NATIONALRATSWAHLEN 2002 - WIE DEMOKRATISCHE WAHLEN EINMAL MEHR DAFÜR SORGEN, DASS ALLES BEIM ALTEN BLEIBT! GEGENARGUMENTE

Am 24.November ist es wieder einmal soweit. Der Wähler hat das Wort. Er darf seine Stimme abgeben und wirkt so bei der Entscheidung mit, wer in den nächsten vier Jahren die Staatsgeschäfte führen soll.

Schon das Zustandekommen der jetzigen Neuwahlen ist eine erste Klarstellung über das eigentliche Subjekt freier demokratischer Wahlen. Die Wähler jedenfalls sind es nicht. Nicht die Unzufriedenheit der Studenten mit ihren Studiengebühren, der Pensionisten mit ihrem erhöhten Frühpensionsalter und ihren immer geringeren Pensionen, der Beamten mit ihren Lohnkürzungen, der Kranken mit Ambulanzgebühren, ständig erhöhten Rezeptgebühren usw. ist der Ausgangspunkt der jetzigen Neuwahlen. Dass jetzt Neuwahlen stattfinden, verdankt sich erst recht nicht dem Umstand, dass Teile der Bevölkerung immerhin mehr als zwei Jahre jeden Donnerstag das Bedürfnis nach Neuwahlen artikuliert haben. Selbst die Entscheidung über das Personal der Staatsmacht - und was anderes sind Wahlen nicht - steht dem Volk nur dann zu, wenn es danach gefragt wird. Alles andere stellt "Druck von der Straße" dar, dem sich zu widersetzen noch jede Regierung als ihre oberste Pflicht betrachtet.

Freie Wahlen - diese Sternstunde der Freiheit - gibt es in der Demokratie nur, wenn die Führung der Staatsgeschäfte diese gebieten, nach Ablauf der verfassungsrechtlich vorgesehenen Amtszeit oder wenn die Amtsträger beschließen, diese Amtszeit vorzeitig zu beenden. Dementsprechend verdanken sich die heurigen Neuwahlen ausschließlich dem Entschluss der ÖVP, die Koalition mit den Freiheitlichen vorzeitig zu beenden.

Nach dem auch von der freiheitlichen Regierungsmannschaft mitgetragenen Beschluss, die geplante Steuerreform mit dem Verweis auf fehlende Budgetmittel ausfallen zu lassen und das bei gleichzeitigem Beschluss zum Kauf von Abfangjägern, sind Teile der FPÖ unzufrieden, nicht weil wieder einmal der kleine Mann unter die Räder kommt. Aber dass wegen schlechter Selbstdarstellung die Glaubwürdigkeit ihrer Partei und damit ihre Wählbarkeit leiden könnte, nehmen sie ihrer Regierungsmannschaft übel.

Diesen Streit beim Regierungspartner FPÖ um die Frage ihrer Attraktivität für die Wähler und den darauffolgenden Rücktritt von Teilen der FPÖ- Regierungsmannschaft nimmt Schüssel zum Anlass, statt sich von der FPÖ neue Minister vorschlagen zu lassen, den desolaten Zustand der FPÖ auszunutzen und die Personalfrage zu Gunsten der ÖVP per Wahl neu entscheiden zu lassen.

Die Donnerstagdemonstranten feiern das Ende der "schwarz-blauen Regierung", und sind sich so auf ihre Art mit Regierungs- und Oppositionsparteien dahingehend einig, dass Herr und Frau Österreicher am Wahltag eine ganz wichtige Entscheidung zu treffen hätten. "Chaos oder Wende" sagen die einen, "Fortsetzung der Wende oder Chaos" die anderen.

Weder "Wende" noch "Ende der Wende", die Staatszwecke stehen fest und nicht zur Wahl!

Wenn Gusenbauer die Wende am Ende sieht, die Schüssel und sein Team unbedingt fortsetzen wollen, dann geht es beiden nicht um unterschiedliche Politikinhalte. Die stehen im Gegenteil längst fest, und dass das so ist, erfährt der geneigte Wähler gerade aus den sogenannten Sachargumenten, mit denen die Parteien für sich werben.

