GEGENARGUMENTE

GRIECHENLAND: FÜNF JAHRE KRISE UND KRISENKONKURRENZ, Teil I

 

Einleitung

 

Die wirtschaftliche Lage in Griechenland ist zurzeit kein Thema. Nicht weil die Lage der Bevölkerung sich dort seit dem Frühjahr letzten Jahres verbessert hat, ganz im Gegenteil. Unter der „ersten linken Regierung“ soll im ohnehin schon maroden Gesundheitssystem weiter gekürzt werden, im Herbst konnten wegen fehlenden Lehrpersonals die Schulen ein Monat lang nicht aufmachen. Den Bauern droht ein massenhaftes Bauernlegen. Pensionen sollen weiter gekürzt werden usw. Kein Thema ist die wirtschaftliche Lage Griechenlands, weil der Kampf um und mit Griechenland, der Kampf um die Neudefinition der Wirtschaftspolitik und die Hierarchie der Staaten in Europa einstweilen entschieden ist.

 

Die öffentliche Diskussion um die „Rettung Griechenlands“ stand unter den Schlagworten „Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt“, „Griechenland muss sparen“ versus „Solidarität mit Griechenland“. Schäuble ist unter dem Titel „Europa ist solidarisch mit Griechenland“, „Wir helfen Griechenland“ angetreten und hat dann angeführt, welche Bedingungen Griechenland zu erfüllen hat, um sich diese „Hilfe“ zu verdienen. Die Kritiker der Position von Schäuble haben dem entgegengehalten, was getan werde, sei doch gar nicht solidarisch, im Gegenteil.

 

Statt uns diesem Dementi anzuschließen und damit dem Glauben anzuhängen, was passiert, sei eine einzige Verfehlung an der wahren Aufgabe der Politik und hätte mit Solidarität nichts zu tun, soll untersucht werden, was es heißt, wenn offizielle Stellen solidarisch in Sachen Geld, Staatshaushalt und im Hinblick auf die Frage, wie geht man mit so einem Pleitestaat wie Griechenland um, sind. Wer bloß dementiert, will davon nichts wissen und bewegt sich stattdessen im Feld der menschlichen Vorstellungen, wie mit Griechenland besser - sozialer und vernünftiger - umzugehen wäre.

 

Im der heutigen Sendung wollen wir uns:

 

1.      mit dem Urteil auseinandersetzen, Griechenland hätte über seine Verhältnisse gelebt, und die Frage klären, woran Griechenland tatsächlich gescheitert ist.

2.      mit der Konsequenz aus dem Schuldspruch über Griechenland, der Direktive „Griechenland muss sparen“ beschäftigen und der Frage nachgehen: Warum scheidet eigentlich die Alternative - mehr frisches Geld = mehr Schulden für eine Wachstumsperspektive Griechenlands aus? Was kann man daraus über die Währungsunion und das famose Projekt Europa lernen?

3.      mit dem Urteil, Griechenland mangle es an Konkurrenzfähigkeit, auseinandersetzen.

 

Der zweite Teil der Sendung in einem Monat wird sich mit der Frage beschäftigen, an was Merkel und Co. denken, wenn sie sagen, Griechenland darf nicht aus dem Euro austreten bzw. hinausgedrängt werden? Welcher Schluss über den Charakter der Währungsunion lässt sich daraus ziehen und inwiefern hat der Euro eine neue Bestimmung bekommen? Womit hat sich die „erste linke Regierung Griechenlands“ erpressen lassen und was kann man am Fall Griechenland über Demokratie lernen?

 

I. Über welche Verhältnisse hat Griechenland gelebt?

 

Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt“, so lautet das erste Dogma der Politik – mit dieser offiziellen Lesart der Ereignisse in Griechenland hat die Lawine der Schuldzuweisungen an die Adresse Griechenlands und das Plädoyer für die ins Werk gesetzten praktischen Maßnahmen begonnen. Dieses Dogma ist von der offiziellen Politik öffentlich vertreten worden und von ihr nie wirklich aus dem Verkehr gezogen worden. Vereinzelt hat es Kritiker gegeben, die gemeint haben, so einfach sei die Sache nicht, dass man sagen könne, die „Griechen hätten über ihre Verhältnisse gelebt“.

