GEGENARGUMENTE

Rassismus

Klassischer Rassismus theoretisch und praktisch

Man stolpert unvermutet über ein Paradebeispiel des rassistischen Argumentierens, wenn man im dritten Band des „Kapital“ einen Vergleich zwischen Lohnarbeit und Sklaverei – „Nun muß auch der Lohnarbeiter wie der Sklave einen Herrn haben, um ihn arbeiten zu machen und ihn zu regieren.“ (ebd.) – verfolgt. Marx zitiert aus diesem Anlaß einen Verteidiger der Sklaverei, einen gewissen O`Conor, der sich über die Negernatur verbreitet hat. Daran läßt sich exemplarisch studieren, wie Rassismus geht:

„‚Now, gentleman‘, sagte er unter großem Applaus, ‚die Natur selbst hat den Neger zu dieser Knechtschaftslage bestimmt. Er hat die Stärke und ist kräftig zur Arbeit; aber die Natur, die ihm diese Stärke gab, verweigerte ihm sowohl den Verstand zum Regieren, wie den Willen zur Arbeit.‘ (Beifall) ‚Beide sind ihm verweigert! Und dieselbe Natur, die ihm den Willen zur Arbeit vorenthielt, gab ihm einen Herren, diesen Willen zu erzwingen und ihn in dem Klima, wofür er geschaffen, zu einem nützlichen Diener zu machen, sowohl für sich selbst, wie für den Herren, der ihn regiert. Ich behaupte, daß es keine Ungerechtigkeit ist, den Neger in der Lage zu lassen, worin die Natur ihn gestellt hat; ihm einen Herrn zu geben, der ihn regiert; und man beraubt ihn keines seiner Rechte, wenn man ihn zwingt, dafür auch wieder zu arbeiten und seinem Herrn eine gerechte Entschädigung zu liefern für die Arbeit und Talente, die er anwendet, um ihn zu regieren und ihn für sich selbst und die Gesellschaft nützlich zu machen.‘“ (New York Daily Tribune vom 20. Dezember 1859, zitiert nach Marx, Das Kapital Bd. 3, S. 399)

Das Verhältnis von Herr und Sklave, das ein Gewaltverhältnis ist und das ohne Gewalt nicht existiert, konstruiert Mr. O’Conor als ein Ergebnis der unterschiedlichen Fähigkeiten und Beschaffenheiten verschiedener Menschentypen. Fähigkeiten, die unabhängig vom Verhältnis Herr und Sklave gegeben sein sollen, nämlich von Natur, und die dieses Verhältnis überhaupt erst erzeugen sollen. Die eine Menschensorte ist kräftig, aber aus der Sicht von O’Conor ein wenig faul, weil sie ihrer Natur nach nicht dazu aufgelegt ist, für andere Leute zu arbeiten – woraus nüchtern betrachtet folgt, daß der „Neger“ den Verstand, den ihm der Apologet der Sklaverei abspricht, sehr wohl besitzt. Der Rassist will aber die Negerbiologie als eine Mischung aus körperlicher Fähigkeit und mentalem Defizit erforscht haben – einerseits stark, andererseits unwillig. Schon da wird der Rassist also geständig, denn wenn dem so sein sollte, dann folgt aus dieser Negernatur nur eines: Daß der muskelbepakte Schwarze solange arbeitsunwillig herumlungert, bis ihn das nicht mehr freut – und aus. Das Postulat, daß diese naturgegebene Negerstärke auf keinen Fall ungenutzt bleiben darf, sondern „für die Gesellschaft“ zu erschließen sei, kommt gar nicht aus der Natur, nicht einmal aus der rassistischen Naturkunde, sondern aus der damaligen Gesellschaft. Körperkraft ist – übrigens jenseits jeder Pigmentierung – in der Tat bloß eine Fähigkeit; aus ihr folgt in keinster Weise, daß und wie sie genutzt werden muß.

Die andere Menschensorte ist komplementär zum Neger konstruiert. Sie kompensiert den angeblichen Mangel des Negers, indem sie ihn zur Arbeit zwingt. Wie dieser „Herr“, den schon wieder „die Natur“ dem defizitären Neger zugesellt hat, das bewerkstelligen soll, ist allerdings wieder äußerst rätselhaft. Der zum Herrschen vorgesehene Menschentyp ist nur durch den „Verstand zum Regieren“ charakterisiert und durch das gleichgerichtete „Talent“, aber wie ausgerechnet aus dem Verstand den zum Regieren berufenen die Mittel erwachsen sollen, andere Leute zum Arbeiten für sich zu zwingen, das ist völlig unerfindlich. Denn die geistige Fähigkeit zur verrückten „Einsicht“, daß es für sie einfach natürlich ist, Sklavenarbeit zu leisten, die hat der Rassist den körperlich Kräftigen schließlich ausdrücklich abgesprochen. Wenn man die rassistische Naturfiktion also einen Augenblick lang ernst nimmt, ergibt sich folgendes Idyll: Es treiben sich die zwei beschriebenen Menschensorten herum – und daraus folgt gar kein Verhältnis zwischen ihnen, und garantiert nicht die Sklaverei. Die einen sind stark und unwillig, die anderen vernunftbegabt und talentiert zum Herrschen. Und jedesmal, wenn die Schlauen die unwilligen Starken zum Arbeiten zwingen wollen, müßten sie von denen eine in die Schnauze kriegen – dummerweise sind doch die Unwilligen zugleich die Starken. So ein Pech.

Man merkt sofort, daß die intellektuellen Ansprüche von Rassisten bescheiden sind; andererseits ist klar, daß das die praktische Zurichtung der Neger zu Sklaven nicht tangiert hat, weil die Sklaverei ohnehin nicht das Resultat einer verunglückten naturwissenschaftlichen Erforschung des Negers war – sondern umgekehrt. Die Einführung des Kapitalismus in der Neuen Welt – ob in die Kolonien der Karibik oder in die USA – hatte zu einem enormen Aufschwung des Weltmarktes für Sklaven geführt, weil dort zu wenige freie Lohnarbeiter verfügbar waren und weil der Gastarbeiter ebenso wie der illegale Einwanderer erst viel später erfunden wurde. Es herrschte Arbeitskräftemangel, die weißen Einwanderer konnten es sich leisten, wählerisch zu sein, die Eingeborenen wollten nicht oder krepierten wie die Fliegen; die Vermehrung des investierten Kapitals in Plantagen und Bergwerke sollte daran nicht scheitern, also wurden Sklaven importiert. (Vgl. dazu die Bemerkungen von Marx über „Die moderne Kolonisationstheorie“ im „Kapital“ Bd. 1, S. 792 ff.) Übertrieben dogmatisch auf den freien Lohnarbeiter fixiert ist das Kapital gar nicht, es nimmt auch Sklaven oder Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge, wie man weiß. Historisch durchgesetzt hat sich der Lohnarbeiter auch nicht aus Respekt vor seiner Natur oder wegen den Menschenrechten, sondern wegen seiner überlegenen Effizienz, verglichen mit der des Sklaven. (Vgl. dazu die Notiz von Marx über den Unterschied der Sklavenarbeit zur Lohnarbeit im „Kapital“ Bd. 1, MEW 23, S. 210, Fußnote)

Worin besteht nun das im engeren Sinn Rassistische an der obigen Darstellung? Der Verteidiger der Sklaverei will nicht einfach und wahrheitsgemäß mit dem Interesse und dem Nutzen der Sklavenhalter und der damaligen Gesellschaft „argumentieren“ – er will vielmehr die gewalttätige Behandlung und den Zwang zur Arbeit für den Nutzen anderer als einen Tatbestand darstellen, der den Eigenheiten der Gezwungenen zutiefst entspricht. Die sind von Natur aus so beschaffen, daß ihnen gerade die Sklaverei hochgradig gerecht wird. Der Widerspruch besteht natürlich darin, daß das, was die Neger angeblich ohnehin von sich aus sind, erst durch den Einsatz von viel Gewalt gegen sie und an ihnen hervorgebracht werden muß. Die Gewalt, meint der Experte für die Negernatur, geht aber völlig in Ordnung, denn wenn welche von Natur aus Sklaven sind, gehören sie auch als solche behandelt. Nicht einmal auf die Fiktion einer höheren, dem gemeinen Verstand verborgenen Harmonie zwischen Sklaven und Sklavenhalter will der Rassist verzichten, denn der Sklave wird vom Herrn u.a. auch dazu gezwungen, „für sich selbst“ zu sorgen, und für die Mühe und die Anstrengung, die er durch seinen Unwillen seinem Herrn bereitet, verdient der wiederum eine „gerechte Entschädigung“. Der Neger muß zu seinem Glück gezwungen werden, sagt der Rassist, und der Zwang gegen ihn ist deswegen sogar in seinem Interesse. Das ist die rassistische Ideologie, wie sie von Pfaffen, Professoren und anderen Gebildeten damals verbreitet wurde. Grundlage dieser Ideologie waren natürlich die damaligen polit-ökonomischen Verhältnisse, in denen Leute brachial in die gesellschaftlich nützliche Funktion des Sklaven hineinsortiert wurden.

