I. urbi et orbi – „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte.“ (Mt 18,20)
Nicht das Lied eines Jürgen Marcus zieht hinaus in die Welt, sondern die drei Strophen, die im Jahre 1818 ein armer und einsamer Hilfsgeistlicher in stiller und heiliger Nacht und im Salzburger Land erfand, klingen in allen Sprachen die Erde entlang. „Holder Knabe im lockigen Haar“ ertönt auch dort, wo es sonst nur krause Neger gibt und die Weißen, die von den Schwarzen viel haben, aber nichts wissen wollen, das Fest der Liebe feiern, obwohl sie in kurzen Hosen unter der Sonne schwitzen, wenn sie im Gesang den Schnee leise rieseln lassen. So wundert es auch nicht, wenn Kamele in der Wüste mit einem festlich geschmückten Tannenbaum konfrontiert werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Lichterbaum eine echte Tanne, geschnitzt oder aus Plastik ist. Der deutsche Christbaum hat auch das Ausland erobert. Gegen seinen Lichterglanz sind andere heidnische Bräuche im christlichen Gewand wie mistletoe, plumpudding, raus aus den Socken – rin in'n Kamin, und erst recht das Väterchen Frost der russischen Seele eine blasse Angelegenheit.
Was die deutsche Tanne anbetrifft, so ist sie ein schönes Beispiel dafür, wie es die Christen verstanden haben, Volksbräuche und Volksglauben, mit denen man früher seine bornierte Abhängigkeit von der Natur feierte, jeweils dort mit dem christlichen Glauben zu verbinden, wo es, unterstützt durch andere, unsanftere Maßnahmen, die Heiden in die christliche Gemeinschaft zwang. Zwar hat ein Bonifatius die Eiche des Donar umhauen lassen, die Durchsetzung der Sonne gegen Nacht und Winter in der Wintersonnwende erschien aber als geeigneter Zeitpunkt, die Geburt des sol invictus Christus zu feiern, und es gab kein Problem, das Grün der Tanne, das auf Frühling und Fruchtbarkeit hinwies, als den Baum Jesse zu deuten, dem der heilige Christ entsprossen. Warum auch! Denn das Interesse des Christentums ist es nie gewesen, beschissene Verhältnisse zu ändern, sondern die ihnen Unterworfenen durch den Glauben mit den Verhältnissen zu versöhnen oder sie einem Herrscher von Gottes Gnaden Untertan zu machen. Davon gibt auch das Weihnachtsfest beredtes Zeugnis. Der Tannenbaum gehört also dazu,
egal wo man sich gerade befindet und wie man sich ihn beschafft. Während
ein aus der Heimat verstoßener Luis Trenker es schafft, gerade in der Rauhnacht aus dem modernen und lieblosen Amerika zurück in die Dorfgemeinschaft zu finden, wo Blut, Boden und die wahre Weihnacht noch etwas gelten, weiß der Kinderverführer Karl May
jung und alt zu erzählen, daß das deutsche Weihnachtsfest noch im
wildesten Westen seinen Platz hat. Old Shatterhand, der normalerweise
mit dem christlichen Glauben im Rücken, zusammen mit Winnetou und
anderen cracks in den ziemlich rechtlosen Verhältnissen dafür sorgt, daß
vaterlandslose und der christlichen Menschheit unwürdige Gesellen ihre
gerechte Strafe bekommen, und den aufmüpfigen Indianern klarmacht, daß
er nicht zu den Indianerschlächtern gehört – all dies nur in
Notwehrsituationen, versteht sich –, inszeniert irgendwo in den rauhen
Bergen (genauer am „Heißen Wasser“) des Landes der unbegrenzten
Möglichkeiten eine Weihnachtsfeier, die dem Vertreter in Sachen Moral,
Imperialismus und seiner Ideale alle Ehre macht: „Wir beschlossen, das Fest nach
deutscher Weise durch einen brennenden Lichterbaum zu begehen ... Wir
füllten diesen Tag damit, daß wir Dillen für die Lichter schnitzten und
allerlei Schmuck, wie ihn die Wildnis bot, für den Christbaum fertigten
... Die Weißen nahmen ringsum Platz, und in einem weitern Kreis lagerten
die Schoschonen, neugierig auf den Christbaum. Nur einer fehlte: der
Alte ... Nun schlich er in der Finsternis umher, allein mit seinem Geiz
... Als alle Lichter brannten, sangen wir das (!) Lied ... Hierauf
sprach ich einige ernste Worte. Dann bescherte Winnetou die nuggets ...
Wie glücklich waren die vier ...Walley und Hiller hatten nichts
bekommen; sie mochten sich enttäuscht fühlen, ließen sich aber nichts
merken ...“ usw., usw. („Weihnacht im Wilden Westen“) Um an die nuggets heranzukommen,
mußten einige dran glauben, und nicht nur Indianer. Jetzt aber ist eitel
Friede, denn Winnetou, dem als Repräsentanten der roten Rasse die
nuggets eigentlich gehören, schenkt sie den Weißen, die das Gold also
doch noch bekommen (bis auf einen, der so geizig war, alles haben zu
wollen). Sie überlegen sich schon, was sie mit dieser ursprünglichen
Akkumulation im wahrsten Sinne des Wortes im fernen Deutschland für
Geschäfte machen wollen. Die Schoschonen können sehen, wie einer der
ihren den konsequenten Weg zum Christentum geht und so die rote Haut
verrät, und ahnen vielleicht dumpf, daß die Bescherung unterm Christbaum
deshalb ein Fest ist, weil sie diesem zivilisatorischen Fortschritt
Land und Leben opfern müssen. Doch hat an Weihnachten der Mensch May
auch für sie Trost zusammengereimt: XXXX„Selig, wer bis an das Ende An Weihnachten geht es so sehr um Liebe und Frieden, daß sich niemand „nichts merken“ lassen darf, wenn er merkt, daß ihm die Liebe wenig beschert hat, und sich fragt, inwiefern der Heiland sich auch für ihn in die Krippe gelegt hat. Doch muß dieser materialistische Standpunkt vom Christkind scharf zurückgewiesen werden: braucht es doch gerade wegen Not, Lieblosigkeit und Unfrieden das Fest der Liebe. Weshalb sollte man sonst feiern?
