GEGENARGUMENTE

Was man aus den US-Schutzzölle auf Stahlimporte über den internationalen Handel lernen kann

Anfang März heurigen Jahres verfügte der amerikanische Präsident die Einhebung von bis zu 30%-igen Schutzzöllen auf Stahlimporte in die USA, was diesseits des Atlantik zu heller Empörung führte:

""Der internationale Stahlmarkt ist nicht der wilde Westen"; Mit so markigen Worten reagierte EU-Wettbewerbskommissar Pascal Lamy auf die Verhängung von Strafzöllen gegen Importstahl durch US-Präsident George W. Bush."(Die Presse, 7.3.02)

Dass es sich hier um ungerechtfertigte Strafzölle für ‚unsere‘ guten, konkurrenzfähigen Produkte handelt, da sind sich Wirtschaftsbosse, Politik und Öffentlichkeit einig. Die Europäer werfen den Amerikanern einen "protektionistischen Sündenfall" vor. Ausgerechnet sie verstießen aus nationalem Egoismus gegen den Grundwert ‚Freier Welthandel‘, den sie sonst immer offensiv gegen alle anderen Staaten verfochten haben. Mit diesem Vorwurf tun die Europäer so, als ob dieses amerikanische Handeln nicht mit den ansonsten geltenden Zielen und Gepflogenheiten des Welthandles im Einklang stünde. Dabei ist gerade diese Aktion der USA wieder einmal ein Lehrstück dafür, wie im internationalen Handel gerechnet wird, dass insbesondere beim amerikanischen Beschluss keinesfalls von einem protektionistischen Sündenfall die Rede sein kann, dass vielmehr - entgegen allen anderslautenden Behauptungen - ein freier Welthandel ohne Protektionismus gar nicht zu haben ist.

Der amerikanische Beschluss widerlegt nämlich blitzartig die schönen Ideologien über die allseitige Wohlstandsmehrung durch Handel. Es tröstet die USA offenbar nicht, dass sie sich durch Import den guten, preiswerten Stahl angeeignet haben, dass andere Völker ihnen das Produkt ihrer Arbeit überlassen und dafür nur den Dollar bekommen haben. Da sieht man, was es heißt, dass der Gebrauchswert im Kapitalismus nur Mittel des Gelderwerbs ist und nicht der Zweck der Produktion. Für die Unternehmer sind die Produkte der ganzen Welt ein Angebot, möglichst billige Rohstoffe und Vorprodukte einzukaufen, damit sie beim Verkauf ihrer daraus hergestellten Waren einen möglichst hohen Überschuss erzielen. Für sie lohnt sich daher jeder Kauf und Verkauf, wenn sie nur Mittel zur Gewinnerzielung sind. Anders schaut die Sache für die Staaten aus: Für sie ist der gleichgewichtige Tausch von Geld und Ware nicht so gleichgewichtig - per Saldo mehr ans Ausland verkaufen ist in der Sichtweise von Staaten seliger denn im Ausland kaufen. Denn am Jahresende wird Bilanz gezogen - Wenn die Unternehmen der eigenen Nation mehr an die Unternehmen im Ausland verkauft haben als sie im Ausland eingekauft haben, dann ist die Handelsbilanz positiv, und das macht die Nation reich; das umgekehrte Verhältnis, eine negative Handelsbilanz, macht sie arm.

Deshalb stimmt es auch nicht, dass alle marktwirtschaftenden Gemeinwesen dadurch reicher werden, dass jedes Volk das produziert, was es am besten und billigsten herstellen kann, und dann alle die preiswerteste Weltmarktware kaufen. In den konkurrenzfähigen Exportnationen wird nämlich fast alles billiger hergestellt als anderswo – diese Länder können dann immer mehr verkaufen, als sie einkaufen müssen, andere müssen immer mehr kaufen, als sie verkaufen können, und können das deshalb immer weniger. Der Saldo aller Käufe und Verkäufe macht sich dann in den Handels- und Zahlungsbilanzen als Überschuss oder als Defizit bemerkbar. In der Bilanz stellt ein Staat dann fest, ob sich in seinem Land das Geld der Welt sammelt oder Zahlungspflichten.