1.

Keine Partei, der die finanzielle Freiheit des Staates und daher die Budgetkonsolidierung kein Daueranliegen wäre. Die ÖVP wirbt damit für sich, die Partei zu sein, die eine Wende in der Budgetpolitik herbeigeführt hat: "Die ÖVP steht auch weiterhin für eine Reform der Staatsausgaben und ist nicht für eine Politik des neuerlichen Schuldenmachens zu haben .... Mit der Wende in der Budgetpolitik ersparen wir uns bis 2010 allein an Zinszahlungen 2Mrd.Euro ", schreibt sie in ihrem Wahlprogramm. Demgegenüber möchte die SPÖ dadurch an Glaubwürdigkeit bei den Wählern gewinnen, dass sie betont, dass sie "in den letzten Jahren ihre Lektion gelernt" habe: "Wir wissen, wie wichtig heute ein stabiles Budget und eine vorsichtige Ausgabenpolitik ist. Und wir wissen auch, dass wir uns nicht alles leisten können. Gerade weil wir ausgeglichen haushalten wollen, ist es so wichtig, die richtigen Prioritäten zu setzen."(Folder SPÖ)

In einem sind sich alle Parteien einig, oberste Priorität hat ein ausgeglichener Staatshaushalt. Wenn die Politiker unisono den Bürgern mit dem Bild von den leeren Staatskassen kommen und sie damit zu einem Wahlkreuz für ihre Liste bringen wollen, dann gehen sie nicht davon aus, dass sie in ein Amt gewählt werden, in dem sie mangels finanzieller Mittel gar nichts bewegen können. Umgekehrt verhält es sich. Mit dem Hinweis auf angeblich leere Staatskassen verlangen sie von ihren Wählern die ausdrückliche Zustimmung dazu, frei und rücksichtslos die Staatsnotwendigkeiten neu zu definieren und so manches, was bislang als selbstverständliches Recht behandelt wurde, außer Kraft zu setzen. An ihrer Freiheit zur Beschaffung der nötigen Finanzmittel für all das, was sie für nötig befinden - ob mehr durch neue Steuern, oder doch wieder durch ein bisschen, leider notwendiges sich Verschulden -, ändert sich dadurch nichts.

Dabei, die Wähler von der Notwendigkeit staatlicher Freiheit zu überzeugen, leistet die Ideologie vom Sparhaushalt aber gute Dienste. Wenn Politiker Steuern erhöhen, Sozialleistungen kürzen, Beiträge zu den Sozialkassen erhöhen usw., soll es sich gemäß dieser Ideologie nicht um deren souveräne Entscheidung, sondern um den Nachvollzug einer unabänderlichen ökonomischen Sachgesetzlichkeit handeln. Sie stehen dabei nicht als diejenigen da, die für die Umsetzung ihrer politischen Vorhaben das Volk in die Pflicht nehmen, sondern als diejenigen, die sich redlich an einem gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen an sie herangetragenen und in ihrer Gesamtheit - leider - unerfüllbaren Ansprüchen abarbeiten.

Für den Wahlkampf ergibt sich aus dieser Betrachtungsweise des Staates als Anwalt eines gerechten Ausgleichs divergierender Interessen der unbestreitbare Nutzen, dass sich bei aller Einigkeit der kandidierenden Parteien in der Sache, letztlich doch noch ein Feld der Unterscheidung der verschiedenen wahlwerbenden Gruppen eröffnet. Schüssel möchte den Bürgern künftige Belastungen ersparen, indem er ihnen schon heute Geld wegnimmt, und Gusenbauer wirft Schwarz-Blau vor, ein Budget-Chaos samt der höchsten Steuern aller Zeiten hinterlassen zu haben und verspricht nur dort zu sparen, wo er es wirklich für notwendig hält - oder in seinen Worten: er kennt "die drei richtigen Prioritäten". Wenn Gusenbauer der schwarz-blauen Regierung vorwirft, die Bevölkerung in unerträglichem Maße belastet zu haben, dann ist dies nicht als Ansage gemeint, als Kanzler alle Belastungen wieder zurücknehmen zu wollen. Die aufgezählten Verschlechterungen sollen lediglich die Inkompetenz der alten Regierung und die Kompetenz des SPÖ-Kandidaten für die schwierige Aufgabe eines ausgeglichenen Staatshaushaltes belegen.