... und im Krieg am besten Daß Weihnachten nicht Frieden bedeutet, sondern ein Fest ist, das einmal im Jahr und natürlich alle Jahre wieder alle Brutalitäten, die sich bürgerliche Menschen antun, im Ideal des Friedens verherrlicht, was nicht ohne brutale Abstraktionen geht, weil der Tannenbaum und die Krippe die Lieblosigkeiten nicht aus der Welt schaffen – dafür sind beide ja auch nicht da –, wird schlagend klar, wenn Landser sich daran machen, im Krieg, in dem sie gar nicht mehr an sich, sondern nur noch ans Vaterland denken, ihr Handwerk zu unterbrechen und am 24. Dezember das Fest der Liebe begehen. Da zeigt sich die ganze Wucht des schönsten aller Feste. Wenn nicht gerade Türken oder Russen die Feinde sind, gegen die man den Frieden mit der Waffe erkämpft, sondern zivilisierte Abendländler, kommt es vor, daß man die Kanonen schweigen läßt, mit dem gegnerischen Graben Kontakt aufnimmt und Freund und Feind gemeinsam die unheimlich stille Nacht besingen. Nachdem die Sonderrationen an Schnaps und Tabak verzehrt sind – die Heimat weiß, wie sehr die Moral des Soldaten Weihnachten braucht und daß sie nicht ohne Schnaps zu erzielen ist –, umarmt man sich und drückt dem Feind, gegen den man ja eigentlich nichts habe, die Hand, um nach Beendigung der Feier- oder Feuerpause (egal) wieder auf ihn abzudrücken – „schlaf in himmlischer Ruh.“ Daß Weihnachten nicht im
Widerspruch zum Krieg steht, sondern dazugehört, beweist diese brutale
Feier ebenso wie der Brief eines gefallenen Studenten aus dem Weltkrieg,
geschrieben unter dem Eindruck einer Weihnacht, die ihm Frieden
brachte, ohne daß eine kurzfristige Versöhnung mit dem Feind stattfand,
im Gegenteil: „Das war unsere Weihnacht. Nichts
Weiches, nichts Versöhnendes, mit dem Feind Aug' in Aug'; ... erst
deuchte mich Weihnachten Hohn und Spott: »Friede auf Erden und den
Menschen ein Wohlgefallen!« Aber freilich, es ist der Friede des Herzens
gemeint, und den haben wir ...“ Gegen die über tausend Jahre alte interessierte Fehlübersetzung, die aus der Weihnachtsbotschaft „den Menschen ein Wohlgefallen“ macht, und – so die extremste Form der Umdeutung – den Frieden denen zukommen lassen will, die guten Willens sind, wo doch der Heiland seine Heilsbringung auf diejenigen beschränkt wissen wollte, die Gottes Wohlgefallen gefunden haben (bonae voluntatis), hat er sich nicht gewehrt. So hat er auch nichts gegen die oben zitierte nützliche Anwendung des Christentums, die es einem Soldaten ermöglicht, sich beim Töten den inneren Frieden zu bewahren. Denn der Christus selbst hat die unmittelbare Gewalt gegen den Menschen durch das Ideal der Liebe zum Menschen sinnvoll ergänzt: „Ihr habt gehört, daß gesagt wurde:
Auge um Auge, Zahn um Zahn ... Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde
und betet für eure Verfolger.“ (Mt 5, 38f) So kann der Heiland auf diese
unsere Welt heute noch mit Wohlgefallen runterblicken: was zu seiner
irdischen Lebzeit noch Theorie war (beschränkt auf Sektierertum und
Zirkelwesen) hat mittlerweile die Massen ergriffen und ist herrschende
Praxis (praktiziertes Christentum) geworden: denn der Trost des
„Friedens im Herzen“ und damit die Hoffnung auf eine ewige Seligkeit ist
die beste Voraussetzung dafür, den Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um
Zahn“ mit reinem Gewissen anzuwenden. Was ein Kommunist als erstes mit unter den Weihnachtsbaum nehmen kann, ist also die zweifelhafte Freude darüber, daß er an Weihnachten nicht isoliert ist, da überall, wo Menschen isoliert sind, es ihnen dreckig geht, Krieg statt Frieden herrscht, Egoismus statt Liebe, an diesem Festtag Liebe und Frieden durchschlagen. Wird doch den ewigen Nörglern, die aus der Unzufriedenheit der Leute immer nur die Forderung nach Klassenkampf und Revolution ableiten, demonstriert, daß der Glaube, der bekanntlich Berge versetzt, das schiere Gegenteil daraus machen kann: Sich abfinden, Versöhnung und Liebe, deren Opfer an Weihnachten auch die werden, die davon partout nichts wissen wollen („... denn sie wissen nicht, was sie tun.“) Dabei hat der Kommunist nicht zu übersehen, daß die Weihnacht am besten in Ausnahmesituationen gedeiht: wo der Bürger unter Not und Gewalt unmittelbar leidet, erlebt die Ideologie des Opfers ihre erhabenste Feier. Deshalb ist der Faschismus auch gar nicht so unchristlich, denn Nächstenliebe läßt sich allemal in Kameradschaft, Lebensbund, Volksgemeinschaft und schließlich auch Kampfbund übersetzen. Doch auch die Rührseligkeit demokratischer Weihnacht enthält den Übergang zu Tugenden, die alles andere als rührselig sind: enttäuschte Nächstenliebe sucht sich einen Führer. Was der Kommunist weiter mitnehmen darf, ist, daß der Gegensatz, der sich in der stillen Nacht abspielt, kein Widerspruch ist in der modernen Welt und daß nicht nur Christen dieses Fest der Christen feiern, also die Notwendigkeit für dieses Fest offensichtlich anderswo herkommt. Deshalb ist es den Kirchen auch hoch anzurechnen, daß sie die Inszenierung des Weihnachtsfestes bis zu seiner heutigen Form vorangetrieben haben, womit schon jetzt klar ist, daß es nicht der Heiland ist, der mitten unter denen weilt, die sich da allerorten um den Tannenbaum versammeln.
