GEGENARGUMENTE

Der Fall Griechenland: Acht Jahre Memoranden – eine Bilanz

 

Am 20.August 2018 endete das 2015 aufgelegte Kreditprogramm des Euro-Rettungsschirms ESM – das dritte „Hilfs“-paket für Athen seit 2010. Auf der ORF-Homepage konnte man dazu Folgendes lesen:

 

Fast ein Jahrzehnt haben Griechenlands Finanzen schwer auf Europa gelastet - ein Zusammenbruch des Euro oder ein Austritt des Landes aus der Gemeinschaftswährung haben gedroht. Am Montag bricht für das ehemalige Krisenland eine neue Zeit an: Erstmals seit 2010 muss das Land ohne internationale Hilfen auskommen. Das dritte Kreditprogramm des Euro-Rettungsschirms ESM ist zu Ende. Ob die Eigenfinanzierung langfristig klappt, ist keineswegs sicher.“ (https://orf.at/v2/stories/2451177/2451178/)

 

Was das Sorgeobjekt war, wird einem unverblümt mitgeteilt. Griechenlands Finanzen haben Europa belastet, den Euro und überhaupt die Währungsunion als Ganzes gefährdet. Diese Gefahr gilt mit Auslaufen des dritten Kreditprogramms für Griechenland als behoben, Griechenland ist kein „Krisenland“ mehr, soll sich ab nun wieder am Finanzmarkt refinanzieren.

 

Ihr habt es geschafft“, twitterte de EU-Ratspräsident Donald Tusk und gratulierte dem griechischen Volk. EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici sprach vom Ende einer existenziellen Krise für die Eurozone (SN vom August 2018). Das Ende des griechischen Hilfsprogramms sei „eine großartige Nachricht“, freut sich der Chef des Euro-Stabilitätsfonds ESM, Klaus Regling. (Handelsblatt vom 20.08.2018) und meint weiter: „Auch das griechische Volk sollte feiern“.

 

Diesem ist nicht so richtig nach Feiern. Warum kann man ebenfalls auf der ORF-Homepage am 20.8.2018 nachlesen. Über die Auswirkungen der von Griechenland im Gegenzug für die Kredite verlangten Reformmaßnahmen erfährt man dort:

 

Der Wohlstand im Land ging allgemein auf Talfahrt, die Arbeitslosigkeit schnellte in die Höhe, viele Bürgerinnen und Bürger hatten drastische Lohneinschnitte hinzunehmen. Haushaltseinkommen fielen um mehr als 30 Prozent, und jeder fünfte Mensch in Griechenland hat nicht genug Geld für die nötigsten Ausgaben wie Miete, Strom und Kreditrückzahlung. Selbst jene, die Arbeit haben, sind von Armut betroffen. Denn die Löhne fielen nicht nur um die Hälfte oder mehr - sie werden oft auch erst mit monatelanger Verzögerung ausbezahlt. Und die Statistik täuscht auch: Zumindest die Hälfte der Arbeitsverhältnisse sind zeitlich befristet oder Teilzeit, so die „New York Times“. Laut OECD hat damit fast jeder zweite Haushalt mit zwei Kindern weniger Einkommen, als nötig ist, um über die Armutsgrenze zu kommen.“ (ebenda)

 

Nicht wenigen gelten diese Daten als ein einziger Misserfolg der Memorandumspolitik. In einem Artikel der britischen Zeitung Guardian heißt es etwa: „Griechenland war ein kolossaler Misserfolg. Es handelt sich um eine Story über Unfähigkeit, nutzlose Verzögerung und die Interessen der Banken, die über die Bedürfnisse der Menschen gestellt wurden. Und es wird langfristige Folgen geben.“ „Nach über acht Jahren auf der Intensivstation sollte es einem Patienten eigentlich besser gehen als vorher. Im Fall Griechenlands ist das Gegenteil eingetreten. Das Land ist ausgezehrt, die Menschen sind mutlos“ liest man im Handelsblatt vom 20.08.2018.

 

Diese durch die Memorandumspolitik herbeiregierte Verelendung der griechischen Bevölkerung wird von den EU-Vertretern gar nicht geleugnet. Das griechische Volk wird für die Opfer, die es bringen musste, durchaus bedauert. Dass all die Opfer nicht gegen ihr famoses Projekt EU und Euro sprechen, da sind sich die EU-Offiziellen dennoch sicher, weil diese ja nicht diesem Projekt, sondern ausschließlich den Fehlern der griechischen Politik in der Vergangenheit  anzulasten seien.

 

Thema der Sendung ist, was man aus den Erfolgsmeldungen seitens der EU-Offiziellen und der gegenüber Griechenland durchgesetzten Politik über die Währungsunion und ihre Fortschritte lernen kann und eine Kritik der Sichtweise, der Zustand Griechenlands nach acht Jahren Memoranden beweise den Misserfolg der Memorandumspolitik.

 

I. Rückblick – zu den angeblichen Gründen der Krise

 

Am 23.April 2010 verkündet der damalige griechische Regierungschef Papandreou[1] seinem Volk in einer TV-Ansprache auf der Insel Kastellorizo, dass Griechenland vor dem Bankrott stehe und auf Hilfszahlungen seitens der EU und des IWF angewiesen sei. Mit Griechenland steht 2010 zum ersten Mal in der Geschichte der Währungsunion ein Euro-Land vor dem Bankrott. Damit ist nicht nur Griechenland sondern die Gemeinschaftswährung bedroht. Die ökonomische Notlage Griechenlands deckt die Krisenlage der gesamten Euro-Staatengemeinschaft auf, und damit den Widerspruch des Euro, dass konkurrierende Staaten auf nationale Rechnung in einem gemeinsamen Geld wirtschaften. Genau das, dass die ökonomische Krisenlage Griechenlands Resultat ihres europäischen Einigungswerks mit seinem Binnenmarkt und der gemeinsamen Währung sei, lassen versuchen die Führungsmachte der Währungsunion und die hiesige Öffentlichkeit von Anfang an mit aller Macht zu dementieren.

 

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Zum Grund der Notlage Griechenlands hieß es damals wie heute: Mitten in Europa hätten sich dort unten, kunstvoll verschleiert, in Herrschaft und Volk Sitten eingebürgert, die gegen alles verstoßen würden, was in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion erlaubt und bei allen anderen Mitgliedern die Regel sei. Schuld an der prekären Situation Griechenlands wären einzig und allein die Griechen und ihre Regierungen[2] selbst. Die Bürger würden ihrer Steuerpflicht nicht nachkommen und der Staat die Steuern zu wenig energisch bis gar nicht eintreiben. Schon im Jahr 1999 hätte Griechenland sich mit falschen Zahlen seinen Beitritt zur Währungsunion erschlichen[3]. Der Staat würde sich mit gefälschten Bilanzen Geld aus Brüssel abholen und dazu verwenden, großzügig Rentner, Lehrer und sonstiges aufgeblähtes Verwaltungspersonal zu entlohnen und eine Ökonomie am Laufen zu halten, die aus Korruption und dem für die Südländer typischen Hang zum Nichtstun besteht, statt sich um deren Konkurrenzfähigkeit zu kümmern. „Über seine Verhältnisse gelebt“ hätte das Land und zwar so gut wie jeder seiner Insassen. Mit seiner, dem Wohlleben von Land und Leuten geschuldeten Überschuldung von beachtlichen 145% des BIP im Jahr 2010 hätte Griechenland sogar beinahe das großartige Projekt Europa zum Wanken gebracht.

 

Für die maßgeblichen Subjekte der Währungsunion und der hiesigen Öffentlichkeit versteht es sich wie von selbst, dass es Kredit für Griechenland nur gegen harte Reform und Sparauflagen geben konnte. Schließlich handle es ich um reinen Goodwill und einen Ausdruck der Solidarität, wenn Europa – allen voran Deutschland – dem Land zur Seite sprängen und die fehlende Kreditwürdigkeit des Landes am Finanzmarkt mit europäisch geschöpftem Kredit substituierten.

 

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Dass all diese für den öffentlichen Sachverstand offenbar plausiblen Erklärungen an der Sache vorbeigehen, hätte man schon an Folgendem merken können: Es mag ja sein, dass im Land der Griechen ökonomisch wie politisch manches anders läuft bzw. lief als in anderen Nationen der europäischen Union. Aber dass deswegen Griechenland und seine Krise ein irgendwie un- oder außereuropäischer Sonderfall sind, kann schon deswegen nicht stimmen, weil Griechenland ja nun unbestreitbar immerhin schon seit 1981 ein Mitglied der europäischen Union ist und im Übrigen nicht das einzige, das an den Rand des Bankrotts geraten ist – Irland, Portugal, Spanien um nur einige zu nennen.

