Anmerkungen zur aktuell stattfindenden geistigen Mobilmachung gegen Russland

 

Die Entscheidung Russlands, die Überschreitung der aus seiner Sicht roten Linie – Her- und Aufrüstung der Ukraine zu einem Nato-Vorposten vor seiner Haustür – mit militärischen Mitteln zu verhindern, erklärt Europa seinerseits zu einer für Europa „roten Linie“. Der russische Präsident habe eine rote Linie überschritten und müsse nun auf den Widerstand Europas stoßen, sagt Reinhard Lopatka (ÖVP) in der Nationalratsdebatte vom 24.Februar[i]. Der Angriff Russlands auf die Ukraine zerstört nämlich nicht nur die Ukraine in ihrer bisherigen Verfassung, sondern der russische Präsident habe damit wie der grüne Vizekanzler Kogler in besagter Nationalratsdebatte verlautbart „die Friedensordnung in Europa in Frage gestellt“. In Sachen „Krieg in der Ukraine“ herrscht unter den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union eine schon lange nicht mehr dagewesene Einigkeit. „Die Europäische Union spricht mit einer Stimme. Die Europäische Union bekennt sich zu einem gemeinschaftlichen Vorgehen.“ heißt es in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Nehammer vom 24.Februar 2022[ii]. Österreich werde die weiteren „massiven Maßnahmen“ der EU mitentwickeln und mittragen, denn es gelte, alle Mittel der Politik und der Diplomatie zu ergreifen, „um uns entgegenzustellen“, unterstrich der Vizekanzler.

 

Zu besagten „massiven Maßnahmen“ der EU gehört ein gegen Russland eröffneter „Wirtschaftskrieg“, dessen erklärtes Ziel die wirtschaftliche Ruinierung Russlands ist. Hoffnungen, darüber einen Regimechange in Russland zu bewirken, werden unverhohlen und öffentlich bekanntgemacht. Die EU-Staaten liefern Waffen an die Ukraine, Deutschland erstmals auch „lethal weapons. Aufrüstungsprogramme werden beschlossen in den EU-Staaten, auch in Österreich. Noch neutrale Staaten diskutieren einen Nato-Beitritt. Kurz Europa rüstet massiv auf zur Weltkriegspartei im begonnenen, noch nicht heißen (End)kampf um die Weltordnung.

 

Parallel dazu nimmt eine geistige Mobilmachung Fahrt auf, die ihresgleichen sucht.

 

1. Distanzierung vom Feind ist angesagt – Russische Künstler, Sportler und österreichische Ex-Politiker geraten ins Visier der westlichen Öffentlichkeit

 

In der Kulturbranche bleibt kein Stein auf dem anderen: Während früher niemand auf die Idee gekommen wäre, von hier auftretenden amerikanischen Künstlern angesichts der ja nicht gerade seltenen Kriege der USA mit dadurch sicher nicht in geringerem Ausmaß herbeigeführtem täglichen Leid von Zivilpersonen jedes Mal, wenn ihre Heimat wieder einmal kriegerisch unterwegs war, vor ihrem Auftritt eine Distanzierungserklärung zu verlangen, wird von russischen Künstlern jetzt genau das gefordert. Es wird jetzt klargestellt, dass die ansonsten so hoch geschätzte Leistung der Kultur „Menschen über politische Grenzen hinweg zu vereinen“ im Fall von Russland eher als Kumpanei mit dem Feind anzusehen ist. Da ist nicht „vereinen“, sondern distanzieren angesagt. Russische Künstler geraten der Reihe nach, egal wie sehr bisher geehrt und geschätzt für ihre Leistungen für die heimische Kulturszene als Bürger eines Feindesstaates ins Visier und werden aufgefordert, sich von der Ukraine-Invasion Russlands zu distanzieren. Tun sie das nicht, wie der Dirigent Valery Gergiev, verlieren sie Engagement und Posten in Europa. Opernstar Anna Netrebko sagt von sich aus alle Auftritte ab, nachdem ein Hagelfeuer an Kritik über sie ergeht, weil sie sich über die an russische Künstler herangetragene Forderung nach einer Distanzierung von Russland wie folgt beschwerte:

