GEGENARGUMENTE

 

Die Karriere des bedingungslosen Grundeinkommens von einer Forderung von Philanthropen zu einem auch von Politik und Wirtschaft ernsthaft in Erwägung gezogenen Vorhaben – Teil I

 

Das BGE ist ein Thema, das spätestens seit der Volksabstimmung in der Schweiz und dem Beginn der Diskussion über die Folgen der Digitalisierung der Produktion die Schmuddelecke der Weltverbesserer verlassen hat. Es wird von Politikern, Wirtschaftskapitänen und Vertretern der bürgerlichen Öffentlichkeit, die alles andere als Anhänger fortschrittlicher Gesellschaftsmodelle sind, als mögliche Antwort auf die Fragen der „Arbeitswelt 4.0“ ins Spiel gebracht. So schreibt Josef Urschitz in der Tageszeitung Die Presse am 5.Juni 2016:

 

Die derzeit auf dem Tisch liegenden Grundeinkommensmodelle sind unausgegoren, haben Finanzierungslücken und lassen sich den bestehenden Arbeits- und Steuermodellen nicht einfach überstülpen. Sie sind also unrealistisch. Aber mit dem Thema werden wir uns grundsätzlich bald beschäftigen müssen. Und zwar intensiv.“(Die Presse, 5.6.2016)

 

Ein Vertreter der Wirtschaft, Dr.Thomas Flatt, seines Zeichens Präsident von Swissict, äußert sich folgendermaßen zu den Gründen, die ihn ein BGE ernstlich in Erwägung ziehen lassen:

 

Es wird Verlierer in diesem Prozess geben (Industrie 4.0) und wir müssen als Gesellschaft jetzt schon beginnen, Verantwortung zu übernehmen. Für mich als liberal und marktwirtschaftlich denkenden Menschen, mit sozialem Gewissen, aber auch einem egoistischen Interesse an sozialem Frieden, wird es eine Umverteilung brauchen.“ (http://www.wirtschaft-fuer-grundeinkommen.com/dr-thomas-c-flatt-praesident-swissict)

 

Längst wenden sich also Politiker, Vertreter der Wirtschaft und Journalisten nicht mehr grundsätzlich gegen ein BGE.

 

Was das BGE ist, warum es dieses nach Meinung Einiger unbedingt braucht, was allein schon die Existenz der Forderung nach einem solchen BGE über unsere Gesellschaft verrät, welche Vorbehalte und Einwände es andererseits dagegen gibt und wie diese Einwände wiederum zurückgewiesen werden, darum soll es im Folgenden gehen. Dann wird sich auch klären, warum selbst Menschen, die mit Weltverbesserung nichts am Hut haben, sich zumindest vorstellen können, Gefallen daran zu finden, wenn nur die Finanzierungsfrage in ihrem Sinne gelöst wird.

 

Die Sachlage und wie die Vertreter eines BGE sie rezipieren – Was allein schon die Existenz der Forderung nach einem BGE über die Gesellschaft verrät!

 

Womit wird die Notwendigkeit eines BGE von seinen Vertretern argumentiert? Das erste Argument aus dem Mund eines seiner prominentesten Vertreter Götz Werner – Besitzer einer Drogeriemarktkette – lautet:

 

Was in hochproduktiven Industriegesellschaften beinahe ständig wächst, ist der materielle Wohlstand. Und was unter normalen Umständen beinahe ständig schrumpft, ist das zu seiner Schaffung nötige Arbeitsvolumen. … Trotz steigender Produktivität und Versorgungsfähigkeit nehmen Armut und soziale Ungleichheit zu. Die Folgen des technischen Fortschritts scheinen paradox.“(Götz Werner, Einkommen für alle, S30f)

 