Die USA haben allerdings das Problem mit negativen Handels- und Zahlungsbilanzen nicht, das sieht man ja schon daran, dass sie seit Jahren mit Zahlungsbilanzdefiziten prächtig leben können. Sie verfügen nämlich mit dem Dollar über die einzige Währung, die weltweit als Zahlungsmittel anerkannt ist und können daher ihre Defizite beinahe schrankenlos mit eigenem Geld ausgleichen. So lassen sie sich ihre Defizite vom Rest der Welt mit einem geradezu unkündbaren Kredit finanzieren. Die anderen Nationen sind nämlich auf Dollar-Guthaben erpicht, da diese für sie die wichtigsten Devisenreserven sind.

Die sogenannten "Strafzölle" auf Stahlimporte erklären sich daher im Falle der USA nicht daraus, dass sie Nöte mit ihrer internationalen Zahlungsfähigkeit hätten. Der Grund für die protektionistische Maßnahme liegt vielmehr in der Eigenart des Stahlsektors: Mit den neuen Zöllen verteidigt die amerikanische Supermacht eine industrielle und militärische Grundstoff-Industrie, bei der kein Staat von weltpolitischem Gewicht sich durch niedrige Importpreise dazu verführen lässt, in Abhängigkeit von auswärtigen Lieferanten zu geraten. Schon gleich nicht Amerika, das im Namen der Bekämpfung des Terrors gerade ein gigantisches Rüstungsprogramm auflegt und einen langjährigen Krieg gegen die letzten Feinde seiner Weltordnung in Angriff nimmt.

Staaten rechnen also in jedem Fall anders als private Exporteure und Importeure, die den Umkreis ihrer Geschäfte über den nationalen Markt hinaus ausdehnen ausschließlich um ihre Gewinne zu vergrößern. Auch Staaten wollen die Ausdehnung der Geschäfte, auch sie wollen die Nutzung günstiger Importware, schon wegen der Konkurrenzfähigkeit ihrer Exporteure. Aber die nationale Bereicherung die aus dem internationalen Handel selbst entspringt ist einseitig; nur eine Seite kann eine positive Bilanz haben. Die Benutzung fremder Länder durch grenzüberschreitenden Handel geht bei durchschlagendem eigenen Erfolg auf deren Kosten – und umgekehrt. Deshalb sind dieselben Staaten, die den Welthandel wollen und fördern, stets damit beschäftigt, diejenigen politischen Korrekturen, d.h. Verfälschungen des internationalen Preis- und Produktivitätsvergleichs zu verordnen, mit denen sie ihren einseitigen Vorteil aus der heiklen Benutzung fremder Märkte sichern. Der Welthandel ist daher eine durch und durch politisch-gewaltsame Angelegenheit und nirgendwo ein staatliches Zulassen und Zuschauen, was denn die privaten Kapitale so treiben. Alle Staaten der Welt wollen möglichst viel Liberalisierung – bei den anderen Staaten, damit ihre Geschäftsleute dort möglichst viel Devisen verdienen. Umgekehrt behalten es sich alle Staaten bei dauerhaft negativen Handelsbilanzen vor, mit Hilfe ihrer politischen Macht ausländischen Geschäftsleuten das Geschäft durch Zölle zu verderben. Staaten sind immer Freihändler und Protektionisten zugleich.

Die sogenannte "Liberalisierung des Welthandels" ist also ein konfliktvolles Geschäft und eine imperialistische Machtaffäre: Jede Regierung fordert einerseits von der anderen, sie solle die Hindernisse abbauen, die ihren Unternehmern auf dem anderen Markt Geschäftserfolge verbauen; jede Handelsnation hält andererseits die Zoll- und anderen Schranken, die sie zum Schutz ihrer Bilanzen und zum – vorläufigen – Schutz unterlegener nationaler Industrien erlässt, für absolut unverzichtbar. Die Wahrheit der Handelsdiplomatie ist das Feilschen darum, dass der eine Staat auf einen Schutzzoll eventuell verzichten würde, wenn der Partnerstaat auf einem anderen Feld den Zoll zurücknähme, auf dem sich der erstere eine Überlegenheit seiner Exporteure ausrechnet. Liberalisierung fordert jeder vom anderen; unter dieser Parole wird um den Protektionismus gefeilscht, den ein jeder Staat für sich für notwendig hält – denn kein Staat ist ein unbedingter Anhänger unkontrolliert offener Märkte.