II. »Et verbum caro factum est« (Joh 1,14) „Unsres Herzens Wonne liegt in praesepio(1).“ Weihnacht wird nicht nur im ganzen Abendland und seinen Ablegern in Ost und West feierlich begangen, ohne daß man dafür ein gläubiger Christ sein müßte. An diesem Hochfest gehen sogar Leute in die Kirche, die sonst auf die Pfaffen mit dem großen Magen und den Pillen-Paul in Rom schimpfen und nur deshalb noch Kirchensteuer zahlen, weil sie es anstößig finden, gar nichts zu sein – und wegen der Kinder. Aber auch Eltern, deren Kinder schon längst den Kinderschuhen kirchlicher Unterweisung entwachsen sind und ohne Gott wissen, was sich gehört, finden gar nichts dabei, sich mit ihren mehr oder weniger mißratenen Nachkommen plus Anhang auf den Weg in die Kirche zu machen – jedes Jahr einmal. Denn das schönste Fest der Christen hat seine Schönheit trotz aller Modernisierungen und anbiedernden Reformen, die einen Lefebvre an der Wahrheit der Kirche zweifeln lassen, weil er sich darüber ärgert, daß der Glaube – seinem Begriff entsprechend – säkularisiert ist. Er und seine Anhänger wollen nicht begreifen, daß sich der Glaube nur durch seine Funktionalisierung erhält und seine gesellschaftsbestimmende Rolle passe ist. Wer heute noch dem Glauben die weltliche Herrschaft verschaffen möchte, findet seine Vorbilder in faschistischen Staaten, die für ihre Herrschaft den Glauben in die Pflicht nehmen, weil ihnen die private Moral der Bürger nicht ausreicht. Für die Schönheit sorgen Lichterglanz, Tannenbaum, Krippe und vor allem die Lieder, die unter die Haut gehen und die man noch nicht vergessen hat. Jung (mit der Einschränkung, daß deren Stimmung durch Gedanken an die vorausgehende oder nachfolgende Bescherung durchkreuzt wird) und alt bekommen glänzende Augen, wenn sie brüllen: XXXX„Menschen, die ihr wart verloren, Man denkt sich seinen Teil dabei, findet, daß man auch nur ein Mensch ist, verliert vielleicht einen Gedanken an den Mitmenschen, der ja auch nur ein Mensch ist, um sich's warm ums Herz werden zu lassen und den inneren Frieden zu finden, den man singend nach außen kündet. Daß man gerade gesungen hat, daß Gott Mensch geworden ist, stört niemanden mehr. Und auch der Seher von Patmos reißt mit seinem „Und das Wort ist Fleisch geworden“ niemandes Seele mehr auf. Was die Evangelisten verkünden, gehört halt dazu. Freilich merkt man noch, daß die Worte eines Lukas, der von Herberge, Kind, Windeln, Krippe, Hirten und anderen Konkreta der heiligen Nacht spricht, eingängiger sind, obwohl sicher ist, daß er nicht fürs Gemüt geschrieben und in keinster Weise ans Christkind gedacht hat, als er das skandalon verkündete, daß das Kind in der Krippe der Messias ist.
Doch jemand, der nicht glaubt, sondern die Kirchengemeinde, in der nicht mehr der geoffenbarte Gott, sondern die menschliche Moral die Mitte ist, aufsucht, um sich zu erbauen, hat kein Problem damit, daß Gott Mensch geworden sein soll, wozu auch kein Anlaß besteht: Gilt doch auch der Kirche die Menschwerdung Gottes als Erlösung von der Erbsünde für die, die guten Willens sind. Und wenn der Glaube heute nur noch bei den Problemen des täglichen Lebens die Beherrschung des schwachen Fleisches predigt, so ist dies die moderne Wendung dessen, was die ersten Christen glaubten. Was die Evangelisten verkündeten, war die Glaubensgewißheit, daß Gott nicht mehr der unbekannte ist, der, dessen Namen man nicht nennen darf (Jahwe = Ich bin, der ich bin), sondern sich durch die menschliche Geburt seines Sohnes zu erkennen gegeben hat, als der, der er ist: „Hier ist es offenbar, was Gott
ist; er ist nicht mehr ein Jenseits, ein Unbekanntes, denn er hat den
Menschen kundgetan, was er ist.“ (Hegel, WW 17, Vorlesungen über die
Philosophie der Religion, S. 187) Dies ist der Fortschritt der
christlichen Religion, die den Widerspruch aufhebt, an einen Gott zu
glauben, der das ganz andere ist, der absolute Gegensatz zur Endlichkeit
des Menschen, was zugleich implizierte, den unendlichen und unbekannten
in endliche Vorstellungen aufzulösen, sich ein Bild von dem zu machen,
von dem man gewiß ist, daß er alle Vorstellungen übersteigt – also den
Gegensatz aufzuheben, ohne den Glauben an Gott aufgeben zu wollen. Daß
der Vater sich im Sohn, der Fleisch wird, offenbart, ist der Trick der
christlichen Religion, der selbst Hegel Kopfzerbrechen bescherte: „... daß Gott Mensch wird, damit
der endliche Geist das Bewußtsein Gottes im Endlichen selbst habe, ist
das schwerste Moment in der Religion.“ (ibid., S. 276) Wahrlich ein schweres Moment, mit dem die christliche Kirche in den ersten vier Jahrhunderten ihres Bestehens ihre Probleme hatte – und dies nicht nur, weil den Juden ein Messias, der in einem Stall zur Welt kommt und sich am Ende auch noch aufhängen läßt, „ein Ärgernis“ war und den fortgeschrittenen (griechischen) Heiden ein logos, der Fleisch wird bis zur Konsequenz des Kreuzes, „eine Torheit“. Denn die Offenbarung Gottes durch einen Menschen bringt die Versuchung mit sich, den „Menschensohn“ ohne den „Gottessohn“ als die Religion zu nehmen, Gott Gott sein zu lassen und das höhere Wesen so ad acta zu legen oder aber die Offenbarung zu leugnen. Die Streitigkeiten der frühen Kirche bewegten sich innerhalb dieses Widerspruchs, die Gottgleichheit (homousios) gegen die Gottähnlichkeit (homöousios) festzuhalten, ohne den Menschen Jesus zu negieren. Das Resultat dieser nicht ganz einfachen Aufgabe war das Dogma der Gottessohnschaft Christi wesensgleich mit dem Vater, woran sich ein zweites anschloß: Maria, die Gottesgebärerin, so daß ein drittes nicht auf sich warten ließ: Gottes Sohn wurde von einer Jungfrau geboren die viertens selbst ohne Erbsünde empfangen (und zwar ab 1854) und fünftens mit Unterstützung der Unfehlbarkeit des Papstes (1870, knapp vor Auflösung des Kirchenstaats) im Jahre 1950 auch noch mit Haut und Haaren in den Himmel aufgefahren ist, – zu einer Zeit, als der christliche Glaube längst zur Rettung der Kirche den Glauben in weltliche Ideale umgewandelt hatte, woran der Reformator Luther maßgeblich beteiligt war. Doch sollte man ihn nicht wegen seiner Vorliebe für Nonnen tadeln, sondern für sein Eintreten für den Fortschritt loben – den er freilich in einer Form verfolgte, die am Glauben festhielt und sich nur vom Glauben her mit den weltlichen Mächten anlegte.