Götz Werner und mit ihm alle anderen, die ein BGE fordern, teilen einem zugleich mit dem Erheben dieser Forderung mit, dass in dieser Gesellschaft ein ungeheurer Reichtum an Waren vorhanden ist. Mitten in dieser Fülle an Waren und Dienstleistungen gibt es Leute, die keinen Zugriff auf dieses Warenangebot haben. Gerade in letzter Zeit finden sich immer mehr Menschen und zwar nicht mehr nur in den sogenannten Entwicklungsländern, sondern in den wirtschaftlich erfolgreichen Zentren vor die Situation gestellt, zusehends auch elementare Grundbedürfnisse nicht mehr ausreichend befriedigen zu können und das nicht, weil es an den erforderlichen Gebrauchsgegenständen fehlt. Ein solcher Mangel wäre durch ein BGE auch gar nicht zu beseitigen. Dann wäre zuallererst Produktion nötig. Paradox ist das freilich nur, wenn man konsequent „Produktivität und Versorgungsfähigkeit“ – die Möglichkeit von Versorgung – mit der Verwirklichung von Versorgung verwechselt, also unterstellt, dass letzter Grund allen marktwirtschaftlichen Treibens die Versorgung der bedürftigen Menschheit wäre. Eigentlich, die mit „paradox“ transportierte widersinnige Botschaft, kann es für das Nebeneinander von enormem Reichtum und gleichzeitig zunehmender Armut keinen in der Marktwirtschaft und ihren Gesetzmäßigkeiten liegenden Grund geben. Um sich dann zu wundern, warum die Versorgung trotzdem nicht so recht zustande kommen will.

 

Wenn man sich diesem Urteil „paradox“ nicht gleich anschließt, kann einem sehr leicht auffallen, dass dieses Nebeneinander von unbefriedigten Bedürfnissen und riesiger Warenberge bloß ein anderer Ausdruck dafür ist, dass den Menschen der Zugang zu den vorhandenen Produkten ihres Bedarfs verwehrt ist. Es gibt zwar alles, was das Herz begehrt, aber die Menschen dürfen das, was es gibt und was sie brauchen, nicht einfach nehmen, obwohl es vorhanden ist, weil alles was produziert wird, immer schon jemandem anderen gehört. Alles was produziert wird, wird als Eigentum produziert, dazu bestimmt, Unternehmern zu gehören, die diese Produkte nicht verbrauchen, sondern verkaufen wollen. Nur wer den vom Verkäufer verlangten Preis zahlt, kommt an den Gegenstand seines Bedarfs. Alles wird daher einzig dazu produziert, durch Verkauf in Geld verwandelt zu werden, und zwar in mehr Geld, als die Produktion der Waren an Vorschuss für Produktionsanlagen und Löhne kostet. Dann ist der Zweck aller Produktion aber nicht – wie von den Vertretern des BGE stillschweigend unterstellt – die Versorgung der Menschen, sondern der Gewinn, der sich durch den Verkauf der Produkte lukrieren lässt. Die Konsequenz davon: Wer nicht zahlen kann, bleibt außen vor und das nicht, weil es das von ihm Benötigte nicht gäbe oder es wenigstens nicht hergestellt werden könnte.

 

Wer ein BGE fordert, unterstellt diesen Ausschluss qua Eigentum als selbstverständlich, genauso wie die daraus resultierende Notwendigkeit, ein Einkommen zu verdienen. Eigentlich wäre daher alles in Ordnung, gäbe es da nicht noch das folgende Problem:

 

Der Traum von der Vollbeschäftigung scheint ausgeträumt. Wachsende Produktivität und fortschreitende Rationalisierungen sind Ursachen für die geänderten Bedingungen am Arbeitsmarkt”, resümierte Margit Appel vom Netzwerk Grundeinkommen Österreich. Als Ausweg wurde beim Kongress ein aus Steuern finanziertes, existenzsicherndes Grundeinkommen diskutiert, das jeder und jedem individuell zusteht.“(Kongress Grundeinkommen, Glocialist 89-90/2005)

 

Der Traum von der Vollbeschäftigung scheint ausgeträumt“, fasst Frau Appel vom Netzwerk Grundeinkommen die wirtschaftliche Entwicklung zusammen und formuliert zugleich das Problem, das sie durch ein BGE gelöst sehen möchte, die – wie sie es nennt – „Änderungen am Arbeitsmarkt“. Im Klartext, den Umstand, dass immer mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Grund dieser Entwicklung soll die ständige Steigerung der Produktivkraft und laufende Rationalisierungen sein, die offenbar wie ein unabänderliches Schicksal – einer Naturkatastrophe gleich – über die Menschheit hereinbrechen.

