GEGENARGUMENTE

Zu den Vorschlägen der Zukunftskommission: Wie mit neuem Druck auf Lehrer und Schüler ein ganz und gar nicht neuer Zweck von Schule effektiver durchgesetzt werden soll! - Teil 1: Was Bildung leisten soll!

Einleitung

Seitdem die EU beim Europ. Rat von Lissabon im März 2000 sich zum Ziel gesetzt hat, "die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen" steht in Europa eine Reform der Bildungssysteme auf der Tagesordnung. Die politischen Verwalter des Kapitalstandortes erklären eines der Mittel der kapitalistischen Konkurrenz - Wissen - zum entscheidenden Grund für Erfolg und Misserfolg in der Konkurrenz. Der Bildungssektor soll daraufhin durchforstet werden, ob alle Ressourcen optimal ausgenutzt werden, um bestmögliche Ergebnisse für den Markt bereitzustellen.

So wurde auch in Österreich im Frühjahr 2003 von der für Bildung zuständigen Bundesministerin Elisabeth Gehrer eine "Zukunftskommission" eingerichtet und mit dem Auftrag versehen, ein Konzept zur Reform des österreichischen Schulwesens zu entwickeln. Was die Politik dabei von der Wissenschaft erwartete, das kann man den im Bericht der Zukunftskommission zitierten Vorgaben entnehmen. Mit den der Kommission vorgegebenen Zielen – Qualitätsmanagement, Einführung von Leistungsstandards, dazu passend eine Änderung der Schulorgansisation und der Aufgaben der Lehrer – stand das was an der Schule reformiert werden soll längst fest, bevor die Bildungsexperten zu Werke gingen. Nicht die Politik ist es, die sich bei der Wissenschaft erkundigt, wie denn eine optimale Bildung des Nachwuchses zu bewerkstelligen ginge. Umgekehrt verhält es sich, die von den politischen Verantwortungsträgern autorisierten Experten der Zukunftskommission stellen ihren Verstand ganz in den Dienst der Politik, liefern auf Wunsch der Politik Gründe dafür nach, warum eine Reform des Schulsystems unbedingt geboten ist, machen Vorschläge, wie diese längst feststehende Reform am besten umzusetzen ist und verleihen den politischen Beschlüssen damit auch noch den Charakter wissenschaftlich fundierter Sachnotwendigkeiten.

Was die Zukunftskommission über den Stand und den Reformbedarf des österreichischen Schulwesens herausgefunden haben will, warum sie Reformen für notwendig hält und was sie an Reformen vorschlägt ist das Thema der heutigen und der nächsten Sendung. Heute Teil 1:

Was Bildung leisten soll!

Einfach nur Hofschreiber der Politik sein wollen die Experten der Zukunftskommission nicht. Deshalb kommt es ihnen sehr darauf an, das was die Politik will, als eine sachlich begründete Notwendigkeit darzustellen, die sich ihnen erst nach gründlichen und ausführlichen Studien erschlossen hat. Ihre Begründung für die Notwendigkeit von Reformen leiten sie folgendermaßen ein:

"Auf den ersten Blick erscheint eine grundlegende Reform des österreichischen Schulwesens keine vordringliche Aufgabe des Augenblicks. Bei den meisten Kriterien international vergleichender Untersuchungen und Indikatorensysteme nimmt das österreichische Schulsystem zumindest einen mittleren Rang ein. In manchen Schulleistungsuntersuchungen – so etwa in PISA 2000 – liegen österreichische SchülerInnen sogar in der Spitzengruppe der europäischen Länder. Eine jüngste Meinungsbefragung in der Bevölkerung hat ein hohes Maß an Zufriedenheit mit dem Schulsystem ergeben. Diese alles in allem positive Aufgabenerfüllung durch die Schule, der hohe Stand der Qualifikation der SchülerInnen, der gute Ausbildungsstand der Lehrerinnen und Lehrer scheinen vordergründig nahe zu legen, den immer wieder auch vernehmbaren Forderungen nach grundlegenden Veränderungen mit Vorsicht zu begegnen."(Das Reformkonzept der Zukunftskommission, S11)