 

"Dies sollte eine freie Entscheidung sein. Wie viele meiner Kollegen bin ich kein politischer Mensch. Ich bin kein politischer Experte. Ich bin Künstler und mein Ziel ist es, Menschen über politische Grenzen hinweg zu vereinen"[iii]

 

Alle Hochachtung und aller Respekt, der Netrebko als dem „größtem Star der Oper“ bisher entgegengebracht wurde, der 2006 ob der herausragenden künstlerischen Leistungen für die österreichische Republik noch die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, ohne wie sonst üblich in einem Einbürgerungsverfahren den Verzicht der bisherigen Staatsbürgerschaft zu verlangen, ist dahin ob einer für zu „halbherzig“ befundenen Distanzierung. „Eine „Unpolitische“ muss sich entscheiden“ titelt ein Artikel im Kurier vom 2.März 2022:

 

„Nicht nur in der Oper, sondern in der gesamten Kultur werden in Folge des russischen Krieges derzeit Aufführungen abgesagt, Gastspiele werden storniert und Verträge mit russischen Institutionen beendet, die sich nicht von der Invasion distanzieren.“[iv] ist den Medien zu entnehmen.

Nicht verschont bleiben auch die Sportler, genauer die Teilnehmer der Paralympics aus Russland. Die haben zwar persönlich sicher nichts zum Einmarsch in der Ukraine beigetragen. Sie wurden auch noch nicht einmal gefragt, wie sie es mit diesem Krieg halten. Man ließ sich nach China anreisen, um ihnen dann mitzuteilen, dass sie noch nicht einmal als „neutrale“ Aktive antreten dürfen:

 

„Rolle rückwärts: Das IPC beugt sich dem Druck seiner Mitgliedsverbände und lässt wegen des Ukraine-Kriegs nun doch keine russischen und belarussischen Aktiven bei den Winter-Paralympics in Peking starten.“ (Deutsche Welle, 3.3.2022)[v]

 

Den Verantwortlichen vom Internationalen Paralympischen Komitee wollte anfangs nicht so recht einleuchten, warum man Menschen, die sich Jahr und Tag auf diese Spiele vorbereitet hatten, nicht zu den Wettkämpfen antreten lassen sollte. Sie umzustimmen, das war offensichtlich keine Frage von Argumenten. Das Mittel der Wahl, die rechte Gesinnung beim Internationalen Paralympischen Komitee zu erzeugen, war – wie es so schön diplomatisch heißt – Druck. In einem Aufwaschen kamen auch gleich die Sportler aus Belarus zum Handkuss, obwohl dieses Land noch nicht einmal kriegsführende Partei ist.

 

Eine Frage stellt sich freilich: „Warum reicht bei den Sportlern – anders als bei den Künstlern – ein Abschwören nicht?“ Anders als Künstler, die trällern, dirigieren oder rezitieren, treten Sportler bei Olympischen Spielen nicht einfach als in ihrer Disziplin besonders schnelle oder geschickte Menschen gegeneinander an, sondern als Repräsentanten ihrer Nation. Da wird nicht einfach Schi gelaufen, weit gesprungen und was der Disziplinen noch sind, da laufen und springen Österreicher, Chinesen oder Franzosen und eben auch Russen, lauter Menschen, die mit ihren Erfolgen nicht nur sich, sondern ihren Heimatnationen Ehre einbringen. Die schärfste Distanzierung kann nichts daran ändern, dass da einer beweist, zu welchen Höchstleistungen ein Bürger dieser Nation fähig ist.