Südafrikanischer Rassismus: Weder Vorurteil noch Rassen-Trennung

Die historisch letzte Variante der öfter reformierten Apartheid brachte ziemlich schnörkellos zur Geltung, welchen politischen Überlegungen sich die Behandlung der dortigen Schwarzen verdankte. Die damalige Methode, die südafrikanischen Neger per Gesetz zu Ausländern zu erklären, kann ihre Verwandtschaft mit der europäisch-zivilisierten Benutzung von Gastarbeitern schwer verleugnen. Das Recht, in Südafrika zu arbeiten, soweit sie in Bergwerken, Fabriken, in der südafrikanischen Landwirtschaft oder auch als Hauspersonal gebraucht wurden, besaßen die Neger nämlich schon immer und auch in den finstersten Zeiten der Rassen-„Trennung“ – von einer „getrennten Entwicklung“ der „Rassen“ konnte also nie die Rede sein. Darüber hinaus brauchten sie nach der Einschätzung der Apartheidpolitiker keine Rechte, weil sonst kein staatliches Interesse an ihnen bestand. Die Unterscheidung eines weißen Staatsvolks mit Wehrrecht und Wahlpflicht von den Schwarzen, die als lebendiges Inventar wie ein „Rohstoff“ benutzt oder weggeräumt wurden, war die Fortsetzung des Kolonialismus nach innen, als die weißen Einwanderer und ihre Nachkommen politisch unabhängig geworden waren. Die Sondergesetzgebung für die Farbigen wurde schließlich auf moderne Art festgeklopft, indem sie als Bürger von eigens zu diesem Zweck gegründeten Auslanden definiert wurden, die in Südafrika nur begrenzt zum Arbeiten geduldet wurden, und jederzeit problemlos abgeschoben bzw. angefordert werden konnten. Den Status des Staatsbürgers durften sie im jeweiligen „Bantustan“ genießen; das waren von Südafrika geschaffene und alimentierte Reservate zur Aufbewahrung einer „Reservearmee“ an Arbeitskräften unter stammeseigener Aufsicht, ansonsten aber ohne nennenswerte Existenzmöglichkeiten. Schon die Grenzziehung entlang der Fruchtbarkeit des Bodens hatte dafür gesorgt, daß als einzige Perspektive der südafrikanischen Neger wirklich nur die südafrikanische Marktwirtschaft übrigblieb. Auf diese Weise hatte auch die rassistische Republik Südafrika der Entkolonialisierung Rechnung getragen und ein Stück weit die Fiktion praktisch werden lassen wollen, ihre Unterscheidung der Einheimischen durch den „Population Registration Act“ (in vier Sorten) sei letztendlich doch nur eine Variante der „normalen“ Unterscheidung der Staatsbürger von den Ausländern. Ergänzt wurde diese Fiktion allerdings nach wie vor durch die bekannten Schikanen im Alltag: Öffentliche Einrichtungen, Verkehrsmittel und die berühmten Parkbänke „für Weiße“. Außer zum Schuften hatte ein Schwarzer in Südafrika eben nichts verloren, und wenn es sich nicht vermeiden ließ wie beim Transport vom und zum Arbeitsplatz, dann nur geduldet in „separaten“ Anlagen.

Weder dem südafrikanischen noch dem internationalen Unternehmertum war die abgestufte Gewährung von Rechten entlang der Hautfarbe peinlich, sie wurde als das genommen, was sie war, nämlich als Standortvorteil des südafrikanischen Kapitalismus. Der hatte es mit der Unterscheidung der arbeitenden Klasse in einen (durch „job reservation“) privilegierten weißen Teil und in einen schwarzen ohne politische und gewerkschaftliche Rechte immerhin zur einzigen afrikanischen Nationalökonomie gebracht, die nicht auf Export von Rohstoffen und „Entwicklungshilfe“, sondern auf einem im Land akkumulierenden Kapital beruhte. Erbracht wurde der wenig überraschende Beweis, daß ein Kapitalismus auch mit einem Proletariat ohne Bürgerrechte funktioniert; und ohne Rücksicht darauf, ob sich die Arbeitskraft mit einem Hungerlohn und unter ruinösen Arbeitsbedingungen reproduzieren kann, weil innerhalb und außerhalb Südafrikas genügend Verelendete bereit standen, die Verbrauchten zu ersetzen. Der Grund für die Sortierung innerhalb der Bevölkerung Südafrikas war also das Interesse der dortigen Herrschaft, ihre schwarzen Untertanen auf die ausschließliche Funktion der beliebig verschiebbaren, ansonsten rechtlosen Arbeitskraft und Reservearmee festzulegen – die offizielle Begründung gehorchte dem rassistischen Muster, wonach die Unterschiede der Rassen eine unterschiedliche Behandlung der Leute anhand der Hautfarbe nach sich ziehen müßte: Der Staat würde die verschiedenen Menschensorten bloß entsprechend ihrer Beschaffenheit sortieren und traktieren, und lasse auf diese Weise Gerechtigkeit walten.

Faschistischer Rassismus: Arier und Juden

Der „Arier“: Die Herrenrasse besteht aus Knechtsnaturen

Hitlers Charakterisierung des „Juden“ gilt heute als in jeder Hinsicht pervers: „Daß er dieser ‚Rasse‘ zugeschrieben hat, dem Tier näher zu stehen als dem Gattungswesen Mensch; daß er den Juden andererseits nicht die ‚Harmlosigkeit‘ eines Tieres zusprechen wollte, sondern in ihnen einen dem Volkskörper feindlichen, weil parasitären Willen entdeckt hat, wertet heutzutage beinahe jeder als Hinweis auf ein verabscheuungswürdiges Verbrechen gegenüber dem jüdischen Volk.“ (Huisken, Ausländerfeinde und Ausländerfreunde, S. 67) Der positive Rassismus des Ariers wird ihm dagegen weit weniger angekreidet, bestenfalls als ungerechtfertigte Privilegierung eines arischen „Herrenmenschen“ gegenüber anderen „Rassen“.

Dabei ist der Rassismus des Ariers durchaus selbständig zu würdigen; wenn dessen Charakterisierung als Ansammlung von positiven Merkmalen gilt, die man anderen Völkern nicht absprechen dürfe, wirft das ein eigenartiges Licht auf diese Rassismus-Kritiker. Hitlers Lob des Ariers ist der Entwurf des totalen Staatsbürgers, der nichts besseres zu tun hat, als sich aufzuopfern. Hitler hatte bekanntlich viel vor mit dem deutschen Volk. Er wollte, wie jeder deutsche Kanzler vor und nach ihm, Deutschland zur Groß- und zur Weltmacht führen, und was das für die Herrenrasse bedeutet, hat er genau gewußt: Ein Dasein als Menschenmaterial; die Aufgabe eigener Interessen und Bedürfnisse, die Aufopferung für den Staat bei der Arbeit und im Krieg, also die bekannten faschistischen Tugenden von Durchhaltevermögen, Kampfbereitschaft und Idealismus im Einsatz für Deutschland. Diese Anforderungen an sein geliebtes Volk, die er u.a. mit Gestapo, Wehrpflicht, Standrecht und Volksgerichtshof durchgesetzt hat, entsprachen für ihn der wahren Identität des Ariers, der ureigenen Beschaffenheit dieser edlen Menschensorte:

„Dieser Aufopferungswille zum Einsatz der persönlichen Arbeit und, wenn nötig, des eigenen Lebens für andere ist am stärksten beim Arier ausgebildet. Der Arier ist nicht in seinen geistigen Eigenschaften an sich am größten, sondern im Ausmaße der Bereitwilligkeit, alle Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Der Selbsterhaltungstrieb hat bei ihm die edelste Form erreicht, indem er das eigene Ich dem Leben der Gesamtheit willig unterordnet, und, wenn die Stunde es erfordert, auch zum Opfer bringt. … Diese Gesinnung, die das Interesse des eigenen Ich zugunsten der Erhaltung der Gemeinschaft zurücktreten läßt, ist wirklich die erste Voraussetzung für jede wahrhaft menschliche Kultur. … In der Hingabe des eigenen Lebens für die Existenz der Gemeinschaft liegt die Krönung allen Opfersinns. … Da aber wahrer Idealismus nichts weiter ist als die Unterordnung der Interessen und des Lebens des einzelnen unter die Gesamtheit … entspricht er im innersten Grunde dem letzten Wollen der Natur.“ (Hitler, Mein Kampf S. 326 ff.)