Wenn Theologen und andere, die nichts mit dem christlichen Glauben, aber viel mit den Kirchen zu tun haben und wissen, wofür sie gut sind, ihre Witze darüber machen, wie der heilige Geist in Gestalt einer Taube dem Joseph ins Handwerk pfuscht, wenn er die Jungfrau überschattet, zeigen sie, daß die dritte Person der göttlichen Trinität, der Geist, längst nicht mehr jene Liebe ist, die Christus als den Mittelpunkt des Glaubens zum Gegenstand hat und so die Gemeinde des Glaubens konstituiert. Heutzutage flattert er als Friedenstaube und zeigt damit, wofür er immer noch taugt: Der Geist, der heute in den christlichen Kirchen weht, geht nicht vom Vater und vom Sohne aus, sondern von einem Höheren, das von den Kirchen deshalb etwas hält, weil sie mithelfen, die Moral zu verbreiten, die ein Bürger braucht, um die Zwänge des Staates hinzunehmen. Und die Liebe, die im Geiste des Vaters und des Sohnes in der Gemeinde existiert, ist das Ideal eines Reiches von dieser Welt, in dem die Leute eine Moral brauchen, da sie gezwungen sind, tagtäglich den Nächsten, auf den man angewiesen ist, fertigzumachen, weil man sich selbst der Nächste ist: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Weshalb sich die Kirchen als
Institutionen des Glaubens erhalten, ohne Kirchen des Glaubens zu sein,
wird an Weihnachten, dem Fest, das noch immer so tut, als verbinde die
Gemeinde die Andacht an die Menschwerdung des Gottessohnes, spätestens
dann klar, wenn der Pfarrer beginnt, nach dem Verlesen des Evangeliums
aus diesem seine Schlüsse zu ziehen („Was wollen uns diese Worte sagen
?“) und eine Ansprache hält: die Moral von Weihnachten liegt „in praesepio“(1): – Von der ärmlichen Herberge in Bethlehem kommt der Pfarrer auf den schnöden Materialismus dieser Welt zu sprechen, um zu Opfern aufzufordern, was nicht zum Resultat hat, daß die, die aufgrund ihres Eigentums gar keine Opfer bringen, aus der Kirche gehen. – Vom fleischgewordenen logos gibt
es schnell einen Übergang zum Christkind in der Krippe. Und wenn schon
Gottes Sohn dieses für uns auf sich nimmt, so versteht sich von selbst,
daß wir, die wir alle Menschen sind, uns lieben müssen, auch wenn's schwerfällt. – Daß der Heiland allen Menschen
erschienen ist, was sich an den drei Weisen zeigt, bedeutet für den
gläubigen Staatsbürger, daß alle Menschen gleich sind und man
für Frieden sein und keine Vorurteile haben soll – selbst nicht
gegenüber Kommunisten oder Chinesen. Und wer bei dieser Predigt nicht
zuhört, sieht dasselbe in der in Altarnähe aufgebauten Krippe, wo neben
den traditionellen weißen Königen und einem Mohr auch Gelbe und Indianer
dem Kindlein zustreben (anschließend Sammlung für Südamerika, wo es
gilt, mit Almosen und entsprechender Mission Gewalt und Revolution zu
verhindern = Adveniat). – Schließlich wird der Verkünder
der großen Freude noch allgemeiner, so daß der Zusammenhang zur heiligen
Nacht nicht mehr recht klar ist, was nicht heißt, daß es keinen gibt.
Der Pfaffe beklagt, daß die Werte immer weniger berücksichtigt würden,
meint damit neben der SPD vor allem Leute, die nicht einmal Weihnachten
in die Kirche gehen – also vor allem Kommunisten. Doch vergißt der
Pfarrer am Fest des Friedens nicht hinzuzufügen, daß man auch diese
(Un)Menschen – diese modernen Heiden – in ihrer seelischen Not nicht
verdammen dürfe, „der Herr vergebe ihnen.“ (wenn schon nicht der Staat!) Daß das 2000 Jahre alte Buch der
Evangelisten auch in einer Gesellschaft, die sonst keinem über 100
traut, noch Bestseller ist, zeigt, daß es die Religion des Kapitalismus
ist. Erst durch die Unterwerfung des Glaubens unter das Kapital kommt
das Christentum zur vollen Entfaltung. Die Religion wird dann erst zum
Herrn der Welt, wenn sie den Herren dieser Welt dient. Als höchste Form
des Glaubens ist das Christentum also auch die letzte: denn wo mit der
„Freiheit eines Christenmenschen“ der freie Wille zur Grundlage der Ausbeutung gemacht wird, da kann nur eins auf der Strecke bleiben. Aus der Christmette nimmt der
Kommunist die Bescherung mit nach Hause, daß 1. Weihnachten darin ein
christliches Fest ist, daß der Glaube für die Moral der Bürger gut ist,
daß deshalb 2. das Christentum ganz schön nützlich ist für die
Obrigkeit, gegen die die auf ein Jenseits hoffende Kirche eh nie etwas
hatte („Lieber sozial als unchristlich“), und 3. kann er sich schon
ungefähr vorstellen, was die Familie, die ihn zu Haus erwartet, noch für
Sachen parat hat.