2.

Wie bei jeder Wahl so ist auch diesmal die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein Ziel, das alle wahlwerbenden Parteien eint. Die Freiheit zum Entlassen will den Arbeitgebern aber kein Politiker nehmen, und schon gleich nicht die Freiheit der geschäftlichen Kalkulation, mit der Unternehmer ihre ökonomischen Konkurrenzkämpfe um die weltweit erfolgreichste Ausbeutung der eingesetzten Arbeitskräfte austragen. Diese Konkurrenzkämpfe, die auf Seite ihrer Gewinner ebenso wie auf Seiten ihrer Verlierer, für ein zunehmend größer werdendes Heer an sogenannten Arbeitslosen sorgen, sollen selbstverständlich nicht behindert werden.

Im Gegenteil. Für beide - ÖVP wie SPÖ - sind Beschäftigungspolitik und Standortpolitik ident, weshalb sie den eigens für den Wahlkampf inszenierten Streit, wer von ihnen eher in der Lage und willens ist, der Arbeitslosigkeit Herr zu werden, gleich in der Form abwickeln, wer von ihnen der Wirtschaft die besseren Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen gedenkt. Die SPÖ möchte "unsere Wirtschaft ankurbeln und dafür sorgen, dass die Österreicherinnen und Österreicher wieder Arbeit und dadurch Geld in der Tasche haben" und für die ÖVP ist Schaffung von Arbeitsplätzen gleichbedeutend damit, "den Wirtschaftstandort wettbeferbsfähig zu halten".

Beide halten sie an der Tautologie fest, dass die Arbeitnehmern keinen Arbeitsplatz finden, weil es an Arbeitsplätzen fehlt. Deswegen wollen sie vom Wähler damit beauftragt werden, dafür zu sorgen, den Unternehmern alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, diesen gesellschaftlichen Dienst zu erbringen. Und das erste und entscheidenste Hindernis ist da für beide der Arbeitnehmer selbst. Deshalb möchte die die ÖVP die Vollbeschäftigung dadurch erreichen, dass sie den Arbeitnehmern mehr "Flexibilität und Mobiltät" als ihre "Chance" verordnet, damit sie endlich ungeteilt den Ansprüchen, die sich aus den "Umbrüchen der Arbeitswelt" ergeben, gerecht werden können. Und die SPÖ wirbt damit, die beschäftigungspolitischen Chancen dieses Umbruchs nutzen und für die nötig befundenen rechtlichen Rahmenbedingungen der - dann endgültig nicht mehr - atypischen Beschäftigungsverhältnisse sorgen zu wollen.

3.

Kein Wahlkampf kommt ohne das Versprechen aller Parteien aus, das Sozialsystem sichern zu wollen. Nie taucht dabei die Frage auf, wieso es dieses System eigentlich überhaupt braucht und welche Sicherheit es denn eigentlich schafft, wenn jede Inanspruchnahme immer schon den Keim seiner Überlastung in sich birgt. Wenn das "System sozialer Sicherheit" nur dann Sicherheit bietet, wenn sie keiner braucht, und dann, wenn Sicherheiten fällig werden, das "System" auf Kosten der sozialen Sicherheit "gerettet" werden muss - kommt da nicht die unschöne Wahrheit dieses ganzen Systems ans Tageslicht, dass es nämlich ökonomische und politische Verhältnisse voraussetzt, in denen nichts selbstverständlicher ist, als dass der Lebensunterhalt der ganzen Klasse der Sozialversicherten immer unsicher ist? Diese Zustände stehen aber gerade nicht zur Wahl!

