GEGENARGUMENTE

Zu den Vorschlägen der Zukunftskommission: Wie mit neuem Druck auf Lehrer und Schüler ein ganz und gar nicht neuer Zweck von Schule effektiver durchgesetzt werden soll!

Teil 2: Leistungsstandards, Ergebnisverantwortlichkeit der Lehrer, mehr Schulautonomie und Qualitätssicherung zum Wohle von Staat und Kapital!

Einleitung

In unserer letzten Sendung am 2.März 2004 haben wir dargestellt, dass der Anspruch der Zukunftskommission an die schulische Ausbildung nicht radikal neu ist. Schon im §2 des Schulorganisationgesetzes heißt es: Die Schule "hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen". Einfach auf dem Standpunkt, dass den Kindern gar nicht genug beigebracht werden kann, steht der Staat also offenbar nicht. Die sollen nicht möglichst viel lernen, um die Welt ihren Bedürfnissen gemäß gestalten zu können, sondern genau umgekehrt gerade das, was sie in die Lage versetzt, sich an die Anforderungen, die das Leben – sprich die kapitalistische Gesellschaft und ihr Staat – für sie bereithält, anpassen zu können.

Der Staat organisiert also die Ausbildung, weil ohne sie die Jugendlichen unbrauchbar für seine und seiner Wirtschaft Zwecke wären. Dass dabei er für die schulische Ausbildung sorgen muss, liegt daran, dass sich diese Ausbildung zum einen nicht als Geschäft abwickeln lässt und dass andererseits, die Unternehmer zwar jederzeit wie selbstverständlich auf ausgebildete Leute zugreifen wollen, selbst auszubilden sich aber für sie als schlechte Investition darstellt: das kostet Geld und am Schluss gehört ihnen der ausgebildete Arbeitnehmer noch nicht einmal. Der Staat organisiert die Ausbildung damit notwendigerweise getrennt von der Sphäre, für die er ausbildet. Ob und in welchen Berufen die Jugendlichen künftig angewandt werden, das entscheidet sich einzig am erst dann feststehenden Bedarf der Wirtschaft; ein Bedarf, der Dank der Anarchie des Marktes zum Zeitpunkt der Ausbildung noch nicht einmal der Wirtschaft selbst bekannt ist. Eine auf diesen konkreten Bedarf ausgerichtete Ausbildung ist also schon deshalb nicht möglich. Was die Ausbildungsinhalte betrifft, nimmt der Staat an dem Maß, was an Kenntnissen und Fertigkeiten allgemeine Voraussetzung der Berufsausübung sein wird. Obwohl er sich nach Kräften bemüht, den Unternehmern ihren künftigen Bedarf an Schülermaterial abzulauschen, gelingt es ihm mit keinem noch so "praxisgerechten" Unterricht, sie zufrieden zu stellen. Und schon gar nicht kann auch mit einer noch so guten Ausbildung der tatsächliche Einsatz der Schulabgänger im Dienste des Kapitals garantiert werden. Der entscheidet sich an der Gewinn- und Verlustrechnung des Kapitals und die schulische Ausbildung hat dabei bestenfalls den Stellenwert einer Voraussetzung.

An dieser notwendigen Nichtübereinstimmung von Anspruch an das Ausbildungssystem – es soll der Wirtschaft "Bildung als Produktivitätsfaktor" liefern – und der Wirklichkeit – die Schule kann gar nicht garantieren, dass die Ausgebildeten gebraucht werden - setzt die Kritik der von der Regierung eingesetzten Zukunftskomission an und wendet sie gegen die Schule und alle an ihr Beteiligten: Schüler, Lehrer, Schulleitung und Schulaufsichtsbehörden. Sie behandelt das notwendige Nichtzusammenpassen der Nachfrage des Kapitals nach bestimmten Qualifikationen und des Angebots an Schulabgänger als einen Organisationsmangel des Schulsystems und schlägt lauter Methoden vor, wie das Nichtplanbare doch in den Griff zu kriegen wäre. Was die Zukunftskommission kritisiert und was sie vorschlägt, davon handelt die heutige Sendung.