III. Eine schöne Bescherung oder „Geben ist seliger denn Nehmen“ „Und wenn
ich meine ganze Habe den Armen gebe und meinen Leib hingebe zum
Verbrennen, und habe die Liebe nicht, es nützt mir nichts.“ (1 Kor 13,3) Wenn das Christkind da war, von
dem man in der Kirche gehört hat, daß man seine Güte und Bescheidenheit
nachahmen soll, wenn man schon nicht mehr an Gott glaubt, gilt es
zunächst, sich zum Gabentisch durchzusingen. Orthodoxe Menschen
pflegen vorher noch die Kindheitsgeschichte nach Lukas vorzulesen – mit
anschließender Gedenkminute, in der man sich auf Gott und die Welt
besinnt. Oft tut's aber auch eine Weihnachtsgeschichte von Waggerl,
etwa die vom Ochsen und vom Esel, die zwar bei den Evangelisten nicht
vorkommen, aber als spezifische Viecher spezifische Tugenden vorstellen,
weshalb man sie unbedingt zur Krippe hinzuziehen muß: „»Wir haben nichts gelernt außer
Demut und Geduld. Denn in unserem Leben hat uns alles andere immer nur
noch mehr Prügel eingetragen.« »Aber«, warf der Ochse schüchtern ein,
»aber vielleicht können wir dann und wann ein wenig mit den Schwänzen
wedeln und die Fliegen verscheuchen!« »Dann seid ihr die rechten!« sagte
der Engel.“ (Waggerl wie Weihnachten, aus einem Lesebuch für das 3. und
4. Schuljahr) Vor allem die Kinder aber üben sich kaum in tierischer Geduld. Sie können „daß es treu dich leite an der lieben Hand“ nicht abwarten, so scharf sind sie auf die Sachen, die das Christkind (profaner der Weihnachtsmann) beschert hat, und zeigen so, daß sie längst durchschaut haben, daß es trotz der Androhung durch die Eltern gar nicht von ihrem tugendhaften Verhalten abhängt, ob es etwas gibt oder nicht – ohne Geschenke kein Weihnachten! Wenn dann alle ihre Gaben unter dem Tannenbaum hervorzerren, dessen Kleid auch etwas lehrt, „die Hoffnung und Beständigkeit“ nämlich, demonstriert der traute Familienkreis, in dem sich selbst die wieder eingefunden haben, die nichts mehr von ihr wollen und deshalb als mißraten gelten, was man sich gegenseitig beschert. Während es heißt, daß man ein Herz nicht kaufen kann, versucht das Weihnachtsfest das Gegenteil und verteilt Lieblosigkeiten, daß es nur so kracht. Die Kinder haben von den Eltern (Mutter von Vater auch) Geld bekommen, damit sich alle beschenken können. Da solche Geschenke klein ausfallen, ist es am schönsten (vor allem für die liebende Mutter), wenn die Blagen Papi und Mammi durch Laubgesägtes, Kreuzgesticheltes und andere Klebereien demonstrieren, daß sie für ihre Eltern wenigstens etwas übrig haben. Die höchste Freude bereitet der kleine Bastelmann der Mutter dadurch, daß er ihr statt eines Geschenks seine Kinderliebe schenkt: „Mammi, ich schenk dir, daß ich immer brav bin!“ Das Gebrüll der Kinder, die sich benachteiligt fühlen, obwohl man ihnen versichert, daß ihr Geschenk nicht billiger war, ist noch harmlos – eben Kinder. Peinlich ist derjenige berührt, der von jemandem ohne eigene Gegenleistung zu reichlich beschenkt wurde. Anstatt sich zu freuen, keimt der Vorwurf, daß da jemand das Gesetz des „do ut des“ verletzt hat; Vermutungen werden angestellt, ob nicht etwas Unverschämtes dahintersteckt, während man andererseits wieder darin bestätigt wird, daß Geben seliger ist als Nehmen (vor allem, wenn man nichts hat). Natürlich läßt man sich nichts anmerken, bedankt sich überfreundlich, was den anderen wieder auf krumme Gedanken bringt, sofern der den Effekt nicht schon verfolgt hat.
Der Terror unterm Tannenbaum
spielt sich ein, denn die Beschäftigung mit Spielzeug und Kindern hilft
über viele Peinlichkeiten hinweg. Manche lassen sich durch die
kirchliche Propaganda dazu hinreißen, bei dieser Feier, bei der man
sogar gegenüber den lästigen Alten und den ebenso lästigen Kindern lieb
zu sein vorgibt, was nie klappt, einen Alten, Einsamen oder Armen oder
am besten alle drei in einer Person an ihr teilnehmen zu lassen. Einem
solchen „Nächsten“, dem man sonst aus dem Wege geht, weil man sich aus
seinem schlechten Gewissen kein Gewissen macht, und weil man der Meinung
ist, daß er selbst an seinem Schicksal schuld ist, zeigt es die ganze
Familie zu Weihnachten und läßt die ganze Liebe des Christkinds an ihm
aus. Dieser Armselige und mit Geschenken Beladene ist gerührt ob so viel
Liebe, welche Rührung aber getrübt wird dadurch, daß er selbst nichts
geben kann. Deshalb gibt er auch bald seine Rolle als Nächster auf und
entfernt sich, weil er obendrein merkt, daß er irgendwie nicht
dazugehört. Das wird ihm vor allem dann klar, wenn er gefragt wird, wie
es ihm gehe. Es gehört zu den Prinzipien der Gesellschaft, daß Armut
schändet, Reichtum ziert. („Lieber reich und glücklich, als arm und
krank!“) Wir können dieses Familienfest – und Weihnachten soll ein solches sein – verlassen. Familie bleibt Familie, auch an Weihnachten. Ihre Zwänge und Ideale treten unterm Weihnachtsbaum konzentriert auf, so daß schließlich die Feier der Liebe, wenn sie nicht gerade in einem Familienkrach endet, im Griff zur Flasche oder am Kartentisch (wenn man es noch schafft, an sich zu denken) bzw. vor dem Fernseher ihre Verlaufsform findet – oder frühzeitig im Bett endet, wo sich selbst am Fest der Liebe nichts schiebt, und sei es nur, weil die Inszenierung und Durchführung des ganzen Zirkus einiges an Aufwand und Vorbereitung gekostet hat (das Verb ist für Leute mit dünner Haushaltskasse ernstzunehmen).
