GEGENARGUMENTE

Die Pensionsreform: Vom Staat verarmt, vom ÖGB verarscht!

Der Titel bzw. der eine Teil des Titels – "Vom ÖGB verarscht" – mag irritierend oder provokant klingen. Der ÖGB hat zwar bisher keine richtigen Streiks organisiert, die die Produktion und / oder das öffentliche Leben lahmlegen. Er hat aber immerhin seine Mitglieder zu Kundgebungen und Massendemonstrationen aufgerufen und so seine Kampffähigkeit unter Beweis gestellt, so etwas ähnliches wie ein echter Streik ist für nächsten Dienstag angekündigt – damit noch genügend Zeit für neue Gespräche bleibt. Insofern hat der ÖGB tatsächlich eine für seine Gepflogenheiten ungewohnt massive Kampagne gegen die von der Regierung vorgelegte Pensionsreform gestartet. Im Zuge dessen zitiert er zwar mit viel Liebe zum Detail manche Beispiele für die Verschlechterungen, die auf alle zukommen, die auf eine Pension der Sozialversicherung angewiesen sind. Verzetnitschs Hinweise auf die jetzt schon angespannte finanzielle Lage der Betroffenen, die durch die Regierungspläne sogar unter die offizielle Armutsgrenze sinken könnten, nach dem Muster – "Viele Leute haben jetzt schon so wenig, und sogar denen will die Regierung noch etwas wegnehmen" – sind aber ein wenig doppeldeutig:

Erstens ist der aktuelle Stand der Pensionen, der sich durch die anvisierte Pensionssenkung zur anerkannten Altersarmut weiterentwickelt, durch Zustimmung und aktive Mitarbeit der Gewerkschaft zustande gekommen. Zweitens sollte man das Deuten des ÖGB auf die vielen Opfer der Reform besser nicht mit dem Entschluß verwechseln, diese kompromißlos zu bekämpfen. Denn die Einwände der Gewerkschaft richten sich gar nicht grundsätzlich und definitiv gegen diesen "Pensionsraub", und das scheinen weder die Mitglieder noch die linken und so oft enttäuschten Sympathisanten des ÖGB gebührend zur Kenntnis zu nehmen. Die Leitlinie der Reform: Länger arbeiten (oder arbeitslos sein) und dann im Ruhestand wesentlich weniger Geld, vom ÖGB-Chef gern und empört zitiert, die ist von der Gewerkschaft zumindest im Grundsatz anerkannt. Wenn der ÖGB vorhandene oder drohende Armut erwähnt, wenn der ÖGB von Altersarmut und Pensionsraub spricht, dann nicht, um einen angemessenen Kampf dagegen zu organisieren, sondern vor allem, um sich und sein Bedürfnis nach Mitsprache bei der Reform zu legitimieren. Der ÖGB macht auch aus dem aktuellen Klassenkampf von oben keinen Anlaß zum Klassenkampf von unten, sondern vielmehr, wie üblich, eine Verfahrensfrage, eine Frage der sozialfriedlichen Abwicklung, eine Frage der Modalitäten seiner Zustimmung!