Vorwurf 1: Leistung der Schule - mangelhaft und zu teuer!

Bei aller Genugtuung über die von österreichischen Schülern erreichten Tabellenplätze in den diversen, die nationalen Schulsysteme vergleichenden Studien, sieht die Zukunftskommission reichlich Anlass zur "Sorge um die Leistungsfähigkeit der Schule". Der Zukunftskommission fällt störend auf, dass andere Staaten bessere Schülerleistungen mit wesentlich geringeren Kosten erreichen und den diversen Vergleichsstudien auch zu entnehmen ist, dass österreichische Schüler Leistungsdefizite in Mathematik, Naturwissenschaften und beim Lesen aufweisen. Berücksichtigt man etwa noch die 15/16-Jährigen, die schon aus dem Schulsystem ausgeschieden wurden, zeigt sich dass ein knappes Fünftel davon nach 9 Jahren Pflichtschule noch nicht einmal ordentlich lesen kann, schreibt die Zukunftskommission.

Welch eine Überraschung, möchte man sagen? Dass überall in der schönen Welt des Kapitalismus ein nicht unerheblicher Teil der Schüler auf der untersten Niveaustufe verrottet, ist notwendiges Resultat von Bildung, wie sie in demokratischen, der Marktwirtschaft verpflichteten Gemeinwesen stattfindet. Wenn Lernen als Selektionsprozess stattfindet, der auf der Logik basiert - wer Schwächen zeigt, wird von weiterer Bildung ausgeschlossen und bekommt die nächste Stufe des Lernens vorenthalten -, wenn also nicht einfach gelehrt wird, damit alle was lernen, sondern beim Lernen sortiert werden soll, bei wem es sich lohnt, ihn weiter auszubilden und bei wem nicht, dann handelt es sich bei dem faktisch zu beobachtenden Resultat einer gehörigen Portion Analphabetismus nicht um einen Mangel dieses Systems, sondern ist dessen notwendiges Resultat. Als dieses notwendige Resultat der schulischen Selektion will die Zukunftskommission das aber nicht sehen, sondern als Problem, das ausgerechnet nach einer Verbesserung der Selektion schreit. Worin sie das Problem sehen, kann man dem folgenden Zitat entnehmen:

"Daraus" – aus den Leistungsmängeln österreichischer Jugendlicher - " resultiert eine große Zahl von Jugendlichen, die jährlich mit fehlenden oder unzureichenden Basisqualifikationen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt versuchen und häufig daran scheitern; korrespondierend dazu werden vor allem von Seiten der Wirtschaft immer wieder Zweifel geäußert, inwieweit die geforderten alten und neuen Qualifikationen (hohes Niveau der Kulturtechniken in Verbindung mit "Schlüsselqualifikationen") in der Schule tatsächlich vermittelt und erreicht werden."(S14)

Der Umstand, dass eine erkleckliche Zahl von Jugendlichen die Schule verlässt, ohne wenigstens einigermaßen lesen und schreiben gelernt zu haben - ein Umstand, der übrigens nicht erst seit PISA bekannt ist - ist es gar nicht, der die Zukunftskommission stört. Zum Problem wird dies für sie aber, wenn sie sich damit als untauglich für den Arbeitsmarkt erweisen. Die Schulabgänger sollen taugliche Ressource der Wirtschaft sein. Wenn die Wirtschaft die Jugendlichen aber gar nicht als ihre Ressource nutzt, dann sieht die Zukunftskommission Handlungsbedarf. Fragt sich nur welchen?