Es versteht sich übrigens, dass in das diplomatische Ringen um Zölle und Zollabbau das allgemeine wirtschaftliche, politische und militärische Gewicht einer Nation eingeht: Welches Land hat welche Konzessionen nötig, welches Land kann sich Ausnahmen herausnehmen usw. Damit steht allerdings das Ergebnis nicht von vornherein fest, liegt es doch in der Freiheit eines Staates, sich einer Erpressung zu verweigern, lieber den Abbruch von Verhandlungen in Kauf zu nehmen, als sich zu weiteren Zugeständnissen bereit zu finden. Insofern ist klar, dass diese "Liberalisierung des Welthandels", die wechselseitige "Öffnung" der Märkte, zwar im Ausgangspunkt gemeinsames Interesse der Staaten ist, dass bei der tatsächlichen Durchführung aber jederzeit der Übergang zu einem unkontrollierten Hauen und Stechen, zu einem Wirtschaftskrieg eben, sehr real im Hintergrund lauert.

Anlässlich der Einführung von Strafzöllen auf Stahlimporte nach den USA etwa warnte auch Minister Bartenstein "vor einer Eskalation, die zu einem Handelskrieg führen könnte."(Die Presse 6.3.02) und EU-Wettbewerbskommissar Pascal Lamy kündigte schon am Tag nach dem amerikanischen Beschluss den Gang zur WTO an:

"Die EU selbst wird, so Wettbewerbskommissar Pascal Lamy, bei der Weldhandelsorganisation WTO in Genf Beschwerde einlegen und überlegt ihrerseits Sanktionen gegen Importe aus den USA. Außerdem werden sich die EU mit anderen betroffenen Ländern wie Japan, Korea, China und Brasilien über weitergehende Maßnahmen verständigen, sagte Lamy." (Die Presse, 7.3.02)

Bei der WTO handelt es sich dabei keineswegs, um eine Art überstaatlicher Schieds- und Regulierungsbehörde, mit der Aufgabe, über den wechselseitigen Nutzen der beteiligten Nationen beim weltweiten Kaufen und Verkaufen zu wachen und gegen ruinöse Konkurrenzpraktiken einzelner Staaten vorzugehen. Die WTO ist eher das Gegenteil davon. Sie ist zunächst einmal die Agentur und die Streitbühne des feindlichen Gegensatzes, der mit dem Handel und der politischen Korrektur der Handelsströme zur Sicherstellung der nationalen Bereicherung gegeben ist. Staaten vereinbaren bestimmte Handelskonditionen – und sie versprechen, sie nicht mehr einseitig zu verändern. Der Bedarf für diese Zusicherung kommt daher, dass die Handelsstaaten dauernd Gründe haben, Genehmigungen zurückzunehmen und Konditionen zu verändern. Die WTO erhebt Handelskonditionen zu multilateralen internationalen Verträgen. Damit schaut es fast so aus, als ob die Mitgliedsstaaten gar nicht mehr frei wären, ihr handelsmäßiges Rein und Raus festzulegen und zu korrigieren; und als ob das Recht auf die Benutzung fremder Märkte ein unwiderruflicher Besitz der Konkurrenznationen wäre, der gilt und befolgt werden muss völlig ohne Rücksicht auf den Schaden, der einem benutzten Land daraus erwächst. Die WTO formuliert das Ideal, dass die Staaten sich dem Welthandel unterzuordnen hätten und nicht mehr nach ihrem Vorteil und Gutdünken an grenzüberschreitendem Verkehr zulassen und verbieten, was sie wollen. Wohlgemerkt, das ist das Ideal der WTO, nicht ihre Wahrheit: Denn erstens wird in der WTO halbwegs gleichrangig nur zwischen den USA, der EU und Japan gestritten – der ganze Rest der Welt muss sich die Handelsregeln bieten lassen, die zwischen diesen kapitalistischen Zentren ausgemacht werden. Und zweitens gelten die Pflichten und Regeln der WTO so lange, wie die beteiligten Nationen von Gewicht sie gelten lassen wollen.