Ob das österreichische Schulsystem reformbedürftig ist oder nicht, bemisst sich für die Experten der Zukunftskommission nicht einfach daran, ob die Schüler am Ende ihrer Ausbildung Lesen, Schreiben, Rechnen, physikalische Grundgesetze usw. beherrschen. Wäre dies der Maßstab, bräuchte man sich ja nur die diesbezüglichen Kenntnisse der Jugend anzusehen und für den Fall, dass sich Defizite zeigten, wüsste man dann auch gleich, was den Schülern noch beizubringen wäre. Wenig hilfreich wären dafür Vergleiche mit den diesbezüglichen Leistungen von Jugendlichen anderer Länder.

Für die Experten der Zukunftskommission bemisst sich ganz selbstverständlich die Leistungsfähigkeit des österreichischen Schulwesens nicht am erreichten Wissensstand der Schüler, sondern am damit erreichten Tabellenplatz in der Konkurrenz der Nationen in Sachen Ausbildung. Da stört dann das in den diversen Vergleichen festgestellte Unwissen nicht, so lange nur Österreich mit seinem Nachwuchs nicht schlechter bedient ist als andere - eines Vergleiches für würdig befundene - Nationen mit dem ihren. Solange österreichische Schüler bei dem von der Bildungswissenschaft veranstalteten vergleichenden Messen wenigstens in den mittleren Rängen zu liegen kommen, Analphabetismus und Rechenschwäche in anderen Worten in Österreich nicht weiter verbreitet sind als im europäischen Durchschnitt, solange ist für sie die Schulwelt einigermaßen in Ordnung, solange sehen sie die der Schule zugedachte Aufgabe erfüllt und solange ist die Qualifikation österreichischer Schüler hoch.

Obwohl sie also dem österreichischen Abschneiden im internationalen Leistungsvergleich keinen Grund für Unzufriedenheit entnehmen können, will sich bei ihnen keine rechte Freude einstellen. Sie warnen vor "vordergründiger" Zufriedenheit. Warum? Dazu das folgende Zitat:

"Andererseits befinden sich die Schulsysteme in den entwickelten Ländern heute in einer zunehmend schärfer werdenden Wettbewerbssituation. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass Bildung in den letzten Jahrzehnten zu einem wirtschaftlichen Produktivitätsfaktor ersten Ranges geworden ist."(Das Reformkonzept der Zukunftskommission, S11f)

Die Autoren wollen in diesem Zitat begründen, warum das österreichische Schulsystem trotz eines in ihren eigenen Augen gar nicht so schlechten Abschneidens im internationalen Leistungsvergleich einen Reformbedarf hat. Als Grund dieses Reformbedarfs geben sie an, dass die Schulsysteme aller entwickelten Länder, also auch das von Österreich, sich in einer – wie sie schreiben – "zunehmend schärfer werdenden Wettbewerbssituation" befänden, weil Bildung immer mehr zu einem "wirtschaftlichen Produktivitätsfaktor geworden" sei. Davon dass es einen derartigen Wettbewerb der Schulsysteme gäbe, kann aber nicht die Rede sein. Man kann streng genommen noch nicht einmal davon reden, dass die Schulsysteme verschiedener Nationen überhaupt in irgendeinem direkten Verhältnis zueinander stehen, geschweige denn in einem Verhältnis sich ausschließender Interessen. Mit der Redeweise von einem Wettbewerb, in dem die Schulsysteme sich angeblich befänden, der sich durch das Wirken einer unsichtbaren Hand verschärft hätte, übersetzen sie den Anspruch der Regierung, das Schulsystem habe sich künftig verstärkt an der Aufgabe zu bewähren, Lieferant von Bildung als Produktivitätsfaktor zu sein, in eine innere Notwendigkeit des Schulsystems selbst. Nicht mehr die Regierung ist es, die das Schulsystem ihrem Anspruch gemäß zu reformieren gedenkt, umgekehrt soll man es sich vorstellen. Die Regierung wird mit ihrer Reform einer Wettbewerbsnotwendigkeit der Schule selbst gerecht. Der Anspruch der Politik, das Bildungssystem solle sich noch effektiver als bisher als Mittel kapitalistischer Konkurrenz bewähren, wird in eine getrennt von der Politik bestehende Herausforderung für das Bildungssystem verwandelt.