 

Die besonderen Usancen der Haushaltspolitik waren lange vor 2009 bekannt. Auf übertriebene Genauigkeit bei der Prüfung der Maastricht-Tauglichkeit des griechischen Haushalts wurde aus übergeordneten politischen Gründen verzichtet. Es ging im Fall Griechenlands darum, sich als machtvoller europäischer Staatenblock eine Nation an der Südperipherie zuzuschlagen.

 

Was den Vorwurf der mangelnden Konkurrenzfähigkeit betrifft, ist zunächst einmal anzumerken, dass es eine Konkurrenz ohne Verlierer nicht gibt. Eine Konkurrenz mit lauter Siegern hat noch niemand erfunden. Konkurrenzerfolge der einen und Konkurrenzniederlage der anderen sind die zwei Seiten derselben Medaille. In Wahrheit ist es doch so: Griechenland hat sich mit dem Beitritt zur EU mit ihrem Binnenmarkt und in weiterer Folge der Währungsunion dem freien Wettbewerb gegen die kapitalkräftige Konkurrenz aus Europas Musterstaaten mit ihren Weltkonzernen und potenten Mittelständlern gestellt. Griechenland wird von den Kapitalen der europäischen Führungsmächte – nicht zuletzt des deutschen Kapitals – als Markt und Schuldner in Anspruch genommen und dank deren überlegener Kapitalgröße niederkonkurriert. Unternehmen, die in Produktivität und Rentabilität in der Union und über deren Grenzen hinaus Maßstäbe setzen, haben alles andere vor als den Kapitalmangel zu beheben, unter dem ihre griechischen Wettbewerber leiden: Sie nutzen ihn gnadenlos zu ihren eigenen Gunsten aus und erobern sich mit überlegener Kapitalgröße den Markt, der ihnen da neu eröffnet wird. Diesen ihren Konkurrenzerfolg zur Disposition zu stellen, das kam für diese Führungsmächte, allen voran Deutschland, nie in Frage, wo wäre denn dann ihr Nutzen aus der europäischen Einigung? Im Gegenteil, Deutschland ist stolz auf seine Konkurrenzerfolge. „Der Erfolg ist hart erkämpft und bitter bezahlt“, schreibt etwa die Süddeutsche Zeitung am 9.2.2012 und verweist damit auf die mit der Agenda 2010 durchgesetzte Verarmung der deutschen Arbeiterklasse als einer wesentlichen Voraussetzung deutscher Konkurrenzerfolge. Der auf dieser Grundlage errungene Konkurrenzerfolg wird den Griechen als ihr Versäumnis vorgerechnet.

 

Auch eine Auskunft über die Unverträglichkeit staatlicher Erfolge mit guten Lebensbedingungen der Menschen. Der Reichtum kapitalistischer Staaten beruht auf der Armut seiner Produzenten. Das hätte die griechische Politik nicht rechtzeitig und nicht ausreichend beherzigt. Sie hätte ihr Volk nicht rechtzeitig und nicht radikal genug verarmt. Zu den zentralen Forderungen, denen Griechenland im Rahmen der drei Memoranden genügen musste, gehörte dementsprechend die radikale Verarmung seines Volkes. Zu den Resultaten dieser Politik konnte man auf der ORF-Homepage lesen:

 

Das Ende des Rettungsprogramms macht für uns keinen Unterschied. Wir überleben nur, aber wir leben nicht“, fasste es eine Griechin gegenüber der „New York Times“ zusammen.““ (ORF-Homepage am 20.8.2018)

 

Wenn selbst die hiesige Öffentlichkeit heute in Griechenland absolute Verarmung der dortigen Bevölkerung konstatiert, gleichzeitig die Finanzierung des Staates über die Finanzmärkte bis dato alles andere als sichergestellt ist, was schließlich als Ziel der ganzen Politik der Memoranden ausgegeben wurde, dann ist dem zu entnehmen, dass die 2010 an Griechenland erfolgte Schuldzuweisung „Land und Leute hätten dort über ihre Verhältnisse gelebt“ mit dem wirklichen Grund der Krise nichts zu tun hat.

 

II. Der Inhalt der Griechenland-Krise

 

Ende 2009 verweigerte das Finanzkapital Griechenland die Refinanzierung seiner Staatsschulden. Es hätte über seine Verhältnisse gelebt, hieß es in der hiesigen Öffentlichkeit und wurde in Bilder vom griechischen Wohlleben übersetzt. Doch was bedeutet das? Was sind denn wirklich „die Verhältnisse“, die über Wohl und Wehe nicht nur der Bürger Griechenlands entscheiden. Will man verstehen, was der wirkliche Grund der sogenannten Griechenland-Krise ist, ist es notwendig, zu verstehen, wie Staaten sich finanzieren.

 

a. Anmerkungen zur Staatsfinanzierung qua Kredit

 

Kein Staat lässt sich in seinen nationalen Ambitionen durch das Steueraufkommen seiner nationalen Wirtschaft beschränken. Sein ausgreifendes Geldbedürfnis befriedigt er, indem er sich am Finanzmarkt bedient, sprich Kredit aufnimmt. Wie normal diese Staatsfinanzierung qua Kredit ist, beweist nicht nur, dass es praktisch keinen Staat der Welt gibt, der nicht verschuldet ist, sondern das belegen die berühmten Maastricht-Kriterien, zu denen sich die Staaten Europas verstehen. Sie verpflichten sich mit ihnen dazu, ihre jährliche Neuverschuldung auf 3% des BIP zu beschränken. So sehr dieses Kriterium in den öffentlichen Debatten als Ausdruck der Zurückhaltung der Staaten beim Schuldenmachen gilt, so sehr belegt es doch in Wahrheit die Normalität eines Jahr für Jahr zunehmenden Schuldenstandes. Staaten bezahlen in anderen Worten ihre Schulden von gestern mit neuen Schulden und genehmigen sich darüber hinaus wechselseitig eine jährliche Neuverschuldung. Von wegen daher, Staaten nicht mehr ausgeben als sie einnehmen.

 

Diese Sorte des Schuldenmachens hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Konsumentenkredit, bei dem der Kreditnehmer sein zukünftiges Einkommen verpfändet, bis die Schuld auf Heller und Pfennig beglichen ist. Keine Ähnlichkeit hat die staatliche Schuldengebarung aber auch mit dem Kredit von Unternehmen, die ihre Schuldtilgung und Zinszahlung aus dem mit Hilfe des Kredits vergrößerten Geschäft bestreiten.

 

Stellt sich freilich die Frage, worauf dann das Finanzkapital setzt, wenn es staatliche Schuldpapiere – Staatsanleihen – wie sicheres Vermögen behandelt? Jedenfalls nicht darauf, dass der Staat geschäftlich etwas leistet. Der Staat ist kein Unternehmer, er produziert nichts und schon gar nicht Gewinn. Worauf das Finanzkapital setzt, das ist die Stellung des Staates zu seiner Gesellschaft. Erstens darauf, dass er über eine Gesellschaft kommandiert und im Zweifelsfall mit seiner Macht auf den Reichtum dieser Gesellschaft steuerlich zugreift. Zweitens und vor allem aber auf den Willen des Staates, alles Erforderliche und in seiner Macht Stehende zu tun, um für dauerhaftes Wachstum zu sorgen, sodass dieses Finanzkapital sich nicht zu sorgen braucht, dass der Staat zahlungsunfähig würde.

 

Womit Staaten wirtschaften ist also ihr Kommando über eine Gesellschaft, die laufend Geldwachstum produziert. Herrschaft – das Kommando über die Wirtschaft – wird zum ökonomischen Mittel. Der Staat kriegt die erforderlichen Mittel, weil er glaubwürdig verspricht, erstens seine Gesellschaft im Griff zu haben und sie zweitens aufs Gewinn-Produzieren festzulegen.

 

Mit dieser Art der Finanzierung macht sich der Staat vom Urteil des Finanzkapitals hinsichtlich des von ihm versprochenen und vom Finanzkapital erwarteten Wachstums seiner Ökonomie abhängig. Entgegen allen in der kritischen Öffentlichkeit zirkulierenden Vorstellungen über den Staatshaushalt als einer frei handhabbaren, in jede Richtung hin besser oder schlechter, freigiebiger oder begrenzter benutzbaren Geldmenge legt sich der Staat damit schon in der Art seiner Finanzierung auf die Verpflichtung gegenüber seinen Kreditgebern fest, alles zu tun, seine Kreditwürdigkeit zu behalten: Dass sein kapitalistischer Laden funktioniert, dass Wachstum zustande kommt, dass die Geschäftserwartungen des Finanzkapitals aufgehen, dass also seine Schulden glaubwürdig bleiben. Dann ist der Staat mit seinem ganzen Getriebe, mit seinem Regieren, seiner ganzen Wirtschaftspolitik für nichts Anderes da, als dafür, dieses Versprechen wahr zu machen. Freilich legt er sich damit auf nichts fest, was ihm nicht ohnehin selbst ein Anliegen wäre.