Dass im Kapitalismus der Schaden der schulisch hergestellten Dummheit für die Lohnabhängigen notwendig weiteren Schaden bedeutet, nämlich geringes bis kein Einkommen, ist für die Damen und Herrn Bildungsexperten nichts, was sie an der Güte einer solchen Wirtschaftweise zweifeln ließe. Im Gegenteil, deren Ansprüchen will sie genügen. Wenn die Wirtschaft mit dem höchsten Gut des Kapitalismus "Arbeitsplatz" geizt, obwohl die Mehrheit darauf angewiesen ist, dann werden die Bildungsexperten kritisch, aber nicht gegen diese Wirtschaftsweise sondern gegenüber der Ausbildung. Sie hat es dann verabsäumt, die Jugendlichen mit den für ihre rentable Benutzung seitens des Kapitals erforderlichen Qualifikationen auszustatten.

Nun befinden sich unter den Arbeitslosen nicht nur Pflichtschulabsolventen, sondern auch Maturanten und zunehmend auch Akademiker. Dass Schulabgänger wegen der mangelnden Beherrschung der Kulturtechniken keinen Arbeitsplatz finden würden, kann also nicht wahr sein. Diese falsche Behauptung ist der bedingungslosen Sorge des Pädagogen um den Erfolg der eigenen Nation geschuldet. Dieser Standpunkt lässt den Pädagogen den Auftrag der Schule darin sehen, der Konkurrenzfähigkeit der heimischen Wirtschaft zu dienen. Von Seiten der Wirtschaft geäußerte Zweifel, ob denn die Schule auch wirklich die dafür nötigen Qualifikationen vermittelt, sind dann nicht mehr einfach die Äußerung eines Interesses, sondern kriegen den Charakter einer pädagogischen Kritik. Was Aufgabe des Bildungswesens zu sein hat, was eine Qualifikation ist und was nicht, entscheidet für sie der Bedarf der Wirtschaft.

Diese Wirtschaft sieht sich noch in einer weiteren Hinsicht mit den schulischen Resultaten schlecht bedient.

Vorwurf 2. Die Schule kommt ihrer Selektionsfunktion nicht ordentlich nach

Die Aussagekraft der schulischen Selektion lässt nach, sagt die Zukunftskommission, da es "große Leistungsunterschiede innerhalb gleicher Schularten" gibt:

"Die in PISA bei 15-/16-Jährigen gemessene durchschnittliche Leseleistung unterscheidet sich zwischen der besten und der schlechtesten AHS um fast zwei Kompetenzstufen. Ähnliches gilt für die mathematischen und naturwissenschaftlichen Leistungen. Eine vergleichbar große Streuung der Durchschnittsleistungen finden wir auch in den berufsbildenden höheren Schulen. Andererseits wurden Hauptschulklassen gefunden, deren mathematische Kompetenz im Durchschnitt – gemessen über alle drei Leistungsgruppen! – über dem Niveau einzelner AHS-Klassen lag."(S14f)

Nicht dass unterschiedliche Leistungsniveaus unerwünscht wären. Diese herzustellen und demgemäße Berechtigungen zu weiterführender Ausbildung und zur Ausübung von Berufen zu vergeben, sieht auch und gerade die Zukunftskommssion im Gegenteil als einen wesentlichen Dienst, den die Schule Staat und Wirtschaft zu leisten hat. Niveauunterschiede sind also erwünscht, aber – so ihre Kritik - bitte schön zwischen den verschiedenen Bildungsniveaus - zwischen Hauptschule, AHS und BHS – und nicht innerhalb gleicher Schularten.

An der derzeitigen schulischen Sortierung der Jugendlichen stört die Zukunftskommission also, dass in ihren Augen eine Art Anarchie eingerissen ist. "Je nach regionaler Situation sind für gleiche Berechtigungen ganz unterschiedliche Leistungen und unterschiedliche Voraussetzungen erforderlich" (S15) stellt sie kritisch fest. Die Unternehmen können sich doch glatt nicht mehr auf die schulische Vorsortierung verlassen.