Wenn alle Parteien - allen voran SPÖ und ÖVP - das Pensionssystem durch die demographische Entwicklung der Bevölkerung herausgefordert sehen und das Durchfüttern der nicht mehr brauchbaren Teile der Arbeitnehmer zum Problem erklären, dann herrscht schon einmal eine Einigkeit im Land, für den Lebensunterhalt der Alten zu sorgen, ist kein Zweck sondern eine Belastung der Wirtschaft, eine Belastung, die keinesfalls größer werden darf, bloß deshalb, weil die Leute älter werden. Da es aber auch keinesfalls in Frage kommt, Staatsgelder aufzuwenden, im Gegenteil, der staatliche Zuschuss zu den Pensionskassen wird laufend gesenkt, ist der Beschluss zur Sicherung des Pensionssystems bitter ernst gemeint und gleichbedeutend damit, die Pensionen durch ihre Senkung zu sichern.

Dazu hat die ÖVP schon in der letzten Legislaturperiode die gesetzlichen Grundlagen des von ihr favorisierten Drei-Säulen-Modells geschaffen. Die bisherige gesetzliche Altervorsorge wird zur ersten Säule, als solche endgültig von jedem Anspruch auf Lebensstandardsicherung befreit und in eine Grundsicherung umgebaut. Ergänzt wird diese erste durch eine zweite Säule in Gestalt einer betrieblichen Altersvorsorge - aufgebaut durch die Enteignung der bisherigen Abfertigungsansprüche der Arbeitnehmer - und eine dritte Säule für all jene, die es schaffen, während ihrer aktiven Arbeitnehmerlaufbahn noch Geld abzuzwacken und in eigens geschaffene Aktienfonds spekulativ zu veranlagen - mit einem gesetzlich vorgeschriebenen Anteil garantiert österreichischer Aktien, nicht weil die bekanntermaßen besonders attraktiv wären, sondern weil soviel Förderung der Aktienkultur in Österreich einfach sein muss.

Und die SPÖ? Die sieht - nachdem alles was auf diesem Feld zu tun war, um die österreichische Arbeiterklasse zu verbilligen, schon in die Wege geleitet ist - keinen grundsätzlichen Reformbedarf im österreichischen Pensionssystem - und verspricht, dafür zu sorgen, die Existenz der gesetzlichen ersten Säule durch Verfassungsgesetz zu sichern.

4.

Entgegen der Behauptung der Öffentlichkeit stehen bei Wahlen keine politischen Alternativen zur Wahl. Die Kandidaten sind sich im Gegenteil in allen wesentlichen Belangen künftigen Regierens einig. Das ist kein Zufall. Demokratische Wahlen setzen notwendig den Konsens darüber voraus, um was es überhaupt geht - um eine "gesunde" Nationalökonomie auf Eigentumsbasis; um optimale politische Bedingungen dafür; um die sachgemäße Betreuung der unausbleiblichen Opfer. Politische Alternativen, die andere Zwecke und Maßstäbe ins Spiel bringen, haben im demokratischen Pluralismus keine Daseinsberechtigung.

Die Prüfung, zu der ein wahlberechtigter Bürger aufgerufen ist, betrifft also von vornherein weder das Amt noch den Inhalt des Regierens. Die Alternativen der Demokratie lauten allesamt alternativlos nur auf das Eine: gute Regierung. Die Erfolgsmaßstäbe liegen mit der Staatsräson des gesamten Unternehmens fest. Sie anzuwenden und die Regierung danach zu beurteilen, dazu wird das Volk im demokratischen Staat periodisch eingeladen.

Jeder Wahlkampf ist notwendig ein "Personenwahlkampf". Die parteiübergreifend anerkannten politischen "Sachnotwendigkeiten" besser managen zu können als der Konkurrent, ist der Stoff, aus dem der Wahlkampf besteht.