Du bist nichts, dein Volk ist alles! Das liegt schon in der Natur des Ariers. Was der faschistische Staat verlangt und gewaltsam durchsetzt, ist nichts anderes als das, was in den Fähigkeiten des Ariers vorhanden ist – Aufopferungswille, Dienst an der Gemeinschaft, das eigene Ich zu opfern, die Hingabe des Lebens. Daß ausgerechnet die Aufopferung des eigenen Lebens die „edelste Form“ des „Selbsterhaltungstriebs“ ist, war für den Führer kein Problem, indem der Arier einmal als Individuum vorkommt und einmal als Gattungswesen; indem sich der Einzelne für die Gattung opfert, lebt er in ihr weiter, wenn er als Individuum tot ist. Diese Gattungsmetaphysik drückt also aus, daß von einer Gemeinschaft, von gemeinsamen Zwecken nicht die Rede sein kann, wenn für das Individuum immer nur Dienst, Pflicht, Opfer, Unterordnung herauskommt – da geht es um die sehr einseitige Benutzung von Leuten. Die Verankerung dieser Moral in der völkischen Natur der Volksgenossen stellt klar, daß der individuelle Wille überhaupt nicht zählt; wer sich der Pflicht verweigert, ist definitionsgemäß denaturiert, entartet. Pflichterfüllung ist im deutschen Bürger genetisch verankert, würde man heute sagen. Der Nutznießer all dieser Tugenden ist die „Art“ und ihre „Erhaltung“, „aber Hitlers Dialektik von Art und Artgenosse war ja nie anders gedacht, denn als Bild für das dem Staat dienstbare Volk hie und einen Staat, der die Dienste einfordert, da.“ (Huisken, ebd.) Der faschistische Staat benutzt sein Volk als Mittel seiner weltweiten Durchsetzung und dient so der Erhaltung der „Art“; das Volk findet in seiner Benutzung seine artgemäße Erfüllung, sagt diese Rassenlehre.

Der „Jude“: Menschen ohne Staat sind Untermenschen

Angesichts der sein sollenden Ordnung der Dinge mußte der Führer an der tatsächlichen Lage der Nation schier verzweifeln. Von der natürlichen Qualität des Menschenmaterials her zur Weltherrschaft bestimmt, hatte Deutschland als Kaiserreich den Weltkrieg verloren und war als Weimarer Demokratie in der Dauerkrise. Von den Siegermächten beschränkt, von einer Arbeiterbewegung gestört, von „den Märkten“ als „Standort“ gering geschätzt, mit einigen Millionen arbeitsloser, für Deutschland unproduktiver Volksgenossen geschlagen. Es mußte also eine Störung geben, die den Arier an der Entfaltung der ihm arteigenen Tugenden hinderte. Diese Störung, die destruktiven Elemente im Volkskörper hat der Führer dann prompt in den „Juden“ ausgemacht, streng nach der Logik seines Arier-Rassismus: Wenn eine Herrenrasse durch ihre Opferbereitschaft ihren Staat zur Weltherrschaft ermächtigt und verpflichtet, dann sind diejenigen die Untermenschen, die es als irgendwie eigenständiges „Volk“ nicht einmal zur Errichtung eines „eigenen“ Staates gebracht haben. Erst der Staat macht den Menschen zum Menschen, und eine „Menschensorte“, die nach den Kriterien des nationalen Wahns ein „Volk“ darstellt, aber ohne Staat, dem fehlt also das Essentielle des wahren Menschentums! Ausgerechnet von Angehörigen eines solchen Volkes sah der Führer sein geliebtes Deutschland unterwandert bzw. „überfremdet“, wie man heute sagt:

„Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude. … Der Aufopferungswille im jüdischen Volke geht über den nackten Selbsterhaltungstrieb des einzelnen nicht hinaus. … Sein Aufopferungssinn ist nur ein scheinbarer. Er besteht nur solange, als die Existenz jedes einzelnen dies unbedingt erforderlich macht. … Daher ist auch der jüdische Staat – der der lebendige Organismus zur Erhaltung und Vermehrung einer Rasse sein soll – territorial vollständig unbegrenzt. Denn eine bestimmte räumliche Fassung eines Staatsgebildes setzt immer eine idealistische Gesinnung der Staatsrasse voraus, besonders aber eine richtige Auffassung des Begriffes Arbeit. … Da der Jude niemals einen Staat mit bestimmter territorialer Begrenzung besaß und damit auch nie eine Kultur sein eigen nannte … ist und bleibt (er) der ewige Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet; sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt. … wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab.“ (Hitler, Mein Kampf, S. 329 ff.)

Sehr sympathisch gezeichnet, dieser „Jude“. Kein Wunder, daß Hitler diese Konstruktion und die von ihm darunter subsumierten Menschen gehaßt hat! Dieser „Jude“, diese Konstruktion hält nämlich nichts vom Aufopfern für die Nation – deswegen hat er es nach Ansicht des Führers auch nicht zu einem „eigenen“ Staat gebracht. Der „Jude“ ist einer, der sich und seine Interessen wichtig nimmt, und der bloß für seine Interessen Zweckbündnisse eingeht – „sein Aufopferungssinn ist nur ein scheinbarer“. Diese „Rasse“ bringt die Selbstlosigkeit nicht auf, ohne die ein Staat nun einmal nicht funktioniert. Da hat Hitler übrigens was getroffen – Kampf für die eigene Lebensqualität statt Unterordnung, statt Dienst und Pflichterfüllung, das hält kein Staat aus; unabhängig davon, daß die im Dritten Reich als „Juden“ identifizierten so etwas nicht im Sinn hatten. Der zeitgenössische „Bolschewismus“ vielleicht eher, aber der war für die NSDAP ohnehin eine jüdische Machenschaft! Der Führer hat zu seiner Diagnose vom „Parasitentum“ nicht die tatsächlichen Aktivitäten damaliger Juden herangezogen. „Volk ohne Staat“, das war der entscheidende Befund.