Als Einstieg in die Diskussion der Vorgangsweise des ÖGB ist eine Überlegung sehr brauchbar, die dem ÖGB bezeichnenderweise nur als nicht ganz ernst gemeinte "Trotzreaktion" in den Sinn kommt, falls sein konstruktives Engagement von der Regierung nicht ausreichend gewürdigt wird. Diese eigentlich sehr naheliegende Antwort auf die Regierungspläne geht so: "Die Gewerkschaft droht unterdessen mit härteren Lohnrunden, wenn die Regierung die Pensionsreform wie geplant durchziehe. Die Leute würden ja gezwungen werden, angesichts der Pensionskürzungspläne sich eine private Vorsorge zu finanzieren, so GPA-Chef Hans Sallmutter." (Kurier 20.5.) Ja klar, so macht es doch jeder normal kalkulierende Unternehmer. Wenn seine Unkosten steigen, dann schlägt er seine gestiegenen Kosten eben auf den Preis auf. Vorige Woche war im ORF-Teletext die Meldung zu lesen, daß die Transportwirtschaft Preiserhöhungen ankündigt, falls das angekündigte "road-pricing" tatsächlich in Kraft tritt – eine für Lkw zu entrichtende Benützungsgebühr für Autobahnen. Nachdem Transportkosten in so ziemlich jeden Warenpreis eingehen, hat die Wirtschaft eine allgemeine Preiserhöhung angesagt, auch wenn die Verursacher der höheren Kosten, in dem Fall der Staat, und diejenigen, die die Erhöhung letztlich tragen müssen, auseinanderfallen. Eine analoge Vorgangsweise wäre doch in Sachen Pensionen dringend angezeigt: Wenn die arbeitende Menschheit höhere Kosten hat, weil sie gezwungen ist, in Eigeninitiative nach dem Motto "Mehr privat, weniger Staat" mehr für die alten Tage anzusparen – vor zuviel Vertrauen in Aktien warnen inzwischen viele Experten –, dann muß sie eben den Preis für ihre Ware Arbeitskraft erhöhen, dann muß sie mehr einnehmen, um es auf die Seite zu legen. Was für alle anderen Verkäufer oder Anbieter gilt, warum sollte das nicht auch für die Arbeitnehmer gelten? Und wenn man bedenkt, daß das Krankwerden durch die angekündigten Selbstbehalte auch teurer wird, dann ergibt sich der nächste Aufschlag auf den Lohn, zusammengenommen also, sagen wir mal mindestens 20 Prozent. Falls "die Wirtschaft" nun zu bedenken gibt, daß sie solche Löhne nicht zahlen kann und selber nicht aushält, dann sollte man der Wirtschaft zu bedenken geben, daß sie damit die Systemfrage aufwirft: Wenn Arbeiter endlich einmal unternehmerisch denken und ihre gestiegenen Kosten weitergeben, dann hält das "die Wirtschaft" nicht aus? Ausgerechnet die Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums müssen also bei ständig steigender Produktivität der Arbeit mit immer weniger auskommen? Nun ja, im Kapitalismus schon, das ist offensichtlich. Kapitalismus funktioniert anscheinend so, daß nur die eine Klasse unternehmerisch denken darf, die andere auf keinen Fall.

Wirtschaftskammer-Präsident Leitl hat übrigens sofort zu erkennen gegeben, daß er dieses Kokettieren mit härteren Lohnrunden für nichts als Theaterdonner hält – er kennt eben seinen Sozialpartner!

Der Anspruch des ÖGB: Gemeinsam mit Reformern und "Pensionsräubern" gegen die Reform verhandeln!

Der Ausgangspunkt des ÖGB ist ein völlig anderer als der, die Belastungen seiner Mitglieder durch Lohnerhöhungen zu kompensieren oder dies wenigstens zu versuchen. Der ÖGB besteht darauf, an der kommenden Reform gebührend beteiligt zu werden, sozusagen nach dem Motto: Wenn schon Pensionsraub, dann nur über unsere Mitwirkung! Dabei will der ÖGB nicht einmal als betont einseitige Interessenvertretung für seine Mitglieder agieren, sondern gemeinsam mit der Wirtschaft und der Bundesregierung eine Pensionsreform entwerfen, die durch seine Beteiligung auch das Prädikat "echt" verdient. Es handelt sich um eine Gewerkschaft, die für das Recht der Unternehmer auf wirksame Mitsprache am "Sozialabbau" der Regierung kämpft! Es handelt sich um eine Gewerkschaft, die so tut, als würde sie gegen ihren geschätzten "Sozialpartner" von der Wirtschaft streiken wollen, damit sie dann in trauter Übereinstimmung mit diesem Sozialpartner und mit den "Pensionsräubern" von der Regierung über Pensionskürzungen verhandeln kann:

"Der ÖGB fordert die Bundesregierung erneut auf, gemeinsam mit den Sozialpartnern bis 30. September 2003 eine echte Pensionsreform auszuarbeiten, die das Umlagensystem und Solidaritätsprinzip bei den Pensionen weiterentwickelt." (18.5. auf http://www.oegb.or.at/sozialgerecht/)

"Weiterentwicklung" von Umlagesystem und Solidaritätsprinzip bedeutet, daß auch der ÖGB die zentrale Prämisse der Regierung akzeptiert, wonach die Pensionen für die verbrauchten Lohnabhängigen aus dem Lohn der gerade aktiv Beschäftigten zu bestreiten sind, indem ein Teil des Lohns vom Staat zwangskollektiviert und umverteilt wird. Das heißt "Umlagesystem" und "Solidaritätsprinzip" – die aktiven Lohnabhängigen müssen "solidarisch" die nicht mehr aktiven versorgen. Die verbreitete Redeweise vom Staat, der für die sozial Schwachen sorgen würde, war also immer schon verkehrt: Der Staat sorgt überhaupt nicht für die Proletarier, er zwingt sie, als Klasse für sich selbst zu sorgen, damit der Reichtum der anderen Klasse ungeschmälert wachsen kann. Er stellt ihnen also außer seiner Gewalt gar nichts zur Verfügung, und das als "Solidarität" zu feiern, hätte sich die Arbeiterbewegung längst sparen können. Indem der ÖGB diese "Eckpunkte" der Pensionsreform – Umlagesystem und Solidaritätsprinzip – akzeptiert, akzeptiert er auch prinzipiell, daß die Pensionen sinken müssen. Denn angesichts dessen, daß die verbrauchten Lohnabhängigen länger leben, angesichts dessen, daß der Lohnanteil am Bruttosozialprodukt insgesamt nicht steigen darf – weil der Lohn ein wesentlicher Faktor im Konkurrenzkampf der Kapitalstandorte ist, weil Beschäftigung und Lohn daher immer "flexibler" und unsicherer werden, weil in der Krise beides zusätzlich zurückgeht –, angesichts dessen ist auch für den ÖGB klar, daß der Erhalt der Älteren nach den bisherigen Modalitäten nicht mehr geht.

Deswegen, also weil der ÖGB im Prinzip das "Problem" genau so sieht wie die Regierung, meint er auch im Namen der Betroffenen ein Recht auf konstruktive Mitwirkung zu haben, und deswegen sind die ÖGB-Spitzen ehrlich empört über die Regierung, die wieder einmal die traditionellen sozialpartnerschaftlichen Sitten mißachten wollte, indem sie auf den Konsens mit der Gewerkschaft pfeift. In seinem Anspruch, die Regierung möge "gemeinsam mit den Sozialpartnern bis 30. September 2003 eine echte Pensionsreform auszuarbeiten", hat sich der ÖGB-Chef sogar öffentlich die Selbstverpflichtung auferlegt, sich mit der Unternehmerseite zu einigen; er hat dieser also faktisch ein Vetorecht gegenüber allen gewerkschaftlichen Forderungen eingeräumt; und er hat ebenso öffentlich für den Fall der Nicht-Einigung mit der "Wirtschaft" verkündet, seine Einwände gegen den Regierungsentwurf dann zu relativieren: Verzetnitsch hat "Kanzler Schüssel die Chance geboten, den Regierungsentwurf zurückzustellen und mit Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl gemeinsam ein Gegenkonzept aus einem Guss zu erarbeiten, das keinen Tag später in Kraft treten werde als ohnehin geplant: ‘Wenn wir (gemeint sind ÖGB plus Wirtschaft) nichts zusammenbringen, dann ist sein (Schüssels) Entwurf wieder am Tisch.’" (Verzetnitsch auf einem Runden Tisch der ZIB, zitiert im profil 20/03) Wenn es der Gewerkschaft nicht gelingt, sich mit der Wirtschaft über die Pensionen zu einigen, dann freie Bahn für den "Pensionsraub"? Das soll "Widerstand" gegen die Regierung sein?