 

Nichts davon ist wahr. Niemand leidet – wie behauptet – unter dem Ende der Vollbeschäftigung. Nicht die Wirtschaft, die führt das Ende des Traumes von Frau Appel durch ihre unternehmerischen Entscheidungen gerade herbei. Auch nicht der Staat, der die unternehmerische Freiheit gerade durchsetzt und daher nicht im Traum auf die Idee verfällt, in derlei unternehmerische Entscheidungen einzugreifen. Selbst die Arbeitnehmer leiden nicht unter dem Ende der Vollbeschäftigung, sondern – so sie dieses Schicksal erreicht hat – höchstens unter dem Verlust ihres eigenen Arbeitsplatzes. Dabei ist der wahre Inhalt ihres Problems noch nicht einmal wirklich der Verlust des Arbeitsplatzes, sondern der mit diesem Arbeitsplatzverlust einhergehende Verlust des Einkommens, auf das sie andererseits aber in einer Welt, in der alles was man zum Leben braucht, nur gegen Bezahlung zu haben ist, angewiesen sind. Ohne Arbeit sind diejenigen, die davon abhängig sind, einen Anwender ihres Arbeitsvermögens zu finden, von allen Mitteln der Bedürfnisbefriedigung ausgeschlossen. Zugleich ist der Umstand, dass sie die Arbeit brauchen, aber überhaupt nicht das Kriterium dafür, ob sie einen bekommen.

 

Ursache für dieses – verkehrt als Verlust an Arbeitsplätzen gekennzeichnete –Problem soll die Steigerung der Produktivkraft sein. Steigerung der Produktivkraft bedeutet, dass die für die Produktion eines Gutes notwendige Arbeit in immer kürzerer Zeit zu erledigen geht. In derselben Arbeitszeit lassen sich umgekehrt immer mehr Produkte herstellen. Ginge es beim Produzieren um die Versorgung der Menschen, wäre der Umstand, dass es die Arbeit in immer geringerem Maße braucht, dass viele mühsame und anstrengende Tätigkeiten von Maschinen erledigt werden, eine einzige Erfolgsmeldung. Bei gleicher Anstrengung ließen sich immer mehr Bedürfnisse befriedigen bzw. wäre bei gegebenem Niveau der Bedürfnisbefriedigung immer weniger an Arbeitsaufwand nötig. Dies wäre gleichbedeutend mit der Zunahme der freien Zeit, der Zeit jenseits des Reichs der Notwendigkeit. Der Zeit, in der die Früchte der Arbeit genossen werden könnten. Wie schon Marx in den Grundrissen schreibt:

 

Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte Produktivkraft aller Individuen. Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time das Maß des Reichtums. Die Arbeitszeit als Maß des Reichtums setzt den Reichtum selbst als auf Armut begründet und die disposable time nur existierend im und durch den Gegensatz zur Surplusarbeitarbeitszeit oder Setzen der ganzen Zeit eines Individuums als Arbeitszeit und Degradation desselben daher zum bloßen Arbeiter, Subsumtion unter die Arbeit. Die entwickeltste Maschinerie zwingt den Arbeiter daher, jetzt länger zu arbeiten, als der Wilde tut oder als er selbst mit den einfachsten, rohen Werkzeugen tat.” (Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, S596)

 

Anders als Frau Appel unterstellt, sind die Wirkungen von Arbeitsplatz- und Einkommensverlust, denen sie mit einem BGE begegnen möchte, keine bedauerlichen Nebenwirkungen einer wie sachzwanghaft fortschreitenden Produktivkraftsteigerung, sondern Konsequenz des Zwecks, dessentwegen sie im Kapitalismus vorgenommen wird. Weder geht es den Betrieben nämlich darum, die Menschheit mit mehr und qualitativ besseren Produkten zu versorgen, und schon gar nicht geht es darum, die Arbeit zu erleichtern. Einziger Zweck ist die Erhöhung des Profits durch Einsparung von Arbeitskosten. Die Betriebe vergleichen im Interesse ihres Gewinns die Kosten der Anschaffung neuer Maschinerie mit den durch diese zu erzielenden Einsparungen an Löhnen. Rationalisiert wird, wenn die auf das Stück umgelegten Kosten neuer Maschinerie geringer sind, als die mit ihrer Hilfe eingesparten Lohnstückkosten. Nie geht es daher bei Rationalisierungen darum, Arbeit einzusparen, was eingespart wird, ist bezahlte Arbeit, einerseits in Form von Entlassungen nicht mehr benötigter Arbeitskräfte und andererseits in geringerer Entlohnung der noch verbliebenen Belegschaften mit dem Argument, dass die Arbeit durch die Anwendung von Maschinerie einfacher geworden sei. Für die noch in Beschäftigung stehenden wird die Arbeit dabei in Wahrheit ganz und gar nicht zufällig nicht weniger, sondern im Gegenteil in aller Regel immer mehr, intensiver, einseitiger und entsprechend anstrengender.