 

Weil Sportler in den internationalen Wettkämpfen als gar nichts anderes antreten, denn als diese nationalen Fähnchen, weil Sportler unmittelbar mit der Nation identifiziert werden, der sie angehören, gleichgültig wie sehr sie sich von den Taten ihrer Heimat distanzieren mögen, wenn man sie denn überhaupt ließe, kommt ein Antreten von Menschen aus Russland nicht in Frage, würde dies doch eine Normalität des friedlichen Wettbewerbs ausdrücken, die man gerade aufgekündigt hat.

In den Fokus geraten auch ehemalige österreichische Spitzenpolitiker mit ihren gut bezahlten Jobs in den Aufsichtsräten diverser russischer Unternehmen. Nachdem Wirtschaftsbeziehungen mit Russland jetzt nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der gedeihlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Österreich und Russland betrachtet werden, sondern nach der aktuellen Sicht der Dinge der potenziellen Finanzierung von Russlands „verbrecherischen Vorhaben“ dienen, gilt deren Tätigkeit in russischen Gesellschaften fortan als Dienst für den Feind und fällt daher beinahe schon in die Kategorie des Landesverrats. Die angesprochenen Politiker beenden der Reihe nach – der eine früher, der andere erst nach einigem an „Überzeugungsarbeit“ – ihre Aufsichtsratstätigkeit.

 

2. Zu den „massiven Maßnahmen“ im Medienbereich - die öffentliche Meinung und die Leistungen der 4.Gewalt in demokratischen Staaten:

 

Die wie es heißt „massiven Maßnahmen“ gegen Russland betreffen nicht nur den Bereich der Wirtschaft, sondern auch die Medien. Am Abend des 27.Februars kündigt die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Verbot der „vom Kreml unterstützten“ Medien Russia Today und Sputnik in der EU an:

 

In einer Pressemitteilung der EU-Kommission vom 2.März[vi] zu diesem Verbot heißt es dazu:

 

„Angesichts der sehr ernsten Lage und als Reaktion auf die von Russland ergriffenen Maßnahmen, um die Lage in der Ukraine zu destabilisieren, ist es notwendig im Einklang mit den Grundrechten und Grundfreiheiten, weitere restriktive Maßnahmen zu ergreifen und die Ausstrahlung von Sendungen in der EU oder an sie gerichtete Sendungen von Russia Today und Sputnik auszusetzen.“

 

Freiheit ist bekanntlich immer die Freiheit der Andersdenkenden. Über den Krieg in der Ukraine denkt die Europäische Union bekanntlich deutlich anders als Russland. Daher ist lt. Mitteilung der EU-Kommission, der „Hüterin der Grundrechte in der EU“, die verkehrte Meinungsbildung, die von den „vom Kreml unterstützten Medien Russia Today und Sputnik“ ausgeht, ganz buchstäblich auszuschalten. Dabei handelt es sich selbstverständlich nicht um eine „Zensur“, sondern eine „restriktive Maßnahme“, die „im Einklang mit den Grundrechten und Grundfreiheiten“ „notwendig“ ist.

 

Warum sie notwendig ist, dazu wird die frühere deutsche Verteidigungsministerin und jetzige Kommissionspräsidentin, von der Leyen, in besagter Pressemitteilung wie folgt zitiert:

 

„In dieser Kriegszeit sind Worte wichtig. Wir sind massiver Propaganda und Desinformation über diesen verabscheuungswürdigen Angriff auf ein freies und unabhängiges Land ausgesetzt. Wir werden diesen Sprachrohren des Kreml nicht länger gestatten, ihre toxischen Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen und zu versuchen, unsere Union zu spalten.“

 

„Den Sprachrohren des Kreml“ darf nicht gestattet werden, „unsere Union zu spalten“. Das gibt kund, wem ihre ganze Sorge gilt, wenn sie davon spricht, dass „wir“ einer „massiven Propaganda und Desinformation“ ausgesetzt sind. Wenn die Staatenlenker der EU beschließen, dass sich der von ihnen einhellig zum Feind erklärte russische Staat hierzulande kein Gehör verschaffen darf, dann haben sie ihre eigene Bevölkerung, die öffentliche Meinung hierzulande im Blick.