Krise und Klassenkampf: Folgen des Volkscharakters

Dieser nationale Wahn, den die NSDAP durch mehrjährige Agitation, durch Terror und über einige demokratische Wahlen zur gültigen politischen Linie gemacht hat, betrachtete die krisenhafte Lage der Nation konsequent durch die nationale Brille und interpretierte beides als völkisches Problem. Was es gibt auf der Welt, von Ökonomie und Krise bis zu Kultur und Krieg, das war dem Führer nur als Resultat der verschiedenen Menschensorten, der „Rassen“, und damit als Ausdruck von verschiedenen Volkscharakteren geläufig. In allem, was der Mensch so treibt, äußert sich nichts als seine jeweilige völkische Identität, seine Natur und Art, das Ariertum oder eben das Judentum. Der Standpunkt der NSDAP hat die ökonomische Krise ebenso wie den Klassenkampf nicht als soziale und ökonomische Phänomene gedeutet, sondern als völkische Fragen, als Angriff eines fremden Volkes auf Deutschland. Wenn die deutschen Arbeiter schon durch ihre aufopferungsgeile Identität nicht auf staatsschädliche klassenkämpferische Einfälle kommen konnten, wie dann?! Doch nur so: „Indem ich den Juden als Führer der Sozialdemokratie erkannte, begann es mir wie Schuppen von den Augen zu fallen. … Je mehr ich den Juden kennenlernte, desto mehr mußte ich dem Arbeiter verzeihen.“ (Hitler, Mein Kampf, S. 64 und 67) Und wenn die Sorte von Arbeit, die der Führer schätzte, die für Kapital gegen Lohn, nichts als die Ausbeutung, gleichbedeutend die Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft der deutsch-arischen Art organisierte, wie konnten die Bilanzen der Nation in der Krise sein?! Nur deshalb:

„Das Finanzjudentum wünscht … nicht nur die restlose wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands, sondern auch die vollkommene politische Versklavung. Die Internationalisierung unserer deutschen Wirtschaft, d.h. die Übernahme der deutschen Arbeitskraft in den Besitz der jüdischen Weltfinanz, läßt sich restlos nur durchführen in einem politisch bolschewistischen Staat. Soll die marxistische Kampftruppe des internationalen jüdischen Börsenkapitals aber dem deutschen Nationalstaat endgültig das Rückgrat brechen …“ (Hitler, Mein Kampf, S. 702)

Hitler hatte also keine Probleme, in SPD und KPD die getarnte Hilfstruppe der Börse zu entdecken. Beides, die Arbeiterbewegung und das Finanzkapital, schwächte Deutschland, in beiden Abteilungen waren Juden tätig, also waren das Geldkapital und sein scheinbarer Gegner entlarvt, als Varianten eines Judentums, das Deutschland zersetzt. „Der jüdische Staat ist territorial unbegrenzt“, heißt: Überall, wo ein „Jude“ tätig ist, muß er wegen seiner „Art“ einen antideutschen jüdischen quasi-Staatszweck verfolgen, ist er ein Agent. Er kann nicht anders, denn das macht seine Identität aus. So wie der gute Deutsche das Ariertum lebt, im Zweifelsfall angeleitet durch Gestapo etc., so lebt der „Jude“ zwangsläufig seine völkische Natur aus:

„Weder beim Pro noch beim Contra wollte sich Hitler vom Willen der Leute abhängig machen: Am Arier hat er den Naturdrang zum nationalen Errettungskrieg gewaltsam durchgesetzt … Am Juden hat er unabhängig von deren Taten und Denken das Urteil praktisch vollstreckt, daß hier Schmarotzer an ihrem staatszerstörerischen Werk sind. Dies Urteil kam einer Kriegserklärung gleich und wurde wie ein Feldzug gegen den Feind geführt – bis zu seiner Vernichtung, die eben nicht in der Kapitulation eines staatlichen Souveräns, den es nicht gab, sondern nur in der Ausrottung des Volkes bestehen konnte.“ (Huisken, Ausländerfeinde und Ausländerfreunde, S. 70)

Demokratischer Rassismus: Inländer und Ausländer

Der Rückblick auf den Rassismus gegenüber „Negern“ und „Juden“ hat folgendes Zwischenergebnis gebracht:

– Rassismus macht sich nicht zwingend an körperlichen Merkmalen fest. Beim „Neger“ zweifellos, beim „Juden“ nicht. Die mußten einen Stern tragen, weil man es ihnen nicht „ansieht“, auch wenn ihnen die damalige Wissenschaft u.a. mit Schädelvermessungen auf die Schliche kommen wollte.

– Rassismus ist nicht zwingend als Diskriminierung zu fassen. Die zu jeder Diskriminierung komplementäre Privilegierung wird logischerweise auch rassistisch vorgetragen, eben als Folge der überlegenen Beschaffenheit der bevorzugten Gattung.

– Rassismus als Vorurteil oder als Resultat von Vorurteilen zu fassen ist eine Verharmlosung. Ausgangspunkt von Rassismus ist allemal ein politisches oder ökonomisches Interesse oder Desinteresse an bestimmten Leuten. Die daraus resultierende Behandlung, das, was mit ihnen gemacht wird, das verdreht der Rassismus in eine Folge ihrer Eigenart, ihrer Qualität, ihrer Natur.

Ihrem Selbstverständnis nach ist die Demokratie antirassistisch. Rassistische Verlautbarungen und Taten gelten als dem Ansehen der Nation abträgliche Entgleisungen und werden von den anderen Demokraten verurteilt. So geschehen bei den Auskünften der FPÖ-Abgeordneten Partik-Pablé über die Negernatur, für die Frau Abgeordnete ergibt sich – diese Umdrehung ist der Kernpunkt jedes Rassismus – der Umgang der Exekutive mit Afrikanern nicht aus den Aufträgen der Polizei, sondern aus der Art, aus der Natur der „Behandelten“, die also an ihrer Behandlung selber schuld sind:

„Erkundigen Sie sich doch einmal bei den Beamten über die Art der Schwarzafrikaner! Sie schauen nicht nur anders aus, … sondern sie sind auch anders, und zwar sind sie ganz besonders aggressiv. Das liegt offensichtlich in der Natur dieser Menschen. Sie sind meistens illegal da, sie sind meistens Drogendealer, und sie sind ungeheuer aggressiv, wenn sie von Exekutivbeamten behandelt werden.“ (Sten. Protokoll des Nationalrates vom 10.5.99, zitiert nach planet 11/99)

Dabei ist das antirassistische Selbstbild der Demokratie bloß die Folge einer interessierten Unterscheidung. Nur frühere, unzeitgemäße Rassismen – etwa bezogen auf „Neger“ und „Juden“ – gelten als solche, während die in der Demokratie anerkannten und üblichen, die zum festen Bestand der Politik und der öffentlichen Meinung gehörenden Rassismen, gar nicht als Rassismen beanstandet werden. Einige Beispiele:

Nationale Identität

„Die Deutschen und ihre Identität … Was ist das eigentlich: deutsch? Zunächst ist es ein naturgegebener Sachverhalt, deutsch zu sein. Es ist die Folge der Tatsache, hier geboren, hier aufgewachsen zu sein, die deutsche Sprache zu sprechen, sich hier natürlicherweise zu Hause zu fühlen und damit Teil eines Volkes zu sein. Ich bin Deutscher, wie ein Franzose ein Franzose, wie ein Russe ein Russe ist. Das ist weder ein Mangel, noch ein Verdienst. Ich habe es mir nicht ausgesucht …“ (R. v. Weizsäcker, zitiert nach Huisken, Ausländerfeinde und Ausländerfreunde, S. 86)

So hat sich der frühere deutsche Präsident v. Weizsäcker über die deutsche Identität verbreitet. Die Sortierung der Menschheit in verschiedene Völker hält er für eine ziemlich naturgegebene Angelegenheit, die sich aus der Geburt, aus Sprachkenntnissen und aus dem Gefühl ergibt, zu Hause zu sein. In Deutschland geborene und aufgewachsene Ausländer, die deutsch können und „ihr“ heimatliches Ausland nur vom Urlaub kennen, hätten ihn leicht belehren können. Inländer zu sein ist ein Rechtsstatus, und darin besteht auch der Unterschied zu Ausländern. Beides sind staatliche Setzungen, die sich aus der beschränkten Reichweite eines Gewaltmonopols ergeben, und nicht immanente „Folgen“ naturgegebener „Tatsachen“. Mit dem natürlichen Vorgang der Geburt hat das nichts zu tun, höchstens wenn ein Staat die Geburt zum Anlaß nimmt, das Neugeborene in sein Volk einzureihen, und mit der Sprache auch nicht, höchstens wenn ein Staat von Einwanderern Sprachkenntnisse verlangt. Wer beispielsweise nach 1938 in der damaligen Ostmark als Kind ehemals österreichischer Eltern, aber gemäß den Machtverhältnissen als Deutscher geboren wurde, hat 1945 wie seine Eltern eine Verwandlung rückwärts zum Österreicher durchgemacht, ohne daß sich an Geburt oder Sprachkenntnissen etwas geändert hätte. Das Gewaltmonopol war nach 1945 ein anderes.