„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ Ein Fest, an dem sich die Bürger
soviel Liebe antun und sich in der Familie die moralischen Tugenden
bescheren wollen, die sie sonst nur für sich einsetzen, will vorbereitet
sein. Und diese Vorbereitung hat wiederum nichts mit der christlichen
Adventszeit zu tun, soweit sie die gläubige Hinwendung auf das Kommen
des Messias bedeutet. Was den Bürger ankommt, ist neben dem familiären
Weihnachtsrummel die eindringliche Erinnerung von staatlicher Seite
daran, daß Opfer verlangt sind und daß jeder sich um die kümmern soll,
die nicht gebraucht werden, obwohl sie zur Gesellschaft dazugehören und
man mit ihnen lebt, als wär's das Normalste von der Welt. Wenn die SZ
einen Adventskalender für arme, alte und einsame Leute aufmacht, so
bedeutet dies, daß dem Staat die Kranken, Alten und Armen, die er
einkalkuliert, wenn er alles tut, um den Reichtum der Nation zu
befördern, nur Geld kosten, weswegen die, die so schon nichts haben,
auch noch für diese Randprodukte der Gesellschaft ihr Opfer bringen
sollen. Vor Weihnachten werden Krüppel und Bahnhofspenner entdeckt, und
die gewöhnliche Lieblosigkeit durch Nächstenliebe ergänzt, die in diesen
Typen ihre Opfer findet. Dies hilft zwar den Abgeschriebenen wenig, ist
aber die Praktizierung von Tugenden, die man selbst haben soll,
worunter das Opfer die Kardinaltugend schlechthin ist, die man
kurioserweise an denen vollziehen soll, deren Opfer schon gar nicht mehr
nützlich sind. (Spenden dieser Art kann man von der Steuer absetzen!)
Die Randgruppen stellen fest – wenn auch nur für kurze Zeit –, daß es
noch einen Herrgott und gute Leute gibt und versuchen so mit kirchlicher
Hilfe aus ihrem erzwungenen Elend noch ein bißchen Kapital zu schlagen.
Repräsentanten des Staates demonstrieren durch Besuche von
Krankenhäusern, Altersheimen, Bescherung von Körperbehinderten (unter
Anleitung von Kirchenchören: „ist auch dir zur Seite, still und
unerkannt“), den Betroffenen, daß sie selbst sehen sollen, wie sie
fertig werden und den Bürgern, daß sie den Notleidenden unter die Arme
greifen sollen. Ihr gutes Vorbild besteht darin, Spielzeug aus der Kasse
der Steuerzahler zu bescheren und in den Medien publizieren zu lassen,
zu welchem Verständnis für die Anormalitäten ihrer Untertanen
Staatsmänner fähig sind. Kinder, um die es neben den Alten, Armen und Einsamen auch an Weihnachten und seiner Vorbereitung (nicht) geht, werden zusätzlich zur Bildung in der Schule intensiv vertraut gemacht mit moralischen Tugenden, die sie zwar schon oft gehört haben, die ihnen aber jetzt mit der Drohung eines materiellen Nachteils durch das Christkind besser verkauft werden können. Wenn nicht, ..., dann ... – lautet die Agitation der Eltern, die deshalb auch den Nikolaus kommen lassen, der ein schwarzes und ein goldenes Buch hat und den Knecht Rupprecht samt Rute mitbringt. Obwohl (weil?) der Nikolaus, von dem Freddy singt, daß er ein Seemann war – auch für die braucht's einen Patron –, seinen Sack auf dem Rücken trägt, voller Spekulatius zudem, weiß er, wie er Kinder behandeln muß, die noch die Einstellung lernen müssen, die die Erwachsenen schon praktizieren: XXXX„Ich sprach: »Die Rute, die ist hier: Daß kleinere Kinder sich aufgrund dieser Drohung, manifestiert im schwarzen Rupprecht,
in die Hose machen und einige Ängste mit ins Bett nehmen, garantiert
die erzieherische Wirkung (die Abschaffung der Prügelstrafe paßt eh
vielen Eltern nicht). Dieser „Schocker“ hat freilich Theologen auf den
Plan gerufen, die am Nikolaus den Heiligen und die Transparenz zu Gott
vermissen und damit meinen, man müsse die „pädagogischen Möglichkeiten“
effektiver ausnutzen, indem man aus Ernst ein „Spiel“ macht. Diese
vorwitzigen Theologen aus Trier, die „Nikolaus als Witzfigur“ abschaffen
wollen, obwohl er gar keine ist, verstehen das Geschäft, dieselbe
Moral, die der Rupprecht mit der Rute eintreibt, vorsichtiger
unterzujubeln. ,,Es ist trotz neuer
Erziehungsmethoden damit zu rechnen, daß kleinere Kinder vor dem
Nikolaus Angst haben. Bei älteren wirkt zumindest die ungewöhnliche
Situation – ein Fremder weiß Bescheid – bedrohend. Daher: bewußt (!)