 

Wenn es um die Frage von Krieg und Frieden geht, hat die öffentliche Meinung wie ein Mann bzw. eine Frau hinter den EU-Staatenlenkern und ihrer gegenüber Russland erklärten und praktizierten Feindschaft zu stehen. Alles was dazu nicht beiträgt, was gar verwirrt, ist aus dem Verkehr zu ziehen. Es gilt sicherzustellen, dass die in „diesen Kriegszeiten“ so „wichtigen Worte“ nicht von den Medien des zum Feind erklärten Russlands, den „Sprachrohren des Kremls“, an die eigene Bevölkerung gerichtet werden, da diese statt der fälligen Verurteilung nur der Rechtfertigung des russischen Vorgehens dienen, dementsprechend nur so von „Lügen“ strotzen und ob der Absicht, die EU zu „spalten“, geradezu „toxisch“ sind. Daher gebietet es der Kampf gegen „Putins Manipulationskampagne“ der russischen „Informationsmanipulation“ den Hahn zuzudrehen, wie es der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ausdrückte, stelle diese doch „auch eine erhebliche und unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Union dar“[vii]. Womit die Frage der Grundrechtskonformität der verhängten „Sanktion“ gegenüber Russia Today und Sputnik seitens der EU-Kommission abschließend entschieden ist, bevor sie überhaupt gestellt wurde.

 

Wenn die Hüter des Rechts auf freie Meinungsäußerung in der EU russisches Staatsfernsehen verbieten, dann geben sie damit Auskunft über die öffentliche Meinung und die Leistungen der „4.Gewalt“ in ihren demokratischen Nationen. Der Inhalt des freien Meinens ihrer Bürger ist den Staatenlenkern ganz und gar nicht egal, schließlich wollen sie ihre Bürger für ihre politischen Vorhaben in den Dienst nehmen. In einem Konflikt, den die Staaten der EU wie im gegenständlichen Fall mit Russland austragen, sollen die Bürger sich nicht erklären, welche Interessen welcher Staat in der Ukraine verfolgt, und im Anschluss daran klären, ob es überhaupt eine so gute Idee ist, in dem Streit als Bürger Partei ergreifen zu wollen. Diese Entscheidung überlassen die „Diener des Volkes“ nicht ihrem Volk, sondern umgekehrt, die öffentliche Meinung hat sich nach dem zu richten, was die Politik vorhat. D.h. die berufenen Meinungsmacher haben dafür zu sorgen, dass die öffentliche Meinung in nichts anderem als der Verurteilung von „Putins Krieg“ und Parteinahme für einen Vernichtungsschlag gegen Russland besteht.

Die Medienlandschaft hierzulande lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sie mehr oder minder geschlossen genau das als ihren obersten Auftrag erachtet: Alles dafür zu tun, dass in der Frage, ob überhaupt und für wen im Krieg in der Ukraine Partei zu ergreifen sei, von einem Spalt zwischen Volk und Regierung auch nicht das geringste Fünkchen vorhanden ist.

 