v. Weizsäcker behauptet, es gäbe jenseits von Staatsbürgerschaft und Paß, also vor und jenseits von Politik und Recht, die deutsche Art oder „Identität“; eine Gemeinsamkeit, die den Deutschen zukomme und sie von anderen Völkern unterscheide, und die auch jenseits jeder willentlichen Entscheidung des Individuums angesiedelt ist. Gegen diese „Identität“ kann man sich nicht wehren, man gehört zur Gattung „deutsch“, ob man will oder nicht – aber nicht etwa, weil der Staat die nächste Generation ungefragt anläßlich der Geburt rekrutiert, sondern weil Umstände, die sich nicht vermeiden lassen – geboren werden, sprechen, aufwachsen – jemanden zum deutschen Bürger determinieren, so wie andere als Franzosen oder Russen punziert sind, was angeblich obendrein ebenso „natürlicherweise“ nach sich zieht, sich im Vaterland „zu Hause“ zu fühlen, also positiv zu ihm zu stehen. Die Redeweise von der „nationalen Identität“ behauptet, es gäbe die Staatsbürger unabhängig von den Staaten, es gäbe unabhängig von den Staaten verschiedene national definierte Menschensorten, die Zugehörigkeit dazu mache die wesentliche Bestimmung des Individuums aus, eben seine Identität, und in diesen unterschiedlichen Sorten läge die Notwendigkeit der verschiedenen Staaten. Deutschland müsse es geben, weil es den Stamm, den Menschenschlag, die Spezies der Deutschen gebe, und nicht umgekehrt, wie es sich tatsächlich verhält.

„Ich habe es mir nicht ausgesucht“, betont Weizsäcker, und will damit nichts kritisiert haben, sondern behaupten, die Eingemeindung in ein nationales Kollektiv sei eine Grundtatsache der menschlichen Existenz vor jeder Politik und unabhängig vom Staat, der man sich zu unterwerfen habe, die man anzunehmen habe: Kollektivismus, wie wir ihn mögen. Den Gehorsam schuldet man aber schon der Staatsführung.

„Illegale“ und andere Ausländer: Kultur, Mentalität etc.

Der Unterschied zwischen Inländern und Ausländern als einer der persönlichen „Identitäten“ ist der moderne Rassismus schlechthin, der nicht als solcher gilt. Was allein durch Staatsbürgerschaftsrecht und Ausländergesetzgebung erzeugt wird, die unterschiedliche Behandlung der Leute, gilt als bloßer politischer Nachvollzug, als bloß hinzutretende „Verrechtlichung“ von Phänomenen, die ihren Grund woanders hätten. Der moderne Rassismus hat die Kategorie Kultur mit dem beauftragt, was früher die Natur leisten sollte. Wo der Faschist unterschiedliche Menschentypen an der Anlage, an Blut und Rasse festmachen will, um von der politischen Gewalt erfundene Imperative der Natur exekutieren zu lassen, da bemüht der Demokrat die staatlich organisierte Umwelt aus national durchaus verschiedenen „ways of life“, um aus Lebensgewohnheiten, Vorlieben und Gebräuchen eine Prägung, eine Determination, ein „gesellschaftliches Wesen“ der Leute herauszuleiern, die ebenfalls die Menschheit in Untergattungen parzelliert wie die Kategorie „Rasse“: In „Ethnien“ mit verschiedenen „Kulturen“ und kulturellen Identitäten eben. Zur Vermeidung von Mißverständnissen: Natürlich gibt es „Kulturkreise“ mit diversen verschiedenen Lebensgewohnheiten, Vorlieben und Gebräuchen. In Japan wird anders gespeist und religiös gekultet als hier, und in der Türkei ebenfalls. Aber, und das soll hier kategorisch behauptet werden, die Behandlung eines Japaners, der in Österreich investieren will, richtet sich nach dem Interesse, das hierzulande seinem Geld entgegengebracht wird, und nicht nach seiner Kultur, die wird wegen des Geldes hofiert; ebenso wie ein Türke nicht wegen seiner Kultur oder wegen seines Islam abgeschoben wird, sondern weil er nichts zu bieten hat, woran hier Interesse besteht, falls er nur Lohnarbeiter, also arm ist. Ein Treppenwitz des modernen kulturhygienischen Reinlichkeitsdenkens geht so: „‘Der Japaner‘ komme ja auch nicht, wenn es in manchen Wiener Bezirken ‘schon ausschaut wie in Istanbul.‘“ (Hilmar Kabas, als FPÖ-Chef Wiens ver„treibende Kraft“, profil 28/1999) Türken raus, wg. Japaner!

Im modernen Kulturrassismus werden Besonderheiten der Lebensart aufgeblasen zu einer Gefahr, die der Faschist als das Problem der „Rassenmischung“ kennt: Die Menschensorten, demokratisch durch „Kulturen“ konstituiert, vertragen sich nicht. Ausländer sind anders, deswegen gehören sie raus; multikulti nix gut! Jenseits aller willentlichen Betätigungen gelten die Individuen als kleine „Ensembles“ ihrer heimatlichen gesellschaftlichen Verhältnisse, und so treffen sie auf das hiesige ebenso kulturbedingte ethnische „Immunsystem“, das Abstoßungsreaktionen produziert. Die Konjunkturen der Ausländerpolitik widerlegen diese Vorstellung nachdrücklich. Als es zuwenig österreichische Arbeitskräfte gab und im Ausland extra welche angeworben wurden, hat die „Mentalität“ und die „Kultur“ nichts ausgemacht; sprachliche und andere Anpassungsschwierigkeiten wurden als praktisches Problem behandelt, das die Benutzung der Ausländer nicht behindern sollte. Ausländerfeindlichkeit in der Bevölkerung wurde sogar von oben getadelt. Seit die Massenarbeitslosigkeit zur Dauereinrichtung geworden ist, erinnert sich die Politik regelmäßig daran, daß ihr Ausländer nicht so radikal verfügbar sind wie Inländer, sie gehören noch immer zu einem anderen Staat, und das spricht gegen sie. Ausländerfeindlichkeit gilt inzwischen als „natürliches“ und verständliches Zubehör im Seelenhaushalt moderner Bürger; die Politik „muß“ dieser Regung Rechnung tragen, durch Schikanen und Abschiebungen, sonst greifen manche Bürger noch zur Selbsthilfe und neigen zu Exzessen auf Basis von „Gefühlen“, die fester Bestandteil der hiesigen „Kultur“ sind. Nicht „die Ausländer“, das Interesse an ihnen hat sich gedreht, deswegen gelten sie inzwischen als „Problem“. Touristen übrigens mögen kultur- und mentalitätsmäßig drauf sein wie sie wollen, sie gelten nicht als Ausländer in dem Sinn – sie bringen Devisen.

Die mit Abstand radikalste rassistische Figur, die nicht als solche gilt, ist heute der „Illegale“. Wie der Name schon sagt, sind das Leute, die in Österreich nichts illegales tun, sondern die insgesamt und überhaupt illegal sind. Sie sind als ganze Personen gesetzwidrig, unberechtigt, nicht existenzberechtigt. Das, was sie durch die Gesetzgebung und Vollziehung erleiden, das, was mit ihnen gemacht wird, wird ihnen als ihre Identität zugeschrieben: Sie sind DIE ILLEGALEN. So werden sie dann auch behandelt, im Widerstandsfall zum transportfähigen Bündel verschnürt und ins Ausland geliefert. Marcus Omofuma ist m.E. primär am Illegalen-Rassismus krepiert, an seiner Behandlung als ein Stück illegale, zu entfernende Existenz. (Daß er obendrein schwarz war, hat ihm sicher nicht geholfen.) Der trotzige Einwand „Kein Mensch ist illegal!“ sieht schon im bloßen Dasein als Mensch – womöglich mit „angeborenen“ Rechten – einen Widerspruch zum „Illegalen“, täuscht sich aber gewaltig. Natürlich liegt es nicht an diesen Menschen, daß sie illegal sind – sie werden vom Recht dazu gemacht, auf diese Weise sind sie es dann aber. In der modernen Welt ist der Mensch durch das definiert, was ihm als Recht zugestanden oder verweigert wird, und einer, der in Österreich keine Existenzberechtigung besitzt, ist zwar nach wie vor ein Mensch, aber als „Schübling“ unangenehm dran. Auf die berühmt-berüchtigten Menschenrechte kann er sich übrigens auch nicht berufen, denn Abschiebungen sind menschenrechtskonform.