Worin genau besteht denn nun inhaltlich der Anspruch an Bildung und Schule, den die Zukunftskommission der Politik abgelauscht hat? Was leistet die Schule in ihren Augen nicht, das sie leisten könnte und leisten sollte. "Bildung ist ein wirtschaftlicher Produktivitätsfaktor" schreibt sie. Mit diesem Urteil will sie nicht einfach auf einen Nutzen von Wissen und Bildung hinweisen. Dieses Urteil ist nicht als Aussage darüber gemeint was Bildung ist, sondern damit wird ihr Anspruch formuliert, was an Bildung unterrichtet werden soll. Nur dem Wissen spricht sie den Charakter von Bildung zu, nur das wird von ihr als Bildung anerkannt, was sich als Produktivitätsfaktor bewährt. Auf die Schule umgelegt heißt dies, dass die umso besser und umso erfolgreicher ist, je besser sie dem Auftrag nachkommt, Lieferant von Bildung als Produktivitätsfaktor zu sein. Auf welches Wissen kommt es dann an? Dazu folgendes Zitat:

"Aufgrund der hohen Lohnkosten sind die entwickelten Länder mit ungelernter oder wenig qualifizierter Arbeit im klassischen Produktionsgewerbe auf den internationalen Märkten nicht mehr konkurrenzfähig. Wirtschaftlichen Erfolg (und Arbeitsplätze) versprechen heute vor allem Wirtschaftszweige, die mit ihren Mitarbeitern Leistungen erbringen, die an Vorsprünge von Wissen, Kenntnissen und Qualifikationen gekoppelt sind."(Das Reformkonzept der Zukunftskommission, S11f)

Wissen zu unterrichten, das sich nicht unmittelbar anwenden lässt, das scheidet für die Zukunftskommission schon einmal aus. Aber auch Wissen, das sich praktisch verwenden lässt, ist für sie nicht schon deshalb unterrichtenswert. Mit manchen naturwissenschaftlichen Kenntnissen könnte man zwar den Wirkungsgrad der Arbeit erhöhen, um die mit ihr verbundenen Anstrengungen zu verringern. Auch ließen sich durch den Einsatz allein schon des vorhandenen medizinischen Wissens eine Menge Krankheiten ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Bloß darum geht es in der Welt der internationalen Konkurrenz nicht. Wissen spielt in dieser unserer so genannten "Wissensgesellschaft" eine schäbige Rolle: Es interessiert nur dann und nur so, wie es als Erfolgsmittel in der imperialistischen Konkurrenz taugt. Wissen, ein allgemeines Produkt geistiger Arbeit, das, wenn es einmal herausgefunden ist, immer wieder angewendet werden kann, ohne dass der zweite, dritte, vierte Anwender dem Entdecker irgendwas wegnimmt, ausgerechnet Wissen nützt unter dem Blickwinkel dieser internationalen Konkurrenz nur dann so richtig, wenn eine Nation es exklusiv und gegen andere besitzt – nicht auf Wissen, auf den Wissensvorsprung kommt es an, weiß deshalb die Zukunftskommission. Wissen, das sich nicht in wirtschaftlichem Konkurrenzerfolg niederschlägt, ist dagegen kapitalistisch gesehen wertlos.