Wesentlich mitverantwortlich für diesen Missstand sind, wie die Zukunftskommission schreibt, "ungelöste Probleme der Leistungsbeurteilung":

"Das Hauptproblem der Leistungsbeurteilung im gegenwärtigen System ist der Mangel an Gerechtigkeit,....Dieser Mangel hängt zusammen mit: dem generell geringen Informationswert der Ziffernnoten für Zwecke, die über die Schule hinausgehen; der mangelnden Vergleichbarkeit der Noten im Hinblick auf die zugrunde liegenden Leistungen; dem Fehlen externer Beurteilungsmaßstäbe und objektiver Tests trotz immer wieder nachgewiesener Mängel des Lehrerurteils....."

Bestärkt sieht sich die Zukunftskomission, was den geringen Informationswert von Noten betrifft, darin, dass Lehrbetriebe, Firmen und Personalvermittlungen "die Schulnoten lediglich für ein erstes screening verwenden, um Personen auszuschließen". "Zur Feststellung der Kompetenzen der verbleibenden Bewerber stützen sie sich nicht auf die Schulnoten, sondern administrieren sie eigene Testverfahren", schreibt sie (FN 34 zu Kapitel 1).

Den Fehler, die Note als Auskunftsmittel über den Kenntnisstand von Schülern zu behandeln, praktizieren Pädagogen seit jeher. Immer schon war es aber falsch, der Note einen über die mit ihr vorgenommene Einsortierung hinausgehenden Aussagewert zu attestieren. Ausgerechnet an der Note soll man erkennen, was einer kann und was nicht, wo in der Note doch endgültig und radikal jede Qualität der benoteten Leistung getilgt ist.

So alt dieser Fehler ist, so alt ist die von der Zukunftskommission aufgewärmte Kritik, ihnen würde es an Objektivität fehlen. Weil gar kein objektiver Zusammenhang zwischen einer Sachleistung und einer bestimmten Note existiert, kann er in Wahrheit auch durch keine Lehrerwillkür der Welt verfehlt werden. Kein Pädagoge wüßte anzugeben, welches denn die objektiv richtige Note ist, die eine bestimmte Schülerleistung verdient, sie wissen nur, welcher Benotung sie das Attribut objektiv keinesfalls zusprechen wollen – wenn ein und dieselbe Leistung wechselnde Benotungen erfährt. Diesem ihrem schäbigen pädagogischen Begriff von Objektivität ist dann Rechnung getragen, wenn die schulische Beurteilung ein und derselben Schülerleistung zum stets gleichen Ergebnis führt - egal ob es sich um ein Gut oder ein Genügend handelt.

Waren es bisher eher die Eltern und Schüler, die informiert werden sollten, hat die Zukunftskommission einen neuen Abnehmer dieser "Information" im Auge: die Unternehmer. Wo die Unternehmen bei der Personalauswahl ihre - mit der Überfüllung des Arbeitsmarktes wachsende unternehmerische Freiheit nützen und sich - tatkräftig unterstützt von Psychologen, Personalberatern, Assessmentcentern und dergleichen, denen damit ein eigenes Geschäftsfeld eröffnet wird – freihändig laufend neue Fähigkeiten und Eigenschaften einfallen lassen, die Bewerber haben müssen - mehr Team- oder mehr Durchsetzungsfähigkeit, Interesse am Unternehmen und Motivation und natürlich den Klassiker, das richtige Outfit inklusive des zum Unternehmen passenden Parfüms - bestehen Pädagogen darauf, ausgerechnet den Unternehmern bei dieser Qual der subjektiven Wahl mit objektiven Noten helfen zu wollen. Richtige Noten sollten den Arbeitgebern im pädagogischen Wunschdenken die lästige Aufgabe des Heraussuchens der passenden Bewerber am besten gleich ganz abnehmen. An der Note selbst sollte sich für sie ablesen lassen, was der Bewerber zum Erfolg des Unternehmens beizutragen in der Lage ist.