Gleichheit und Menschenrecht

Wenn es der Politik in den Kram paßt, beruft sie sich ideologisch auf die ethnische Verschiedenheit der Menschen(sorten), die unmöglich in sowjetischen oder jugoslawischen „Vielvölkerstaaten“ friedlich koexistieren können, und wodurch Ausländer schon wegen ihrer Anwesenheit ein Problem sind. Wenn es der Politik in den Kram paßt, beruft sie sich auch auf das Gegenteil, nämlich auf die Gleichheit „der Menschen“. Die Menschen sind zwar nicht gleich, weder an Fähigkeiten noch an Bedürfnissen, bloß gibt die bürgerliche Staatsmacht ihren Beschluß, ihre Untertanen in mancher Hinsicht gleich zu behandeln, als Forderung der Menschennatur aus. Gleichgültig – man kann auch sagen: rücksichtslos – gegenüber den Unterschieden der ökonomischen Mittel verpflichtet der Staat seine Menschen auf Eigentum und Geldverdienen als Methoden ihres Fortkommens. (Die sich daraus ergebenden Gegensätze von Kapital und Arbeit, von arm und reich sind Folgen dieser Gleichheit und stehen nicht in Widerspruch zu ihr.) Auch hier liegt eine rassistische Konstruktion oder Denkfigur vor, indem die Gleichbehandlung durch die politische Macht als Folge und Forderung einer angeblichen Gleichheit der Menschen vorgestellt wird.

Genau so steht es mit den Menschenrechten. Deren guter Ruf beruht m.E. zum Teil auf einer schlichten Unkenntnis der betreffenden Artikel; auch sollte die geläufige Praxis des Westens, diverse Kriege in deren Namen zu führen, zumindest mißtrauisch machen. Jedenfalls sind die darin kodifizierten Rechte und Pflichten den Bedürfnissen und Interessen bürgerlicher Politik zu verdanken, die sich „die Menschen“ – in erster Linie die eigenen Staatsbürger, Ausländer bedingt – auf diese Weise unterwirft und zum Mittel macht. Komplementär zu dieser Behandlung der Leute wird in den diversen Deklarationen die Figur „des Menschen“ konstruiert, der angeblich mit diesen Rechten schon „geboren“ wird, so daß die politische Macht ebenso bescheiden wie verlogen zurücktritt und sich zum bloßen Vollzugsorgan der Menschennatur erklärt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) Marx zitiert in seinem Aufsatz „Zur Judenfrage“ die

„Verfassung von Pennsylvanien, Artikel 9, § 3: ‘Alle Menschen haben von der Natur das unabdingbare Recht empfangen, den Eingebungen ihres Gewissens folgend zum allmächtigen zu beten …’“ und die „Verfassung von New-Hampshire, Artikel 5 und 6: ‘Unter den natürlichen Rechten gibt es einige, die ihrer Natur nach unveräußerlich sind …’“ (MEW Bd. 1 S. 363, Fußnoten)

Nur haben auch diese Rechte – wie immer – mit der Geburt und der Natur gar nichts, mit dem Interesse und Standpunkt der rechtssetzenden Instanz sehr viel zu tun. Huisken nennt das einen „totalen Rassismus“:

„Die Grundprinzipien, nach denen diese Staaten ihr Volk regieren, beanspruchen, dem Menschen schlechthin, also der menschlichen Gattung auf den Leib geschneidert zu sein. ... Damit ist nicht mehr und nicht weniger behauptet, als daß der Mensch erst durch die grundgesetzliche Fixierung von Menschenrechten das wird, was ihn als Menschen auszeichnet. Kurz: Wahrer Mensch wird der Mensch dadurch, daß er die Menschenrechte genießt. Mit einem wahrhaft totalen Rassismus haben wir es hier zu tun ... Demokraten (wollen) mit ihren Verfassungsprinzipien gleich durch die Gattung Mensch insgesamt beauftragt sein. Die Inkonsequenz, die bei jeder Spielart des Rassismus zwangsläufig zu finden ist, daß nämlich etwas dem Menschen, seinem – natürlichen oder gesellschaftlichen – Wesen zukomme, das an ihm unter Aufbietung erheblicher Gewaltmittel erst noch durchgesetzt werden muß, findet sich auch in diesem Fall ... (Es) erteilt sich die Staatsgewalt mit der Naturalisierung der geltenden Prinzipien der Herrschaftssicherung ... den allerhöchsten Rechtstitel auf deren Durchsetzung gegen die Bürger. Der demokratische Staat definiert sich so selbst als das allererste Menschenrecht für jedermann. Ist er nicht der Ermöglicher und Garant all dieser Rechte, ohne welche dem Menschen fehlen würde, was ihn erst zum wahren Menschen macht?“ (Huisken, Ausländerfeinde und Ausländerfreunde, S. 71f.)

Der Mensch ist nichts ohne den Staat, der ihn durch Menschenrechte und Menschenpflichten erst zum Menschen macht! In der Vorstellung einer „natürlichen“ menschlichen Gleichheit und in der Naturalisierung der Prinzipien bürgerlicher Herrschaft wird bloß die rassistische Konstruktion des „weißen Mannes“ verallgemeinert, „globalisiert“; dieser wird zum Gattungswesen „Mensch“ schlechthin erklärt. Es bleibt aber eine rassistische Konstruktion, auch wenn sie so total ist, daß die komplette Menschheit darunterfällt. Sie enthält den Witz jeder rassistischen Konstruktion: Die Unterwerfung unter eine politische Herrschaft und deren Gesetzgebung wird verhimmelt in ein Erfordernis der Gattung. Was die politische Macht Menschen mit ihrer Gewalt an Rechten und Pflichten aufherrscht, entspricht der Beschaffenheit „des Menschen“, analog der Beschaffenheit des „Negers“, die den nach Meinung der damaligen Rassisten zum Sklaven prädestinierte. Es ist der Demokratie also nicht fremd, sich auf eine konstruierte Menschennatur zu berufen, die dem Staat Aufträge bezüglich der Ausübung politischer Macht erteilt.

In den Zeiten des Kalten Krieges ist dieser Menschenrechts-Rassismus zur „Menschenrechts-Waffe“ weiterentwickelt worden. Die schlichte Tatsache, daß im Realen Sozialismus anders regiert wurde, war diesem Verständnis nach schon ein politisches Verbrechen, weil eine Abweichung von den einzig menschengerechten und daher alleinseligmachenden westlichen Prinzipien. Tatsächlich gestört hat natürlich die damalige zweite Supermacht mit ihren weltpolitischen Ambitionen; die USA wollten aber nicht darauf verzichten, ihre Kampfansage im Namen der „geknechteten“ Sowjetmenschen vorzutragen. Was diese von ihrer „Unterstützung“ durch den Westen haben, sieht man heute: Die Lage der Menschenrechte in der ehemaligen Sowjetunion hat sich verbessert, die Lage der Menschen hat sich enorm verschlechtert.

Demokratischer Antirassismus

Mit der Ablösung des Apartheid-Regimes durch die südafrikanische Demokratie hat sich an der materiellen Lage des Großteils der schwarzen Bevölkerung nichts geändert. Internationaler Skandal ist deren miese Lage heutzutage aber keiner, weil diese Lage nicht mehr auf der Rasse, sondern auf der Zugehörigkeit zur Klasse der eigentumslosen Leute beruht, die einen Arbeitsplatz bräuchten, weil sie sonst nichts haben. Es war offenbar nie das Elend als solches der Skandal, sondern bloß die südafrikanische Methode, Leute nach der Hautfarbe auf Elend festzulegen. Seit einigen Jahren gilt auch in Südafrika die international anerkannte und den Menschenrechten entsprechende Variante, daß der Umgang mit Ware, Geld, Arbeitskraft und Eigentum vielen Menschen ein beschissenes Leben aufzwingt.