Diesen alles entscheidenden Wissensvorsprung herzustellen, daran hat sich gemäß dem Anspruch der Zukunftskommission die heimische Schule zu bewähren, indem sie rechtzeitig dafür Sorge trägt, dass dem heimischen Kapital das an ausgebildeten Schulabgängern zur Verfügung steht, was ihm seinen Erfolg garantiert. Sie soll sich künftig dadurch noch effektiver als bisher als Zubringerveranstaltung des heimischen Kapitals bewähren, dass sie sich darum bemüht, die Schüler schon heute passgenau mit dem an Wissen zu versorgen, welches das Kapital morgen für seinen Erfolg brauchen wird – auch wenn das Kapital selbst noch gar nicht weiß, was das sein wird. Ob und inwiefern ihr das gelingt, daran soll künftig die Qualität der Schulen gemessen werden.

An dem, was diesen wirtschaftlichen Erfolg bringt, bemisst sich daher einzig, was überhaupt Qualifikation ist. Da mag mancher einiges gelernt haben, ob er damit auch eine Qualifikation besitzt, liegt nicht an seinem Wissen, sondern am Interesse, das Arbeitgeber nach ihren Kalkulationen daran fassen. Ständig wird jede Menge Wissen entwertet, weil das Geschäft nicht im erwarteten Umfang wächst, sich auf andere Felder verlagert, oder Kenntnisse durch ihre Objektivierung in neuer Technik überflüssig werden. Vor ein paar Jahren waren Informatiker noch dringend gesucht. Seit dem Zusammenbrechen der – wie im Nachhinein plötzlich alle wissen – Internetblase gibt es davon mehr als genug. Ihr Wissen ist keine Ressource mehr, wenn das Kapital es nicht mehr braucht. Ansprüche, die einmal mit Schulabschlüssen und akademischen Graden verbunden waren, werden angesichts steigender Arbeitslosenzahlen zunehmend wertlos. Nicht das Kapital wird dann dafür kritisiert, dass es eine ganze Menge an Wissen brach liegen lässt. Umgekehrt verhält es sich. Die arbeitslos gewordenen Facharbeiter, Ingenieure, Juristen usw. werden einer falsch gelaufenen Ausbildung zugeschrieben und dürfen innerhalb eines halben Jahres – in Zukunft innerhalb von 100 Tagen – die Nützlichkeit ihrer Kenntnisse für Staat und Wirtschaft dadurch beweisen, dass sie wieder eine Anstellung finden. Gelingt ihnen dieser Beweis nicht, müssen sie "jede legale Arbeit" annehmen und ihr nutzloses Wissen können sie für sich behalten.

Blanker Zynismus ist es daher, wenn die Experten der Zukunftskommission auf einen nach wie vor bestehenden "Zusammenhang" von "formaler Bildung" und "individuellen Lebenschancen" verweisen:

"Analog dazu wird es für Individuen heute zunehmend schwieriger, ohne qualifizierte Bildung auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen; der Zusammenhang zwischen formaler Bildung und individuellen Lebenschancen besteht gerade in Zeiten mit hohem Arbeitsplatzrisiko unvermindert weiter oder verschärft sich noch. Damit ist in knappen Worten umrissen, was mit der Entwicklung hin zur "Wissensgesellschaft" gemeint ist. ...."(Das Reformkonzept der Zukunftskommission, S11)

Gewiss, ohne Ausbildung hat man am Arbeitsmarkt keine Chance, erstens überhaupt eine Anstellung zu finden und zweitens damit auch noch ein ordentliches Einkommen zu erzielen. Mit Ausbildung aber ist eben noch gar nichts entschieden. Sie ist nicht mehr als ein Angebot an die Herren Arbeitgeber, in der Benutzung dieses Wissens ihren Vorteil zu suchen, was sie umgekehrt aber zu nichts verpflichtet. Um dieser Notwendigkeit, sich an die Bedürfnisse der Wirtschaft anzupassen, den Charakter einer Chance für die Jugendlichen abzulauschen, abstrahieren die Experten der Zukunftskommission kurzerhand von allen Bestimmungen dieses Verhältnisses und kommen dann zum bemerkenswerten Schluss, dass ein Zusammenhang von "formaler Bildung" und "individuellen Lebenschancen" besteht. Wer hätte mit soviel analytischer Schärfe gerechnet?! Zwar lässt sich schon dem Wort Chance entnehmen, dass auch sie genau wissen, dass eine noch so gute Ausbildung nichts garantiert, noch nicht einmal ein gesichertes Auskommen. Aber versprechen wollen sie ja sowieso nichts und wenn aus den individuellen Lebenschancen eines Arbeitnehmers nichts wird, dann liegt das nicht an den Zwecken der Gesellschaft, dann liegt das vielmehr daran, dass seine Bildung dann wohl bloß "formal" ist. Andernfalls hätte sich der angestrebte Erfolg doch eingestellt. Qued.