 

So falsch also die Rede Frau Appels von einer unabänderlich und sachzwanghaft über die Menschheit hereinbrechenden Steigerung der Produktivkraft ist, so leistet sie doch eines, die Ökonomie und ihre wesentlichen Protagonisten – die Unternehmer – sind völlig aus dem Schneider. Wer wollte ihnen noch einen Vorwurf machen, wenn es gar nicht sie sind, die im Interesses ihres Konkurrenzerfolges laufend die Produktivität steigern, sie selbst dem entworfenen Bild entsprechend mehr Getriebene eines unabhängig von ihnen inszenierten Fortschrittes der Produktivität sind als Täter. Weder kann man ihnen dann ihnen die Verantwortung für die Misere am Arbeitsmarkt zuschieben, noch braucht man überhaupt zu glauben, dass sich durch Eingriffe in die Ökonomie welcher Art auch immer, an der Problemlage irgendwas grundsätzliches ändern ließe. Die kann bleiben wie sie ist, an ihr in den herrschenden Gesetzen der Marktwirtschaft liegt es ja gar nicht.

 

Wahr ist was anderes. An sich – also jenseits des gesellschaftlichen Kontextes – ist die Steigerung der Produktivkraft ein Plus, ein Stück verbesserter Beherrschung der Natur, ein Stück Reich der Freiheit an Stelle des Reichs der Notwendigkeit. Dass daraus hier und heute nichts wird, ist gerade nicht der Steigerung der Produktivkraft anzulasten, sondern dem Zweck, für den sie in der Marktwirtschaft einzig eingesetzt wird. Gerade diesen Zweck greift Frau Appel aber nicht an, wenn sie für die von ihr behaupteten negativen Wirkungen auf die Steigerung der Produktivkraft zurückführt.

 

Um es nochmals ausdrücklich zu betonen: Weil immer mehr in immer kürzerer Zeit hergestellt werden kann, es die Arbeit von immer mehr Menschen nicht mehr braucht, sollen nicht einfach alle kriegen, was sie brauchen, sondern die, die nach marktwirtschaftlichen Kriterien für die Produktion des immer größeren Warenberges nicht gebraucht werden, wenigstens ein Existenzminimum spendiert kriegen.

 

Was die Forderung nach einem Grundeinkommen alles anerkennt!

 

Experten prognostizieren dramatische Veränderungen in der Arbeitswelt. Das Grundeinkommen nimmt sich dem technologischen Fortschritt an und gibt darauf eine humanistische Antwort. Der Vorschlag ist, den Teil des Einkommens, den man unbedingt zum Leben braucht, allen bedingungslos zu gewähren.“ (www.grundeinkommen.ch)

 

Da merken die Vertreter des Grundeinkommens, dass die herrschende Wirtschaftsordnung die Existenz einer beständig größer werdenden und europaweit in die Millionen gehenden Zahl von Gesellschaftsmitgliedern immer weniger hergibt und das nicht wegen eines Mangels, sondern im Gegenteil wegen eines Überflusses an Reichtum. Daraus ziehen sie freilich nicht den Schluss, dass diese Wirtschaftsordnung durch eine zu ersetzen sei, die genau das leistet, was die gegenwärtige nicht tut: den Lebensunterhalt aller auf dem Niveau hervorzubringen, das dem Stand der Produktivkräfte entspricht.

 

Wer ein BGE fordert, hält an der existenten Produktionsweise fest, die notwendig die von seinen Verfechtern aufgezählten negativen Resultate hervorbringt. Selbstverständlich sind die Güter Eigentum. Selbstverständlich gibt es alles nur gegen Geld, unabhängig davon wie dringend einer ein Gut benötigt. Ohne Geld keine Musik soll auch in der Gesellschaft des BGE herrschendes Prinzip der Wirtschaft sein. Selbstverständlich spendiert die Wirtschaft ein Einkommen nur dann, wenn die damit eingekaufte Arbeit den Reichtum ihres Käufers vermehrt. Selbstverständlich wird einzig für den Profit produziert. Selbstverständlich sind dafür Rationalisierungen unerlässlich. Dass dadurch ein immer größer werdendes Heer von Arbeitslosen entsteht, ist leider nicht zu vermeidenden. Diese Wirtschaftsweise ist für sie eine unabänderliche „Realität

 

