Der Lehrerstreik vom 5.Dezember 2000 - falsche und richtige Gründe für Streiks und Demonstrationen

Nun sind Lehrer zum wiederholten Male damit konfrontiert, dass durch Änderungen der für Lehrer geltenden dienst- und gehaltsrechtlichen Bestimmungen ihre Arbeits- und Gehaltssituation empfindlich verschlechtert wird. Eine Abwehr dieser Verschlechterungen wäre ein guter und absolut ausreichender Grund für einen Streik.

Das wird von den protestierenden und streikenden Lehrern leider nicht so gesehen. Alle Protestaktionen und auch der stattgefundene Streik richten sich vorrangig "Gegen Bildungsabbau".

Das ist aus den folgenden Gründen ein falscher Streikgrund:

  1. Es ist ein Fehler, die Kürzung der Lehrergehälter mit einem Bildungsabbau zu verwechseln.
  2. Die im Lehrerpaket beschlossenen Maßnahmen - Kürzung der Überstundenzuschläge, Wegfall der Einrechnung der Klassenvorstands- und Kustodiatstätigkeit in die Lehrverpflichtung, unbezahlte erste Vertretungsstunde, wesentlich geringere Bezahlung weiterer Supplierstunden usw. - werden manches Budget eines Lehrerhaushaltes durcheinanderbringen, sicher aber nicht das staatliche Bildungssystem. Darüber, wie das Paket nämlich gemeint ist, lässt Frau BM Gehrer keinen Zweifel offen: "Bei der Erstellung von Strukturmaßnahmen wurde große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle dienstrechtlichen Änderungen auf den Bereich der Lehrer begrenzt werden und keine Auswirkungen auf das schulische Angebot haben". (BM Gehrer in einem Brief an die Eltern aus Anlass von Protestmails zu den Strukturmaßnahmen).

    So haben Lehrer auch in Zukunft neben ihrer Unterrichtstätigkeit die Aufgaben eines Klassenvorstandes, Kustos usw. zu übernehmen. Diese Tätigkeiten sollen in Hinkunft nur weniger kosten. Die - wo erforderlich geänderten - dienstrechtlichen Bestimmungen und die über gewerkschaftlich gebilligte(!) befristete Dienstverträge gegebene besondere Erpressbarkeit vieler Kollegen werden das Ihrige dazu beitragen, dass auch in Zukunft die staatlicherseits gewünschten Lehrerleistungen stattfinden werden.

    Das hindert aber eine kritische Lehrerschaft nicht daran, trotzdem nicht die Lehrer, sondern das staatliche Bildungswesen und die Schüler als die eigentlich Betroffenen hinzustellen.

  3. Mit einem "Streik gegen Bildungsabbau" distanziert man sich ausdrücklich von einem "Streik gegen Arbeitszeiterhöhung und Lohnkürzung".
  4. Ständig werden zwar alle Verschlechterungen für die Lehrer aufgezählt. Nie aber werden diese als ausreichende Gründe dafür angesehen, schlicht und einfach "nein!" zum Belastungspaket zu sagen und es entsprechend zu bekämpfen.

    "Kaum eine Berufsgruppe ist in den vergangenen Jahren finanziell und imagemäßig so demontiert worden wie die LehrerInnen.......

    Es reicht! Jede weitere Verschlechterung geht an die Substanz und die Qualität des Bildungswesens". (Aktionskomitee Henriettenplatz, Volksstime vom 7.12.00)

    Was wenn tatsächlich nur die Lehrer betroffen wären? Oder wenn andere Berufsgruppen genauso geschröpft würden? Wären die Verschlechterungen dann einleuchtend? Gäbe es dann keinen Grund für einen Streik?