Insofern sich der ÖGB so dogmatisch auf die Wirtschaftskammer als Bündnispartner festlegt, soll hier, wenn schon sonst nirgends – vor allem nicht bei den ewig enttäuschten und nun zeitweilig entzückten linken Anhängern des ÖGB –, die Position von Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl auch einmal zur Kenntnis genommen werden. Aus einer Stellungnahme der Kammer:

"Wirtschaftskammer Österreich-Präsident Christoph Leitl fordert weitere Maßnahmen für Selbständige und warnt den ÖGB vor weiteren Streiks.

... Die durchschnittliche Lebenserwartung ist seit 1970 um 8,3 Jahre gestiegen, zugleich haben sich die Pensionszeiten in diesem Zeitraum von 8,8 auf 20,3 Pensionsbezugsjahre mehr als verdoppelt. Christoph Leitl, Präsident der WKÖ: ‘An einer vernünftigen und gerechten Pensionsreform führt kein Weg vorbei. In diesem Sinn sind die Ministerratsbeschlüsse ein Schritt in die richtige Richtung. Übergebührliche Härten müssen aber noch abgeschliffen werden.’ Zuletzt konnte die Wirtschaft erste Entschärfungen erreichen, die vor allem auch Gewerbetreibenden zugute kommen." (15.05., http://portal.wko.at/)

ÖGB-Bündnispartner Leitl ist auf Regierungslinie: An einer Pensionsreform führt kein Weg vorbei, und die Regierungsvorlage ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch Leitl sieht in der steigenden Lebenserwartung den entscheidenden Grund für mehr politisch herbeizuführende Altersarmut, weil mehr Alte eben, bildlich gesprochen, vom selben Geld länger leben müssen. Um wieviel die Produktivität der Arbeit seit 1970 gestiegen ist, das kommt in der Darstellung von Leitl nicht vor – durchaus zu recht. Denn die steigende Produktivität ist im Kapitalismus ein Mittel des Kapitals, das u.a. im Form von "Rationalisierungen" gegen die Lohnarbeit eingesetzt wird, und diese Steigerung der Produktivität hat daher im Zusammenhang mit der Frage, wie viele aktive Arbeiter wie viele Rentner versorgen könnten, nichts verloren. Im Kapitalismus, wie gesagt, ist das so.

"... Zu möglichen weiteren gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen sagt Leitl klar: ‘Im Interesse des sozialen Friedens, der für jeden Betrieb wichtig ist, war und ist die Wirtschaft bereit, gemeinsam mit dem ÖGB ein Pensionsmodell für alle zu erarbeiten. Wenn die Gewerkschaften nun weiter und in möglicherweise verschärfter Form versuchen sollten, die von der Regierung vorgelegte Pensionsreform auf dem Rücken der unbeteiligten Betriebe zu Fall zu bringen und Unternehmen in Geiselhaft nehmen, dann überschreiten sie wesentliche Grenzen einer Partnerschaft, des sozialen Friedens und schaden Arbeitsplätzen und Betrieben.’" (15.05., http://portal.wko.at/)

Der ÖGB will also zusammen mit den deklarierten Reform-Befürwortern von der Wirtschaft gegen die Reform verhandeln! Und falls der ÖGB Betriebe bestreikt, um sein und der Wirtschaft Recht auf Mitsprache bei der Pensionsreform geltend zu machen, dann sieht sein Bündnispartner von der Wirtschaft dieses Bündnis in Frage gestellt. In dieser Position der Wirtschaftskammer sieht der ÖGB-Präsident offenbar kein Problem – und er muß es ja wissen. Es stellt sich also die Frage, was das soll. Denn es ist durchaus unangebracht, vom Mittel auf den Zweck zu schließen, also von daher, daß die Gewerkschaft über das Streiken zumindest redet, zu schließen, sie würde endlich etwas für die Interesse ihrer Mitglieder unternehmen. So einfach geht gewerkschaftlicher Aktionismus schon lange nicht mehr.