Damit das beständig größer werdende Heer von Arbeits- und damit Einkommenslosen trotzdem nicht vor die Hunde geht, soll der Staat ein Grundeinkommen springen lassen. Er soll den Arbeits- und Einkommenslosen ein Einkommen spendieren, damit sie sich das Nötigste aus dem unendlichen Warenberg herausschneiden können. Wenn die Entlassenen und die Billigarbeiter wegen des geltenden ökonomischen Prinzips arm und mittellos werden, schenken „wir“ als Gesellschaft ihnen einfach das Geld, das „wir“ als Wirtschaft sie immer weniger verdienen lassen. So schaut sie aus die „humanistische Antwort“ auf den „technologischen Fortschritt“. Was jemand „unbedingt zum Leben braucht“, soll mit einem Grundeinkommen gesichert werden. Wie das ausschauen soll, darüber gibt ATTAC Auskunft:

 

Schlussfolgerungen aus dieser Analyse: ein BGE – eine jämmerliche Antwort auf den festgestellten Überfluss auf der einen und die Armut auf der anderen Seite: existenzsichernd, … 

 

Die Verfechter eines BGE fordern nicht einfach bloß Geld für diejenigen, denen die Wirtschaft keine Möglichkeit bietet, sich ein Auskommen zu verdienen. Das geforderte BGE soll und muss mehr sein als eine bloße Geldleistung an Bedürftige, um den Namen BGE zu verdienen. Im einschlägigen Positionspapier von ATTAC zu diesem BGE heißt es dazu:

 

Das emanzipatorische Grundeinkommen ist ein Einkommen, das bedingungslos, allgemein, personenbezogen in existenz- und teilhabesichernder Höhe ausbezahlt wird.“ (Attac, Positionspapier 2010, BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN)

 

Das BGE müsse in einer „existenz- und teilhabesichernder Höhe ausbezahlt“ werden, lautet die erste Bedingungen an das BGE. Wie viel das ist, da nehmen die Forderer von ATTAC Anleihe nicht am vorhandenen Reichtum, sondern bei der offiziellen von der EU festgesetzten Armutsrisikogrenze von 60% des Medianeinkommens. Ziemlich bescheiden diese auf Heller und Pfennig berechnete Forderung, möchte man sagen, wenn man bedenkt, dass am Anfang der Forderung nach einem BGE die Feststellung steht, dass seine Notwendigkeit nicht in einem Mangel gründet, sondern in einem Überfluss. Die Arbeit geht aus, weil alles so schnell und beinahe ohne Einsatz menschlicher Arbeit erledigt werden kann, hat es ja geheißen. Mehr als die nackte Existenz ergänzt um die Möglichkeit, sich in diese großzügige Gesellschaft einbringen – sprich, an den zu unserer Gesellschaft gehörigen moralischen Begleitveranstaltungen teilnehmen zu können –, soll es nicht sein.

 

Wer mehr will – und man kann sich sicher sein, dass sich mit dem bescheidenen, in der Höhe der heutigen Mindestsicherung angesiedelten, BGE kaum jemand wirklich zufrieden geben wird, muss auch in der Gesellschaft des BGE danach trachten sich für einen Geldbesitzer nützlich zu machen. Für ihn hat sich am Zwang in fremden Diensten und daher auch nach fremden Berechnungen und zu fremdem Nutzen zu arbeiten nichts geändert. Ob er das schafft, steht freilich auf einem anderen Blatt, schließlich hat sich am Befund, dass unserer Gesellschaft die Arbeit ausgeht, durch ein solches Grundeinkommen doch gar nichts geändert. Keine der Kalkulationen der ökonomischen Subjekten soll und wird durch ein BGE außer Kraft gesetzt. Nach wie vor entscheidet die Nützlichkeit ihrer Arbeit für die Anwender darüber, ob sie dazu überhaupt Gelegenheit erhalten. Ein großer – und nach dem Befund der Vertreter eines BGE immer größer werdender – Teil der Bevölkerung wird damit von vorneherein auf das von der EU definierte Niveau des Armutsrisikos festgelegt; ohne Chance, jemals wieder davon wegzukommen. Wer hingegen ausreichend Geldvermögen hat, wird, darf und soll es auch weiterhin so einsetzen, dass es sich für ihn rentiert.