Neu ist er nicht, der Anspruch, den Regierung und Zukunftskommission an die Schule stellen

Dieses freimütige Bekenntnis zur Rolle der Schule als Zubringerveranstaltung des Kapitals hat der Zukunftskommission von manchen Seiten den Vorwurf eingebracht, mit der Verwirklichung ihrer Vorschläge würden die Verwertungsinteressen des Kapitals Einzug in das österreichische Schulwesen halten. Dass der Anspruch, den die Zukunftskommission an die Schule stellt, in seinem Kern aber gar nicht wirklich neu ist, das behauptet nicht nur die Zukunftskommission selbst, wenn sie schreibt: "Diese Zielperspektiven für das Bildungssystem in der Wissensgesellschaft sind durchaus nicht radikal neu, sondern eher Bekräftigungen und Zusammenführungen bestehender Zielsetzungen bei gewissen Akzentverschiebungen."(S12), das kann man auch dem Schulorganisationsgesetz in seiner geltenden Fassung entnehmen. Dort heißt es im §2 zur Aufgabe der österreichischen Schule:

"Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen. Die jungen Menschen sollen zu gesunden, arbeitstüchtigen, pflichttreuen und verantwortungsbewußten Gliedern der Gesellschaft und Bürgern der demokratischen und bundesstaatlichen Republik Österreich herangebildet werden...." (SCHOG §2(1))

Schon die bisherige gesetzliche Regelung stellt klar, was Zweck der Bildung ist, die der Staat seinen Heranwachsenden zukommen lässt. Die Schule "hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen". Der Staat nimmt die Ausbildung in seine Hand, weil einerseits seine Jugend ohne diese allgemeinen Kenntnisse und Fertigkeiten unbrauchbar fürs Geschäftsleben wäre und weil andererseits die Unternehmer zwar auf ausgebildete Leute zugreifen, aber selbst nicht ausbilden wollen. Für sie stellt sich die Ausbildung als schlechte Investition dar, denn sie kostet Geld und am Ende gehört der Ausgebildete noch nicht einmal ihnen. Weil es um die künftige Brauchbarkeit der Heranwachsenden geht, erspart der Staat ihnen die Frage, ob sie sich dieser Ausbildung unterziehen wollen oder nicht und dekretiert eine allgemeine Schulpflicht.