Zur Logik des gewerkschaftlichen Kampfes

Der ÖGB nimmt, wie jede Gewerkschaft, die ständigen Sorgen der "unselbständig Beschäftigten" mit dem Lohn und den Arbeitsbedingungen so, wie sie unmittelbar anfallen: als Resultat unternehmerischer Entscheidungen. Ein gewerkschaftlicher Zusammenschluß versucht nun, diese Entscheidungen zu beeinflussen, sie nicht allein dem Betrieb zu überlassen, um auch die Interessen der Beschäftigten zur Geltung zu bringen. "Mitbestimmung" als anerkannter Verhandlungspartner im Unternehmen und später auch im Staat, das ist der Inbegriff des gewerkschaftlichen Handelns. Und über dem Erfolg, als anerkannter "Partner" die "Arbeitswelt" mitgestalten zu dürfen, hat eine erfolgreiche Gewerkschaft wie die österreichische eine bemerkenswerte Erfahrung gemacht: Daß leider ihr Ausgangspunkt falsch ist, daß ihre Annahme von der unternehmerischen "Übermacht" als entscheidender Grund für die Sorgen und Nöte der Belegschaften nicht stimmt. Es liegt nämlich gar nicht an unternehmerischer "Willkür" oder an der autokratischen "Herr im Haus"-Mentalität von Betriebsführern, daß es Arbeiter mit ihrer Arbeit "zu nichts bringen", wie der Volksmund weiß, sondern es liegt schon am Zweck der Produktion, daran, daß nicht für die Bedürfnisse, sondern für den Markt produziert wird. Ganze Generationen von Betriebsräten, speziell in der Verstaatlichten Industrie, haben gelernt, daß des Grundbedürfnis jedes Unternehmens, für das Arbeiter angeheuert werden – viel Anstrengung für wenig Geld –, garantiert nicht der Spinnerei eines habgierigen und kaltherzigen Fabrikbarons geschuldet ist, sondern daß so und nur so der Erfolg des Unternehmens zu haben ist, von dem jenes hohe Gut abhängt, auf das ein Proletarier existentiell angewiesen ist: der Arbeitsplatz. Betriebsräte haben gelernt, daß Entlassungen nötig sind, wenn sich eine Belegschaft nicht rentiert, selbstverständlich im Interesse der verbleibenden Arbeitsplätze. Sie haben gelernt, daß sogar der kollektivvertragliche Lohn manchmal zu hoch ist für das, was der Markt an Erträgen hergibt, so daß der Kollektivvertrag "geöffnet" werden muß und darf, für untertarifliche Bezahlung – aber nur nach Prüfung und Zustimmung des Betriebsrates! Gewerkschafter haben gelernt, sich einen Popanz aufzubauen, gegen den sie mit Entschiedenheit zu kämpfen behaupten: Dieser Popanz heißt "Unternehmerwillkür", und einer Willkür würde ein gestandener Betriebsrat nie nachgeben, weil ihm nur dann Sachen einleuchten, die auf Kosten der Belegschaft gehen, wenn sie wirklich für den Erfolg des Unternehmens nötig sind. Der gewerkschaftliche Standpunkt faßt sich schlüssig im beliebten Vorwurf "Mißmanagment" zusammen, der eben nichts anderes ausdrückt als den festen Glauben an die Vereinbarkeit von Unternehmer- und Arbeiterinteressen, wenn, ja wenn das Management seine Aufgaben ordentlich erledigen würde; die Banalität, daß auch Entlassungen und Betriebsstillegungen zu den ordentlichen Aufgaben eines erfolgreichen Managements gehören, kann ein Gewerkschafter im Grund genommen einfach nicht glauben. Anders ausgedrückt: Wenn Gewerkschaft und "Mitbestimmung" angesagt ist, sind damit und deswegen eben alle Zwecke, Notwendigkeiten und Gesichtspunkte, an denen mitgewirkt werden darf, anerkannt. Wer in einem kapitalistischen Betrieb mitbestimmen darf, darf eben bei dessen Zweck – Produktion für Markt und Geld – mitbestimmen, er darf bei der Behandlung der Belegschaft als Mittel für diesen Zweck mitbestimmen.