 

bedingungslos, …

 

Das BGE muss aber nicht nur existenz- und teilhabesichernd sein. Eine ebenfalls für alle seine Vertreter zentrale Forderung bzw. Bedingung sine qua non lautet, das Grundeinkommen müsse – anders als die jetzige Mindestsicherung – bedingungslos ausbezahlt werden muss. Keinesfalls dürfe es an die Bereitschaft zu arbeiten gebunden sein. Den Vertretern eines BGE geht es damit ausdrücklich darum, dass dieses Grundeinkommen nicht nur jene kriegen, die Mangels Gelegenheit keine Arbeit finden – Erinnerung: die Arbeit geht aus –, sondern auch die, die gar keiner Arbeit nachgehen wollen:

 

bedingungslos: Wir sehen das Grundeinkommen als BürgerInnenrecht, das nicht von Bedingungen (z.B. Arbeitszwang, Verpflichtung zu gemeinnütziger Tätigkeit, geschlechterrollenkonformes Verhalten, Einkommens-und Vermögenssituation) abhängig gemacht werden kann.“ (Attac, Positionspapier 2010, BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN, http://www.attac.at/fileadmin/_migrated/content_uploads/Bedingungsloses_Grundeinkommen_01.pdf)

 

Unschwer zu erkennen, dass Ausgangspunkt für die Forderung nach Bedingungslosigkeit bei allen Verfechtern eines BGE die herrschende staatliche Praxis ist, jede soziale Unterstützung – sei es Arbeitslosenunterstützung, Notstandshilfe oder Mindestsicherung an Arbeitsbereitschaft und Bedürftigkeit zu binden. Der machen sie folgenden Vorwurf:

 

Häni: Das Problem liegt in der Bedingung „Wer nicht selbst für sich sorgen kann“. Es kann ja spannend sein, Bedingungen gestellt zu bekommen – aber doch nicht, wenn es um die Existenz geht, oder? Kovce: Gerade das Hartz-IV-System zeigt eindrücklich, wohin das führt: Schon die permanente und misstrauische Bedürfnisprüfung ist entwürdigend. Dazu wird ein grotesker Arbeitszwang aufrechterhalten, ganz gleich, ob es um sinnvolle Arbeit geht oder nicht. Erwerbsarbeit ist dadurch zu einem Fetisch verkommen. Das herrschen-de „Wer kann, der muss“, stellt die Kausalität auf den Kopf. Richtig ist: Wer nicht muss, der kann.“ (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/grundeinkommen-in-der-schweiz-die-revolution-faellt-aus-keine-sorge-a-1073985.html)

 

Einerseits unterschreiben die Betreiber der Schweizer Volksabstimmung für ein BGE mit ihrer Übernahme der Redeweise von der „Erwerbsarbeit“ den Irrglauben, Zweck des Arbeitens wäre das Einkommen der Arbeitnehmer. Dann könnte diese Erwerbsarbeit freilich gar nicht ausgehen, solange es Leute gibt, die ein Einkommen aus unselbstständiger Arbeit brauchen. Andererseits lebt die Forderung nach einem BGE selbst doch gerade davon, dass die Erwerbsarbeit den ihr mit dieser Namensgebung unterstellten Dienst gerade nicht leistet.

 

Die Frage nach der Natur des für die große Mehrheit schädlichen wahren ökonomischen Zwecks der Arbeit in der Marktwirtschaft halten die Verfechter eines BGE ebenso für keines weiteren Gedankens wert, wie sie sich gar nicht weiter damit aufhalten, zu ergründen, woher dieses Gewinninteresse seine Macht bezieht, die gesamte Menschheit von sich abhängig zu machen. Marktwirtschaft ist für sie offensichtlich die selbstverständliche und dem Menschen adäquate Organisationsform des Wirtschaftens. Nichts kann, nichts braucht und nichts soll daher an der Ökonomie geändert zu werden.

 