Vorschlag 1: Leistungsstandards

Die Zukunftskomission ist also mit den Resultaten des Ausbildunsgwesens unzufrieden. Statt wissensmäßig passgenau für die Bedürfnisse des heimischen Kapitals zugeschnittene Schulabgänger hervorzubringen, an denen das Kapital einfach nicht vorbei kann, fehlt es den Schülern noch an den elementarsten Grundkompetenzen. Und statt einer ordentlichen Hierarchisierung liefert die Schule eine, mit der die Unternehmer angeblich nichts anfangen können. Diesen negativen Resultaten der schulischen Ausbildung möchte die Zukunftskommission mit der Einführung verbindlicher Leistungsstandards entgegentreten. Diese Standards sollen

"die als Folge des Unterrichts erwünschten Kompetenzen, zusammen mit ihren wichtigsten Komponenten (Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Motivation, etc.) in konkreten, verhaltensnahen Begriffen beschreiben und die für alle verbindlichen Mindestanforderungen festlegen"(S61) und "für die drei wichtigen Schnittstellen im österreichischen Schulwesen formuliert und verbindlich gemacht werden: für das Ende der 4. Schulstufe als kumulativer Ertrag der Volksschule, für die 8. Schulstufe am Ende der Sekundarstufe I und die 12. bzw. 13. Schulstufe am Ende der Höheren Schulen. Eine spätere Erweiterung auf Orientierungsstandards in der 3., 7. und 11./12. Stufe erscheint sinnvoll."(S61)

Mit ihrer Forderung nach verbindlichen Mindestanforderungen formuliert die Zukunftskommision den Anspruch, die Vermittlung dieser Mindestkompentenzen hätte nicht bloß Mittel der Selektion sondern Zweck der schulischen Ausbildung zu sein. Im Unterricht sollen die für alle Schüler verbindlichen Mindestanforderungen so vermittelt werden, dass sie am Schluss von ihnen auch gekonnt werden. Die Selektion abschaffen, wollen sie aber andererseits nicht, fordern sie doch im selben Atemzug die Erfüllung dieser Mindestanforderungen an den drei sogenannten Schnittstellen zu überprüfen, und - je nach Ergebnis - Berechtigungen zu vergeben oder eben auch nicht. Damit geht sie aber selbst davon aus, dass auch in Zukunft das von ihnen geforderte Ziel – alle Schüler sind an diesen Schnittstellen im Besitz der verlangten und für unbedingt nötig befundenen Mindestkenntnisse – nicht erreicht wird. Andernfalls wäre eine derartige Überprüfung mit all ihren Konsequenzen für die Karriere der Schüler ja widersinnig. Von ihrer Forderung ablassen, wollen sie deswegen aber nicht. Damit nimmt die Zukunftskommission die schulische Selektion gegen das gewußtermaßen notwendig zu ihr gehörige negative Resultat in Schutz und schiebt die Verantwortung dafür den an der Ausbildung der Schüler beteiligten Akteuren zu: Schule und Lehrer. Dadurch wird zwar nicht erreicht, dass alle Schüler die geforderten und für unbedingt nötig befundenen Kenntnisse auch tatsächlich erwerben, Schule und Lehrer sind damit aber unter den Anspruch gestellt, dass dies das Resultat ihrer Bemühungen zu sein hat. Ob und in welchem Maß die Schüler die an sie gestellten Anforderungen erfüllen, ist hinkünftig Material nicht nur ihrer eigenen Beurteilung, sondern auch der Beurteilung ihrer Lehrer:

"Für Lehrerinnen und Lehrer bedeutet dies, dass ihr Unterricht künftig nicht in erster Linie nach dem Kriterium bewertet wird, ob und wie ein Lernstoff behandelt worden ist, sondern ob und in welchem Ausmaß die SchülerInnen die verbindlichen Kompetenzen nachhaltig erworben haben. Für die Erreichung der Standards sind LehrerInnen, Schulen und Schulbehörden in Zukunft stärker verantwortlich – sie müssen über Qualitätsberichte Rechenschaft über das tatsächlich Unternommene und Erreichte ablegen (==> HB 6)."(S61)

Egal also wie gut oder schlecht ein Lehrer Wissen vermittelt, egal wie gut oder schlecht er erklärt, gemessen werden soll er nicht an dieser seiner eigenen Leistung, sondern daran, was seine Schützlinge daraus machen. Wenn die Schüler der angebotene Stoff nicht interessiert oder sie sich nur kalkulierend auf ihn einlassen und demgemäß schlecht bei den jetzt aber nicht mehr nur für sie entscheidenden Tests abschneiden, dann hat der Lehrer zumindest in einem versagt, ihnen die eine Grundkompetenz Motivation zu vermitteln.

