich gesetzt – „Im Falle des Dominierens der Besten wird die breite Masse diesen folgen“ (Mein Kampf, S.581) –; und seine Rechtsnachfolger haben für den staatsbürgerlichen Opportunismus – den eigenen wie den anderer – bis heute jede Menge Verständnis. Weil die Nazis aber deutsche Tugenden wie „Pflichtbewusstsein“ und so gebraucht haben, um eine von den Zeitgenossen unbemerkte Judenvernichtung zu organisieren, kann historisch ein Missbrauch festgestellt werden. Dass die effektive Kombination von Gewalt und Mitläufertum für die Zurichtung der Nation für einen Weltkrieg vonnöten war, verweist zwar angesichts des Ergebnisses des großen Waffengangs auf denselben Fehler. Im Blick auf die Leistungen der deutschen Soldaten jedoch ist auch Anerkennung am Platz. (Aus: Anmerkungen zur neuesten Auflage des AntiFaschismus. In: GegenStandpunkt 3-95)
Was ist der „Holocaust“?
Zu den Pflichtübungen der Distanzierung vom Faschismus gehört das Aufsagen und Schreiben von Sätzen, die das Entsetzen formulieren, das rechtschaffene Menschen befällt, die mit den in den Konzentrationslagern vollbrachten Taten bekannt gemacht werden. Wenn die mehr oder weniger fingierte „Betroffenheit“ dann in der Phrase von den „unschuldigen Opfern“ gipfelt, denen Täter gegenüberstehen, die einen staunen lassen darüber, „wozu Menschen fähig sind“, ist die „Auseinandersetzung“ mit diesem Stück „Vergangenheit“ schon fast fertig. Der Würdigung von Leid und Grausamkeit ist nur noch der Wunsch nachzureichen, dergleichen dürfe nicht wieder geschehen.
Ob die humanistische Attitüde, die das Entsetzen kultiviert und den staatlich organisierten Massenmord mit dem Prädikat des „Unfassbaren“ versieht, geeignet ist, ein derartiges Programm zu verhindern, ist zu bezweifeln. Leute, die sich für „unfähig“ hielten, das fünfte Gebot zu übertreten, hat es nämlich auch im Dritten Reich massenhaft gegeben. Ebenso haben es ziemlich viele Deutsche für geboten erachtet, auf die Juden loszugehen, wobei sie nicht an der Moral ihrer Volksgenossen gescheitert sind. Letztere hätten sich da schon Rechenschaft über den Willen ablegen müssen, der sich als Bestandteil der Staatsdoktrin angekündigt und im ganzen Reich breit gemacht hat. Denn nicht eine verborgene „Fähigkeit“ war am Werk, sondern ein durch bewährte Gesichtspunkte nationaler Moral begründeter Wille, als die Judenfrage endgelöst wurde. Diese „Anfänge“ sollte schon kennen, wer über die Konsequenzen erschrickt und dauernd „den Anfängen wehren“ möchte.
Leider bemühen Leute, die mit einigem Pathos zur Wachsamkeit mahnen, um eine Wiederholung des einmaligen Verbrechens zu unterbinden, lieber ihr Gewissen als ihren Verstand, wenn sie sich dem merkwürdigen Geschäft der „Bewältigung der Vergangenheit“ widmen. Ausgerechnet als Deutsche treibt es sie zu einer Distanzierung von den Untaten, die sie überhaupt nicht verstehen können, obwohl sie so viel aus ihnen lernen wollen. So werfen sie sich in die Pose von Menschen, denen erwiesenermaßen alles zuzutrauen ist, die sich deshalb selbst ständig vom Völkermord abhalten müssen. Dieses im Nachkriegsdeutschland so verbreitete Getue, als kollektive wie individuelle Scham inszeniert, ist insofern im besten Sinne des Wortes unverschämt zu nennen, als es von einem ausdrücklichen Bekenntnis zu dem politischen Verein lebt, der als Subjekt der Judenvernichtung feststeht. Die andere Hälfte der Veranstaltung ging und geht heute noch darin auf, dem Massenmord den Charakter einer politischen Tat abzusprechen. Insbesondere mit seichter Tiefenpsychologie haben es die Vergangenheitsbewältiger fertiggebracht, lauter Abweichungen vom gelungenen Zusammenwirken zwischen Staat und Volk auszumachen – und sich als Anwälte der deutschen Nation ein gutes Gewissen zu verschaffen.
