GEGENARGUMENTE

Wenn der Kurier seinen Lesern die Wirtschaft erklärt ....

Die Wirtschaftsredaktion des Kurier ist - wie auch die der übrigen Tageszeitungen - ständig damit beschäftigt, der Politk abzulauschen, was sie wirtschaftspolitisch jeweils gerade wieder vorhat, welche wirtschaftlichen Themen sie auf die Tagesordnung setzt und wie sie diese ihre Taten gesehen wissen will. Mit dem, was die Damen und Herren Redakteure dabei in Erfahrung bringen, füllen sie Tag für Tag die Zeitung. Sie kommentieren und beurteilen all das, was die Politik tut, nach einem ebenso einfachen wie parteilichen Schema: "Gelingt der Politik das, was sie sich vorgenommen hat?". In Gestalt der an diese Frage anschließenden Überlegungen und Abwägungen, der Darstellung der Fürs und Widers, kurz der Wiedergabe des demokratischen Meinungsstreites, dem sie damit selbst zu einem guten Teil erst den richtigen Schwung geben, bringen die Zeitungen ihren Lesern die von der Politik auf die Tagesordnung gesetzten Belange und die Standpunkte näher, die sie sich zu Herzen nehmen sollen. Was nicht von Bedeutung ist, welche Interessen nicht berücksichtigt werden können, ist damit auch gleich mitentschieden.

Wenn etwa die Regierung die Pensionen kürzt, wird nicht der Frage auf den Grund gegangen, warum es denn in einer reicher werdenden Gesellschaft - in einer Gesellschaft, deren Wirtschaft wächst - eine Kürzung der Überlebensmittel der Alten braucht. Dass das so ist, steht für den Kurier mit dem diesbezüglichen Beschluss der Politik fest. Er macht sich stattdessen zum Anwalt von Sorgen wie: "Ist die Reform gerecht?"; "Ist die Reform auch eindringlich genug?"; "Ist die Regierung auch stabil genug oder fällt die FPÖ wieder einmal um?".

Oder, wenn die Politik eine Steuerreform auf die Tagesordnung setzt, wird der Kurier-Leser aufgefordert, mit Spannung zu verfolgen, ob sie kommt oder nicht, ob sich die Regierungsparteien einigen können oder ob nicht vielleicht doch die Regierung über dieser Frage zerbricht. Und mit der Politik soll er über den richtigen Zeitpunkt für eine Steuerreform nachdenken.

Auf dieses, sein eigenes Alltagsgeschäft, seiner Leserschaft die Probleme der Nation näherzubringen, bezieht sich der Kurier mit seiner Serie "So funktioniert Wirtschaft", nachzulesen im Kurier vom August und September heurigen Jahres. All das, was in der täglichen Berichterstattung dem Leser ans Herz gelegt wird, soll er durch diese Serie besser verstehen können. Bei seinen Erklärungen der – wie der Kurier das nennt - "Grundlagen des materiellen Daseins" nimmt er Anleihe bei der Wissenschaft von der Ökonomie. Was von solchen der herrschenden Volkswirtschaftslehre entnommenen und an den Universitäten gelehrten Begriffen und Gesetzmäßigkeiten zu halten ist, das wollen wir in unserer heutigen Sendung klären. Dazu möchten wir folgende Teile der Kurierserie einer Würdigung unterziehen:

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP)

Keine öffentliche Diskussion über Wirtschaftspolitik kommt ohne den Verweis auf das BIP – das Bruttoinlandsprodukt - bzw. auf das Sozialprodukt aus. Es taugt zur Illustration des jeweils eingenommenen Standpunkts im politischen Streit. Der voraussichtliche zu geringe Anstieg des BIP erlaubt keine höheren Lohnzahlungen, das BIP wächst zu wenig, um für einen Abbau von Arbeitslosigkeit zu sorgen, die Neuverschuldung des Staates darf 3 % des BIPs nicht übersteigen, die Prokopfgröße des Sozialprodukts macht uns klar, wie leistungsfähig wir sind usw. Für die wissenschaftliche Solidität dieses so üppig gebrauchten politischen Kampfbegriffes steht die Volkswirtschaftslehre, die das Sozialprodukt zu einer "zentralen wirtschaftlichen Größe" erklärt, weshalb auch der Kurier nicht zufällig seine Serie "So funktioniert Wirtschaft", seine Einführung in volkswirtschaftliche Grundkenntnisse, mit diesem Begriff beginnt:

"Im Waldviertel schnürt ein Bauer einen Sack Getreide zu, in Wien hat ein türkischer Friseur eben sein Werk vollendet, bei der Voest gießt ein Arbeiter gerade Stahl. Der Sack Getreide kostet am Markt 20 Euro, die Frisur 30 und die Stahleinheit 100 Euro. Die drei Personen haben Waren und Dienstleistungen im Wert von 150 Euro produziert. Rechnet man nun alle im Zeitraum von einem Jahr in Österreich hergestellten Güter und Dienstleistungen zusammen, ergibt sich so das Bruttoinlandsprodukt (BIP)"

Was ist das Bruttoinlandsprodukt? Man nehme alle Güter und Dienstleistungen, zähle ihre Marktpreise zusammen - und siehe da, die Summe dieser Addition ist das Bruttoinlandsprodukt. Ganz selbstverständlich soll man davon ausgehen, dass das eine vernünftige Operation ist. Bloß: Warum soll man denn schlechthin alles, was produziert und gedienstleistet wird, zusammenzählen - noch dazu zu den jeweiligen Marktpreisen? Die Erzeugung landwirtschaftlicher und sonstiger Produkte, Friseur- und sonstige Dienstleistungen erfolgen doch gar nicht durch ein Unternehmen namens Österreich. Die Überlegenheit der Marktwirtschaft soll doch gerade darauf beruhen, dass sie ein Eldorado voneinander unabhängiger privater Interessen ist und keineswegs eine einzige große Fabrik. Und diese privaten Interessen haben alles andere vor als einen gemeinsamen Wirtschaftskuchen zu backen. Der Betreiber eines Friseurladens hat nicht im Sinn, dass in Österreich allgemein viel mit Frisieren und Haare schneiden verdient wird, er will, dass man sich in seinem Laden einfindet, damit er möglichst viel verdient und das heißt noch allemal, dass andere Friseurläden seine Konkurrenten sind, denen er Kunden und damit Geschäft streitig macht. Und auch in den Stahl- und sonstigen Fabriken wird nicht gemeinsam das Sozialprodukt gesteigert, sondern auch hier gilt es, dem jeweiligen Konkurrenten Marktanteile wegzunehmen. Die Steigerung ihrer Konkurrenzfähigkeit betreiben sie durch stetige Kostensenkung, was gleichbedeutend damit ist, dass sie aus den Leuten, die sie beschäftigen, immer mehr und produktivere Arbeit herausholen, damit sie insgesamt weniger Leute beschäftigen und weniger Löhne bezahlen müssen. Tatsächlich geht es um das Geschäft, die Vermehrung des in diverse Operationen gesteckten Kapitals, und dieses Erfolgskriterium lebt nicht nur von der Unterscheidung in Nutznießer und Benutzte, und hat sein Maß auch nicht in der Produktion von möglichst vielen Gütern - ausgerechnet wenn es viel davon gibt, machen diese sich ab und an als Überproduktion störend bemerkbar. Bauern kriegen sogar Stilllegungsprämien dafür, dass sie ihr Land nicht bewirtschaften. Lächerlich also die Vorstellung es ging um die Herstellung eines gemeinsamen Wirtschaftskuchens.

Während also in der Welt der Konkurrenz zwischen Kapitalisten, einer Welt des Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit niemand so schnell darauf verfällt, seine Einkünfte mit denen anderer zusammenzurechnen und sich dann einzubilden er wüßte jetzt darüber Bescheid, wie reich er ist, werden im Bruttoinlandsprodukt der Anbau von Getreide, die Produktion von Stahl, Autos und anderen Gütern sowie Haarschnitte und sonstige Dienstleistungen jeglicher Art wie jene von Bankbediensteten, Immobilienmaklern usw. unterschiedslos als eine Manier gewürdigt, nationalen Reichtum zu erzeugen. Selbst Polizisten, Politiker, Soldaten, und sogar Pfaffen wird in heutigen modernen Zeiten ein zu addierender produktiver Dienst nicht abgesprochen, auch wenn der genannte Personenkreis nicht Reichtum schafft sondern verbraucht und selbst wenn dies nicht ohne die Erfindung ausgesprochener Kunstprodukte abgeht: Ordnung, Legitimität, Sicherheit, Trost usw.