Politiker müssen die Wähler davon überzeugen, warum sie jeweils gerade ihm und nicht einem ihrer Konkurrenten ihre Stimme geben sollen. Das geht nicht ohne einiges an selbstdarstellerischen Kunststücken. Einerseits betonen sie, immer wenn sie die Inhalte ihrer Politik darstellen, dass es darum geht, feststehende Sachnotwendigkeiten zu exekutieren, andererseits müssen und wollen sie als Wahlkämpfer den Beweis erbringen, dass ausgerechnet sie und kein anderer dafür in Frage kommt, das durchzusetzen, was als nationaler Handlungsbedarf unabhängig davon, wer gewählt wird, immer schon feststeht.

1.

Weil der Inhalt der Politik feststeht, kürzt sich die alles entscheidende Frage, die dem Wähler zur Beantwortung vorgelegt wird, darauf zusammen, welchem Kandidaten er die Fähigkeiten und Eigenschaften zutraut, die für die Umsetzung dieser Inhalte nötig und erforderlich sind. So als ob es ausgerechnet beim Politiker darauf ankäme, dass er was kann oder weiß.

Die Kanzlerpartei, die sich der Wiederwahl stellt, hat da einen für die Konkurrenz nur schwer aufholbaren Vorsprung. Schüssel muss die Befähigung zum Kanzler nicht erst beweisen, er ist schon Kanzler. Was befähigt mehr zur Macht, als dass man sie schon innehat! Nun beweist das zwar nicht recht viel mehr, als die nicht zu bezweifelnde Tatsache, dass die Regierung regiert hat, was schließlich ihres Amtes war. In der Demokratie zählt es aber durchaus schon als Standpunkt von eigener Überzeugungskraft, wenn die Regierung hinter der Auskunft, regiert zu haben, ein nachdrückliches Ausrufzeichen setzt.

Schüssel beschert das auf jeden Fall schon einmal einen Pluspunkt - den Kanzlerbonus, den Gusenbauer dadurch zu entkräften sucht, dass er den bisherigen Regierungsparteien entgegenhält, sie hätten nicht durch Sachkompetenz, sondern durch Unfähigkeit geglänzt bis hin zur schärfsten Attacke, dass sie eigentlich gar nicht regiert hätten und so das Land in "absolutem Chaos" hinterlassen hätten. Im übrigen belegt er seine Eignung mit dem schon als Schüler vorgebrachten Wunsch Bundeskanzler zu werden, den er am Wahlparteitag der SPÖ mit dem Schlusssatz seiner Rede: "Ich will" untermauerte. Darüberhinaus stellt er streng nach dem Motto seines amerikanischen Beraters Stanley Greenberg "If you canīt sell him alone, put him in a team" der schwarz-blauen "Chaosregierung" sein "Kabinett des Lichts" entgegen.

Die von Gusenbauer präsentierten Kandidaten Wolfgang Petritsch, Josef Broukal und Gertraud Knoll sollen "Modernität", "Mutter Courage für das Soziale" usw. repräsentieren, also Werte, die von jedermann egal ob sozialdemokratisch, christlich-sozial, grün oder liberal hochgehalten werden können, schließlich gilt es Wähler zu gewinnen und nicht Wähler zu verschrecken. In die Verlegenheit, ihr politisches Programm darlegen zu müssen, kommen die Kandidaten nicht, das ist von ihnen nicht verlangt. Sie wurden nicht ob ihrer Vorschläge für Wissenschaft, Soziales und Außenpolitik ausgewählt, sondern sie sollen über die Glaubwürdigkeit ihrer Person in Sachen Modernität, Soziales usw. der SPÖ Wählerstimmen bringen.

Daher stört es dann eben auch niemanden, wenn etwa Frau Knoll als "Stimme derer, die bisher keine hatten" in einer künftigen SP-geführten Regierung den Posten einer Frau Staatssekretärin im Sozialministerium ohne Stimmrecht in der Regierung bekleiden soll.

2.