Der Tod von Marcus Omofuma hat Feinheiten des rechts- und polizeistaatlich korrekten Umgangs mit „Illegalen“ einer breiten Öffentlichkeit nahegebracht. Mundverkleben mit Todesfolge gehört sich nicht, darin ist sich die Politik schnell mit dem kleinen Teil der Öffentlichkeit einig geworden, der überhaupt empört war; aber die Verbringung von Leuten außer Landes, wenn sie die heilige österreichische Erde durch ihre rechtswidrige Anwesenheit entweihen, die muß sein, und zwar einwandfrei. Die Eskalation der Gewalt gegen „Schüblinge“ gehört in den einschlägigen Dienstvorschriften detailliert geregelt, die Beamten brauchen Rechtssicherheit, damit nicht verständlicher Übereifer – „Beamtenmentalität“ und „Dienst nach Vorschrift“? Nicht beim Abschieben! – wieder einmal das Ansehen der Republik gefährdet.

Der gemeine Antirassismus im demokratischen Alltag besteht im Dementi rassistischer „Verallgemeinerungen“ oder „Stereotypen“ – und affirmiert dadurch die rassistischen Maßstäbe. Wer Negern, Ausländern oder Juden mit dem Hinweis beispringen will, die seien doch gar nicht so, wie Rassisten behaupten, drückt sich um diese Auseinandersetzung, indem er dem Rassisten einen schlichten Irrtum vorwirft, und gibt dem Rassisten implizit recht: Wenn Neger oder Juden wirklich „so“ wären, was dann?

Rassismus ist kein kompliziertes, halb unbewußtes historisch-sozial-psychologisches Phänomen. Rassismus ist ein sehr anerkannter, moralischer Blick auch auf die eigenen Mitbürger, auf Arbeiter und Unternehmer, Millionäre und Obdachlose, Inländer und Ausländer und Illegale, Frauen und Männer, der überprüft, ob das Individuum auch das bekommt, was es verdient, was ihm zukommt, was ihm entspricht. Seine feste Orientierung hat dieser Blick in der Überzeugung, daß die Klassengesellschaft erstens eine Gemeinschaft ist, in der zweitens aus jedem Individuum das wird, was je schon als „Anlage“ in ihm drinnen steckt, das, wozu es „geboren“ ist – zumindest im Prinzip, auch wenn die Welt voll von Abweichungen ist. Der Kapitalismus bzw. die von ihm erzeugte Verteilung der Leute auf Berufe, Hierarchien und Karrieren wird in diesem Blick zumindest zum Versuch, „den Menschen“ in den Unterschieden ihrer „Begabungen“ und „Anlagen“ gerecht zu werden – so als ob es marktwirtschaftliche Berufe und Arbeitsplätze gäbe, um „Menschen“ sich „entfalten“ oder „verwirklichen“ zu lassen, und nicht aus dem ordinären tatsächlichen Grund, daß sie Geld bringen. Diejenigen, die außerhalb dieser erlesenen nationalen „Gemeinschaft“ stehen, gelten bekanntlich schon deswegen als Sonderfall und sind höchstens geduldet.

Als Skandal gilt diesem Bewußtsein nur die unsachliche Auslese und Behandlung von Menschen, im Vergleich zur „sachlich“ gebotenen; wenn z.B. über die Karrieremöglichkeiten nicht die Leistung in der Schule – dies die wahrhaft „natürliche Auslese“? – entscheidet, sondern Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht, also nach heutiger Moral sachfremde Gesichtspunkte. Daß jemand von Universität und höherer Bildung ausgeschlossen wird geht in Ordnung, sobald das Verfahren den heutigen Standards entspricht, also auch Frauen und Juden prinzipiell zum Studium zugelassen sind. Daß Leute im Elend verkommen ist marktwirtschaftlich unvermeidlich, ein himmelschreiender Skandal wäre es, wenn die Einweisung vom Staat nach der Hautfarbe vorgenommen würde. Der demokratische Antirassismus empört sich in der Regel nicht über das empörende Resultat der Menschenbenutzung und -behandlung im Kapitalismus, sondern bloß über früher anerkannte und heute verwerfliche Methoden der Einweisung ins Elend. „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt und bevorzugt werden.“ So steht es im vorbildlichen deutschen Grundgesetz. Aber jeder muß wegen seiner Leistungen in der Schule „benachteiligt und bevorzugt“ werden, denn so geht die heute praktizierte Auslese. Jeder muß wegen seines nicht vorhandenen Geldes oder Eigentums benachteiligt und vom sehr wohl vorhandenen gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen werden. Jeder muß wegen seiner Klassenzugehörigkeit – Lohnarbeit und Kapital – benachteiligt und bevorzugt werden, denn das entspricht den kapitalistischen Sachgesetzlichkeiten. Jeder darf auch ohne Ansehung von Geschlecht, Rasse etc. betteln, solange es die Kommunalpolitik duldet. Wenn Abermillionen hungern und einige Millionen davon jährlich verhungern, nach marktwirtschaftlichen Kriterien, dann liegt es wirklich nur am Geld, das sie nicht haben, und wodurch sie nicht an all die käuflichen Lebensmittel herankommen. Marktwirtschaftlich unsachliche, also ungehörige Diskriminierung liegt nicht vor.

Was die Konkurrenz an Schule und Universität und später am Arbeitsmarkt und im Betrieb an unangenehmen bis ruinösen „Schicksalen“ hervorbringt, gilt diesem Blick als Resultat der Unterschiede in der individuellen Ausstattung oder „Begabung“, sofern die Individuen alle gleichberechtigt daran teilnehmen müssen. So kommt nämlich – rassistisch gedacht – in der besten aller möglichen Welten endlich die wirkliche Natur „der Menschen“ angemessen zur Entfaltung. Und das Ergebnis der Konkurrenz der Nationen – „Weltordner“ und von diesen beaufsichtigte Nationen, harte und weiche Währungen, „entwickelte“ und „unterentwickelte“ Gegenden – muß es nicht etwas mit unterschiedlichen Talenten, Fähigkeiten, Anlagen und Beschaffenheiten der „Ethnien“ zu tun haben, sofern die sich selbstbestimmt gemäß ihrer völkischen „Natur“ entwickeln und dadurch genau die „Kultur“ hervorbringen, die ihnen entspricht?

Die schwarze und die polnische Volksnatur

Es ist also sehr die Frage, inwiefern die anschließenden rassistischen Bemerkungen in der Sache dem demokratischen Weltbild widersprechen. Denn sie vervollständigen bloß die Vorstellung, daß es nun einmal zwangsläufige, unvermeidliche, in diesem Sinn „naturgegebene“ nationale „Identitäten“ gibt, und zwar um einige Auskünfte bezüglich der konkreteren Qualitäten anderer Völker. Es wäre doch auch sehr eigenartig, wenn es einerseits zwar „Deutsche, Russen, Franzosen“ usw. unbedingt geben muß, und sich anschließend nicht einmal größere Unterschiede in den Fähigkeiten der Völker bemerkbar machen würden – rassistisch gedacht. Eventuell erkennt man an der Wortwahl den „Populisten“, weil es nun einmal zur diplomatischen Höflichkeit zwischen unabhängigen formell gleichrangigen Staaten gehört, die anderen Völker entsprechend zu würdigen, solange sie auf Basis der wechselseitigen politischen Anerkennung benutzt werden. Gerade die Entkolonialisierung wollte schließlich als die entscheidende Bedingung verstanden werden, die den endlich unabhängig gewordenen Völkern den Weg in eine eigene „Entwicklung“ eröffnen sollte. Angesichts der Resultate dieser Entwicklung, liegt da nicht der Verdacht nahe, daß es an der Menschensorte liegen muß, wenn aus den Nationen nur die Anhängsel des Weltmarktes werden, wenn die Völker hungern und die Staaten Schulden akkumulieren? Völkerkundler Haider berichtet über eine Expedition in den schwarzen Kontinent:


„Ich war bei Freunden in Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, mit meiner Familie zusammen, weil ich ein bißchen erproben wollte, wie das Zusammenleben mit den Schwarzen so ist, wenn sie die Mehrheit haben. Mit den Schwarzen ist das wirklich so ein Problem. Selbst dort wo sie die Mehrheit haben, bringen sie nichts zusammen. Da ist einfach wirklich Hopfen und Malz verloren.“ (Haider, Zeit im Bild 2, 1.5.1995)