Schlechterdings alles, was die kapitalistische Gesellschaft für ihren Betrieb für notwendig erachtet, gilt eben deshalb für moderne Wirtschaftswissenschaftler auch als wirtschaftliche Tätigkeit, der sie die Anerkennung, zum in der Gerüchteküche der Volkswirtschaftslehre entstandenen Backwerk namens "Wirtschaftskuchen" beizutragen, nicht versagen möchten.

Die Unsinnigkeit der Kategorie BIP ist auch an der Art und Weise zu erkennen, wie es berechnet wird. "Rechnet man nun alle im Zeitraum von einem Jahr in Österreich hergestellten Güter und Dienstleistungen zusammen, ergibt sich das BIP" heißt es im Kurier. Selbst Professoren der Volkswirtschaftslehre wissen, dass man Tonnen Stahl, vielfältige Haarschnitte und Getreidesäcke nicht sinnvoll aufaddieren kann. Weil sie sich dadurch aber keinesfalls von ihrem unsinnigen Vorhaben, aus all dem eine Meßgröße des gesellschaftlichen Reichtums machen zu wollen, abbringen lassen, schmarotzen sie in ihrer Theoriebildung an dem Umstand, dass in der Welt der Wirtschaft, zu deren Erklärung sie gerade antreten, all die vielfältigen Produkte und Dienstleistungen mit ihrem Preis tatsächlich auf ein einheitliches Maß zurechtgestutzt sind. Der hat zwar überhaupt nicht den Zweck, die verschiedenartigen Produkte vergleichbar zu machen, um sie dannn als Teile eines vorgestellten gesellschaftlichen Gesamtergebnisses messen zu können. Preise werden gemacht, um über den Verkauf von Waren Gewinn zu machen. Davon abzusehen, nimmt sich die VWL als dichterische Freiheit heraus, eine Freiheit, die selbst dort keine Grenzen kennt, wo es gar keine Preise gibt wie bei sämtlichen staatlichen "Leistungen". Weil es einfach keinen Markt und keine Preise für die Darbietung von Professoren, Pfaffen, Juristen und Polizisten gibt, gehen sie dazu über, sich einen Preis auszudenken und setzen deren Beitrag zum BIP einfach entsprechend ihrer Kosten an.

Was ist mit der Kategorie des Sozialprodukts geleistet? Die ganze kapitalistische Gesellschaft wird zu einer einzigen Produktionsgemeinschaft verklärt, in der alle an einem Strang ziehen. Da wird nichts mehr als das zur Kenntnis genommen, was es ist, sondern alle wirtschaftlichen Tätigkeiten werden als Beiträge zu einem gemeinschaftlichen Ergebnis gedeutet, von dem dann umgekehrt alle abhängen. Für die VWL steht damit außer Frage, dass der Nutzen aller umso größer ist, je größer die Zahl ist, die da ausgerechnet wird. Die einzige Sorge der Ökonomen daher: wächst es, wächst es schnell genug, wächst es vielleicht zu schnell?

Die Launen des Wirtschaftsbarometers

Wenn die nationale Wirtschaftskraft durch das BIP - also durch eine Zahl - ausgedrückt wird, ist die einzige Veränderung, derer sie noch fähig ist, quantitativer Art. Die Zunahme des BIP wird von den Auguren der Wirtschaft mit einem Aufschwung in Verbindung gebracht und darüber sollen sich alle freuen, so als ob es ihr Erfolg wäre. Nimmt hingegen das BIP oder auch nur seine Zuwachsrate ab, kommt spiegelverkehrt Sorge auf, es ist von Krise die Rede und alle sollen sich darauf einstellen, dass sie künftig ihren Gürtel werden enger schnallen müssen, so als ob etwa die Arbeitnehmer erst in der Krise zu Opfern der Wirtschaft würden. Warum es zu derartigen Krisen und Aufschwüngen der Wirtschaft kommt, dazu erfährt man folgendes:

"Diese Wellen von Optimismus und Pessimismus tragen dazu bei, dass die Konjunktur (wirtschaftliche Entwicklung) schwankt. Einmal läuft die Herde der Konsumenten und Unternehmer hoffnungsfroh den Berg hinauf. Dann kippt die Stimmung. Es geht zurück ins Konjunkturtal, wo die Suche nach Weidegründen aufs Neue beginnt."