Für die berufenen Vertreter der hiesigen wie auch der deutschen Medienlandschaft – die gesamte Journaille, Reporter und Nachrichtensprecher im öffentlichen und privaten Fernsehen – heißt das, dass sie kräftig nachlegen bei dem, was sie ohnehin schon seit 2014 tun, seit dem Beginn der „Ukraine-Krise“ und deren Eskalation zur „Krim-Krise“. Seit damals haben sie sich tatkräftig an die Schärfung der Feindschaft, die Russland seither angesagt wird und an die Schärfung des Feindbilds, das die Feindschaft braucht, gemacht. Dass in Russland der Inbegriff des politischen Großverbrechertums regiert, sind sie schon seit damals bemüht, ihrem Publikum klarzumachen. Die Sicherheitsinteressen, die Russland gerade eben zum wiederholten Mal in seinem Brief an die USA öffentlich kundgetan hat, von denen wissen die Meinungsbildner, dass sie eine einzige Bemäntelung der Absichten, die „Putin“ wirklich umtreiben, sind. In Wahrheit will er das alte russische Großreich restaurieren, wahlweise auch die zusammengebrochene Sowjetmacht wieder zum Leben erwecken. Putin – der „Aggressor“, „Diktator“, „Kriegstreiber“, der „Unberechenbare“ bis hin zu höchstoffiziellen Vergleichen Putins mit Hitler - sind die entsprechenden Sprachregelungen einer schon seit Jahren betriebenen Feindbildpflege, die man nun ständig wiederholt,  pausenlos auf das heimische Publikum loslässt, untermalt mit bildreichem Anschauungsmaterial für die „Grausamkeit“ von „Putins Krieg“, bis noch der letzte „Putin-Versteher“ versteht, dass es an dem, was Russland als für seine Sicherheit erforderlich erachtet, aber schon ganz und gar nichts – an dem, was Europa im Verein mit den USA für die Europäische Sicherheit als erforderlich erachten hingegen alles zu verstehen gibt, auch wenn uns – als Bürger Europas – damit in Hinkunft Opfer ins Haus stehen.

 

Verantwortungsvolle politische Berichterstattung, „faktenbasiert“ und ohne „Lügen“, „Information“ statt „Desinformation“ und „Manipulation“, „Wahrheit“ statt „Kriegspropaganda“ in ernsten Zeiten schaut daher wie folgt aus.

Von den hiesigen Vertretern der Zunft der Journalisten, Reporter, Nachrichtensprecher kommt so gut wie niemand auf die Idee, im von der Europ. Union verhängten Verbot von Russia Today und Sputnik eine der Meinungs- und Pressefreiheit widersprechende Zensurmaßnahme zu sehen. Das Thema „Zensur“ ist in dem Fall mit der Identifizierung als „Desinformation“, der modernen Fassung von auszuschaltender Feindpropaganda, erledigt.

 

Während die Sperre von Facebook in Russland in der ZiB 1 vom 4.März mit den unverkennbar als Kritik gemeinten Worten „Was die Wahrheit ist, entscheidet jetzt der Kreml“ und weiter dem Spruch „Bekanntlich ist die Wahrheit immer das erste Opfer des Krieges“ kommentiert wird, kommen derlei Worte anlässlich der Sperre von Russia Today und Sputnik in der EU den hiesigen Nachrichtensprechern nicht einmal ansatzweise über die Lippen. Wenn jetzt Europas Staatenlenker entscheiden, „was Wahrheit ist“, geht das für hiesige Nachrichtenredaktionen offensichtlich völlig in Ordnung. Der Vorwurf „Zensur“ wird nur erhoben, wenn Russland mit derselben Begründung „Verbreitung von Falschmeldungen über den Krieg in der Ukraine“ – TV Sender verbietet und Radiosender abschaltet. Da weiß, um ein weiteres Beispiel zu nennen der Spiegel sofort, dass es sich um „Zensur in Russland“ (Der Spiegel vom 1.3.2022) handelt.

Mediale Debatten wie sie noch am 4.2.2022 im Kurier zu lesen waren:

 

„Ist Russland ein Aggressor, der droht, einen souveränen Nachbarstaat zu überrollen? Oder haben der Westen und die NATO bei ihrer Erweiterung nach Osten Moskaus rote Linien überschritten? Kann Russland Anspruch auf eine politische Einflusssphäre in seiner Nachbarschaft erheben, oder muss auch die Ukraine ungehindert den Weg nach Westen und in die NATO antreten können? “  [viii]

 

sind mit der von Europa ausgerufenen Zeitenwende nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine beendet und die darin aufgeworfenen Fragen beantwortet. Russland ist ein „Aggressor“, der einen souveränen Nachbarstaat „überrollt“ hat, woraus sich auch die Antwort auf die restlichen Fragen ergibt.