Von vorneherein zielen sie mit ihrer Forderung nach einem BGE daher nicht auf Beseitigung der Quelle des Problems, sondern auf Linderung der systematisch und wie sachzwanghaft eintretenden Schädigungen der Arbeitnehmer. Dementsprechend richtet sich ihre Forderung von Anbeginn an nicht an die Adresse der Unternehmer, die in Verfolgung ihres Interesses für das stetig wachsende Heer an Arbeitslosen sorgen, sondern an die Adresse der politischen Gewalt, die diese Verhältnisse beaufsichtigt. Rettung aus dem angeblichen Dilemma erhoffen sie sich vom Staat. Ihm trauen sie sowohl die Macht als auch den Willen zu, in ihrem Sinn tätig zu werden und ein BGE zu verordnen, zumal er doch mit Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung schon längst auf dem Feld des Sozialen aktiv ist. Dem Staat, so meinen sie, könne die Existenzbedrohung und Demütigung seiner Bevölkerung doch unmöglich gleichgültig sein. Wenn er trotzdem stur an dem von ihnen als „grotesk“ eingestuften Arbeitszwang festhält, könne das nur einem Irrtum geschuldet sein. So als ob sie ihr Wissen nicht gerade den vom Staat in Auftrag gegebenen Arbeitsmarkt-Statistiken entnommen hätten, meinen sie daher, den Staat erst noch darauf aufmerksam machen zu müssen, dass kein Arbeitszwang am Missverhältnis von Zahl offener Arbeitsstellen und Zahl an Arbeitssuchenden etwas zu ändern vermag. Grotesk ist das entwürdigende Handeln und der Arbeitszwang des Staates für ihn einzig deshalb, weil er dem Staat einen Zweck unterstellt, den der gar nicht hat. Den Zweck nämlich, tatsächlich alle in Arbeit zu bringen.

 

Beseelt von ihrem Irrglauben in das wohltätige Wesen der Sozialpolitik, rechnen die Betreiber des Schweizer Volksbegehrens ihrem Staat vor, dass er mit Arbeitszwang und der daraus abgeleiteten kleinlichen und entwürdigenden Bedarfsprüfung seine ihm unterstellten guten Absichten, mit Arbeitslosenunterstützung, Notstandshilfe und Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe die Existenz seiner Bürger zu sichern, wenn die Wirtschaft ihnen kein Einkommen ermöglicht, konterkariert. An ihn ergeht die Aufforderung gefälligst die Verantwortung, die ihm zukommt und die er in Gestalt des Sozialstaates ein Stück weit doch längst übernommen hätte, ernsthaft und sachlich wahrzunehmen und auf das Ende der Arbeitsgesellschaft damit zu reagieren, allen Bürgern ohne Ansehen der Person und ohne weitere Bedingungen ein BGE auszuzahlen.

 

Damit ignorieren sie freilich die wahre Natur staatlichen Handelns gleich in mehrerlei Hinsicht. Nicht auffallen will ihnen zum ersten, dass es überhaupt erst der Staat, an den sie sich derart gutgläubig wenden, ist, der das private Gewinninteresse mit seiner Gewalt ins Recht setzt. Anders als sie glauben wollen, ist der Staat nämlich nicht einfach die Macht, die sich mit ihrer Sozialpolitik der unvermeidlichen Opfer des Wirtschaftens annimmt, sondern die Gewalt, die überhaupt erst für die unbedingte Geltung des für diese Opfer verantwortlichen Gewinninteresses sorgt. Von wegen Marktwirtschaft wäre die dem Menschen gemäße Organisationsform des Wirtschaftens. Ohne überlegene staatliche Gewalt ist diese Ordnung offenbar nicht zu haben. Wenn der Staat korrigierend im Sinne der Opfer des Wirtschaftens eingreift, dann daher sicher nicht, um das gerade ins Recht gesetzte Gewinninteresse der Unternehmen gleich wieder auszuhebeln, sondern um Schäden, die der Wirtschaft aus ihrem eigenen Profitinteresse erwachsen könnten, abzuwenden. Sein Eingreifen dient nicht dem Schutz der Opfer des Gewinninteresses, sondern dem Fortbestand der Konkurrenz, die er andernfalls in Gefahr sieht. So sieht dann daher auch die Behandlung derjenigen aus, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.

 

Konsequent beantwortet er die Gleichgültigkeit des von ihm ins Recht gesetzten Gewinninteresses gegen die Existenz der Arbeitnehmer, mit der Zwangsversicherung der Arbeitnehmer. Sie dürfen mit einem Teil ihres Lohns selbst für den absehbaren Fall kurzfristig fehlender Nachfrage nach ihrer Arbeitskraft vorsorgen, auf dass ihre prinzipielle Brauchbarkeit für die Wirtschaft nicht unter jedem dieser sogenannten Wechselfälle des Lebens leidet. Diesem Zweck gemäß beantwortet er länger dauernde Phasen der Nichtbenützung eines Arbeitnehmers fürs Wachstum – in denen er einen Beleg für schwindende Brauchbarkeit sieht – mit der sukzessiven Herabstufung vom Arbeitslosenbezieher zum Notstandshilfe- und schließlich zum Mindestsicherungsbezieher. Als ob die Staatsagenten Marx gelesen hätten, der das Heer der Arbeitslosen in einen flüssigen, stockenden Teil und in einen Bodensatz unterteilt, vollziehen sie in der von ihnen praktizierten Politik genau diese Unterscheidung nach.