Vorschlag 2: Qualität prüfen und sichern

Der Nutzen des Schulsystems für die Gesellschaft soll sich künftig aber nicht nur durch ergebnisverantwortlichen Unterricht entfalten. So fordert die Zukunftskommission auch die

"Entfaltung und Verstärkung jeweils eigener Evaluations-, Verbesserungs- und Entwicklungsprozesse auf jeder Ebene (interner "Selbstheilungskräfte") – vor allem durch Einführung klar definierter und verbindlicher Prozesse des Qualitätsmanagements, die insbesondere die eigene Ergebnisverantwortlichkeit und die allgemeine Rechenschaftspflicht betonen."(Strategien und Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung, Zukunftskommission)

Alle am Schulleben Beteiligten – insbesondere natürlich die Lehrer -, sollen sich auf den Standpunkt der Schulqualität stellen. Für keinen der an der Ausbildung der Jugendlichen Beteiligten soll es künftig genügen, möglichst gut der eigenen Lehrertätigkeit nachzugehen. Alle sollen vielmehr zu sich selbst in ein methodisches Verhältnis treten und sich unabhängig von einem aktuellen Anlass bei allem, was sie oder andere tun, ständig die Frage stellen, was im Sinne der Qualität – also des von den Experten der Zukunftskommission formulierten Bildungsauftrages der Schule - noch besser zu machen wäre.

Um dieser kritischen Begutachtung geeignete, schulstandorttaugliche Kriterien an die Hand zu geben, dürfen Schulleitung und Lehrer ein regelmäßig zu erneuerndes Schulprogramm erst entwickeln und dann vereinbaren, das dem, was die Schule dem lokalen und globalen Unternehmertum gerade wieder an Bedarf abgelauscht zu haben glaubt, Rechnung trägt.

Der großartige Reformvorschlag der Zukunftskommission löst sich damit in eine Methode auf, wie die Antwort auf die Frage, was die Wirtschaft braucht, eine Antwort, die sie selbst nicht kennen, doch gefunden werden kann. Um die Nichtentsprechung der Nachfrage des Kapitals nach bestimmten Qualifikationen und des Angebots an geeigneten Schulabgängern wissend, halten sie am Anspruch fest, diese zwei Seiten müssten sich zur Deckung bringen lassen, indem sie es zur Daueraufgabe der Schule erklären, durch ein laufend erneuertes maßgeschneidertes Bildungskonzept der Verwirklichung dieses Ideals hinterherzulaufen.

Vorschlag 3: mehr Schulautonomie

Um den Schulen die Erfüllung dieses Auftrages zu ermöglichen, möchte die Zukunftskommission die Autonomie der Schulen ausbauen:

"Schulen für die Leistungen der Schüler stärker als bisher verantwortlich zu machen (Stichwort "Verlässliche Schule") bedeutet aber, den Schulen zuerst die realen und gesetzlichen Möglichkeiten für autonomes Handeln zu eröffnen, damit sie diese nutzen und quasi "ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen" können." (S51)

Die Schulen sollen Raum für autonomes Handeln kriegen, um sie und das Lehrpersonal noch intensiver als schon bisher in die Pflicht zu nehmen. Bei einem vorgegebenen Was, das die Schulen zu leisten haben, dürfen bzw. müssen sie und zwar ganz autonom über das Wie dieser vorgeschriebenen Zielerreichung entscheiden.