 

Die „faktenbasierte“, nichts anderem als der „Wahrheit“ verpflichtete Berichterstattung, gebietet es, ab nun alles, was dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vorangegangen war, wegzulassen bis dahin geradezu vergessen zu machen, was sich vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine abgespielt hat – die drohende NATO-Ausdehnung, Russlands Rote Linien, Nazi-Bataillone, die jahrelangen Angriffe der Ukraine auf den Donbass.

 

Mit Aussagen wie sie der Politikwissenschaftler Gerhard Mangott noch im Dezember des Vorjahres in einem Standard-Artikel aus Anlass des russischen Truppenaufmarsches an der ukrainischen Grenze machte, würde er sich heute wahrscheinlich dem Verdacht, ein „Putinversteher“ zu sein, aussetzen:

 

„Die aktuelle Bedrohung durch die Nato ist für Russland noch kalkulierbar. Kluge Sicherheitspolitik muss aber auf mögliche Absichten und Fähigkeiten der Nato in der Zukunft abstellen. Russland hegt tiefes Misstrauen gegenüber den Absichten des westlichen Bündnisses. Dessen Selbstverständnis, eine ausschließlich defensive Allianz zu sein, teilt Russland nicht. Russland wäre durch eine fortgesetzte Erweiterung und die Schaffung von militärischer Infrastruktur für Offensivwaffen in den neuen Mitgliedsstaaten tatsächlich strukturell bedroht. Der Westen sollte nicht so vermessen sein, Russland zu erklären, wovon es sich bedroht fühlen darf.“[ix]

 

Wie von Russland die permanente NATO-Ausdehnung gesehen wird, die von Russland für seine Sicherheit gezogenen „rote Linien“ – das wird alles seit Kriegsbeginn für irrelevant erklärt.

 

Wenn Russland nicht bereit ist,

·         die Ukraine, von der schon vor 25 Jahren ein Herr Brzezinsky, Sicherheitsberater eines amerikanischen Präsidenten zu vermelden wusste, dass sich an ihr das Schicksal Russlands, sein Status und seine Rolle in der Welt entscheidet, freiwillig aufzugeben;

·         der weiteren Eingemeindung der Ukraine in die NATO, dem Militärbündnis, mittels dessen die USA die Entmachtung Russlands zielstrebig vorantreiben, tatenlos zuzusehen;

·         und Europa nunmehr geschlossen erklärt, sich fortan auch stärker militärisch in diese Entmachtung Russlands einbringen zu wollen, „Frieden in Europa“ fortan nicht mehr in „strategischer Partnerschaft“ mit , sondern – ebenso strategisch – gegen Russland zu schaffen gedenkt;

dann besteht für hiesige Nachrichtensprecher und Journalisten der hiesigen Presse kein Zweifel darüber, welche „Wahrheiten“ über den Einmarsch Russlands in die Ukraine und seine Konsequenzen fortan unters Volk zu bringen sind:

 

„Russlands Präsident Wladimir Putin hat seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Vor der Welt und ohne jegliche Bedrohung aus Kiew.“,

 

schreibt Raimund Löw, im Falter vom 23.Februar[x].

 

Die Ukraine – eine Bedrohung für Russland – eine reine Phantasie des Autokraten in Moskau. Nachdem „wir“ wissen, dass Russland keinen Grund zum Krieg hat, sind sämtliche Kriegsgründe, die man von den hiesigen Meinungsmachern ziemlich geschlossen als Information im Unterschied zur nur in Russland beheimateten Kriegspropaganda geliefert bekommt, alle in der „verbrecherischen Natur“ von Putin angesiedelt. Der Kriegsgrund wird auf allen Kanälen personalisiert – es ist „Putins Krieg“, Putin ist der „Kriegstreiber“, der „Aggressor“, der „Unberechenbare“. Die von ihm angegebenen Kriegsgründe alle vorgeschoben, in Wahrheit ist der einzig wahre Kriegsgrund sein „staatsverbrecherischer Eroberungswille“.