Die USA vertreten sogar seit den ersten Tagen der Welthandelsorganisation, dass sie sich deren Regeln nur unterordnen, solange sie ihnen nützen. Jetzt kündigen sie eben ihr Versprechen, was den Stahlimport betrifft. Und sie behaupten noch nicht einmal unter Berufung auf geltende WTO-Regeln, dass sie sich nur gegen "unfaire", d.h. WTO-regelwidrige Geschäftspraktiken ihrer Handelspartner, etwa Dumping, wehren würden. So wird etwa der Staatssektretär Grant Aldonas im US-Hindelsministerium in der Presse vom 13.3.02 folgendermaßen wiedergegeben:

"Aldonas bekräftigte damit die Auffassung, daß die US-Witschaft aufgrund ihres stärkeren Wachstums und des damit festen Dollars das Ziel unverhältnismäßig hoher Exporte sei"(Die Presse, 13,3.02)

Statt sich um ein eigenes Wirtschaftwachstum zu bemühen und so dem amerikanischen Kapital Geschäftsgelegenheiten zu eröffnen profitieren die Europäer einfach am amerikanischen Wirtschaftswachstum. Das darf so nicht sein.

Insofern ist die Ankündigung neuer Schutzzölle durch die USA zugleich die Ankündigung, dass sie es künftig "einseitig" von ihrem Interesse abhängig machen wollen, wie weit sie sich an WTO-Regeln halten wollen. Das ist es, was die europäische Öffentlichkeit mit dem Vorwurf "Sündenfall" meint. Die Supermacht, die gerade die ganze Welt kriegerisch neu ordnet und ihre verbliebenen Feinde vernichtet, macht deutlich, dass sie sich von Handelsverträgen nicht binden lässt, verlangt aber von ihren Partnern, dass diese durch Verträge selbstverständlich weiterhin gebunden bleiben. Wie in Fragen der weltpolitischen Rechte und der Bewaffnung nehmen die USA auch im Kampf um den Reichtum der Welt, im Handel, eine Ausnahmestellung in Anspruch – und sie verlangen, dass die Konkurrenznationen sich damit abfinden. D.h. diese Konkurrenten sollen Regeln akzeptieren, die der Supermacht einseitige ökonomische Vorteile garantieren und zementieren. Sicherlich: Daran leiden europäische Imperialisten – wenn sie sich aber als Hüter und Wahrer von WTO-Regeln aufspielen und sich deswegen "empört" geben, geben sie nur ihre Nachrangigkeit zu Protokoll. Diese geheuchelte "Empörung" sollte man ihnen nicht abkaufen.

Und die Bürger? Anstelle eines Fazits!

Die Bürger Amerikas, Europas und Japans sind es mittlerweile gewohnt, das grenzüberschreitende Kaufen und Verkaufen für alternativlos und normal zu halten. Selbst die Globalisierungkritiker von ATTAC sagen öffentlich: Sie seien keine Feinde des Handels, denn sie tränken selbst gerne Kaffee und liebten Südfrüchte. Man muss sich klarmachen, dass der Welthandel nicht den Zweck – und deshalb auch nicht das Ergebnis – hat, dass Gebrauchswerte von dem Ort ihrer Entstehung an den Ort des Bedarfs gelangen. Kaffee wird nicht importiert, weil wir ihn gerne trinken, sondern weil und wenn sich damit – von Privateigentümern – Geld machen lässt. Unsere Versorgung mit früher mal so genannten "Kolonialwaren" ist das Abfallprodukt der Profitmacherei. Wo der Import dafür nicht taugt, fällt er eben aus. So war das mit den Bananen in der ehemaligen DDR, weil damit kein Geschäft zu machen war; so ist das heutzutage mit Aids-Medikamenten im südlichen Afrika, weil die Kranken kein Geld dafür haben. Das aber liegt am Zweck der kapitalistischen Kaufens und Verkaufens – und nicht am Unterschied des einheimischen gegenüber dem grenzüberschreitenden Tausch. Dass der globalisierte Kapitalismus den Menschen im Norden und Süden schlecht bekommt, sollte niemanden zu einem Plädoyer für einen beschränkten, abgeschotteten Nationalkapitalismus verführen, in dem dann genau so gerechnet wird – nur ohne Kaffee und Südfrüchte. Nötig wäre es, – im Inland und weltweit – die Unterordnung der Versorgung unter die Geldvermehrung abzuschaffen. Dann wäre es auch keine Schwierigkeit, die Menschen noch in den entferntesten Regionen mit Südfrüchten und Medikamenten einzudecken.