So sehr es beim Politiker auf Führungsqualitäten ankommen soll, so sehr dürfen sie nicht in herrschaftliche Abgehobenheit ausarten - wissen die Wahlkampfstrategen. Mindestens genau so wichtig sind daher die sogenannten ""Human-Touch" Felder ("spricht die Sprache der Menschen", "versteht die Menschen")", will Gusenbauer aus den Fehlern seiner Vorgänger gelernt haben:

"Wir dürfen uns nie mehr von den Menschen so weit entfernen, daß sie den Eindruck haben, wir haben sie verlassen." (Rede am SPÖ-Wahlparteitag, Presse vom 28.Oktober 2002)

So tourt er seit Wochen nach dem Motto "Gusi zum Anfassen" auf seiner "Von-Mensch-zu-Mensch-Tour 2002" durch ganz Österreich ausstaffiert mit "Autogrammkarten im Schwiegersohnlook" und "auf Gusipower getaufte Energieriegel", um in der "persönlichen Begegnung mit den Menschen" diesen zu zeigen, dass die durch ihn erneuerte SPÖ zu ihnen zurückgekehrt ist, "dass der Mensch zählt" - wenn das nicht für eine Rückkehr der SPÖ an die Macht spricht?

Der als "kühl, unnahbar und arrogant" geltende amtierende Kanzler versucht, als Kindergartenonkel, Klavier spielend und Fruchtherzen verteilend nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Dass hier jede Menge berechnende Heuchelei zu Gange ist, ist dem Wähler und der aufgeklärten Öffentlichkeit kein Geheimnis, macht ihnen die ganze Veranstaltung aber nicht madig. Im Gegenteil, dass sich ein Machthaber bzw. -anwärter zu Menschlichkeit wenigstens bekennt und sich um alle möglichen sympathieheischenden Imagebausteine bemüht, wird von aufgeklärten Wählern nicht wenig goutiert.

3.

Im Mittelpunkt des heurigen Wahlkampfs steht die Selbstinszenierung der Kandidaten bei den TV-Konfrontationen, bezeichnender Weise TV-Duelle genannt. In Wild West Manier sitzen sich im ORF-Studio die Kandidaten Mann gegen Mann, Aug in Aug gegenüber. Dem Charakter eines Duells entsprechend wird den Kontrahenten vom ORF die Wahl der Waffen - pardon der Themen - überlassen, an denen sie sich messen wollen. Und am Ende steht ein Sieger und ein Verlierer fest, von den mitternächtlichen Kommentatoren dem Publikum im Fussballjargon als 1:0, 2:1 oder dergleichen mitgeteilt. Der Wähler wird angehalten, die Wirkung der Kandidaten auf sich und seinesgleichen zu genießen und diese Wirkung zum Beurteilungskriterium bei der Wahl zu machen. Da ist dann die Farbe der Krawatte - mehr rot-weiß-rot und staatstragend oder mehr grün und locker -, die Körperhaltung, Mimik, geschickte Untergriffe oder wer wen in die Defensive drängen kann das was eigentlich zählt. Wenn Inhalte der Politik vorkommen, dann interessieren diese allerhöchstens unter dem Gesichtspunkt, wie der Kandidat sie als Waffe gegen seinen Kontrahenten einzusetzen versteht.

Wenn der Wähler soweit ist, diese Veranstaltung zu genießen und vielleicht auch noch für eine Hilfe bei der Wahlentscheidung zu halten, dann ist er reif für die Demokratie und passt zu dem, worum es in der Wahl geht.

Die Leistung der Wahl - Mit der Freiheit zur Auswahl der Person sorgt der Staat für die Zustimmung zur Herrschaft!

1.

Die Regierung hat genau das gekriegt, was sie wollte. Sie darf die nächsten Jahre "Verantwortung" tragen. Wie schwer diese Last wiegt, kann man schon am Aufwand erkennen, den die Damen und Herren Politiker treiben, um in dieses Amt zu kommen. Einmal in der Regierung ist der Politiker nur mehr einem verantwortlich - seinem Gewissen, also sich selbst. Was der Inhalt seines Geschäftes ist, welche Probleme die Nation hat und wie sie zu lösen sind, das zu entscheiden ist einzig seine Sache. Der Wähler mag sich nämlich bei seinem Wahlkreuz denken was er will, zu Protokoll gibt er mit seinem Kreuz auf dem Wahlzettel nur eines, dass er regiert werden will. Davon, dass er seinem Wahlkreuz einen Auftrag an die Regierenden hinterherschieben könnte, kann in keiner Hinsicht die Rede sein. Sowas hat auf einem Stimmzettel nicht nur keinen Platz, sondern würde diesen darüberhinaus auch noch ungültig machen. Und für die Gewählten ergibt sich umgekehrt daraus, dass sie gewählt wurden nichts was einem Vertrag gleichkäme, der sie zu irgendwas verpflichten würde, sondern im Gegenteil ein bedingungsloser Freibrief. Kritik an den von ihr gesetzten Maßnahmen weist sie daher sachgerecht mit dem Verweis zurück, dass sie die Regierung stellt.