    Wenn eine kritische Lehrerschaft streikt, dann offenbar höchstens dann, wenn Missachtung, imagemäßige und finanzielle Demontage etwas beschädigen, was viel wichtiger ist als ihre eigene Lebensqualität. Wenn ein Lehrer arbeitet, dann nicht einfach - wie alle anderen Bürger - weil auch er gezwungen ist, sich seine Brötchen zu verdienen. Wenn ein Lehrer arbeitet, ist er in höherem Auftrag unterwegs. Als selbstbewusstes Vollzugsorgan der Bildung möchte er nichts als seinen Beruf gut ausfüllen. Und in diesem Bestreben sieht er sich durch die aktuelle Politik behindert. Weniger Lohn ist für ihn nicht einfach weniger Geld zum Leben, weniger Lohn ist "Demotivation" und zieht in seinen Augen eine Beschädigung des "qualitativ hochwertigen österreichischen Bildungssystems" nach sich. Und das will er auf keinen Fall.

    "Der Trend zur Demontage eines Bildungswesens, das noch das Prädikat "wertvoll" verdient, ist abzusehen. Wer davon als erstes betroffen sein wird, ist evident - die SchülerInnen. Deshalb streiken wir, weil es einfach reicht!" (Die streikenden LehrerInnen am RG3, 1030 Wien)

    Nun ist es zwar im Kapitalismus praktisch so, dass der Lebensunterhalt der arbeitenden Bevölkerung davon abhängt, dass sie sich entweder direkt in den Betrieben oder indirekt im Bereich der staatlichen Verwaltung dieser Marktwirtschaft nützlich macht. Aber deswegen muss man sich doch nicht gleich dazu bekennen, dass das eigene Wohl nur zählt, wenn Staat und Wirtschaft aus der eigenen Tätigkeit einen Nutzen ziehen.

    Nicht nur, dass die Parole "Gegen Bildungsabbau" unterstellt, dass Lohnkürzung und Arbeitszeiterhöhung allein noch nicht zum Streik berechtigen, ist die Tour, "wenn ich weniger bezahlt bekomme, kann ich nicht mehr ein so toller Lehrer sein" erstens absolut weltfremd und damit eine Drohung, die ins Leere geht. Sie zeigt darüberhinaus auch noch eine völlig unbegründete Hochachtung vor dem österreichischen Schulsystem.

  5. Die staatliche Ausbildung ist nichts, was man verteidigen muß!
  6. Oder sollte es den Kollegen tatsächlich entgangen sein, was sie in Ausübung ihres Berufes tagtäglich tun? Die Tätigkeit des Lehrers besteht nicht einfach darin, den Schülern nützliches Wissen beizubringen. Jede Wissensvermittlung ist in der Schule untrennbar mit einer ständigen Beurteilung der Schülerleistung bei der Erarbeitung des Lehrstoffes verbunden. Eine derartige Beurteilung ist nicht mit einer Abklärung von Wissensmängeln zum Zweck der Beseitigung dieser Mängel zu verwechseln. Dazu würden Noten auch überhaupt nicht taugen. Das mit den Noten über die Schüler gefällte Urteil dient vielmehr dazu, zu entscheiden, welche Schüler es verdienen mit weiterem Wissen versorgt zu werden und welchen jedes weitere Wissen vorenthalten wird. Das Ergebnis ist bekannt. Ein mit den Jahren wachsender Teil der Jugend eines Jahrgangs wird systematisch von jeder weiteren Ausbildung ausgeschlossen. Erfolgreiche ebenso wie weniger erfolgreiche Schüler dürfen sich das Ergebnis dieser schulischen Selektion als Folge ihres eigenen Leistungsvermögens oder –willens zurechtlegen.

    Der Erfolg des schulischen Ausbildungssystems ist also ein doppelter. Neben der nur für eine bürgerliche Klassengesellschaft notwendigen Hierarchisierung des Menschenmaterials wird durch die Schule auch noch der Schein erzeugt, dass jeder für seinen Platz in der Hierarchie der Berufe selbst verantwortlich ist.

Daher:

Ein Streik zur Abwehr der Lohnkürzungen ist notwendig, ein Streik gegen den Abbau des Bildungssystems hingegen ist ein falscher Streik.

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