Wenn das Zitat vom Auf und Ab der wirtschaftlichen Entwicklung spricht, geht es einerseits unstrittig um die jedem Zeitungsleser bekannten Phänomene Krise und Aufschwung. Beide - Krise und Aufschwung und all das, was die wirtschaftlichen Tätigkeiten ausmacht, die zu Krise und Aufschwung führen: die Unternehmer investieren, lassen die Arbeitnehmer für ihren Gewinn arbeiten und sind dabei regelmäßig so erfolgreich, dass sie immer wieder an der Beschränkheit der gesellschaftlichen Zahlungsfähigkeit scheitern, für die niemand anderer als sie selbst sorgen – kommen in obiger Ausführung andererseits aber überhaupt nicht mehr ausdrücklich vor. Stattdessen ist von der wirtschaftlichen Entwicklung die Rede und auch über die kriegt man nichts Gescheites mitgeteilt - sie schwankt. Ständig geht es unabhängig vom Willen der Gesellschaftsmitglieder mit der Wirtschaft bergauf und bergab.

Was denn da schwankt, das bleibt unbestimmt. Man darf zwar ruhig an das BIP denken, müssen tut man aber nicht. Der Kurier wie überhaupt die gesamte Volkswirtschaftlehre mag sich gar nicht entscheiden, was denn nun der letztendlich gültige Indikator ist, an dem sich der Stand des Auf und Ab der wirtschaftlichen Aktivität der Gesellschaftsmitglieder eindeutig und zweifelsfrei ablesen ließe. In ihrer mittlerweile schon recht langen Geschichte hat es die VWL stattdessen zu einem ganzen Bündel derartiger Indikatoren gebracht, von denen zwar keiner für sich, dafür aber alle gemeinsam dann plötzlich doch das Wunder schaffen sollen, Auskunft über den Stand der Wirtschaft zu geben.

Wenn die Wirtschaft einmal so zurecht definiert ist, sind Krise und Aufschwung nicht mehr wiederzuerkennen. Vor ihre Erklärung tritt die Behauptung, dass es sich bei ihnen um zwei Phasen einer Bewegung handelt, die sich regelmäßig wiederholen. Keine Sache ist aber durch den Hinweis auf ihr regelmäßiges Vorkommens vernünftig bestimmt. Wie ja auch kein Mensch behaupten wird, etwas über eine Krankheit zu wissen, wenn er weiß, daß sie immer wieder vorkommt. Aber gerade diese von ihr behauptete inhaltsleere Regelmäßigkeit der Abfolge von Aufschwung und Krise hat es der Volkswirtschaftslehre angetan, wenn sie die Frage stellt, wie es denn zu dieser Regelmäßigkeit des wirtschaftlichen Geschehens kommt.

Als Antwort auf diese Frage entscheidet sich der Kurier in obigem Zitat für "Wellen von Optimismus und Pessimismus". Einmal sind die Menschen gut drauf, kaufen und investieren was das Zeug hält und dann - ebenso grundlos - lassen sie es auf einmal wieder bleiben und schon geht es mit der Wirtschaft bergab. Ein und dieselbe begrifflose Regelmäßigkeit der Wirtschaft kommt in dieser Erklärung gleich zweimal vor. Einmal in Gestalt des zu erklärenden Auf und Ab der Wirtschaft und dann noch ein weiteres Mal in der als Grund dieses Auf und Ab behaupteten selbst wieder grundlosen Schwankung menschlicher Stimmungen. Dabei lassen sich die von vorneherein kaufmännisch gefassten menschlichen Stimmungen – Lust und Unlust ausgerechnet aufs Kaufen und Verkaufen – an gar nichts anderem dingfest machen als an denselben Käufen und Verkäufen, aus denen der gewiefte Volkswirt auch das BIP errechnet. Bei dieser Erklärung handelt es sich also schlicht und ergreifend um eine Tautologie - das was erklärt werden soll und dasjenige was als Grund ausgewiesen wird sind dem Inhalt nach ident. Sowas taugt zwar als Erklärung nichts. Was es aber leistet ist, dass die als regelmäßiges Auf und Ab gefasste Entwicklung der Wirtschaft jetzt als unabänderliche Notwendigkeit des Wirtschaftens schlechthin dasteht.

Die Unsinnigkeit der angebotenen Erklärung kann man anders auch noch daran bemerken, dass sich die angeführte Erklärung ohne weiteres auch umdrehen ließe. Statt die Schwankungen der Wirtschaft auf die Schwankung des menschlichen Seelenhaushalts zurückzuführen, ließe sich doch mit gleichem Recht und ohne Qualitätsverlust des Argumentes die kaufmännisch gefasste Schwankung menschlicher Stimmungen aus dem Auf und Ab der Wirtschaft ableiten.