Eine ähnliche Mitbestimmungskompetenz ist dem ÖGB im Staat zugewachsen, vor allem bei der Sozialpolitik. Wieder gilt: Wer mitbestimmt, bekennt sich zum System und dessen Prioritäten: Daß Lohnarbeiter von der Hand in den Mund leben und deswegen vor dem Nichts stehen, wenn sie nicht arbeiten können, also bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und sobald sie endgültig verschlissen sind – von der Gewerkschaft abgehakt. Daß die einzige Perspektive die des Sozialstaates ist, daß also nur durch Umverteilung des Lohns innerhalb der Klasse der "Unselbständigen" die ständig drohende Existenzgefährdung hintangehalten werden kann – akzeptiert. Daß die Steuereinnahmen für wichtigeres da sind als für die Armen – ohnehin klar. Daß die Gesundheit der Staatsfinanzen manches "Sparpaket" auf Kosten der arbeitenden Menschheit erfordert – oft genug akzeptiert. Geradezu entlarvend wird oft das wirklich wichtige Resultat gewerkschaftlicher Mitbestimmung erläutert: Das ist nicht der Wohlstand der Arbeitnehmer – in der Tat, denn wer wirklich im Wohlstand lebt, verkraftet auch eine Pensionsreform! –, sondern das ist der soziale Friede als wichtiger Standortvorteil.

Seit einigen Jahren, speziell seit der schwarz-blauen Koalition wird dem ÖGB nun seine Mitbestimmungs-Kompetenz bestritten. Nicht, weil die Gewerkschaft ihr berühmtes Verantwortungsbewußtsein zugunsten einseitiger und radikaler Interessenvertretung aufgegeben hätte, sondern umgekehrt: Die Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter gilt unabhängig von den Resultaten als Bremse beim rücksichtslosen Klassenkampf von oben gegen bisherige soziale Arrangements. In Deutschland beispielsweise verlangen Teile der Öffentlichkeit von der SPD-geführten Regierung die gezielte Demütigung und Brüskierung der Gewerkschaften, als Beweis der Entschlossenheit und Glaubwürdigkeit Schröders bei der "Sanierung" Deutschlands: Alles, was ein Gewerkschafter gerade noch und zähneknirschend mittragen kann, ist dort definitionsgemäß keine richtige Reform. Ähnlich geht es dem ÖGB: Auch hierzulande legt die Regierung Wert auf Rücksichtslosigkeit – "speed kills" heißt der Slogan –, und darauf, daß auf den berühmten Konsens neuerdings geschissen ist. Die Gewerkschaft ist also genötigt, um ihre bisherige Position als "Sozialpartner" der Regierung zu kämpfen; sie muß sich rabiat gebärden, nur um sich der Regierung weiterhin als Partner aufzudrängen, um diese zu ihrem Glück zu zwingen, das im verantwortungsvollen Mitwirken einer Gewerkschaft besteht. Bei diesem Anliegen ist dem ÖGB-Chef ein geradezu genialer Einfall unterlaufen: Er kämpft gar nicht einseitig für sich und sein Recht auf weitere Beteiligung an den Staatsgeschäften, sondern er kämpft für die gemeinsame Berücksichtigung von Wirtschaftskammer und Gewerkschaft. Durch dieses Eintreten für den von "der Wirtschaft" vertretenen kapitalistischen Sachverstand liefert er den Beweis ab, daß es sich beim "Kampf" des ÖGB wirklich nicht um die passende Antwort auf den Klassenkampf von oben handelt, sondern um den Antrag, die bisherigen sozialpartnerschaftlichen Modalitäten der Entscheidungsfindung in Sozialfragen beizubehalten. In den einschlägigen Debatten an den runden Tischen besteht der bisherige Erfolg der Gewerkschaft.