freundlich und verstehend, menschlich (!). Persönliche Begrüßung durch
Handschlag, Situation auffangend. ... Humorvoll mahnen (kennst du schon
den Witz vom Nikolaus), bessere Wege aufzeigen. ... Keine zu hohen
Forderungen (klein fängt’s an). Realisierbar! (na klar!) Da nun vieles
bereinigt ist, übergibt Nikolaus die Geschenke. Zum Abschied fordert er
noch zu einem Lied auf (Niklaus komm, mach mich fromm, daß ich in den
Himmel komm!). Bei Vater und Mutter verabschiedet er sich mit
Handschlag.“ {Aus Werkmappe Misereor (!) 74; Kirchliche Entwicklungsarbeit (!)} Man sieht, wofür Theologen (diese Sünder gegen den Heiligen Geist, die Christus zum guten Menschen herabdegradieren wie die Jesus people und sich trotzdem Theologen schimpfen) noch taugen und deshalb auch vom Staat auf Steuerzahlerkosten der weltlichen Sorgen enthoben werden. Das Beste, sie alle in einen Sack stecken und dann mit der Rute drauf ... und zu einem Lied auffordern (spielend freilich – aber realisierbar): XXXX„Vater unser, der du bist, „Dann gebt auch dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist.“ (Mt 22,21) Wie wichtig Weihnachten, das Fest der Liebe, Nächstenliebe und des Opfers in einer Gesellschaft ist, in der es auf Opfer ankommt, zeigt sich daran, daß niemand ein Pfingstgeld einzuführen gewillt ist, es aber ein Weihnachtsgeld gibt. Die Demonstration der Tugend der Liebe läßt sich unsere Gesellschaft einiges kosten. Diejenigen, die ihre Liebe handgreiflich an den „Nächsten“ besten verkaufen und deshalb als gefallene Mädchen gelten, weshalb Pfarrer und andere Vertreter der Lieblosigkeit zur Weihnachtszeit darauf hinweisen, daß das Christkind auch zum horizontalen Gewerbe sich herabgebeugt hat, vollbringen Stückwerk gegenüber der Veranstaltung, die man das „Weihnachtsgeschäft“ nennt, mit dem die Feier der rechten moralischen Einstellung bezahlt wird. Von wem, ist keine Frage, denn Kapitalisten zahlen sich kein Weihnachtsgeld, sie nehmen es ein, nachdem sie es dem Arbeiter .geschenkt' haben. Daß dieses Liebesgeld nicht für die Arbeiter da ist, sondern die für den Staat nützliche Weihnachtsveranstaltung ermöglichen soll, so, daß Unternehmer und Kaufleute ein Geschäft damit machen, ist nicht erst jetzt klar geworden, wenn Weihnachtsgelder zusammengestrichen werden, als würden diese nicht mehr von den Arbeitern gebraucht.
Die Zwänge, denen man sich im
Weihnachtsgeschäft unterwirft, fangen schon beim Erwerb des Tannenbaumes
an, dessen Spitze möglichst bis an die Zimmerdecke reichen soll, am
besten eine Edeltanne – wer möchte schon gerne mit einer winzigen
abwasch- und zusammenfaltbaren Plastikfichte offenbaren, daß er an
Weihnachten sparen muß. In Kaufhäusern, dort, wo das
gemeine Volk kauft und zu Weihnachten mehr kauft, als es sich leisten
kann, ist alles so eingerichtet, daß man jeder Ware den Gebrauchswert
für andere ansieht. Für die, denen es zu umständlich ist, für die
entsprechende Altersklasse das Entsprechende auszusuchen, liegen fertige
Geschenkkombinationen aus. Andererseits sorgen Engel in Gestalt von
Verkäuferinnen dafür, daß alles ein Geschenk sein kann, unterstützt von
herumstreunenden Nikoläusen und Weihnachtsmännern, denen man nicht
pauschal unterstellen darf (trotz der Geschichte mit dem Nikolaus, der
in München mit der Kasse verschwand und nie wieder erschien), nur
verkleidete Kaufhausdetektive zu sein. Sicher, wo der Zwang zum Schenken
besteht, wird auch geklaut von denen, die das Eigentum besonders achten
sollen, da sie keines haben: „Gott will, daß wir das Eigentum achten“
(7. Gebot, modernisiert!). Aber normalerweise sollen diese Masken das
Fluidum abgeben, in dem gekauft wird, was das Zeug hält. Außer der
schlechten Luft verdrehen noch Lametta, Sterne und anderes Glitzerzeug
die Sinne und aus den Lautsprechern läßt sich das Christkind vernehmen,
mit dem sich Freddy und Lolita jedes Jahr beschäftigen, damit die Käufer
ihre Seligkeit und die Geschäftsleute, Freddy und Lolita
eingeschlossen, ihren Gewinn haben. Denn das Christkind sorgt für
Umsätze: „kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus“ – vor Weihnachten
auch an Samstagnachmittagen, nachdem wegen der 40-Stunden-Woche am
Sonntag leider süßer die Kassen nie klingeln dürfen. Da die Ökonomie des
Weihnachtsfestes häufig vergessen läßt, wofür sie da ist, warnen
Kirchenvertreter und anderes staatstreues Gesindel vor dem
„Konsumterror“ (eine Wortschöpfung, für die allein sie schon in die
Hölle gehörten), der den eigentlichen und tieferen Sinn der heiligen
Weihnacht zerstöre. Nicht nur machen die Geschäftsleute die Leute schon
auf Weihnachten scharf, ehe sie das letzte Osterei gefunden haben; durch
ihre Aufrüstung der Kinder mit Kriegsspielzeug provozieren sie den
alten Papst zu einer Kampagne „Abrüstung unterm Weihnachtsbaum“. In
ihrer Sorge um die Funktion der moralischen Liebesveranstaltung mitten
im kalten Winter – eine Funktion, mit der das Christliche an Weihnachten
steht und fällt – machen sie dem sonst opferbereiten Bürger auch noch
die kleinen Freuden madig, sich zu Weihnachten mit guten Sachen
vollzufressen und sich auch sonst einmal im Jahr mehr zu leisten, und
verweisen auf die Knechtsgestalt, die der Sohn Gottes annahm. Das soll
soviel heißen wie, daß jeder auch einmal an die Hungernden denken soll,
die der Imperialismus sich hält, und mit dem „Päckchen nach drüben“