Was ist die Leistung der Konjunkturlehre? Unzufriedenheit mit einer Produktionsweise, in der es regelmäßig und wie naturwüchsig zu Wirtschaftskrisen kommt ist es nicht, die dem Schreiber die Feder führt und schon gar nicht die Unzufriedenheit darüber, dass es dabei immer zur Verelendung von Arbeitern bei gleichzeitiger Vernichtung bereits produzierten Reichtums in großem Stil kommt. Im Gegenteil. Das erste was man vom Kurier lernt ist, dass derartige Wirtschaftskrisen, zum Wirtschaften einfach dazugehören, so wie Regen und Schnee zum Wetter. Aber nicht nur der Bürger, kann sich diesem angeblich naturgesetzhaften Gang der Konjunktut nicht entziehen:

"Die Gretchenfrage ist nun, ob Vater Staat sich in diese ewige Auf und Ab einmischen soll. Sollen Steuern gesenkt werden, damit die Konsumenten mehr im Börsel haben? Soll der Staat selbst den Unternehmern durch Aufträge die Geschäftsbücher füllen und damit die Not am Arbeitsmarkt lindern? .... Genau diese Fragen bestimmen in Österreich den politischen Sommer."

Eine dumme Gretchenfrage, die da aufgeworfen wird. Man muss sich den Staat, der mit all seiner legislativen, judikativen und exekutiven Gewalt überhaupt erst all die unerlässlich notwendigen Voraussetzungen der Marktwirtschaft schafft, ja erst einmal wegdenken, um dann anschließend die Frage, ob er sich denn ins Wirtschaftsgeschehen einmischen soll, stellen zu können. Und auch den Redakteuren des Kuriers müsste es doch einleuchten, dass der Staat, würde er sich nicht schon längst und für seine Zwecke an der Ökonomie in Form von Steuern bedienen, weder kaufen und schon gar nicht Steuern nachlassen könnte. Aber erst dieser Fehler macht eben das Bild von der unbeherrschbaren Launenhaftigkeit der Konjunktur, die sich letztlich selbst staatlicher Kontrolle entzieht, komplett.

Ergänzt wird derartiges von der VWL vertretene Expertentum, das die leider auch unter Arbeitnehmern weit verbreitete Vorstellung eines den Launen der Konjunktur hilflosen Ausgeliefertseins untermauert, um die Angeberei, die inneren Zusammenhänge und Mechanismen der Wirtschaft zu kennen und dem Staat mit diesem Wissen hilfreich zur Seite stehen zu können. Dass sie sich mit dieser Behauptung nicht laufend blamiert, liegt nicht an der Güte ihrer Prognosen:

"Allein für die Wirtschaftsentwicklung in Österreich für das nächste Jahr liegen die beiden führenden Institute WIFO und IHS um fast das Doppelte auseinander: Das WIFO erwartet einen 1,2-prozentigen Anstieg, das IHS einen von 2,1 Prozent".

Dass sich Wirtschaftsforscher mit sowas nicht blamieren, liegt einzig an der Nützlicheit ihrer Interpretation des Wirtschaftsgeschehens für das demokratische Getriebe. Niemand mag deshalb auch der kleine aber feine Widerspruch auffallen, der in derartigem Expertentum steckt – der Staat soll zugleich der Betroffene und der glorreiche Lenker der Wirtschaftsentwicklung sein.

Sozialer Sprengstoff Arbeitslosigkeit

"Arbeitslosigkeit ist die moderne Krankheit des westlichen Marktwirtschaftsmodells. Keine Industriegeselllschaft schafft es, alle in ihr lebenden Menschen mit einem Arbeitsplatz zu versorgen. Das Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt zwischen Arbeitskräftenachfrage und -angebot nennt man Arbeitslosigkeit. Die Ursachen der Arbeitslosigkeit sind vielfältig. Einerseits kann die gesamte Wirtschaft - wie derzeit der Fall - schwach wachsen oder sogar schrumpfen (Rezession). Mit weniger Aufträgen brauchen die Firmen auch weniger Personal. Die Arbeitslosigkeit steigt. Man nennt sie konjunkturelle Arbeitslosigkeit."