 

Gegen diesen Vorwurf „Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt“ - ist zuerst einmal zu sagen, dass es ein schlechter Vorwurf ist, nicht, weil man dem gleich entgegensetzen sollte, dass sie das gar nicht hätten, sondern weil überhaupt keine Klarheit darüber herrscht und angestrebt wird, was das überhaupt heißen soll, Griechenland habe über seine Verhältnisse gelebt.

 

Die Auskunft lautet, es konnte nicht gut gehen. Bezüglich dessen, was da nicht gut gehen konnte, wird an die Alltagsvorstellung vom Haushalten gedacht – an die Vorstellung, die Griechen haben zu viel ausgegeben, mehr als sie gehabt haben. Dazu kommt dann noch manchmal die gehässige Verlängerung: die griechischen Regierungen hätten dem Volk das Geld hinterhergeworfen. Da hat der Staat sein Volk zu gut gestellt und das konnte ja nicht gut gehen, weil er das Geld dazu gar nicht gehabt hat.

 

Im Mund geführt haben deutsche und auch österreichische Politiker immer wieder auch die Verlängerung, was sie dem Steuerzahler zumuten können und was nicht. Damit haben sie ihren Bürgern die Richtung gewiesen, wie die sich die Welt vorstellen sollen. Diese Vorstellung hat den Inhalt: Wir haben uns unser Geld hart erarbeitet und der eigene Staat hat ordentlich gehaushaltet. Die Griechen andererseits leben erst über ihre Verhältnisse und jetzt wollen sie unser gutes Geld. Man ist mitten in der Welt von Leuten, die sich was darauf einbilden, dass sie ordentlich arbeiten, ordentlich Steuern zahlen und die sich jetzt wie das Subjekt der Verhältnisse aufführen.

 

Die Gegenposition dazu lautete, wir haben es doch; wir könnten den Griechen doch mehr geben. Die tritt an wie ein Gönner, der sich den Staatshaushalt wie einen großen Topf von Geld vorstellt, von dem man den Griechen doch was abgeben könnte. Wir sind doch reich.

 

Worin besteht der Fehler dieses Steuerzahlergesichtspunktes eines Bürgers? Es wird so getan,

·         als ob das deutsche/österreichische Volk ein persönliches Verhältnis zu den „Griechen“, zum griechischen Volk und seiner Regierung hätte;

·         als ob das deutschösterreichische Volk Mäzen der Griechen wäre, und das, wo in Wahrheit Euro-Staaten ihre Kreditfragen miteinander ausstreiten.

·         als ob die vom Staat requirierten Steuern als gutes Geld den Griechen hinübergeschoben würden, wo in Wahrheit der deutsche/österreichische Staat für EZB- und Rettungsfonds-Kredite bürgt.

·         Beide – sowohl diejenigen, die mehr Großzügigkeit fordern, als auch die anderen, die sagen, das kriegen die Griechen nicht, das haben sie nicht verdient, da hat der Staat bloß Geld an sein Volk verschwendet – reden dabei von einem Geld, über das sie gar nicht verfügen, das ihnen nicht gehört.

 

1.      Was man aus den Maastricht-Kriterien lernen kann

 

Dass es um was Anderes geht als darum, man kann nicht mehr ausgeben, als man einnimmt, könnte man daran merken, dass es längst aktenkundig ist, dass Griechenland offenbar mehr ausgegeben hat, als es gehabt hat. Es hat doch schon vor 2009 geheißen, Griechenland hat bei den Maastricht-Kriterien geschummelt. Diese Maastricht-Kriterien haben geheißen, wer im Euro ist, der darf im Verhältnis zum BIP höchstens 3% Schulden machen und dessen Gesamtschulden dürfen überhaupt nur 60% dieses BIP ausmachen.