Zur Beendigung der leidigen Schuldfrage und der unvermeidlichen Entschuldigungen sei daran erinnert, dass Staat und Volk im Nationalsozialismus intakt waren – und sie mussten es sein, um nicht nur den Krieg, sondern auch noch das Judenpogrom hinzukriegen. Der Staatschef und seine Partei verstanden sich aufs Führen, auf das geistige schon gleich. Für das gewöhnliche Führen konnten sie sich auf die Institutionen eines kompletten bürgerlichen Staatsapparats verlassen. An Personal für die Ausübung sämtlicher Ämter in der Hierarchie der öffentlichen Gewalt hat es nie gefehlt, der Wille zum Mitmachen war bei studierten wie einfachen Deutschen recht ausgeprägt. Der zum Mitmachen nicht minder – die Staatsangehörigen wussten nicht nur, was sie der Macht schuldig waren, sie akzeptierten nicht nur die von den Staatsorganen vorgeschriebenen Lebensbedingungen – sie hielten ihren Dienst auch für eine Pflicht, also für einen Beitrag zu einer guten Sache. Die hieß Deutschland, und der tätige Wille, sich für die anzustrengen, war der Normalfall. Die Führung konnte deswegen mit Fug und Recht behaupten: „Wir sind ein Volk!“
Dass diesem Gemeinwesen äußere Feinde nach seinem Wohlstand trachteten, ihm seine Rechte bestritten, war eine „Tatsache“, auf die Hitler beim geistigen Führen verwiesen hat. Fragen danach, warum ein braves Volk mit seinem Staat in so unverwüstlichen Gegensatz zu anderen Nationen gerät, kamen nicht auf – nur die Linke hatte ein paar falsche Antworten parat. Deswegen sind auch die Pflichten des Soldatenstandes treu und ehrenhaft erfüllt worden. Die Definition des inneren Feindes, die „den Juden“ betraf, hat ebenso verfangen. Aber nicht, weil der Führer eine „Tatsache“ anführen konnte und seine Deutschen unter allerlei jüdischen Werken Schaden genommen hätten. In diesem Fall von Führung ging es um die Schaffung von Tatsachen, von Konzentrationslagern und Leichen. Die Überzeugungskraft der einschlägigen Argumente hat mit den Juden nichts zu tun – weswegen es auch verwegen ist, Rassisten aller Art mit Befunden über ihre Opfer, die Objekte ihres Hasses zu kommen; der Erfolg der Lehre von geborenen Volksfeinden fällt ganz in die Moral, mit der sich das deutsche Volk ausgestattet hatte, längst bevor sie Hitler politisierte. Der „Wahn“ ist das zur Staatsdoktrin erhobene Bewusstsein, ein besonderes, dazu ein besonders gutes, womöglich auserwähltes Volk zu sein, dem andere Völker das Lebensrecht versauen. Dieses Selbstbewusstsein sucht sich das Opfer für seinen gerechten Kampf, was innerhalb des Staates allemal auf eine Klärung der Volkszugehörigkeit hinausläuft.
Bemerkenswert ist an der „Endlösung“ freilich, dass das deutsche Volk sich nicht nur seine eigene Meinung über die Juden zugelegt hat, die sich mit dem von der Führung verkündeten Rassismus deckte. Für das Vernichtungsprogramm haben sich auch prompt genügend Schergen gefunden, deren „Skrupellosigkeit“ nicht nur die Opfer zu spüren bekamen, sondern noch heute manchen betroffen macht. Wie der Ausdruck „skrupellos“ suggeriert, ist es aber bei diesen ausführenden Organen der völkischen Säuberung wohl auch nicht gewesen. Da hat es nicht an einer moralischen Hemmung gefehlt, die „dem Menschen“ gewöhnlich eignet; eher waren die Täter von ihrer gerechten Sache und ihrer Rassistenpflicht überzeugt. Der einschlägigen Literatur ist zu entnehmen, mit welchen Parolen gelegentliche Anflüge von Mitleid überwunden wurden. Nicht zu unterschätzen ist auch die im Krieg so wirksame Hilfe, die eine industrielle und „Anonymität“ gewährende Organisation dem Willen zum Töten beschert.
Wie im Krieg ist allerdings auch beim Massenmord an den Juden die Größe des Unternehmens weniger ein Beweis für den „Wahnsinn“ gewalttätiger Führungskräfte als ein Zeugnis dafür, wozu ein normales Volk bereit ist. Zumindest gelten den deutschen Vergangenheitsbewältigern die vielen „Zeugen“ der Judenvernichtung nicht als Mittäter. Dabei hat die Vollstreckung der Ideologie vom Deutschland zersetzenden Juden einen riesigen Aufwand von Fahndung, Kennzeichnung, Verhaftung, Transport etc. erfordert, der ebenso wenig wie die öffentliche Propaganda zu übersehen war. Eine Generation, die sich 12 Jahre lang in treuer Gefolgschaft gegenüber dem NaziStaat bewährt hat, ist danach dazu übergegangen, wegen der Opfer, die sie – ganz Volk – ihrem Staat gebracht hat, sich als dessen Opfer hinzustellen. Als Berufungsinstanz der Nazis, als Quelle ihrer Macht, als Aktivisten der deutschen Sache waren sie unterwegs – und sie bestehen darauf, dass ihr Wille ein guter gewesen sei. Das ist übrigens das Peinliche an den lächerlichen Lügen – einerseits nichts mitbekommen, andererseits keine Gelegenheit zum Widerstand gefunden –, mit denen sich die nach der Niederlage beschuldigten Deutschen so forsch entschuldigen: Damit konfrontiert, welche mörderischen Großtaten ihr Volkstum – nein: nicht zugelassen, sondern – hervorgebracht hat, bekennen sie sich erst einmal zu sich selbst. Als Volk.“ (Konrad Hecker: Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung. GegenStandpunkt Verlag 1996; S.141 ff.)