Was erfährt man über Arbeitslosigkeit? Sie als Krankheit der Marktwirtschaft zu fassen, heißt, niemand freut sich über sie. Gleichzeitig erfährt man, diese Krankheit ist eigentlich gar nicht auszuräumen. In ihrem ständigen Bemühen, Menschen mit einem Arbeitsplatz zu versorgen, scheitert die Marktwirtschaft ständig. Das kommt nicht als Kritik der Marktwirtschaft daher - man fragt sich, wenn es darum ginge, alle mit einem Arbeitsplatz zu versorgen, was ist denn daran so schwierig -, nein schon eher kommt es als Anerkennung daher, mit welchen schwierigen Problemen sich die Marktwirtschaft herumschlägt.

Unvermeidlich kommt es immer wieder vor, dass sich Arbeitskräftenachfrage und Arbeitskräfteangebot nicht decken. Dass Menschen just ihre Arbeitskraft anbieten wollen, obwohl überhaupt kein Bedarf nach dieser Arbeit vorhanden ist, deren Arbeitskraft also gar nicht benötigt wird, lässt bei Ökonomen keinen Zweifel über die Vernünftigkeit dieser Art Ökonomie aufkommen, in der Arbeit in der verrückten Form eines knappen und geradezu kostbaren Gutes erscheint.

Dass es in unserer Gesellschaft gemeinhin als einziger Segen gilt, wenn jemand reichlich Arbeit hat, das liegt an der praktischen Nötigung, die mittellosen Leuten im Kapitalismus aufgemacht wird. Für den Lebensunterhalt wird nicht einfach produziert, sondern den muss man sich verdienen. Und verdienen können sich all jene, die über kein anderes Eigentum als das an ihrer Arbeitskraft verfügen, die Mittel ihrer Existenz nur, wenn sie auch einen Anwender, den berühmten Arbeitgeber finden. Der gibt die Arbeit wiederum nur, wenn sie ihn reicher macht. Rentiert sich die Arbeit für das Unternehmen nicht, gibt es auch keinen Lohn und damit nicht den notwendigen Lebensunterhalt für diejenigen, die auf Arbeit angewiesen sind.

In der Bezeichnung arbeitslos ist dieses gesellschaftliche Verhältnis ausgelöscht. Dementsprechend taucht dann auch in den von Ökonomen angeführten Gründen für die konstatierte "Arbeitslosigkeit" kein geltendes und geheiligtes Interesse auf. Statt dessen herrscht dann eben "konjunkturelle Arbeitslosigkeit", wenn die Wirtschaft nur schwach wächst oder schrumpft. Die Unternehmer haben weniger Aufträge, aller Welt hat dann klar zu sein, dass sie natürlich auch weniger Leute beschäftigen. Woher kommt diese Gewissheit? Selbstverständlich ist das Interesse an rentablen Geschäften für das Unternehmen unterstellt, ohne aber das Interesse an Profit als Grund zu nennen. Statt diesem zum Interesse des auf Lohn angewiesenen Arbeiters gegensätzlichen Profitinteresse wird die Konjunktur als Grund festgemacht, der beide - Unternehmer und Arbeiter - ausgeliefert sind.

Auch für den Fall, dass sich trotz zunehmender Geschäftstätigkeit dank lohnkostensenkender Rationalisierungsmaßnahmen mehr Arbeitslosigkeit einstellt, haben Ökonomen schon die passende Erklärung. Das ist dann eben die Rationalisierungs- bzw. technische Arbeitslosigkeit, gerade so, als ob die Arbeitsmittel die Leute entlassen würden. Überhaupt braucht man nur jede Bedingung der Ausbeutung, mit der Unternehmer kalkulieren, in eine Schwierigkeit zu verwandeln, die sie haben und schon stößt man zusätzlich noch auf eine regionale, eine saisonale und eine Jugendarbeitslosigkeit. Ja und eine Altersarbeitslosigkeit gibt es dann natürlich auch noch.

Obwohl also für den Ökonomen die Arbeitslosigkeit angesichts so vieler ungünstiger Einflussfaktoren gar nicht zu vermeiden ist, sieht er Handlungsbedarf für die Politik und zwar wegen ihrer Folgen:

"Eine hohe Arbeitslosigkeit ist nicht per se schlecht. Doch sie beeinflusst wiederum das Wirtschaftswachstum negativ, ganz abgesehen von der Belastung des/der einzelnen Arbeitslosen. Einerseits muss der Staat für die Arbeitslosen zahlen und sie qualifizieren, das ist teuer. Andererseits entgehen dem Staat Steuereinnahmen: Lohnsteuer, weil die Arbeitslosen ja kein Gehalt beziehen, und Umsatzsteuer, weil Arbeitslose meist sparen müssen und wenig einkaufen. Deshalb zählt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu den obersten Zielen der meisten Regierungen."