 

Selbst dort, wo auch der Staat zum Schluss kommt, dass für eine Arbeitskraft ein Dienst am Wachstum überhaupt nicht mehr absehbar ist, sieht er in dieser Person gegebenenfalls noch immer seinen Staatsbürger. Als solchen betrachtet er ihn als Teil seiner Manövriermasse und gibt ihn daher nicht umstandslos auf. Er bezieht ihn zwar nicht mehr auf den ersten Arbeitsmarkt – den Arbeitsmarkt, der ein Einkommen abwerfen soll, von dem man leben kann –, hält aber am prinzipiellen Arbeitszwang fest. Dieser Zwang, Arbeit zu jedem auch noch so geringen Lohn annehmen zu müssen, gibt da dann zwar definitionsgemäß gar kein Einkommen mehr her, von dem die Person leben könnte, aber wenn sie schon keinen positiven Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg der Nation leistet, hat sie wenigstens alles zu tun, die Kost, die sie dann ist, zu minimieren. Was dann noch zum nackten Überleben fehlt, stockt er aus Staatsmitteln auf. Diesem rein negativen Bezug auf die Betroffenen entsprechend sieht dann der staatliche Umgang mit ihnen aus. Entwürdigende Behandlung der Mindestsicherungsbezieher, pingelige Prüfung von Arbeitsfähigkeit und Bedürftigkeit ist daher eine alles andere als zufällige Begleiterscheinung dieses staatlichen Standpunktes.

 

personenbezogen und allgemein!

 

Das BGE soll aber nicht nur existenzsichernd sein und bedingungslos ausbezahlt werden. Es muss auch jedem zustehen, ausdrücklich ohne Ansehen seiner Person, unabhängig also insbesondere auch davon, ob derjenige dieses BGE braucht oder nicht. Es muss daher sowohl personenbezogen als auch allgemein sein:

 

personenbezogen: Jede Frau, jeder Mann, jedes Kind hat individuell ein Recht auf Grundeinkommen. Es darf nicht abhängig gemacht werden von der eigenen Einkommens- und Vermögenssituation oder der eines Familienmitgliedes bzw. einer MitbewohnerIn. Nur so können Kontrollen im persönlichen Bereich vermieden werden und die Freiheit persönlicher Entscheidungen gewahrt bleiben.“ (Attac, Positionspapier 2010, BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN)

 

und

 

allgemein: Alle Bürgerinnen und Bürger, alle Bewohnerinnen und Bewohner des betreffenden Landes müssen in den Genuss dieser Leistung kommen. Angestrebt wird diese Leistung EU-weit und grundsätzlich welt-weit.“ (Attac, Positionspapier 2010, BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN)

 

Wenn diese Produktionsweise die eigentumslose Menschheit dazu nötigt, ihr Arbeitsvermögen zu verkaufen, gleichzeitig aber nicht dafür sorgt dass sie das auch können, dann muss das Überleben können vom Lohn getrennt werden. Das ist keine Kritik an der Lohnarbeit, sondern kommt als Ergänzung zur Lohnarbeit daher.

 

Die Frage des überleben Könnens wird zur Staatsaufgabe erklärt. In den Genuss des BGE müssen unbedingt alle Bürger gleichermaßen kommen ohne Ansehen der konkreten Person und ihrer Stellung im ökonomischen Getriebe – vom Arbeitslosen bis zum ansonsten verhassten Banker - , insbesondere also auch unabhängig davon, ob seine Empfänger ein solches BGE überhaupt brauchen. Niemand soll ausgegrenzt werden. Alle sollen sich aufgehoben fühlen in diesem Gemeinwesen, das eine Welt von Klassengegensätzen ist.

 

Eines ist mit dem geforderten emanzipatorischen Charakter des BGE offensichtlich nicht gemeint, Emanzipation von den ehernen Gesetzen der Marktwirtschaft. Die kann ruhig bleiben, wie sie ist. Entsprechend kann, soll und muss es auch Arbeiten für ein Einkommen weiterhin geben. Keine einzige der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft, deren negative Wirkungen doch wohl Ausgangspunkt und Anlass für die Forderung nach dem BGE sind, braucht nach Meinung seiner Vertreter außer Kraft gesetzt werden,, vorausgesetzt nur, wie wird um ein BGE ergänzt.