2.

Gewählt haben sich die Wähler aber nicht nur eine Regierung, auch die Parteien, für die das Quorum der Bürger nicht gereicht hat, um an den Regierungsgeschäften beteiligt zu werden, sind automatisch mitgewählt und bilden die Opposition. Die regiert zwar nicht, trotzdem leistet auch sie der Nation einen unschätzbaren Dienst. Ihre Aufgabe ist es - wie schon der Name sagt -, zu opponieren, also die Regierung zu kritisieren. Jede Unzufriedenheit im Volk - und die kann nicht ausbleiben, dafür sorgt schon der ganz gewöhnliche Regierungsalltag mit seinen Steuererhöhungen, Pensionskürzungen, Ambulanzgebühren, dem Ausbleiben der versprochenen Sanierung des Staatshaushaltes usw.usf. - greift sie auf. Nicht um ihr bedingungslos Recht zu geben und die Bürger aufzurufen, allem was sie stört auf den Grund zu gehen und gegebenenfalls seine Ursache zu beseitigen, im Gegenteil. Auch für die Opposition steht unabänderlich fest, dass die Bürger alles das, was die Regierung verordnet, auszuhalten haben, bloß sollen sie eben bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit ihr Wahlkreuz der Opposition spendieren. Damit steht die Opposition dafür ein, dass alle wirklichen oder bloß vorgestellten Ungemütlichkeiten des nationalen Gemeinwesens nicht gegen das Gemeinwesen sprechen, sondern immer nur das eine beweisen, dass schlecht regiert wird.

3.

So sorgt die Arbeitsteilung bei der Führung der Staatsgeschäfte - hie Regierung, dort Opposition - dafür, dass die Zustimmung des Wahlvolkes sich davon, was die Regierenden gerade bieten oder verlangen unabhängig macht. In den Parteien, die um die Wahrnehmung der Regierungsgeschäfte konkurrieren, hat der Bürger die demokratisch instituionalisierten Sündenböcke, die er dafür verantwortlich machen darf und soll, wenn im Staate wieder mal was nicht so läuft, wie er das gerne hätte, damit nur ja seine hohe Meinung von Staat und Politik nicht leidet. Und selbst linke Parteien wie KPÖ oder SLP kritisieren nicht diese Arbeitsteilung zwischen Regierung und Opposition, sondern meinen diese Veranstaltung ausgerechnet um eine "wirkliche" Opposition durch eine "konsequent linke, antikapitalistische, antineoliberale Stimme" ergänzen zu müssen.

Und der Wähler? Der nimmt dieses Angebot dankbar an und sorgt damit dafür, dass ihm garantiert keine andere Rolle zukommt als die des oft verächtlich so genannten "Stimmviehs". Er hat in der Demokratie eben nur eine Rolle, seine Zustimmung ist gefragt. Da mag der eine sein Kreuz geben, weil er in Gusi-Powerriegeln, Wahlkondomen, Schüssel-Schlüsselanhänger oder Furchtherzen zumindest das Bemühen um seine Stimme honoriert, der andere mag über soviel Niveaulosigkeit entsetzt die Nase rümpfen und dann doch wieder einmal "das kleinere Übel" wählen. Das Resultat ist in jedem Fall das Gleiche!

Wer jetzt noch eine Wahlempfehlung erwartet, den lassen wir mit diesem Problem alleine.