Es ist schon bemerkenswert, wo der Ökonom den eigentlichen Schaden der Arbeitslosigkeit verortet. Dass der Arbeitslose vor einer Belastung steht, wird ihm zwar zugestanden, aber das ist eben sein Problem. Dass er so manches von seinem monatlichen Speisezettel streichen muss, an Restaurantbesuche, Urlaub und was es sonst noch an Freizeitvergnügen gibt, gar nicht zu denken ist, dieser trostlose Lebensstandard wird nicht als Mangel festgemacht. Dass darunter aber das Geschäft unserer Gastwirte, unserer Beherbungsbetriebe, des Handels usw. leiden könnte, das ist ein Problem. Handlungsbedarf entsteht für den Staat laut Auskunft der Ökonomen nicht aus dem Schaden für den Arbeitslosen, sondern aus dem in einen Schaden übersetzten entgangenen Nutzen für Wirtschaftswachstum und Staat. Nicht der Arbeitslose ist der Leidtragende, sondern er ist umgekehrt ein Schaden für Staat und Wirtschaft. Ganz nebenbei wird damit die Lebenslüge der Volkswirtschaftslehre dementiert, beim Wirtschaften ginge es letztendlich doch irgendwie um die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern.

Wenn so der Ausgangspunkt für Beschäftigungspolitik aussieht, dann ist klar: Wenn es vermehrt Arbeitslose gibt, dann heißt das, mit denen ist kein Gewinn zu machen, und dann gilt es, dafür zu sorgen, dass sie wieder rentabel sind: sie müssen billiger werden werden durch Abschaffung der zeitlichen Gehaltsvorrückungen und durch Senkung der Lohnnebenkosten; sie müssen flexibler werden, flexiblere Arbeitszeiten, Lockerung von Kündigungsbestimmungen usw. Arbeit und Lebensunterhalt ohne Gewinn oder gar auf Kosten der Rentabilität kommt schließlich nicht in Frage.

Resümee

Wenn der Kurier seinen Lesern die Sachgesetze vorstellt, die die VWL herausgefunden haben will, dann will niemand auffallen, welcher Skandal von Entfremdung und Bewußtlosigkeit zugleich mit der behaupteten Existenz derartiger Sachgesetze formuliert ist. Wenn nämlich etwas dran ist an solchen Gesetzmäßigkeiten, dann ist doch damit doch ausgedrückt, dass sich die Mitglieder der Gesellschaft ihr Handeln von scheinbar natürlichen, ihrem Einfluss entzogenen Sachgesetzen bestimmen lassen, von Sachgesetzen die aber niemand anderer als sie selbst durch ihr Handeln - und sei es auch nur in der Form des Mitmachens und Gewährenlassens - erst in Kraft setzen.

Die Entdeckung von unbewußten Sachgesetzen menschlichen Handelns verlangt aber deren Kritik. Anders die herrschende VWL – die will nicht klären, welches denn die herrschenden Zwecke sind, die sich hinter den von ihr behaupteten Sachgesetzen verbergen, die ist diesen herrschenden Verhältnissen verpflichtet. Statt sie zu kritisieren will sie Staat und Kapital bei der Bewältigung der – wie auch sie weiß - notwendig sich einstellenden Kollisionen helfen. Richtiges Wissen über das Warum und Wozu der Ökonomie wären da nur schädlich.

Was hat also der Leser des Kurier von seiner Lektüre? Klüger geworden ist er jedenfalls schon einmal nicht. Und auch daran, dass er von Staat und Kapital tagtäglich zum Anhängsel der Ökonome gemacht wird, hat sich nichts geändert. Noch nicht einmal dabei, die eigene Lage zu verbessern, helfen ihm die Kenntnisse, die er sich erworben hat. Aber jetzt kennt er sich wenigstens aus und weiß, dass es schon seine Richtigkeit hat, wenn sich die Ökonomie nicht an ihn, sondern umgekehrt er sich an die Erfordernisse der Ökonomie anzupassen hat.