denen eine Freude bereiten soll, die – wie man sagt – ohne Gott und
damit ohne Freiheit leben. Was das heißt, macht der Inhalt des Päckchens
hinreichend deutlich, wodurch es des früher propagierten Brauchs, den
„Brüdern und Schwestern in der Zone“ eine Kerze ins Fenster zu stellen
(„Ich leuchte für Dich!“) nicht bedarf. „Gott will, daß wir uns
beherrschen und unsere Fehler bekämpfen“ heißt das 10. Gebot nach der
soundsovielten Reform des Dekalogs. Also ist ein Übermaß an Konsum
schlecht, geht es doch zu Weihnachten konzentriert um das Übermaß der
Tugenden des Opfers und der Liebe. „Denn die Liebe hört niemals auf“ (1
Kor 13,8), was man denen immer wieder sagen muß, die von Liebe wenig
spüren. Sie sollen glauben, daß ein bescheidenes Leben die Erfüllung des
Menschen ist, weil es zwar nicht den Magen füllt, aber das Gewissen
rein hält. Auf dieses kommt es an, während die Ersatzfresserei zu
Weihnachten ohnehin schädlich ist, weil die Fitness des Arbeitsmannes in
der Nachweihnachtszeit beeinträchtigend. Was die Jungfrau im Stall vor 2000 Jahren: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“
(Lk 2,19), sollte ein Kommunist nicht tun. Denn er weiß jetzt, warum
die weihnachtliche Menschwerdung Gottes etwas sehr Menschliches ist, daß
es sich um eine Staatsveranstaltung handelt, der kirchliches
Glaubensgut und christliches Geseiche als nützliches Mittel dient, ohne
daß der Staat viel dafür tun muß. Auf Weihnachten muß sich noch jeder
freuen! Und zuletzt hat der Kommunist also auch am Fest der Liebe den Klassencharakter entdeckt. Denn liebende Zuneigung in der Familie brauchen vor allem die, für die die Familie alles andere ist als die Stätte der Liebe, da der Staat nicht an dieser, sondern an gesunden Kindern, kräftigen Arbeitern und deren reibungsloser Wiederherstellung interessiert ist. Und die opferbereite Hingabe an den Nächsten ist denen ein Gebot, die viel arbeiten und viel materielle Opfer bringen müssen. „ora et labora!“ (wobei man für ersteres nicht unbedingt die Hände falten muß, während dies für letzteres ohnehin unerwünscht ist.). Kein Wunder, daß der Arbeiter von
Weihnachten die Schnauze voll hat, wenn die Feiertage ihrem Ende
zuneigen. Dieses Fest hat viel Geld gekostet (vielleicht sogar Kredite)
und hat – wie alle verordneten Feste – auch nicht Frieden und Frohsinn
gebracht, sondern: Magenbeschwerden, einen Mordskater, quengelnde
Kinder, eine über den muffigen Manne eingeschnappte Alte, wenn's hoch
kommt einen Zimmerbrand, ganz zu schweigen von Besuchen Verwandter, die
es aus oben genannten Gründen zu Hause auch nicht ausgehalten haben und
nicht einmal zum Skat taugen. Da dies aber nicht bedeutet, daß
Weihnachten nicht seinen Sinn gehabt hat, läßt der, dem das Fest über
ist, zuweilen den Spruch fallen: „Gut, daß die Feiertage vorbei sind und
es morgen wieder ordentlich zugeht.“ Alltag und Arbeitstag sind das
Normale seines Lebens und an diesen Tagen braucht er Opfer nicht zu
feiern – er bringt sie, und zwar mit der Einstellung, die an Weihnachten
besonders feierlich aufgefrischt wird. Daß Arbeit nicht nur dem
Arbeitsherrn gefällt, hat ihn das Christkind schon in der Schule wissen
lassen: „9. Schule und Arbeit Weshalb auch seine Pfaffen den
Ehebruch aus dem alten 9. Gebot strichen, mit dem Kinder ohnehin nichts
anzufangen wissen, weil ihnen die Pfaffen immer nur die Sache mit den
Bienen erzählen. Daß Gott hier etwas sehr Profanes will, darf niemand
verwundern. Wer am Heiligabend den Fernseher nicht ausschaltet, wird mit
dem höheren Wesen, das hinter diesem und auch den anderen Geboten
steckt, direkt konfrontiert. Walter Scheel,
der höchste Repräsentant des Reiches von dieser Welt, redet von Liebe,
Frieden und Opferbereitschaft und agitiert seine Bürger, in sich zu
gehen, damit der Staat nicht außer sich gerät. Seinen zittrigen Segen
dazu gibt am 1. Weihnachtstag urbi et orbi der Papst, den der Lefebvre
jetzt sogar schon mit Luther vergleicht, was eine unverschämte
Beleidigung dieses Reformators ist. Nicht der Papst ist der
„Abtrünnige“, sondern sein Widersacher, denn der „wahre Glaube“, von dem
der Papst „abgefallen“ sein soll, deckt sich mit der staatlichen Moral,
durch deren Verkündigung sich die Kirchen einen sicheren Platz in der
Demokratie erkauft haben. Ein anderer Vertreter des irdisch Höheren, der
Maier aus Bayern,
der auch zu diesem Weihnachtsfest dem Christkind auf Orgelpfeifen
huldigt, hat für dieses Verhältnis von Staat und Kirche die richtige
Formel gefunden: „cives idem et christianus“ – „Die Kirche übt ihre
Mitverantwortung für die demokratische Ordnung nicht pro domo aus, nicht
beschränkt auf die Sicherung eigener Rechte oder auf die Kooperation
mit einem als Verlängerung ins Weltliche mißverstandenen katholischen
Laientum: sie wendet sich vielmehr – ... – in einer grundsätzlichen
Weise „an alle“, sie tritt als Anwalt des Menschen, nicht nur des
Katholiken oder Christen auf.“ (Der Christ in der Demokratie) Bleibt noch nachzutragen, daß nicht für den Kommunisten, sondern für den Bürger immer Weihnachten ist und nicht nur alle Jahre wieder. Denn die Frage: „Wer glaubt noch an das Christkind?“ ist mit einem eindeutigen „alle“ zu beantworten.
_______________________________ (1) in der Krippe, im Stall – will heißen, in der Bescheidenheit aus: MSZ 14 – Dezember 1976 |