 

Welche Auskunft kann man den Maastricht-Kriterien entnehmen? Diese Maastricht-Kriterien geben eine bemerkenswerte erste Auskunft darüber, was es mit dieser Redeweise, es ginge um gutes Geld, wirklich auf sich hat: Die Behauptung lautet, mit 3% Schulden ist die Welt in Ordnung, da ist der Haushalt solide, aber über 3% wird er plötzlich unsolide; mit 60% Gesamtschuld, da steht ein Staat gut da, da sind Schulden in Ordnung, mit mehr ist alles plötzlich ganz anders. Da wird politisch eine im Grunde willkürliche Grenze dafür aufgerichtet, was Solidität heißen soll.

 

Also soll man auch nicht so herumreden, gut wäre das Geld, wenn der Staat nicht mehr ausgibt, als er einnimmt. Hier sagt die Politik selber, was gutes Geld ist, wie viel Verschuldung sich Staaten erlauben sollen oder wie viel nicht, ist Sache einer politischen Festlegung. Es wird also - im Unterschied zur Behauptung, der Haushalt müsste ausgeglichen sein - über die Freiheit der Politik geredet, Schulden zu machen. Diese Freiheit beim Schuldenmachen wird hier per Übereinkunft zwischen verschiedenen Staaten geregelt. Eine solche Übereinkunft unterstellt erstens die Existenz der Freiheit zum Schuldenmachen bzw. setzt diese Freiheit voraus. Diese Freiheit zum Schuldenmachen wird durch diese Übereinkunft in den genannten Grenzen ins Recht gesetzt.

 

Die weitere Auskunft ist, dass es zur Normalität gehört, dass Staaten Schulden nie zurückzahlen. Man kann also insofern nicht davon reden, es ginge es um gutes Geld im Sinne von: Der Staat kann nicht mehr ausgeben, als er einnimmt. Es ist ja unterstellt, die Staaten haben nicht nur hie und da Schulden, sondern dauerhaft: 60% sind die qua Vereinbarung festgelegte Grenze und jeder weiß, eigentlich haben alle Staaten - zumindest seit der Krise - sehr viel mehr.

 

Der Schluss: Staaten machen Schulden, Staaten können Schulden machen und es gehört sogar zum normalen Haushaltsgebahren. Wenn die Staaten sich überhaupt irgendwelche Grenzen setzen, dann handelt es sich entweder um eine politische Übereinkunft zwischen Staaten – wie in der EU - oder um eine Selbstbeschränkung des Staates.

 

2.      Was bedeutet das bezüglich der Schulden Griechenlands?

 

Die erste Auskunft, die man dem Vorwurf der Geldverschwendung Griechenlands entnehmen kann: Man gibt in Bezug auf Griechenland zu, Griechenland hat die Möglichkeit gehabt, sich zu verschulden. Damit ist auch klar, woher die Macht dieses Staates gekommen ist, sich so zu verschulden. Wenn Griechenland sich so verschuldet hat, dann haben die Gläubiger dabei mitgemacht. Keine Schuld ohne Gläubiger.

 

Dann gibt es also Gläubiger, Interessenten an der Staatsverschuldung. Die haben offensichtlich ihre eigenen guten Gründe für ihr Engagement in Staatsschulden und die decken sich überhaupt nicht mit dem, was so hinter der Vorstellung steht, die Griechen haben über ihre Verhältnisse gelebt. Das über die Verhältnisse leben heißt ja nichts Anderes als, dass Griechenland immerzu von Banken kreditiert wurde; dass der griechische Staat Staatsverschuldungstitel in die Welt gesetzt hat, die von den Banken für gut befunden worden sind. Deswegen haben sie diese Papiere genommen und haben mit ihnen ihr Geschäft betrieben. Der griechische Staat war also kreditwürdig und zwar bei den in dieser Angelegenheit entscheidenden ökonomischen Subjekten.