Das Berufsleben, für das ausgebildet wird, liegt als eine Hierarchie an Berufen vor, die sich nicht an der Bildung, sondern einzig am Bedarf des Kapitals entlang sortieren – ganz viele Plätze, auf den niedrigen Rängen, auf denen das erzielbare Einkommen nicht einmal für ein ordentliches Leben reicht, und nur wenige Spitzenplätze, mit einem Gehalt von mehreren zehntausend Euro samt Dienstwagen, Spesenabrechnung und garantierter Pensionsvorsorge. Um die Verteilung auf diese Berufshierarchie zu bewerkstelligen, um dafür zu sorgen, dass sich zum einen für die große Zahl der Jobs, die viel Arbeit aber wenig Geld einbringen, genügend Bewerber finden, denen das auch noch als Angebot für die Gestaltung ihres Lebens einleuchtet, und sich andererseits der Andrang auf die Vorstandsposten in Grenzen hält, ist die Schule als Selektion organisiert. Dort wird gelehrt, um zu unterscheiden. Dort wird entschieden, für wen wieviel an Wissen notwendig ist. Es sollen nicht möglichst viele möglichst viel wissen, sondern beim Lernen wird sortiert, bei wem es sich lohnt, ihn weiter auszubilden und bei wem nicht. Dazu werden die Schüler unterschiedslos mit Wissen konfrontiert. Jede derartige Wissensvermittlung ist dabei untrennbar mit einer ständigen Bewertung des in gewissen Zeiträumen beherrschten Wissens verbunden - nicht um Wissensmängel zum Zwecke ihrer Beseitigung abzuklären. Dazu würden Noten auch überhaupt nicht taugen. Das mit den Noten über Schüler gefällte Urteil dient vielmehr dazu, zu entscheiden, welche Schüler frühzeitig den Weg in die unteren Ränge des Berufslebens antreten müssen und welche an weiterführenden Ausbildungsgängen teilnehmen dürfen, deren erfolgreiche Absolvierung zur Teilnahme an der Konkurrenz um die Berufe der oberen Etage berechtigt.

Erfolgreiche ebenso wie weniger erfolgreiche Schüler dürfen sich das Ergebnis dieser schulischen Selektion als Folge ihres eigenen Leistungsvermögens oder –willens zurechtlegen. Es handelt sich um einen geistig verfertigten Selbstbetrug, der sich das Zurechtkommen mit Zwängen als selbst gesetzte Absicht des eigenen Willens und die Grade des Zurechtkommens als unterschiedlich gelungene Willensleistung erklärt. Unterstützt werden sie bei der Herausbildung dieser Einstellung durch einen Unterricht, der gemäß Auftrag des SCHOG an den Schülern die Anlage entwickelt, zu erkennen, dass Moral und Anstand keinem Gegenstand fremd sind. Wie sehr es dem Staat auf die Herausbildung dieser moralischen Sichtweise ankommt, zeigt sich darin, dass er es der Schule zum fächerübergreifenden Auftrag macht, deren Entwicklung nach Kräften zu fördern. "Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen .... entsprechenden Unterricht mitzuwirken", heißt es deshalb im vorhin zitierten Paragraphen des Schulorganisationsgesetzes. Erst diese Einstellung macht die Heranwachsenden zu den – wie es im selben Paragraphen heißt - "arbeitstüchtigen, pflichttreuen und verantwortungsbewussten Gliedern und Bürgern .... der Republik Österreich", die jeden Schaden, der ihnen im weiteren Leben widerfährt, nie auf die herrschenden Zwecke zurückführen sondern auf einen Mangel an der eignen Person. Ergänzt wird diese allen Fächern ans Herz gelegt praktische Einübung ins moralische Denken durch eigene Fächer, in denen die Moral gleich überhaupt den ganzen Unterrichtsgegenstand abgibt – Religion- bzw. Ethikunterricht, wo an allem ein letzter Sinn entdeckt wird und natürlich Deutsch, ein Fach, in dem es nicht nur darum geht Lesen und Schreiben zu lernen.