Sicher, es gibt schon eine Alternative zum völkischen Beobachten nach diesem Muster. Da müßte man sich mit den Prinzipien befassen, die den Weltmarkt konstituieren, dessen Anhängsel die ehemaligen Kolonien geworden sind, mit so trockener Materie wie Konvertibilität und Entwicklungshilfe, mit Rohstoffbörsen und dem IWF. Dann wäre man wenigstens beim Thema. Wenn aber ohnehin feststeht, daß Marktwirtschaft die natürliche, die einzige „dem Menschen“ gemäße Art des Wirtschaftens ist, wenn sogar jede Kritik an der Weltwirtschaftsordnung oder die Forderung nach einer neuen solchen ausgestorben ist; wenn nationale Unabhängigkeit von Staaten als die irgendwie natürliche Gliederung des Globus gilt und als eine Art Lebensmittel der Völker obendrein, unabhängig von den Kalkulationen derer, die diese Weltordnung einrichten und unabhängig von den Mitteln, über die afrikanische Staaten verfügen oder nicht – dann müssen entweder irgendwelche „Störungen“ oder „Mißstände“ im an sich sinnreichen weltwirtschaftlichen Gefüge herhalten, um Hunger und Elend zu „erklären“, oder einer zieht eben den „Schluß“ vom Resultat auf die (mangelnde) Fähigkeit des Negers zum Wirtschaftserfolg, darauf, daß diese Schwarzen halt so sind und deswegen einfach „nichts zusammenbringen“. Und dieser „Schluß“ ist immer dann demokratisches Allgemeingut, wenn er positiv daherkommt und als Kompliment auftritt, wenn also Politiker ihre Völker zu ihrem Fleiß und zu sonstigen – typisch deutschen? – Tugenden beglückwünschen, mit denen sie nach einer bedingungslosen Kapitulation ein „Wirtschaftswunder“ zustande gebracht hätten. Wer wird sich schon mit solchen Kleinigkeiten aufhalten wie dem damaligen US-Interesse an antisowjetischen Frontstaaten, aus dem etwas geboren wurde, das sonst nur in der Ideologie existiert, nämlich eine echte, diesem Namen ausnahmsweise entsprechende „Entwicklungshilfe“, die aber üblicherweise unter der Bezeichnung „Marshall-Plan“ bekannt ist?!

Analog zu diesen geistigen Spitzenleistungen auch der folgende Schluß von der Lage der Nation auf die moralische Qualität des Volkes, die sich – wieder nur für einen völkischen Beobachter – obendrein so in der Staatsspitze personifiziert, daß mit der Besichtigung des Präsidenten auch schon die Diagnose der „Denkungsart“ seines Volkes erledigt ist: „Die Polen“ wollen „ohne entsprechende Arbeitsleistung“ über eine „Erbschaft im Westen“ zu dessen „Wohlstand kommen“:

„Wenn ich da an die Polen denke, die glauben, daß sie ohne entsprechende Arbeitsleistung den Wohlstand des Westens erringen werden. Wenn ich mir den Lech Walesa anschau, der ja, seit er Präsident ist, mehr breit als hoch geworden ist, dann ist das symbolisch für diese Denkungsart, die dort herrscht, daß man glaubt nur mit Erbschaft im Westen die Tragik im Osten kosmetisch überbrücken zu können und zu Wohlstand zu kommen. Wer nicht gelernt hat zu arbeiten, der wird auch in der Zukunft kein Wohlstandsgebiet aufbauen können, und das muß also auch an die Osteuropäer gesagt werden.“ (Haider, Zeit im Bild 1, 1.5.1991)

Ja, die Schwarzen, die Polen und all die anderen Völker! Ihre Eigenart, ihre Beschaffenheit erkennt der geschulte Blick daran, wie sich „ihr“ Staat international behauptet. Wieder wäre jeder Anflug von Sachkenntnis nur hinderlich. Die Frage etwa, wie die „Transformation“ zur Marktwirtschaft die polnische Ökonomie ruiniert hat und was die EU ihren Beitrittskandidaten an Reduktion der realsozialistischen Industrie und an Verkleinerung der Landwirtschaft abverlangt, und im Zuge der bestehenden Handelsabkommen schon durchgesetzt hat. Oder warum nach marktwirtschaftlicher Gesetzlichkeit die Kombination von schrumpfendem Kohlebergbau und gleichzeitigem Mangel an Heizmaterial ein Gebot der Vernunft ist, oder inwiefern die Gesundschrumpfung des sozialen Sektors auf dem Weg in den östlichen „Hinterhof“ der EU unabdingbar ist – die Frage nach den wirklichen Subjekten und Gesichtspunkten der Osterweiterung wäre also fällig und wird hier durch Völkerkunde ersetzt.

Wie man Rassismus nicht bekämpft

Man sollte Juden nicht in Schutz nehmen wollen, indem man ihnen bescheinigt, doch gar nicht so zu sein, wie damals der Führer oder heute seine Geistesverwandten es behaupten. Der sachlich zutreffende Hinweis, auch Juden seien zum Staatenbilden in der Lage, affirmiert den faschistischen Maßstab, der da an Leute angelegt wird. Es ist kein Kompliment, wenn Leuten nachgesagt wird, daß ihnen ihre Interessen nichts gelten; daß sie Dienst und Pflicht in jeder Hinsicht verinnerlicht haben; daß sie der personifizierte „Aufopferungswille“ sind. Es ist kein Kompliment, Leuten zu bescheinigen, sie seien ohnehin so, wie sich ein faschistischer Führer sein Menschenmaterial wünscht. Es taugt nichts, einen positiven Rassismus des Judentums zu pflegen, der diesem „Judentum“ alle als positiv(!) empfundenen Eigenschaften des Ariers zuschreibt. Da muß man sich schon entscheiden.

„Neger“ und „Zigeuner“ sind ohne Zweifel Schimpfwörter und stehen für Untermensch – aber nur unter Rassisten. Es nützt m.E. nichts, wenn man dem rassistischen Sprachgebrauch recht gibt und deswegen diese Bezeichnungen vermeidet, die Neger und Zigeuner also mittels Sprachregelungen eliminiert – und den Rassismus „bekämpft“, indem man auf semantische Art und Weise die Objekte rassistischer Aggressionen aus dem Verkehr zieht. Es kommt mir vor, als wollte sich der Antirassist vorbeischwindeln: Wenn es so etwas wie Neger wirklich gäbe, wüßte man auch keine Einwände gegen ihre Behandlung als Untermenschen, aber weil man natürlich etwas dagegen hat, umgeht man die Auseinandersetzung, indem man dem Rassisten listig signalisiert, er brauche nicht aktiv zu werden – sind eh’ keine Neger da, alles in Ordnung, nur anständige Neger, nämlich Schwarze!? Neger sind übrigens nun einmal anders pigmentiert, und daraus folgt gar nichts – wenn Rassisten das behaupten, ist es eine praktische Frage des Kräfteverhältnisses, ob sie damit durchkommen. Die implizite Leugnung oder Relativierung von Tatsachen – von unterschiedlichen Hautfarben in dem Fall –, oder durch Hinweise auf Ergebnisse der modernen Genforschung, die taugt auch dann nichts, wenn sie in antirassistischer Absicht passiert. Rassismus ist ein politisches Bedürfnis, und daher durch naturwissenschaftliche Ergebnisse nicht zu widerlegen.

Jedesmal, wenn ich „Sinti und Roma“ lese, erscheint vor meinem geistigen Auge ein Bild, in dem ein spitzfindiger Antirassist versucht, den Führer zu übertölpeln. Der Führer gibt den Befehl zur Endlösung der Zigeunerfrage, und der Antirassist gibt sich beflissen und willfährig: „Zu Befehl, mein Führer, aber es sind keine Zigeuner da. Das da sind nämlich Sinti und Roma!“ Was, wenn der Führer nicht darauf reinfällt? Der Versuch, durch Umbenennen dem Rassismus zu entgehen, ist übrigens schon einmal schiefgegangen. Deutsche Juden haben im Zuge von Assimilierungsbemühungen angeblich auch mal den „jüdischen“ Namen geändert. Es hat ihnen nichts genützt.