Die konkreten Forderungen, für die es aus Sicht des ÖGB seine Mitwirkung braucht und an deren Respektierung von Seiten der Regierung er umgekehrt die weitere Geltung seines Status’ als anerkannter Sozialpartner festmacht, sehen dementsprechend aus. Es geht nicht um die Verhinderung der Pensionssenkung, sondern um deren Gestaltung. Die maßgeblichen Stichworte lauten "überfallsartig und kurzfristig" bzw. "Harmonisierung". Weil der ÖGB das Prinzip der Reform – Länger arbeiten und danach weniger Geld – akzeptiert, muß er Übergangsregelungen verlangen, damit seine Mitglieder sich auf die kommenden Härten einstellen können, er muß also gegen die "kurzfristige" Abschaffung der Frühpension und gegen "überfallsartige" Pensionskürzungen Einspruch erheben, sowie eine Begrenzung der Verluste fordern. Und mit dem Antrag auf "Harmonisierung der Pensionssysteme" begibt sich dieser Verein auf das weite Feld des Neides und der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit und des Neides: Konstruktive Vorschläge, wie der Staat bei Politikern und Beamten, bei Selbständigen und Bauern, bei Ruheständlern und sonstigen "Privilegierten" Geld einbehalten könnte, die nutzen den geschädigten ÖGB-Mitglieder zwar in materieller Hinsicht einen Dreck, sie bedienen aber ohne Zweifel den Neid und den Gerechtigkeitssinn der Basis, und sie beweisen die Unverzichtbarkeit gewerkschaftlicher Mitwirkung.

Eine Nachbemerkung

Der letzte größere Streik in Österreich, der diesen Namen verdient, ist bekanntlich schon länger her. Es handelt sich um den "Oktoberstreik" des Jahres 1950, auch gern als "Kommunistischer Putschversuch" denunziert. Damals hat die Regierung einen von Teilen des Proletariats sehr ernst gemeinten Lohnkampf als Angriff auf sich und auf ihr Projekt des kapitalistischen Wiederaufbaus interpretiert, also als "Putsch". Die KPÖ, die diesen Streik damals unterstützt hat, hat übrigens bis heute nicht verstanden, daß und warum ein kompromißloser Lohnkampf von einer Staatsführung als Anschlag auf sich und auf ihre Macht genommen und bekämpft wird. Statt zur Kenntnis zu nehmen, daß der Staat zwar über den Klassen steht, deswegen aber noch lange nicht neutral ist und dem Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit sicher nicht einfach seinen Lauf läßt, ist die KPÖ mehr mit dem Dementi beschäftigt: Nein, einen "Putsch" habe sie nie im Sinn gehabt, was stimmt – womit sich die Partei aber in erster Linie weiter ignorant gegen das Faktum stellt, daß ein rücksichtsloser Lohnkampf tatsächlich ein politischer Kampf gegen den Staat und die von ihm organisierte Marktwirtschaft ist. Wie dem auch sei, anschließend wurde im ÖGB, dessen Bau-Holz-Gewerkschaft die Streikbewegung auseinandergeprügelt hatte, eine bemerkenswerte Selbstkritik geäußert: Die Gewerkschaft selbst habe durch ihre Agitation während der Verhandlungen über das damals anstehende Lohn-Preis-Abkommen überzogene Erwartungen gefördert, so daß sich die Basis wegen dieser vom ÖGB selbst geschürten Hoffnungen verarscht fühlen mußte – verarscht vom ÖBG und vom üblichen "verantwortungsvollen" Verhandlungsergebnis. Worauf die Basis, nicht ganz unverständlich, mit dem Streik reagierte. Das, so die damalige Lehre, dürfe dem ÖGB nicht noch einmal passieren.