Was diesen zweiten Punkt - die Erziehung der Schüler zu guten Staatsbürgern - betrifft, so hat die Zukunftskommission daran offenbar so wenig auszusetzen, dass sie ihn noch nicht einmal erwähnt. Anders bei der staatlichen Vorbereitung auf die berufliche Praxis. Der Staat organisiert die Ausbildung getrennt vom Berufsleben. Ihm geht es um die Herstellung der Brauchbarkeit der Heranwachsenden für seine und seiner Wirtschaft Zwecke. Weil zum Zeitpunkt der Ausbildung aber noch gar nicht absehbar ist, ob und in welchen Berufen die Jugendlichen gebraucht werden, orientiert er sich bei den Ausbildungsinhalten notwendig daran, welche Kenntnisse und Fertigkeiten allgemeine Voraussetzung jeder Berufsausübung sind. Dabei können er und seine Bildungsinstitutionen es dem Kapital nie recht machen. Nicht nur, weil jeder individuelle Kapitalist die nachgefragten Schulabgänger an den ganz speziellen Erfordernissen seines Betriebes misst. Gemessen an diesem Anspruch, sind sie dann eine einzige Abweichung von dem, was er sich erwarten würde. Recht machen kann es der Staat seinen Unternehmern auch noch aus einem ganz anderen Grund nicht. Sie selbst sorgen nämlich mit dem Wechsel der Konjunktur und dem nach Kostengesichtspunkten zur Anwendung kommenden Fortschritt der Wissenschaft dafür, das jede Festigkeit des Berufslebens verloren geht. Laufend werden Berufe umgemodelt, abgeschafft und neu geschaffen. Laufend wird Qualifikation entwertet und entsteht der Bedarf an Qualifikation, die es bisher noch gar nicht gab. Aus all dem zieht die Zukunftskommission folgenden Schluss:

"Unter diesem Gesichtspunkt gesehen ist das Bildungssystem permanent reformbedürftig, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen sind wir herausgefordert, ständig zu prüfen, ob die Kenntnisse, Kompetenzen und Qualifikationen, die wir vermitteln, noch den Anforderungen der Zeit entsprechen und ob wir tatsächlich alle Heranwachsenden mit unserem Angebot erreichen. Die andere Herausforderung besteht darin, ein Höchstmaß an Qualität mit einem ebenso hohen Maß an Effizienz zu verbinden, und das heißt nicht zuletzt, den Kostenfaktor so niedrig wie möglich zu halten." (Das Reformkonzept der Zukunftskommission, S11f)

Was eine Bildungsstufe wert ist, das entscheidet eben einzig der Bedarf der Unternehmen. Wenn Informatiker, Physiker, Ärzte, Lehrer usw. nicht gebraucht werden, dann möchte es die Zukunftskommission keinesfalls den Unternehmern anlasten, dass sie auf deren Wissen verzichtet. Die gehorchen nicht dem Diktat ihrer privaten Interessen sondern dem der Zeit. Für die ganz dem Konkurrenzerfolg des heimischen Kapitals verpflichteten Bildungsforscher stellt sich die Sachlage daher ganz anders dar. Sie behandeln das notwendige Nichtzusammenpassen der Nachfrage des Kapitals nach bestimmten Qualifikationen und des Angebots an geeigneten Schulabgänger als Frage eines falschen Timings bei der Festlegung der Bildungsinhalte, und schlagen eine Methode vor, wie das Nichtplanbare durch einen Planungsersatz doch in den Griff zu kriegen sei. Wenn Wissen und Ausbildung sich nur in dem Maße bewähren, indem sie wirtschaftlichen Erfolg versprechen, sich das was Erfolg verspricht aber unter dem Diktat der Zeit ständig ändert, dann muss es zur Daueraufgabe der Schule erklärt werden, diesen sich ständig ändernden Anforderungen möglichst ohne Zeitverzug also permanent hinterherzulaufen – dann wird Reform zur Daueraufgabe der Schule. Das soll möglichst effektiv, sprich billig passieren, oder - wie die Zukunftskommission es ausdrückt -, "das heißt nicht zuletzt den Kostenfaktor so niedrig wie möglich" zu halten. Damit soll dann nach dem Willen der Damen und Herren von der Zukunftskommission endgültig und dauerhaft dafür gesorgt sein, dass Bildung zu der Ressource des Kapitals wird, die seinen Erfolg in der internationalen Konkurrenz verbürgt.

Welchen Änderungsbedarf die Zukunftskommission von diesem Standpunkt aus sieht, wie sie über mehr Druck auf Lehrer durch permanente Evaluation und Ergebnisverantwortlichkeit an den Schülern das Resultat, taugliche Ressource fürs Kapital zu sein, herstellen will, das ist Thema der nächsten Sendung.