 

Dennoch hat diese Finanzierung des Staates über den Finanzmarkt ihren Preis, ist es doch damit dem Finanzkapital anheimgestellt, über die Kreditwürdigkeit des Staates zu entscheiden. Und es trifft diese Entscheidung längs seiner Kriterien, die nicht nur am Zustand des kreditierten Staates selbst Maß nehmen. Diese Beurteilung fußt vielmehr auf einem Vergleich aller sich ihm bietenden Gelegenheiten für Investitionen unter den Gesichtspunkten von Gewinnerwartung und Sicherheit der verschiedenen Investments. Ein solcher Vergleich hat es an sich, dass in ihn noch ganz andere Kriterien einfließen, als bloß jene, die im beurteilten Staat selbst begründet liegen. Genau das ist Griechenland zum Verhängnis geworden, als es für zahlungsunfähig erklärt wurde.

 

b. Die griechische Staatschuldenkrise

 

Wann hat die Welt gewusst, dass Griechenland über seine Verhältnisse gelebt hat? Ihren Ausgangspunkt hat die Krise Griechenlands in der Finanzkrise des Jahres 2008, die mit dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Bank Lehman Brothers ihren Höhepunkt erreicht. Die daraufhin einsetzende kritische Begutachtung aller Schulden seitens des Finanzkapitals macht auch vor den Staatsschulden der Euro-Staaten, geschaffen zwecks Rettung des Kreditsektors, nicht halt. Bei seinem Test auf die Haltbarkeit des von den Staaten aufgeblähten Euro-Kredits, geht es dabei sachgerecht differenzierend vor. Nämlich so, wie die Konstruktion der Gemeinschaftswährung es vorgibt: Bewertet werden die Staatsschulden, die allesamt auf gleichermaßen harte Euro lauten, nach der Fähigkeit der staatlichen Emittenten, allein mit den Mitteln ihrer eigenen Nationalökonomie für sie einzustehen.

 

Griechenland wurde dabei das Verhältnis zwischen seinen aufgelaufenen und neu zu emittierenden Schulden einerseits und dem nationalen kapitalistischen Wachstum, das diesen Schuldenberg rechtfertigen muss, andrerseits zum Verhängnis. Dieses Missverhältnis war – und ist im Übrigen – in Griechenland signifikant höher als im Rest der Eurozone, entsprechend höher stuften die Ratingagenturen das „Restrisiko bei schlechter Konjunkturlage“(Standard & Poors) bei der Schuldenbedienung ein – und augenblicklich hatte Griechenland seine Finanzkrise. Finanzunternehmen weltweit, vor allem aber solche aus den kapitalkräftigen EU-Partnerländern, die bis neulich noch bemerkenswerte Milliardensummen in den griechischen Staatshaushalt investiert hatten, führten mit ihrer Verweigerung des sonst üblichen Umgangs mit staatlichen Schulden die Zahlungsunfähigkeit des griechischen Staates und damit den Offenbarungseid über die Nichtigkeit der entsprechenden Papiere herbei, die immerhin in ihren Portfolios einen gewichtigen Posten ausmachten.

 

Dass Griechenland von einem Tag auf den anderen für zahlungsunfähig erklärt wurde, lag nicht daran, dass dieses Verhältnis dem Finanzkapital nicht schon zuvor bekannt gewesen wäre. Was sich geändert hatte, war der Maßstab, den das Finanzkapital an seine Investments angelegte.

 

Die Summen, um deren Fortschreibung oder Streichung es geht, machten allein schon wegen ihrer Größe die Sache schon wieder ziemlich „systemrelevant“. So richtig „relevant“ ist die griechische Finanzkrise allerdings erst recht deswegen, weil sie den Euro-Club insgesamt und dessen Geld betrifft.

 

c. Die griechische Staatsschuldenkrise und der Euro – die Widersprüche der Währungsunion

 

Der Bankrott Griechenlands ist ein erster Offenbarungseid über die unauflöslichen Widersprüche der Währungsunion und ihres Geldes. Der unheilbare Widerspruch, der die EU im Allgemeinen und ihre Gemeinschaftswährung im Besonderen kennzeichnet, wird ganz akut praktisch wirksam.

Da bewirtschaften souveräne Staaten einen gemeinsamen Binnenmarkt, also eine Konkurrenz kapitalistischer Unternehmen über alle Grenzen hinweg, in der sich die nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien Potentesten durchsetzen sollen, ungestört durch nationale Sonderkonditionen. Die siegreichen Firmen gestalten mit ihren Erfolgen und mit den Niederlagen, die sie ihren schwächeren Konkurrenten beibringen, die wirtschaftliche Landkarte der Union. Dieses gesamteuropäische Hauen und Stechen bewirtschaftet zugleich jeder Staat mit seinen autonomen Mitteln zum Nutzen seines nationalen Standorts und der Erträge, die er daraus zieht.

 

Nach demselben Muster bewirtschaften die Euro-Partner nicht bloß die länderübergreifende Konkurrenz der Kapitale, sondern auch ein gemeinschaftliches Kreditgeld. Für das haften sie alle, und zwar formell alle gleichermaßen, mit ihren Schulden und dem Wachstum, das sie damit in ihrem Zuständigkeitsbereich zustande bringen. In Sachen Wachstum tut nun jeder Euro-Staat, was er kann, um seinen Standort kapitalistisch ertragreich zu machen – und genau so machen alle einander die Erträge aus der Kapitalakkumulation in ihrem großen Gesamt-Euro-Land streitig, mit denen sie für ihre Schulden und das Gemeinschaftsgeld einstehen.

 

Hier liegt ein erster Widerspruch des Euro vor. Konkurrenten setzen in und für ihre Konkurrenz auf ein gemeinsames Geld, dessen Werthaltigkeit durch erfolgreiche Euro-Geschäfte beglaubigt wird – Geschäftserfolge, die sie sich gerade wechselseitig streitig machen. Mit ihrer Konkurrenz gegeneinander führen sie die Prämisse ad absurdum, auf der ihr gemeinsames Kreditgeld beruht, dass nämlich jede Nation gleichrangig mit allen anderen und mit einem gleichwertigen Verhältnis zwischen Schulden und Wachstum die Stabilität dieses Geldes verbürgt.

 

Die gemeinsame Finanzkrise stellt diese Fiktion auf eine harte Probe; dadurch nämlich, dass das Finanzgewerbe den unproduktiv vermehrten Euro-Kredit insgesamt einer verschärften spekulativen Überprüfung unterzieht und seine nationalen Quellen auf ihre Zuverlässigkeit testet. An Griechenland beißen sich die Spekulanten fest und decken damit die Widersprüchlichkeit der ganzen Konstruktion auf.

 

Damit wird ein zweiter Widerspruch der Währungsunion offenbar, der darin besteht, dass der Konkurrenzsieger gar nicht einfach sagen kann, die Verlierer sind ihm egal, weil er doch in der Konkurrenz gewonnen hat. Was hier zum Tragen gekommen ist – und das ist eine Eigenart der Eurokonstruktion -, ist, dass konkurrierende Länder mit ihrem Wachstum, das sie sich als Konkurrenten gerade gegenseitig streitig machen, ihren Gesamterfolg in einer gemeinsamen Währung bilanzieren. Die andere Nation nieder zu konkurrieren, ist deshalb zugleich ein Anschlag auf die Währung und ihren Wert, in der man den eigenen Reichtum bilanziert.

 

Wie gehen die Konkurrenzgewinner – allen voran Deutschland – mit diesem Widerspruch der Währungsunion um? Nicht so, dass es Rücksicht nimmt und von seinem Konkurrenzvorteil Abstriche macht. Die Konsequenz ist eine ganz andere. Deutschland bringt genau das, was es gewonnen hat, das gute Geld, den Euro, als Machtmittel in Anschlag, Griechenland in seinem Verliererstatus zu erhalten; es ökonomisch auf den Status herunter zu dividieren, der zu den Rechnungen passt, die man mit ihm anstellt.

 

III. Der Inhalt der Memoranden

 

Die Führungsmächte der EU bestehen eisern darauf, dass die Krise ein Krise Griechenlands ist und legen allergrößten Wert auf den Nachweis, dass die ihren ganzen Grund in Versäumnissen bei der korrekten Haushaltsführung hat, die man sich in Athen hat zuschulden kommen lassen. Es darf sich nur um einen Sonder- und Ausnahmefall handeln, der aber auch gar nichts mit den innereuropäischen Konkurrenzniederlagen zu tun hat.

 

Bezogen auf Griechenland heißt das: Es hat als Folge der Krise seinen Kredit auf den Finanzmärkten verloren. Aber nicht nur das. Weil es mit seinem Betritt zum Euro seine Geldhoheit an die Gemeinschaft abgetreten hat, kann es sich seine Zahlungsfähigkeit auch nicht mehr hoheitlich verschaffen. Von den Partnerländern wird Griechenland als Preis für seine Kreditierung das Eingeständnis abverlangt, dass es jetzt auch seine Haushalthoheit verloren hat.