Für die Macher des neuen Staates deutscher Nation kam ein Bruch mit der nationalen Vergangenheit ohnehin nie in Frage. Die sahen sich gleich nach der Niederlage dazu berufen, die Rechtsnachfolge von Hitlers Staat anzutreten, und übernahmen lieber bekenntnishaft und mit der Wiedergutmachung auch materiell die ideelle Verantwortung für einen ganzen Völkermord, als auf die nationalen Rechte – insbesondere das auf „Wiedervereinigung“ – zu verzichten, die sich aus der Fortexistenz des politischen Subjekts Deutschland begründen. Der von den Siegermächten auferlegten Pflichtübung nationalen Schämens kamen sie nach, indem sie sich von den „Verfehlungen“ des Vorgängerstaates – dem offensivsten Teil seiner Säuberungspolitik, der Judenvernichtung – distanzierten und beschwörend verkündeten, so was dürfe sich „nie mehr wiederholen“. Damit verliehen sie sich einen unendlich ehrenwerten Herrschaftsauftrag, an dem sie moralisch gemessen werden wollten und der bis heute die Bequemlichkeit an sich hat, dass er gar nicht zu verfehlen ist: ein neues Auschwitz zu verhindern. Für die Staatsräson der BRD folgt daraus in praktischer Hinsicht überhaupt nichts, weil, solange eine erneutes Judenmorden nicht auf dem imperialistisches Programm steht, der Verzicht darauf keinem nationalen Gewaltbedarf auch nur die geringste Schranke setzt. Ideologisch folgt aus Auschwitz aber enorm viel, nämlich eine pauschale Rechtfertigung, brauchbar für alle nationalen Vorhaben. Das Bekenntnis zur Schuld der Nazis war gleichbedeutend mit dem Dogma von der politischen Unschuld der BRD.
Seitdem mit der Revision des für die deutsche Nation schlimmsten Kriegsergebnisses, ihrer Aufteilung, jede wirkliche Betroffenheit durch das vergeigte Welteroberungsunternehmen der Nazis glücklich abgeschüttelt ist, gefällt sich Deutschland geradezu in einer moralisch-ästhetischen Betroffenheit durch die Größe der von den Nazis verübten Untaten. An die wird nicht mehr pflichtschuldigst erinnert, sondern im forschen Selbstbewusstsein, dass aus der Distanzierung von ihr nichts anderes zu folgen hat als der allseitige Respekt vor einer dermaßen geläuterten Nation. Als solche beansprucht Deutschland aus der Position des moralischen Richters die Interpretationshoheit über die „Verbrechen des NS-Staates“. Die übt es aus, indem es den Konzentrationslagern und Gaskammern eine Deutung verleiht, in der es als das politische Subjekt, das die Ausrottung des zum Feind des deutschen Volkes erklärten „internationalen Judentums“ betrieben hat, nicht mehr vorkommt; mit der es sich dafür umso mehr als das hochanständige Staatswesen in Szene setzt, das nachträglich die „menschlichen Schicksale“ nicht in Vergessenheit geraten lässt. Ein „Holocaust“ soll da auf seinem Boden passiert sein. Diese offiziell gültige Sprachregelung hält sich an die Opfer, an die Identifizierung mit ihren Leiden, sowie an den Abscheu vor einem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, das bis heute „unerklärlich“ sein soll. Sie legt den Opfern des deutschnationalen Rassismus eine quasi religiöse, in ihrem Glauben begründete Opferrolle bei, den Tätern anstelle ihrer wirklichen national-rassistischen Beweggründe eine völlig apolitische Grausamkeit; die zynische Metapher vom „Leidensweg des jüdischen Volkes“ entpolitisiert so Tat wie Täter, indem sie beides ins letztlich nur religiös-metaphysisch Fassbare verlegt. Nach 50 Jahren „Vergangenheitsbewältigung“ hat es Deutschland dahin gebracht, aus diesem Stück seiner Nationalideologie jedes Moment von nationaler Schmach zu tilgen und aus dem ihm zugrundeliegenden politischen Tatbestand ein hemmungsloses Eigenlob zu verfertigen. (Aus: Die Debatte um das Holocaust-Mahnmal: Denkmal für Deutschland – Opfer geehrt, Schuldfrage beendet. In: GegenStandpunkt 3-1998)