 

An diesem Fall blamiert sich ganz offensichtlich jede Vorstellung von - ein Staat hätte sich an irgendwelche vorgegebenen Grenzen zu halten. Das Finanzkapital hat es jedenfalls erlaubt, dass der griechische Staat über alle jetzt im Nachhinein festgestellten, „vernünftigen“ Grenzen hinweg Kredit gehabt hat. Es blamiert sich jede Vorstellung, hier hätte sich ein Staat beschränken müssen, weil man jetzt doch sieht, dass er viel zu viel ausgegeben hat. Das konnte er offenbar unter Ausnutzung der Kreditwürdigkeit, über die er verfügte. Es war offenbar das Geschäft von Banken, die das so weit getrieben haben, bis es jetzt heißt, der griechische Staat ist überschuldet.

 

Daran ist festzuhalten, dass die Kreditgeber offensichtlich ihre ganz eigenen geschäftlichen Kriterien dafür haben, was sie einem Staat konzedieren und was nicht. Vergessen muss man daher umgekehrt jede Vorstellung von quasi natürlichen Grenzen der Verschuldung, an denen sich die Griechen vergangen hätten, wie es etwa ein Schäuble behauptet: Das konnte ja nicht gutgehen, die Griechen haben immer viel zu viel für die Rentner und Beamten ausgegeben.

 

Alle solchen Vorstellungen muss man vergessen. Man fängt damit auf der falschen Seite an – auf der Seite der Beschränktheit der Kreditwürdigkeit - statt zu fragen: Woraufhin haben Finanzkapitalisten, haben Banken den griechischen Staat kreditiert? Woraufhin haben sie auf seine Kreditwürdigkeit gesetzt haben und ihr Geschäft damit gemacht?

 

3.      Worauf setzt das Finanzkapital, wenn es einem Staat Kredit gibt?

 

Denkt man an den Normalmenschen – etwa an die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau – so leuchtet die Aussage, er oder sie kann nicht mehr ausgeben kann, als er oder sie einnimmt, ja ein. Der Normalmensch weiß, dass wenn er sich verschuldet, er die geliehene Summe in einem Jahr samt Zinsen zurückzahlen müssen. Für den Konsumenten stimmt das wirklich. Beim Konsumentenkredit verpfändet ein Mensch praktisch sein künftiges Geld und er muss zurückzahlen, sonst geht er Pleite und es droht der Privatkonkurs. Beim Staat ist das offenbar anders, hat also mit dem, was ein Konsumentenkredit ist, nichts zu tun.

 

Dann gibt es da noch die Kredite an die Unternehmen. An die wird Kredit vergeben, die erweitern ihr Geschäft oder investieren in eine Rationalisierung, um bezahlte Arbeit einzusparen, machen damit einen Gewinn, aus dem sie den Zins zahlen. Die Banken machen ihr Geschäft damit, dass sie darauf setzen, dass die von ihnen kreditierten Unternehmen Gewinn produzieren, von dem sie sich einen Teil in Gestalt von Zinsen aneignen. Auch das ist beim Staat nicht der Fall. Der Staat produziert nichts und er produziert schon gleich keinen Gewinn.

 

Im ökonomischen Sinn leistet der Staat nichts. Sein Verhältnis zur Ökonomie sieht anders aus: Er kassiert Steuern, was heißt, dass er nach seinen Kriterien von seinen Bürgern Geld einzieht.

 

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Worauf wird da eigentlich gesetzt, wenn das Finanzkapital Staatsanleihen wie sicheres Vermögen behandelt, wie wenn der Staat Gewinn produzieren würde?

 

Auf etwas Doppeltes: Nicht darauf, dass der Staat geschäftlich irgendetwas leistet. Gesetzt wird erstens auf die Stellung, die der Staat überhaupt zu seiner Gesellschaft, zum ganzen geschäftlichen Getriebe in seiner Gesellschaft hat. Nichts Anderes wird von Banken und Finanzkapital eingepreist und ökonomisch belohnt, als die Macht des Staates darüber, dass er über seine Gesellschaft regiert, dass er sie kommandiert und im Zweifelsfall mit seiner Macht auf diese Gesellschaft steuerlich zugreift.