 

Griechenland bekommt Kredit, um weiter seine alten Schulden bedienen zu können, aber nur unter der Voraussetzung, dass es das von den europäischen Partnern und dem IWF verordnete Sanierungsprogramm umsetzt. Die griechische Staatsführung wird gleichsam unter Aufsicht gestellt. Haushaltskommissare von außen – Troika, Quadriga und IWF – entscheiden, wofür Geld im griechischen Staatshaushalt da ist und wofür nicht, kontrollieren die pünktliche Umsetzung und Einhaltung der Griechenland auferlegten Sanierungsgesetze. „Haushaltsdisziplin“ und „Sparsamkeit“ heißen die Maximen, auf die die griechische Staatsführung verpflichtet wird, „um die finanzielle Stabilität der Eurozone als ganzer zu gewährleisten“ (Erklärung des EU-Rats vom 11. 2. 2010)

 

Das von den europäischen Partnern an Griechenland durchgezogene Urteil lautet: Wenn das Finanzkapital Griechenland den Kredit entzieht, dann beweist das, dass dieses Land für den Euro nichts getaugt hat. Der Standort Griechenland, was in Griechenland an Geschäft gelaufen ist, hat sich ökonomisch nicht als Quelle von Wachstum und damit nicht als positiver Beitrag zur Stärke des Euros bewährt. Die Konsequenz lautet: Wenn Griechenland schon keinen positiven Beitrag zur Stärke des hinkriegt, muss es alles tun, um den Euro wenigstens nicht zu belasten.

 

Griechenland steht quasi unter Konkursverwaltung und muss seinen gesamten ökonomischen Bestand, alles was es im Land an Reichtum gibt, zum Angebot an ausländisches Kapital machen: Flughäfen, die Häfen von Piräus und Thessaloniki, Kraftwerke usw. Alle Privatisierungserlöse sind für die Schuldentilgung reserviert.

 

Alles, womit Land und Leute in diesem Staat bislang überlebt haben, ist zu opfern, um den Staatsschulden den Schein zweifelsfreier Haltbarkeit zu verschaffen und dadurch Schaden vom gemeinsamen Kreditgeld abzuwenden. Der Staat darf durch die amtliche Suspendierung aller Tarifverträge und Tarifverhandlungen, durch die sofortige Absenkung des Lohnniveaus des Landes einschließlich des Mindestlohns, der auf ein neu herunterdefiniertes Existenzminimum festgesetzt wird, durch Senkung der Ausgaben für Infrastruktur, Waldbrandbekämpfung und das Gesundheitswesen, durch drastische Senkung aller staatlichen Sozialleistungen – Alters- und Invalidenpensionen, Arbeitslosengeld, Solidaritätszulage für Personen mit niedriger Pension, Heizölsubventionen uvm. seine Nützlichkeit demonstrieren.

 

Gleichzeitig werden Sozialversicherungsbeiträge und bestehende Steuern erhöht sowie neue Abgaben eingeführt: Erhöhung der MwSt.-Sätze; Erhöhung der Mineralölsteuer, Sonderverbrauchssteuer auf Getränke, Brennstoffe und Zigaretten; Erhebung einer Sondersteuer auf Kaffee; Sondersteuer auf Grundbesitz (Immobilien-Besitzsteuer, ENFIA); Senkung der Steuerfreigrenze bei der Einkommenssteuer von 8000 auf 5000 Euro; Abschaffung der MwSt.-Rabatte für die Inseln; Einführung einer Übernachtungssteuer in Hotels. Während Deutschland 2010 die MwSt. im Hotelgewerbe auf 7% senkt und Österreich[4] 2018 die mit der Steuerreform 2016 eingeführte Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Nächtigungen von 10% auf 13% wieder rückgängig macht – beide unter Hinweis auf die Konkurrenzfähigkeit ihrer Tourismusbranche – muss Griechenland die MwSt. auf Nächtigungen von 6,5 % auf 13% und den Normalsteuersatz auf 24 % anheben. An der mangelnden Konkurrenzfähigkeit der nationalen Ökonomie etwas zu korrigieren und dafür Mittel zu mobilisieren, wird Griechenland verboten.

 

Im Bereich der Landwirtschaft werden Ausnahmeregelungen wie die geringere Besteuerung des Agrardiesels abgeschafft, Einkommensbesteuerung vom tatsächlichen Einkommen und 100% Steuervorauszahlungen eingeführt.

 

Die Vorgabe lautet: Griechenland muss 2016 bis 2018 und darüber hinaus einen Primärüberschuss in seinem Staatshaushalt (0,5% – 2016, 1¾% – 2017 und 3,5 % – 2018) erzielen. Schon vom Ausgangspunkt her ist klar, dass dieser Primärüberschuss sich nicht einem herbeiregierten Aufschwung der Wirtschaft verdankt, an dem der Staat mit steigenden Einnahmen partizipiert, sondern radikalen Einsparungen am Volk. Insofern es sich nicht als eine ausreichende Quelle von Reichtum und Wachstum bewährt, wird es als eine untragbare Last definiert und demgemäß als eine zu streichende Kost im Staatshaushalt verbucht. Das bei gleichzeitiger Erhöhung der Steuern und Abgaben. Das Geschäftsleben des Landes wird so nach Maßgabe der staatlichen Haushaltslage auf Schrumpfung programmiert. Die Forderungen der europäischen Staaten an die Adresse Griechenlands sind die Kehrseite davon, was die Kreditwürdigkeit von Staaten ausmacht. Kreditwürdig ist ein Staat, insofern er eine Wirtschaft kommandiert, die aus seinem Volk Profite in einem Maße herauswirtschaftet, die das Finanzkapital zufriedenstellen. Insofern es Griechenland nicht gelungen ist, sein Volk zu einer solchen Reichtumsquelle zu machen, ist dieses Volk eine tote Last und wird entsprechend behandelt.

 

Resultat der Griechenland auferlegten Maßnahmen: BIP um 25 % geschrumpft, von 226 Mrd. Euro 2010 auf 177 Mrd. Euro 2017. 230 000 mittelständische Betriebe mussten 2008 bis 2015 schließen. Die Zahl der Arbeitslosen ist von 485 000 im Jahr 2009 auf 1 027 000 im Jahr 2017 gestiegen, die der Langzeitarbeitslosen von 196 000 im Jahr 2009 auf 747 000 im Jahr 2017. An die 500 000 Griechen sind ausgewandert. Zumindest die Hälfte der Arbeitsverhältnisse sind zeitlich befristet oder Teilzeit. Die Einkommen wurden in den Jahren der Memoranden um 30% gesenkt. Die Pensionen wurden um 35% bis 50% gekürzt. Gleichzeitig haben 52% der Haushalte als Haupteinnahmequelle die Pension von Familienangehörigen.

 

Im selben Zeitraum sind nicht zuletzt dank Schaffung neuer Steuertatbestände, massiver Erhöhung bestehender Steuern und Verringerung der Steuerfreigrenze die fälligen Schulden gegenüber dem Fiskus von 38 Mrd. auf über 101 Mrd. Euro gestiegen. Die Zahl der Steuerpflichtigen mit fälligen Schulden ist von 1 Mio. auf über 4 Mio. gestiegen. Diese rücksichtslos einzutreiben, dazu hat sich die griechische Regierung im 3.Memorandum verpflichtet. Wie das zu erfolgen hat, dazu sieht das Memorandum unter dem Titel „Reform der Steuerverwaltung“ vor, weder neue Teilzahlungs- oder sonstige Amnestie- oder Vergleichsregelungen einzuführen noch bestehende Regelungen zu verlängern. Ergänzt wurde all dies durch die Senkung von Pfändungsfreigrenzen, voll automatisierte Pfändungsverfahren via Internet usw. Die Zwangspfändungen und -versteigerungen vervielfachen sich: es sind 4,85 Millionen Pfändungen bei mehr als 1,1 Mio. Bürgern verwirklicht worden.

 

Die Konsequenz all der geforderten und von der linken griechischen Regierung umgesetzten Reformen ist entsprechend. Das Verhältnis von Staatsschuld und BIP kommt durch Haushaltskürzungen nicht nur nicht in Ordnung, sondern verschlechtert sich. Die Staatsschuldenquote stieg laut Handelsblatt vom 20.08.2018 von 126% Ende 2009 auf 187% im Juni. Für „Helfer“ Griechenlands – allen voran Deutschland – ist das alles zwar sehr bedauerlich, aber unumgänglich. Ihre Hilfe gilt eben nicht Griechenland, sondern dem Euro. Sie wollen die Märkte mit der Durchsetzungsfähigkeit des von Deutschland angeleiteten europäischen Sparregimes beeindrucken. Ob und wann in Griechenland das Kapital wieder wächst, ist dabei zweitrangig.