War 2014 im Anschluss an die Annexion der Krim in der Frage einer Intervention des Westens und seiner NATO als passende Antwort auf das Verbrechen, das man Russland zur Last legt, noch eine gewisse Zurückhaltung zu bemerken, ist davon jetzt nichts mehr zu bemerken. Im Unterschied zur russischen Seite des Konflikts bekommt der ukrainische Präsident Selenskyi allabendlich Gelegenheit, sich direkt an die Öffentlichkeit hierzulande zu richten. In diesen Botschaften an Europa und die USA, wiederholt er Abend für Abend in leichten Variationen die immergleiche Forderung nach einer von der NATO durchgesetzten Flugverbotszone in der Ukraine, von der alle in der Sache Entscheidenden wissen, dass diese Nato-Intervention der Eröffnung eines 3.Weltkrieges gleichkäme.

 

Parallel dazu befeuern die berufenen Meinungsmacher im ORF Tag für Tag im Fall des Kriegs in der Ukraine – ganz anders als bei vergangenen Kriegen des Westens gegen den Irak, Afghanistan, Lybien oder des Nato-Krieges gegen Serbien – die Betroffenheit der österreichischen Bevölkerung, indem sie eine Flut an Bildern über das Elend von Menschen in einem Kriegsland, vorzugsweise von Kindern, allabendlich in die heimischen Wohnzimmer übertragen. Während die Kinder in den vom Westen geführten Kriegen, von Ratten gebissene Kinder, selbstmordgefährdete Kinder, hungernde und frierende Kinder in europäischen Flüchtlingslagern heimischen Nachrichtensprechern nie eine ausgewälzte und bildreiche Berichterstattung wert waren, kriegen sie sich jetzt überhaupt nicht mehr ein vor lauter Mitleid mit den Kindern und Müttern. Zuhauf werden einem Bilder von zivilen Opfern, die natürlich immer von Russland beabsichtigt und nie „Kollateralschäden“ sind, wie sie in den Kriegen des Westens „bedauerlicherweise“ auch vorgekommen sind, quasi tagesaktuell geliefert. Verletzte auf Straßen, in Krankenhäusern, in Bunkern – je blutiger desto besser. Freilich nicht ohne Kommentierung, wem allein das ganze Elend anzulasten sei, damit jegliche Bedenken gegen die seitens der EU beschlossenen Maßnahmen gegen Russland ausgeräumt werden und jeder nur nach einem schreien kann, nach noch härteren Maßnahmen gegenüber Russland.

 

Der Gedanke, dass zum Krieg führen schon noch zwei Seiten erforderlich sind, und man angesichts des täglich steigenden Blutzolls gerade als österreichischer Staatsbürger sich die Frage stellen könnte, was an einer Neutralitätserklärung, wie sie von Russland gegenüber der Ukraine eingefordert wird, eigentlich so unannehmbar ist, kommt nur ganz selten noch in vereinzelten Leserbriefen[xi] vor, in welchen solche Leser nicht ganz zu Unrecht die Befürchtung äußern, damit als Putin-Versteher angesehen zu werden.

 

Der Nachrichtensprecherin Nadja Bernhard kommt im Anschluss an den Bericht in der ZiB 1 vom 4.März von einem Nato-Sondertreffen in Brüssel, nach dessen Abschluss Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verkündet, dass die NATO keine Nato-Flugzeuge über die Ukraine und keine Truppen auf ukrainischem Boden schicken werden, eine ganz andere Frage an die ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreitter über die Lippen: „Kann die Nato bei ihrem Nein bleiben?

 

Schaidreitter: „Nach dem heutigen Treffen bleibt sie bei einem Nein, auch wenn es schmerzhaft sei, nur zuzusehen, wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg meinte. Aber Eingreifen würde bedeuten, dass deutsche, belgische oder amerikanische Soldaten direkt russischen Truppen gegenüberstehen, eine direkte Konfrontation. Damit würde der Krieg auf diese Länder übergehen und das wäre eine Weltkatastrophe, wie Luxemburgs Außenminister gemeint hat. Aber wir konnten heute schon bemerken, dass die Außenminister einiger Nato-Länder zumindest diese Position hinterfragt haben. … Aber Stand heute will die NATO ein militärisches Eingreifen nicht haben.“

Die im Raum stehende Weltkriegsfrage bleibt permanent in Diskussion, die mit den Bildern der Kriegsopfer ebenso permanent unterfüttert wird. Und dafür, dass die nicht weniger werden, sorgt die mit Militärlieferungen unterstützte Anfeuerung des Verteidigers unserer „Freiheit“ in der Ukraine.