 

Zweitens und vor allem aber setzt das Finanzkapital darauf, dass der Staat den Willen hat und ihn für die Banken glaubwürdig machen kann, dass er alles Erforderliche tut, um für dauerhaftes künftiges Wachstum zu sorgen, sodass sich Banken und Finanzkapital nie Sorgen zu machen brauchen, dass der Staat nicht zahlungsfähig wäre.

 

Womit Staaten wirtschaften ist also ihr Kommando über eine Gesellschaft, die laufend Geldwachstum produziert. Herrschaft – das Kommando über die Wirtschaft – wird zum ökonomischen Mittel. Der Staat kriegt die erforderlichen Mittel, weil er glaubwürdig verspricht, erstens seine Gesellschaft im Griff zu haben und sie zweitens aufs Gewinn-Produzieren festzulegen.

 

Wenn man das jetzt auf die Kritik an Schäuble und Co. bezieht, sie sollten sich nicht so haben, Europa könnte solidarischer mit Griechenland sein, das Geld wäre doch da, merkt man: Mit dem Gesagten ist klar, die Vorstellung, ein Staat besorgt sich Geld und hat dann Mittel in der Hand, über die er frei verfügen kann – bessere, soziale, wachstumsfördernde oder schlechtere, neoliberale Zwecke verfolgen –, blamiert sich allein schon daran, wie ein Staat sich finanziert. In der Form der Finanzierung liegt eine ökonomische Festlegung des Staates – liegt eine Zweckbindung.

 

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Darin, dass der Staat sich erstens mit dem Versprechen, eine Wirtschaft zu kommandieren, in der immerzu Wachstum stattfindet, bei den Geldinstituten Geld besorgen kann und dass die zweitens seine Versprechen wie gutes Geld, wie ein Vermögen nehmen, also auf das ständige Wachstum seines Ladens setzen – wie der Staat sich also finanziert –, liegt auch schon die Zweckbindung dessen, was er dann anstellt.

 

Man sollte sich daher den ganzen Staatshaushalt gar nicht erst wie eine frei handhabbare, in jede Richtung hin besser oder schlechter, freigiebiger oder begrenzter benutzbare Geldmenge vorstellen, sondern der Staat legt sich eigentlich schon in der Art seiner Finanzierung richtig auf die Verpflichtung gegenüber seinen Kreditgebern fest, alles zu tun, seine Kreditwürdigkeit zu behalten: Dass sein kapitalistischer Laden funktioniert, dass Wachstum zustande kommt, dass die Geschäftserwartungen des Finanzkapitals aufgehen, dass also seine Schulden glaubwürdig bleiben.

 

Dann ist der Staat mit seinem ganzen Getriebe, mit seinem Regieren, seiner ganzen Wirtschaftspolitik für nichts Anderes da als dafür, dieses Versprechen wahr zu machen. Das steckt schon in seiner Finanzierung per Schulden drin.

 

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Tatsächlich ist es - auf Basis dieser Staatsfinanzierung qua Finanzkapital – Sache des Finanzkapitals zu entscheiden, wie es mit der Kreditwürdigkeit des Staates steht; zu entscheiden, ob es ihm Kredit gibt oder nicht. Wenn nicht, weiß man, der „Staat hat über seine Verhältnisse gelebt

 

Dagegen erhebt sich eine Beschwerde gegen die Macht des Finanzkapitals: Der Staat würde sich in die Fänge des Finanzkapitals begeben, er würde seine Souveränität opfern. Das Finanzkapital regiere den Staat und das darf nicht sein.