 

Der EU geht es um die glaubwürdige Demonstration des absolut kompromisslosen Willens der Union, Griechenland einer denkbar brutalen Sanierungspolitik zu unterwerfen, um so jeder Spekulation gegen den Euro den Boden zu entziehen. Dazu gehört dann allerdings auch das andere klare Signal an die Spekulanten-Gemeinde, dass die Union sich die Basis ihres Kreditgelds nicht dadurch kaputtmachen lässt, dass pure Spekulation eines ihrer Mitglieder in den Bankrott treibt. Diese Überlebensgarantie für Griechenlands Schuldenhaushalt muss freilich wieder so gestaltet werden, dass niemand an der Unverrückbarkeit der Klausel zweifelt, wonach jedes Land auf eigene Rechnung für Stabilität zu sorgen hat und ein „bail out“ nicht stattfindet; andernfalls geriete die Schuldenwirtschaft der Euro-Staaten sogleich wieder in den Verdacht der Unseriosität und der Euro in Gefahr. Das Risiko eines Offenbarungseids über die Unhaltbarkeit der Euro-Konstruktion, das an den griechischen Schulden akut geworden ist, muss an Griechenland exemplarisch bereinigt werden; und zwar durch eine „Rosskur“, deren exemplarische Härte die Finanzmärkte davon überzeugt, dass die irgendwann und irgendwie doch unausweichliche Rettung des griechischen Kredits durch die Partner die Härte des Euro nicht beeinträchtigt.

 

Das, worum es den Euro-Staaten, allen voran Deutschland, gegangen ist, war der im Euroverbund glaubwürdig durchzusetzende Machtbeweis, auf den es dann angekommen ist. Griechenland sollte keinesfalls aus dem Euro fallen, weil dies vom Finanzkapital dahingehend interpretiert hätte werden können, das er nicht das Geld ist, das die Verfügung über diesen ganzen Raum garantiert. Die Kehrseite dieses Machtbeweises ist, Griechenland muss im Euro bleiben, dafür muss es aber auf einen Status herunterdividiert werden, der den Maßstäben des Euro entspricht. Griechenland wurde qua der Kreditmacht der europäischen Führungsnationen eine neue Stellung im und zum Euro aufgenötigt und damit wurde dafür gesorgt, dass es auch weiterhin für ihre ökonomischen und politischen Interessen zur Verfügung steht.

 

Der Euro erhielt damit eine neue Bestimmung. Neu ist, dass er in dem Maße, in dem andere Staaten nicht über ihn verfügen, aber auf die Verfügung über ihn angewiesen sind, ein ökonomisches Machtmittel ist. Er ist ein Hebel, Europa zu dirigieren.

 

Dafür war und ist Griechenland ein Exempel. Ihm wurde ein Regime aufgenötigt, das aus Folgendem besteht: Es muss anerkennen, dass es, so wie es aufgestellt ist, den Ansprüchen dieser Währung nicht genügt und die von ihm geforderten Reformen durchführen – und es soll gleichzeitig im Euro bleiben und damit beweisen, dass hinter dem Euro ein felsenfestes Regime über den ganzen europäischen Staatenblock steht.

Mit den Resultaten sind die Euro-Retter zufrieden.

 

IV. Die Bilanz seitens der Euro-Staaten

 

Im August des Jahres 2018 endet das dritte und bis auf weiteres letzte Memorandum. „Griechenland muss seine Politik nun von den Finanzmärkten beurteilen lassen“, verkündet der Euro-Gruppen-Chef Mario Senteno in einem Interview gegenüber der griechischen Zeitung Ta Nea. Er gibt damit den Maßstab bekannt, dem die griechische Wirtschaftspolitik künftig zu genügen hat und drückt seine Zuversicht darüber aus, dass vermöge der Griechenland als Gegenleistung für die gewährten Kredite abverlangten Reformen Zustände in Griechenland erreicht seien, die das 2009 ausgesprochene Misstrauen seitens der Finanzmärkte aus der Welt schaffen müssten. Bemerkenswert ist dabei freilich, wie Senteno seine Zufriedenheit mit der Politik der Memoranden begründet:

 

Ich sehe aktuell viele positive Daten in Griechenland. Die Arbeitslosigkeit ist um mehr als ein Viertel zurückgegangen seit dem Höhepunkt der Krise, die Wirtschaft wächst um fast 2%, der Handelsüberschuss ist wiederhergestellt worden und das Budget weist einen Primärüberschuss von mehr als 4 % auf. Die vergangenen drei Jahre, hat die Regierung die Wirtschaftspolitik mit der Unterstützung der Institutionen und Gläubiger stabilisiert. Die Ergebnisse werden fühlbar.“[5] (Mario Senteno, www.tanea.gr, 18-19.August)

 

Eine Erfolgsbilanz, die aus der Sicht Griechenlands in Wahrheit alles andere als einen Erfolg kennzeichnet. Keine Rede davon, dass Griechenland wieder Zugang zum Kapitalmarkt hätte. Das muss einen nicht wundern, stellt die Vergrößerung des Schuldenstandes im Zeitraum der Memoranden von 120% auf 180% des BIP sicherlich keine Verbesserung der Kreditwürdigkeit Griechenlands dar. Bei entsprechend hohen Zinsen für zehnjährige Anleihen zwischen 4% und 5% ist ein Wirtschaftswachstum von 2% – und das nach einem krisenbedingten Einbruch des BIP um mehr als ein Drittel – alles andere als ein Erfolgsausweis.

 

Auch aus dem Rückgang der Arbeitslosigkeit um ein Viertel wird ein Erfolg nur, wenn man außer Betracht lässt, dass die Arbeitslosigkeit bei nach wie vor beachtlichen 20% liegt. Dabei ist selbst dieser Rückgang der Arbeitslosigkeit zu einem Gutteil darauf zurückzuführen, dass, wegen der auf ein Jahr begrenzten Zahlung eines Arbeitslosengeldes, viele der vormals Arbeitslosen einfach aus der Statistik gefallen sind. Dass sie keinen Arbeitsplatz bräuchten, ist damit freilich nicht gesagt. Zu guter Letzt muss man dann auch noch unter den Tisch fallen lassen, dass mittlerweile krisenbedingt mehr als 500.000 meist gut ausgebildete junge Griechen das Land auf der Suche nach einer Einkommensquelle, die im Land einfach nicht zu finden ist, verlassen haben. Von wegen daher, der Rückgang der Arbeitslosigkeit wäre Zeichen dafür, dass es mit Griechenland bergauf geht. An die Lage der Menschen kann Senteno bei seiner Bilanz jedenfalls nicht gedacht haben.

 

Bleibt als Erfolgsindikator noch die Sache mit der Wiederherstellung des Handelsbilanzüberschusses. Wiederherstellen kann man aber nur etwas, was es zuvor gab. Weder hatte aber Griechenland in den vergangenen Jahrzehnten jemals einen Handelsbilanzüberschuss – die in der Finanzkrise offenbar gewordene Konkurrenzniederlage ist dafür beredter Zeuge –, noch kann davon die Rede sein, dass Griechenland heute zu einem Exportland geworden wäre. Ein eigentlich lächerlicher Fehler eines der Verantwortlichen der EU könnte man meinen. Eines zeigt dieser Lapsus freilich explizit. Die demonstrativ zur Schau gestellte Zufriedenheit der EU-Verantwortlichen mit den Resultaten der Politik der Memoranden kann ihren Grund unmöglich im aufgeführten Zahlenmaterial haben, erfasst es doch genauer besehen weniger reale Erfolge Griechenlands, sondern entspricht sowohl in Auswahl der Daten als auch in ihrer Interpretation einzig dem Willen, die Memoranden als Erfolg darzustellen.