 

Epilog

 

„Wenn ich mir die „Kriegsberichterstattung“ in den Medien anschaue“, schreibt Oskar Lafontaine[xii] in einem Artikel vom 24. Februar 2022 auf der Website www.nachdenkseiten.de, „möchte ich vielen Journalisten ins Stammbuch schreiben, was Stefan Zweig am Vorabend des Ersten Weltkrieges notierte und woran Gabor Steingart kürzlich erinnerte:

 

„Sie hatten die Hasstrommel geschlagen und schlugen sie kräftig, bis jedem Unbefangenen die Ohren grellten und das Herz erschauerte. Gehorsam dienten sie fast alle in Deutschland, in Frankreich, in Italien, in Russland, in Belgien der Kriegspropaganda und damit dem Massenwahn und Massenhass des Krieges, statt ihn zu bekämpfen.““



[i] Parlamentskorrespondenz Nr. 169 vom 24.02.2022, https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2022/PK0169/index.shtml

[ii] https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/bundeskanzler-karl-nehammer/reden-bundeskanzler-nehammer/regierungserklaerung-von-bundeskanzler-karl-nehammer-zur-aktuellen-krise-zwischen-russland-und-der-ukraine-im-nationalrat.html

[iii] Vienna Online vom 1.3.2022, https://www.vienna.at/ukraine-krieg-anna-netrebko-sagt-alle-auftritte-ab/7310402

[iv]Kurier vom 2.März 2022 „Batman rettet die Welt -außer in Russland“

[v] https://www.dw.com/de/russland-und-belarus-nun-doch-von-paralympics-in-peking-ausgeschlossen/a-60995711)

[vi] „Ukraine Sanktionen gegen die vom Kreml unterstützte Medien Russia Today und Sputnik“, Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 2.März 2022

[vii] Der Hohe Vertreter/Vizepräsident Josep Borrell: „Die vom Kreml orchestrierte systematische Informationsmanipulation und Desinformation spielen bei dem russischen Angriff auf die Ukraine eine maßgebliche Rolle. Sie stellt auch eine erhebliche und unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Union dar. Daher ergreifen wir heute eine wichtige Maßnahme gegen Putins Manipulationskampagne und schalten die vom russischen Staat kontrollierten Medien in der EU ab.“ (Pressemitteilug der EU-Kommission vom 2.März 2022)

[viii] Kurier vom 4.Februar 2022 „Ukraine-Krise: Wer ist verantwortlich?“ https://kurier.at/politik/ausland/ukraine-krise-wer-ist-verantwortlich-kurier-laedt-zur-experten-debatte/401895278

[ix] Der Standard vom 28.Dez.2021, Gerhard Mangott „Vorboten des Unheils? Zur aktuellen Lage im Ukraine-Konflikt

[x] Falter vom 23.2.2022, Raimund Löw, „Putins Drohung mit dem Angriffskrieg“

[xi] Leserbrief in den Salzburger Nachrichten vom 23.2.2022: „Festhalten an der Neutralität: Ich scheine zu den "Russland-Verstehern" zu gehören. Ich sehe Österreich als Vorbild: wir sind neutral, also nicht NATO-Mitglied, sind gleichzeitig jedoch Teil der EU. Warum wird nicht für und mit der Ukraine eine solche international garantierte Neutralitätsvereinbarung geschlossen?“

[xii] Oskar Lafontaine „Krieg ist kein Mittel der Politik“ - https://www.nachdenkseiten.de/?p=81205