Zusätzlich sollen künftig mit viel Idealismus und für wenig Geld – wir erinnern uns, zu teuer darf die Ausbildung keinesfalls sein - eigens zu schaffende "Spielräume" standortbezogen - also mit Hinblick auf die am Schulstandort angesiedelten Unternehmen - genutzt, Unterrichtszeiten und Stundentafeln ganz autonom allein im Hinblick auf das angestrebte Ergebnis optimiert und schließlich auch noch für die praktische Einlösung einer Unterichtsgarantie gesorgt werden.

Auch mit der - Dank staatlicherseits laufend gesenkter Dotierung der Schulbudgets - immer wichtiger werdenden Frage der Drittmittelbeschaffung dürfen Schulen sich herumschlagen, Sponsoren auftreiben und mit Plaktatwänden und Videoscreens Werbemittel lukrieren. Alles natürlich im Lehrerteam, um nur ja jede Langeweile durch freie Nachmittage endgültig aus der Welt zu schaffen. Und die Lehrer? Die dürfen sich diesen Auftrag zu mehr Selbstverantwortung als ihre Befreiung von staatlichem Dirigismus zurecht legen.

Vorschlag 4 - Professionalisierung des lehrenden Personals

Alle am schulischen Leben Beteiligten mit einem ideellen inneren Chef auszustatten, auf dass sie aus tiefster innerer Überzeugung sich selbst und alle Kollegen ständig im Hinblick auf ihren Beitrag zum Gelingen des Schulauftrags beurteilen, geht in Wahrheit nicht ohne die Installation eines auch äußeren, eines wirklichen Chefs, der mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet für ein gerütteltes Maß an materieller Erpressung sorgt. Um die Schulqualität zu fördern, fordert die Zukunftskommission unter der Leitung eines pragmatisierten Assistenzprofessors, den Schulleitungen das Recht einzuräumen, über Einstellung und Rauswurf von Lehrern entscheiden zu dürfen. Faktische Anstellungsgarantie und Pragmatisierung ist für die Zukunftskommission ein einziger Hemmschuh für Qualität - auch eine Auskunft. Für sie ist es offenbar das Selbstverständlichste von der Welt, dass in dieser Wirtschaftsweise eine Portion Existenzangst zur Berufsausübung zwingend dazugehört, damit sich alle am Riemen reißen und wissen, dass ihre persönlichen Anliegen in denen "ihrer" Schule aufzugehen haben.

Für den neu definierten Lehrerberuf - Lehrender, Schulentwickler, Qualitätsmanager, Kontrollinstanz, all das in Personalunion - mit selbstverständlich erhöhter, möglichst flexibler, ganz an den Bedürfnissen der Schule ausgerichteter Arbeitszeit soll es nicht höhere Gehälter, sondern höhere Einstiegsgehälter geben, damit sich trotz gleichzeitig verordneter trüber künftiger Lohnaussichten auch in Zukunft genügend Leute für diesen Job finden.

Und was die auf diese Einstiegsgehälter aufbauende Gehaltsentwicklung betrifft, lässt sich der Umstand, dass auch Lehrer ihren Lohn brauchen, ganz herrlich dazu verwenden, ihn durch den gezielten Einsatz von Prämien, leistungsabhängigen Gehaltsprüngen und dergleichen seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen, dafür zu sorgen, dass Lehrer ganz aus eigenem ein Interesse an einer ganze Menge über den bloßen Unterricht hinausgehenden Aktivitäten entwickeln: Schulprojekte durchführen, Seminare besuchen, für maßgeschneiderte Leitbilder und Schulprogramme sorgen und Bildungskonzepte entwerfen.

Und für Tätigkeiten, die den Rahmen des Schulorganisationsgesetzes sprengen bietet sich die schon seit längerem eingeführte neue Lohnform "Dank und Anerkennung durch den Landes- bzw. Stadtschulrat" an.

Mit ihren Reformvorschlägen kann die Zukunftskommission zwar den erwünschten Erfolg des heimischen Kapitals auch nicht garantieren, den Alltag aller am schulischen Leben Beteiligten ungemütlicher machen kann sie aber schon.