 

Womit Senteno wirklich zufrieden ist, darauf gibt sein Hinweis auf den Primärüberschuss – dass Griechenland weniger ausgibt, als es einnimmt – eine erste Antwort. Tatsächlich ist ein Primärüberschuss kein staatlicher Zweck und daher auch nicht Ausweis erfolgreicher Politik. Erfolgreich ist Wirtschaftspolitik aus der Sicht des Staates vielmehr dann, wenn ihm die von ihm betreute Ökonomie ausreichend Mittel für seine nationalen Ambitionen einspielt. Wenn Senteno dennoch das Erreichen eines Primärüberschusses zufrieden stimmt, dann daher nicht, weil damit Griechenland wieder ein Stück finanzieller Souveränität zurückgewonnen hätte. Zufrieden ist er, weil das Ziel der Memoranden, Griechenlands Staatshaushalt auf das Maß seiner geschrumpften Wirtschaft zurückzustutzen, erfolgreich umgesetzt wurde. Befreiung von unproduktiven Sozialkosten bei gleichzeitiger massiver Erhöhung der Steuern ergeben einen verordneten Primärüberschuss, den Senteno als Zeichen für die Haltbarkeit der griechischen Schulden und die Kreditwürdigkeit Griechenlands interpretiert sehen möchte. Freilich ist dieser Glaube an die erreichte Kreditwürdigkeit nur die halbe Wahrheit:

 

Europa war auf eine solche Krise nicht vorbereitet. Aber seit damals haben wir unsere Lektion gelernt und haben wir unsere Entscheidungen verbessert. Die Entscheidung der Eurogruppe am 21.Juni beweist dies. Anstatt uns auf die Höhe der Schuld im Verhältnis zum BIP zu konzentrieren, untersuchen wir eher den tatsächlichen Finanzbedarf Griechenlands, auf dass die Last der Schuld erschwinglich bleibt. Auch deshalb konzentrieren wir uns auf die Verlängerung der Fälligkeitsfristen und die Verschiebung der Zinszahlungen. Nach den europäischen Einschätzungen, die sich als genauer erwiesen haben, ist die Schuld darüber hinaus langfristig lebensfähig. Aber lassen sie uns zugeben: Die langfristigen Prognosen hängen in einem großen Maß von hypothetischen Schätzungen ab. Es ist daher zwecklos verschiedenen Prognosen, die sich bis 2060 erstrecken, Bedeutung beizumessen.[6] (Mario Senteno, www.tanea.gr, 18-19.August)

 

Aus berufenem Munde erfährt man: Ob Griechenland seine Schulden wirklich bis ins Jahr 2060 bedienen kann, steht in den Sternen und zwar unabhängig davon wie ausgeklügelt auch immer mit Fälligkeitsfristen und Verschiebung der Zinszahlung jongliert wird. Grund für Unzufriedenheit mit dem Erreichten ist das für Senteno dennoch nicht. Eines hat sich nämlich im Zuge der Politik der Memoranden geändert. Waren die Gläubiger Griechenlands zum Zeitpunkt des Ausbruchs seiner Krise private Anleger aus allen Teilen der Welt – nicht zuletzt deutsche und französische Banken –, so befinden sich die Schulden Griechenlands mittlerweile in der Hand der EZB. Jetzt liegt es damit in der alleinigen Hand Europas in Eigenregie sowohl über die Rückzahlungsmodalitäten als auch über die Zweckmäßigkeit eines Schuldenschnittes zu befinden. Die Schulden Griechenlands haben damit einen Großteil ihres Bedrohungspotenzials verloren. Wie immer Zahlungsziele bis zum Sankt Nimmerleinstag modifiziert werden, wie fiktiv immer die Rückzahlung sein mag, die Schulden sind und bleiben nämlich mit alleinigem Beschluss Europas in Wert! Auf Schulden zu verzichten, kommt bis auf Weiteres jedenfalls nicht in Frage. Die Weltgeltung des Euro in seiner Rolle als Konkurrenten des Dollars ist damit gesichert. Ein schöner Nebeneffekt: Griechenland ist auf absehbare Zeit in der Schuld der europäischen Führungsnationen. Alles in allem ein Erfolg auf ganzer Linie, wie Michel Sapin, der frühere Wirtschafts- und Finanzminister Frankreichs, in einem Interview mit der griechischen Tageszeitung Ta Nea anführt:

 

Ich glaube, dass Europa heute besser gerüstet ist, um künftigen Finanz- und Staatsschuldenkrisen begegnen zu können. Es ist von nun an möglich selbstständig, ohne Beistand des IWF zu handeln, der zu einem hohen Grad die Verfahren der Diskussion komplizierte und in der letzten Analyse als Erniedrigung Griechenlands und Europas als Ganzem betrachtet wurde. … Ich hoffe, dass der ESM in der Zukunft gefestigt werden wird und ein wirklicher Europäischer Währungsfonds sein wird, stark und glaubwürdig, fähig, uns definitiv zu befreien von jedem Eingriff des IWF. Die Eurozone ist die stärkste Wirtschaft der Welt. Sie braucht niemanden, um die Schwierigkeiten zu meistern und wird jedes Land begleiten in Richtung einer größeren Wettbewerbsfähigkeit, des größeren Wohlstands und der Solidarität.“[7] (Michel Sapin, www.tanea.gr, 18-19.August)

 

Man erinnere sich, zu Beginn der Krise war es nicht zuletzt der seinerzeitige deutsche Finanzminister Schäuble, der darauf bestand, den IWF im Boot zu haben. Nur der IWF hätte die nötige Expertise für derlei Krisen, hieß es damals. Heute, 8 Jahre und drei Memoranden später, will Europa nichts mehr davon wissen. Der Hinweis des IWF darauf, dass die Schulden Griechenlands ohne einen Schuldenschnitt keinesfalls tragfähig sind, gilt den Europäern heute nicht mehr länger als Ausdruck seiner dereinst gelobten überlegenen Expertise, sondern als Anschlag auf die mittlerweile erreichte ökonomische und politische Stellung Europas und die Weltgeltung seines Geldes. Europa lasse sich doch vom IWF, immerhin eine der wesentlichsten Instanzen der geltenden „regelbasierten Weltordnung“, nicht vorschreiben, was es zu tun und zu lassen habe. Die Forderung seitens des IWF nach einem Schuldenschnitt für Griechenland und das nur, um Griechenland wieder auf die Beine zu helfen, käme einer Erniedrigung „Griechenlands und Europas als Ganzem“ und einem Anschlag auf die Stellung Europas in der Welt gleich. Derlei Ratschläge hätte Europa nach den im Zuge von Finanz- und Staatsschuldenkrise erreichten finanziellen und institutionellen Fortschritten bis hin zur Gründung einer Alternative zum IWF in Gestalt des ESM, nicht mehr nötig. Die Eurozone als „stärkste Wirtschaft der Welt“ brauche niemand und sei aus eigenem in der Lage, jede Schwierigkeit eines ihrer Mitglieder zu bemeistern.

 

V. Die Kritiker – „die Politik der Memoranden, ein einziger Misserfolg

 

Von einem Erfolg sprechen freilich nur die Verantwortlichen der EU und die Syriza-Regierung, die die Memoranden durchgesetzt hat. Innerhalb wie außerhalb Griechenlands wird ansonsten ein kolossaler Misserfolg[8] der Memoranden diagnostiziert.

 

Vorwurf Nummer eins: Banken gerettet, Bevölkerung verarmt – heißt es in einem Attac-Artikel[9] zum Ende des Memorandums.

 

Attac rühmt sich, schon frühzeitig nachgewiesen zu haben, dass alte wie neue Kredite an Griechenland nichts anderes waren als Instrumente, griechische Anleihen im Besitz deutscher und europäischer Banken in Kurs zu halten, um ihnen so Vermögensschäden zu ersparen:

 

Banken gerettet, Bevölkerung verarmt - Attac Österreich veröffentlichte 2013 die erste Studie, die aufdeckte, dass die Gelder aus den sogenannten Rettungsprogrammen großteils direkt in den europäischen Bankensektor flossen. … Die griechische Bevölkerung sah nichts von all dem Geld. „Trotzdem behaupteten die politisch Verantwortlichen, dieses Geld käme Griechenland und den Menschen dort zu Gute. Das Gegenteil ist der Fall“, kommentiert Lisa Mittendrein“.

 

Diese Sorte Aufdeckertum tritt an die Stelle der eigentlich fälligen Frage nach politischen Gründen, sprich nach dem Inhalt der „Verantwortung“, der die politischen Verwalter des Kapitalstandorts Europas sich verpflichtet wissen. Attac ist so sehr davon überzeugt, dass der einzig wahre Inhalt verantwortlicher Politik und Geldwirtschaft der europäischen Nationen der Dienst an einem sozial bestimmten Allgemeinwohl sei, dass sie nichts davon wissen will, dass sich die europäischen Nationen einzig deshalb für die Rechnungen des Finanzkapitals starkmachen, weil sie deren Gelingen als Grundlage ihrer eigenen staatlichen Finanzmacht schätzen und dessen Zuspruch wollen. Dabei hat die deutsche Bundeskanzlerin Merkel diesbezüglich ja wirklich keinen Zweifel offen gelassen. „Wir tun es für uns“ – hat es schon zu Beginn der Krise geheißen, für den Euro. Mit dem Bankrott eines in Euro wirtschaftenden Mitgliedsstaates sah sie das imperialistisches Erfolgsprogramm der Euro-Zone gefährdet. Einzig deswegen wurden und werden die Staatsanleihen des bankrotten Griechenlands weiterhin werthaltig gehalten, das Euro-Mitgliedsland Griechenland vom Bankrott „gerettet“, wird alles getan, um den Bestand der Eurozone und der EU zu sichern. Die lohnabhängige Mehrheit der Bevölkerung in Griechenland wie auch in den anderen Krisenländern erfährt, dass sie als abhängige Variable vom Erfolg der Wirtschaft für diesen Erfolg mit ihrer radikalen Verelendung einzustehen hat.

 

Dass die Verelendung der Bevölkerung notwendig sei, wolle man „Volkswirtschaft“ und „Euro“ retten, bestreitet Attac. Die Organisation will sich das Bild eines harmonischen Miteinanders der in der Gesellschaft vorfindlichen Interessen nicht nehmen lassen. Angesichts der durch die Krisenpolitik erst so richtig ins Elend gestürzten Bevölkerungsmassen bezweifelt sie, dass es der Politik tatsächlich um die Rettung ihrer Volkswirtschaften und Europas zu tun ist. Sie nehmen die „Krise“ als allgemeinen Schaden, als Schaden, den wir alle haben und werfen den Politikern vor, ihnen ginge es gar nicht wirklich darum, die Krise zu bekämpfen, sie würden eine falsche Krisenpolitik betreiben:

 

„Die politischen Eliten von Merkel über Juncker bis Draghi tragen eine enorme Schuld gegenüber Griechenland. Sie haben das Land über Generationen hinweg verarmt, anstatt den europäischen Finanzsektor seinen gerechten Beitrag an den Kosten der Krise zahlen zu lassen. Die Griechenland-Programme sind das vermutlich größte wirtschaftspolitische Verbrechen in der Geschichte der Eurozone“, …

 

Anstatt ihrem eigentlichen Auftrag gerecht zu werden und im gegenständlichen Fall Griechenland seine untragbaren Schulden zu erlassen und neuen Kredit für die sozialen Staatsfunktionen und die ökonomische Rekonstruktion des Landes zur Verfügung zu stellen, würden die Euro-Staaten eine, am Wunschdenken von Attac gemessen, verfehlte „neoliberale“ Liebedienerei des Staats am großen Kapital, verfolgen und sonst nichts.

 

Vorwurf Nummer zwei: die griechische Wirtschaft wurde zerstört

 

Griechenlands Wirtschaft wurde durch die Kürzungsprogramme zerstört. Während im Inland die Nachfrage komplett einbrach, gibt es keine Anhaltspunkte, dass die erzwungene Kürzungs- und Lohnsenkungspolitik die Exportfähigkeit Griechenlands verbessert hat. Seit Beginn der Krise ist das BIP um ein Drittelgefallen – das ist historisch nur mit der Weltwirtschaftskrise in den 1930ern zu vergleichen. Über ein Viertel der Bevölkerung und die Hälfte aller Jugendlichen wurden arbeitslos.

 

Echte Hilfe hätte sich an den sozialen und ökonomischen Bedürfnissen von Staat und Volk in Griechenland zu orientieren, ihnen die untragbaren Schulden erlassen, neuen Kredit für die sozialen Staatsfunktionen und die ökonomische Rekonstruktion des Landes zur Verfügung stellen müssen. Was das Resultat der Politik der Memoranden betrifft, entdeckt ATTAC diesbezüglich lauter „Fehlanzeigen“: Griechenlands Wirtschaft wurde zerstört, die Nachfrage im Inland ist komplett eingebrochen, keine Verbesserung der Exportfähigkeit, kein Wirtschaftswachstum – im Gegenteil, das BIP ist geschrumpft.

 

*

 

Mit dem Vorwurf, die Kreditprogramme für Griechenland hätten nicht der Wiederherstellung der Exportfähigkeit der griechischen Wirtschaft gedient, hält Attac ein Ideal von Konkurrenzfähigkeit hoch. Es handelt sich um die Vorstellung, wenn Griechenland wieder ökonomisch auf die Beine kommt, dann gibt es wieder Wachstum, dann ist der Staat wieder zahlungsfähig und das Volk hat wieder Arbeit. Diese Vorstellung nimmt den Zustand, so wie er in den erfolgreichen kapitalistischen Nationen – in Deutschland, Österreich, usw. ... – vorliegt, als positives, erstrebenswertes Vorbild. Nicht alle, aber die große Mehrheit hat Arbeit, die Wirtschaft wächst, der Staat hat ein Steueraufkommen und kann sich über den Kapitalmarkt finanzieren.

 

Da gilt ausgerechnet ein Zustand als vorbildhaft, in dem sich die Leute für ein Wachstum ins Zeug legen dürfen, das nicht das ihre ist, von dessen Gelingen sie aber andererseits in ihrer ganzen Existenz abhängen und das, ohne dieses Gelingen selbst auch nur irgendwie beeinflussen zu können. Ausgerechnet der Zustand der reichen europäischen Länder mit ihrer Kombination aus produktivem Kapital, Billiglohn und proletarischen Lebensverhältnissen – die also deshalb so reich sind, weil die Ausbeutung in ihnen so konkurrenzlos erfolgreich ist – wird da zum Ideal hochstilisiert, zu dem auch Griechenland wieder verholfen werden sollte.

 

 

Auch verkennt Attac den wahren Charakter des seitens des offiziellen Europas an die Adresse Griechenlands gerichteten Vorwurfs mangelnder Konkurrenzfähigkeit. Wenn Griechenland mangelnde Konkurrenzfähigkeit vorgeworfen wurde, dann war das nie als Einstieg dazu gemeint, Griechenland wieder zu Konkurrenzfähigkeit verhelfen zu wollen. Wie hätten auch Steuererhöhungen im einzigen Devisenbringer Tourismus und Ausverkauf des Familiensilbers in Gestalt der wenigen gewinnbringenden Unternehmen, über die Griechenland verfügte, diese Konkurrenzfähigkeit erhöhen können.

 

Nicht wahr ist allerdings, dass der Maßstab Konkurrenzfähigkeit der griechischen Wirtschaft nicht zur Anwendung gekommen wäre. Mit der Forderung nach Konkurrenzfähigkeit ist der Anspruch an alle Euro-Staaten formuliert, den Kredit, den sie schöpfen, für eine erfolgreiche Kapitalakkumulation zu nutzen. Dieses Wachstum soll über die Steigerung seines Anteils am Weltgeschäft die Rolle des Euro steigern und ihn zu einem Weltgeld machen, das dem Dollar Paroli bietet. In diesem Anspruch auf erfolgreichen Verwendung des gemeinsamen Geldes enthalten ist das negative Urteil, dass Staaten wie Griechenland, die an diesem Anspruch scheitern, sich disqualifizieren und, wenn sie schon keinen positiven Beitrag zu Stärke des Euro hinkriegen, alles zu tun haben, den Euro wenigstens nicht zu belasten. Insofern ist das Gebot zur Konkurrenzfähigkeit die positive Wendung des praktisch geltend gemachten negativen Urteils, dass Griechenland nicht für den Euro taugt. Das von den europäischen Partnern an Griechenland durchgezogene Urteil lautet: Wenn das Finanzkapital Griechenland den Kredit entzieht, dann beweist das, dass dieses Land für den Euro nichts getaugt hat. Das an Griechenland vollzogene Urteil heißt, dort ist zu wenig an erfolgreichen Geschäften gelaufen. Der Standort Griechenland hat sich ökonomisch nicht als Quelle von Wachstum und damit nicht als positiver Beitrag zur Stärke des Euro bewährt. Die geforderte Konsequenz: Wenn Griechenland schon keinen positiven Beitrag zur Stärke des hinkriegt, muss es alles tun, um den Euro wenigstens nicht zu belasten.

 

Vorwurf Nummer drei: Diese Politik schadet nicht nur Griechenland, sondern auch deutschen Interessen

 

Ulrike Hermann, Redakteurin der TAZ, – und mit ihr Teile der deutschen Linken – belassen es nicht bei der Anklage, die Rettung der Banken hätte Griechenland ruiniert. Sie finden den Nachweis fällig, dass diese deutsche Europapolitik gar nicht im Sinne Deutschlands ist:

 

Berlin verhält sich wie ein Viehzüchter, der die Kuh, die er melken will, nicht füttert.[10] (Ulrike Herman, zitiert nach www.tanea.gr, 18-19.August)

 

Einerseits macht Ulrike Herman, wie die Mehrzahl der Linken Deutschland, die von Deutschland durchgesetzte Spar- und Austeritätspolitik dafür verantwortlich, dass griechische Schulen und Krankenhäuser nicht mehr funktionieren, Krebspatienten nicht behandelt werden, Rentner sich ihre Medikamente nicht mehr leisten können. Als ob das nicht Vorwurf genug wäre, rechnet sie aber der deutschen Regierung andererseits vor, dass die mit dieser Politik auch ihre eigenen, eben kritisierten kapitalfreundlichen Ziele nicht erreichen wird: So wird das griechische Kapitalwachstum nie und nimmer auf die Beine kommen, weil die Massenkaufkraft sinkt, Händler und Produzenten keine Gewinne machen und weitere Beschäftigte entlassen, weil dadurch das Steueraufkommen weiter schrumpft und schließlich eben die Bedienung der auswärtigen Gläubiger griechischer Staatsschulden noch weniger gelingen wird als ohnehin schon. Erst wenn sie Deutschland mit ihren ökonomischen Rechnungen und Kreditgeschäften als Opfer der menschlichen Opfer porträtiert, die deren Fortschritt fordert, ist ihr Argument fertig – und man muss befürchten, dass sie diese Art von Sorge um den Erfolg des Großen Ganzen noch nicht einmal heuchelt. Wenn sie den Fluch der bösen – unsozialen – Tat beschwört, bekennt sie ihren tiefen Glauben an so etwas wie einen nationalen und europäischen Sachzwang zu sozialer Rücksicht; Staat und schon gleich Staatenbund können nur sozial gelingen, weil nur so die Volksmassen zum nationalökonomischen Gelingen beitragen. Ein Rätsel, wie die Regierenden, die gerade vorführen, wie wenig der Fortschritt ihres Europaprojekts unproduktive Sozialkosten verträgt, das immerzu ignorieren können.

 

Literaturtipp: J.Köper/U.Taraben: „Der Fall Griechenland“, https://de.gegenstandpunkt.com/publikationen/buchangebot/fall-griechenland

 



[1]«Οι εταίρι μας θα συνδράμουν άμεσα και αποφασιστικά ώστε να παράσχουν στην Ελλάδα το απάνεμο λιμάνι που θα μας επιτρέψει να ξαναχτίσουμε το σκάφος μας με γερά και αξιόπιστα υλικά. Αλλά και να στείλουν κι ένα ισχυρό μήνυμα στις αγορές ότι η ΕΕ δεν παίζει και προστατεύει το κοινό μας συμφέρον και το κοινό μας νόμισμα», ισχυρίστηκε ο Γιώργος Παπανδρέου, συμφώνοντας πλήρως με τα όσα φρίκτα για τους Έλληνες επρόκειτο να υπογράψει επισήμως δέκα μέρες αργότερα, στο πρώτο και μοιραίο Μνημόνιο, στις 3 Μαίου 2010. ( Quelle: Επίκαιρα 22/04-28/04/16)

[2] Für die Finanzkrise in Griechenland gibt es eine Vielzahl von Ursachen, die einander gegenseitig verstärken: Die Griechen haben sich, finanziert über Schulden, einen Lebensstandard geleistet, der über ihrer Produktivität liegt. Griechenlands Staatsapparat ist aufgebläht, das Steuersystem ist marode, Steuerhinterziehung, Korruption, Sozialbetrug und Schattenwirtschaft blühen. Jetzt schwächelt die Wirtschaft, die Zahl der Arbeitlosen nimmt zu, Griechenland ist zahlungsunfähig und auf internationale Hilfe angewiesen.

(https://www.lpb-bw.de/finanzkrise_griechenland.html)

[3]Griechenland hat auch in den Jahren 1997 bis 1999 falsche Angaben über das staatliche Haushaltsdefizit an die Europäische Union gemeldet. Das geht aus einem Bericht des europäischen Statistikamts Eurostat hervor. Danach lag das Haushaltsdefizit in diesen drei Jahren, die als Referenzzeitraum für den Beitritt des Landes in die Europäische Währungsunion im Jahr 2001 galten, jeweils oberhalb des Maastrichter Referenzwerts von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Aufgrund der jetzt bekannten Zahlen hätte Griechenland den Euro nicht einführen dürfen.“ (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/konjunktur/euro-raum-griechenland-erschwindelte-euro-beitritt-1189739.html), schreibt die FAZ am 16.11.2004.

[4] „Es handle sich um kein Geschenk an die Betriebe, sagte die Tourismusministerin Elisabeth Köstinger, vielmehr gehe es darum, dass diese konkurrenzfähig bleiben.  …20 von 28 EU-Staaten hätten im Übrigen derzeit einen niedrigeren Steuersatz auf Nächtigungen als Österreich.“ (Parlamentskorrespondenz Nr. 256 vom 13.03.2018)

[5] «Βλέπω πολλά θετικά στοιχία στην Ελλάδα αυτή τη στιγμή. Η ανεργία μειώθηκε πάνω από ένα τέταρτο από το αποκορύφωμα της κρίσης, η οικονομία αυξάνεται με ρυθμό σχεδόν 2%, το εμπορικό πλεόνασμα έχει αποκατασταθεί και ο προϋπολογισμός αποφέρει πρωτογενές πλεόνασμα άνω του 4%. Τα τελευταία τρία χρόνια, η κυβέρνηση έχει σταθεροποιήσει την οικονομική πολιτική με την υποστήριξη των θεσμών και των πιστωτών. Τα αποτελέσματε γίνονται αισθητά.»(Μάριο Σεντένο, www.tanea.gr, 18-19.August)

[6]«Η Ευρώπη δεν ήταν προετοιμασμένη για τη κρίση αυτή. Αλλά από τότε, έχουμε πάρει τα μαθήματά μας και έχουμε βελτιώσει τις αποφάσεις μας. Η απόφαση του Eurogroup της 21ης Ιουνίου το αποδεικνύει. Αντί να επικεντρωθούμε στο επίπεδο του χρέους προς το ΑΕΠ, εξετάζουμε πλέον τις πραγματικές ανάγκες χρηματοδότησης της Ελλάδας, έτσι ώστε το φορτίο του χρέους να παραμένει προσιτό. Για αυτό και επικεντρωτήκαμε στην επιμήκυνση των ωριμάσεων και στην αναβολή των πληρωμών τόκων. … Το χρέος θα είναι επιπλέον βιώσιμο μακροπρόθεσμα, σύμφωνα με τις ευρωπαϊκές προβλέψεις, οι οποίες έχουν αποδεχθεί οι πλέον ακριβείς. Αλλά ας το παραδεχθούμε: οι μακροπροθεσμές προβλέψεις εξαρτώνται σε μεγάλο βαθμό από τις υποθέσεις εκτίμησης. Είναι άσκοπο να δίνουμε έμφαση σε διαφορές προβλέψεων, οι οποίες εκτείνονται έως το 2060»(Μάριο Σεντένο, www.tanea.gr, 18-19.August)

[7]« Πιστεύω ότι η Ευρώπη σήμερα είναι καλύτερα εξοπλισμένη για να αντιμετωπήσει άλλες δημοσιονομικές ή χρηματοπιστωτικές κρίσεις. Δυνάται εφεξής να ενεργήσει αυτοτελώς, δίχως την ανάγκη συνδρομή του ΔΝΤ, το οποίο περιέπλεξε σε μεγάλο βαθμό τις διαδικασίες των συζητήσεων και θεωρήθηκε σε τελευταία ανάλυση μια μορφή εξευτελισμού για την Ελλάδα, όπως και το σύνολο τηε Ευρώπης.Ελπίζω ότι ο ΕΜΣ θα εδραιωθεί στο μέλλον και θα γίνει ένα πραγματικά «Ευρωπαϊκό Νομισματικό Ταμείο», ισχυρό και αξιόπιστο, ικανό να μας απελευθερώσει οριστικά από κάθε παρέμβαση του ΔΝΤ. Η ζώνη του ευρώ είναι η πρώτη ισχυρή οικονομία στον κόσμο. Δεν έχει ανάγκη κανέναν για αντιμετώπησει τις δυσκολίες και να συνοδεύσει κάθε χώρα προς την κατεύθηνση της μεγαλύτερης ανταγονιστικότητας και της περισσότερης ευημερίας και αλληλεγγύης.»(Μισέλ Σαπέν, www.tanea.gr, 18-19.August)

[8]„Es handelt sich um eine Werbekampagne, die Griechenland als eine ‚Success Story‘ präsentiert, einen Ehrentribut an die Solidarität und eine logische Tangierung, welche die wirtschaftliche Stabilität wiederherstellte und Griechenland daran hinderte, das erste Land zu sein, das den Euro verlässt. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein„, merkt der Redakteur an und ergänzt: „Griechenland war ein kolossaler Misserfolg. Es handelt sich um eine Story über Unfähigkeit, nutzlose Verzögerung und die Interessen der Banken, die über die Bedürfnisse der Menschen gestellt wurden. Und es wird langfristige Folgen geben.“ (http://www.iefimerida.gr/news/438373/guardian-kolossiaia-apotyhia-i-diasosi-tis-elladas zi-tiert nach http://www.griechenland-blog.gr/2018/08/griechenlands-rettung-war-ein-kolossaler-misserfolg/2142810/)

[9]https://www.attac.at/news/detailansicht/datum/2018/08/20/17082018-das-griechenland-programm-endet-die-verarmungspolitik-geht-weiter.html

[10] «Το Βερολίνο συμπεριφέρεται σαν κτηνοτρόφος, που δεν ταϊζει την αγελάδα του, αλλά περιμένει από αυτήν ωα παράγει πολύ γάλα.»(Ουλρίκε Χέρμαν, www.tanea.gr, 18-19.August)