 

Der Beschluss des Staates, sich qua Kredit zu finanzieren – damit macht er sich einerseits von den Steuereinnahmen unabhängig und verschafft sich ein Mehr an finanzieller Freiheit – beinhaltet, dass er sich damit auf Wachstum und das Gelingen der finanzkapitalistischen Rechnungen festlegt. Damit macht sich der Staat andererseits vom Urteil des Finanzkapitals über sein Versprechen auf Wachstum abhängig; davon, was es dem Staat zutraut und was es ihm überhaupt an Kredit konzediert. Dem Finanzkapital ist es dann auch anheimgestellt aus seinen Gründen – und das können dann auch ganz andere sein, als solchen, die im jeweiligen Staat liegen – zu sagen, jetzt werden sie misstrauisch.

 

Genau das ist im Fall Griechenland – als Griechenland plötzlich zahlungsunfähig geworden ist – passiert. Wann hat denn die Welt gewusst, dass Griechenland über seine Verhältnisse gelebt hat? Das hat zu dem Zeitpunkt begonnen, zu dem das Finanzkapital gesagt hat, es selber ist in der Krise. Diese Krise hat ganz wo anders angefangen, in Amerika bei den Häuserbauern und den riesigen Kreditgebäuden, die auf amerikanische Hauskredite aufgebaut worden sind. Die Pleite von Lehman Brothers war der Ausgangspunkt dafür, dass es geheißen hat, das Finanzkapital ist global in der Krise. Es zweifelt und fängt an, gegenüber seinen vielen Engagements kritisch zu werden, beurteilt deswegen plötzlich auch die Kreditwürdigkeit von Staaten neu – nicht zuletzt, weil die Staaten sich verschuldet haben, um den Zusammenbruch des Finanzkapitals zu verhindern - und schlagartig hat es von einem Tag auf den anderen geheißen, Griechenland hat keinen Kredit mehr. Nach der Seite liegt es also gar nicht daran, dass der griechische Staat irgendwas anders oder schlechter gemacht hätte als andere Staaten. 10 Jahre lang ist er kreditiert worden, im 11.Jahr wegen der Finanzkrise heißt es, dieser Staat ist nicht mehr kreditwürdig.

 

Es liegt also am Zusammenspiel von staatlicher Kreditierung und dem Subjekt, auf das der Staat sich da verlässt, dem er da sein Angebot macht, und dessen Berechnungen, dass Griechenland plötzlich zahlungsunfähig wurde.

 

II. Das Gebot: „Griechenland muss sparen“!

 

Beim Befund „Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt“ ist es nicht geblieben. Die Konsequenz, die aus diesem – der Sache nach – Schuldspruch gezogen wurde, lautet, „Griechenland muss sparen“. Der griechische Staat muss seine Ausgaben an seine Einnahmen anpassen.

 

Er wird zahlungsfähig gehalten, kriegt neuen Kredit, um weiter seine alten Schulden bedienen zu können, aber nur unter der Voraussetzung, dass es das von den europäischen Partnern und dem IWF verordnete Sanierungsprogramm umsetzt. Diese Kreditierung Griechenlands ist zu einem umfassenden Regime ausgebaut worden. Der Staat muss ein Sanierungsprogramm vorlegen und von den Institutionen - der Troika, die mittlerweile zur Quadriga wurde - absegnen lassen.

 

Wie dieses Sparen auszusehen hat, ist bekannt: Im Wesentlichen müssen die Sozialleistungen ein weiteres Mal heruntergefahren werden: Zusammenführung der Pensionskassen, Kürzung der Pensionen bei gleichzeitiger Erhöhung der Beiträge, Einführung eines Pensionsplafonds, Erhöhung des Rentenalters, Kürzung der Abfertigungen. Zusätzlich sind die Massensteuern zu erhöhen: Erhöhungen der Mehrwertsteuersätze und von Verbrauchssteuern. Weiters Streichung von Steuerausnahmen auf den griechischen Inseln, Abschaffung von Steuerbefreiungen der Bauern.

 

Dem sollte man nicht den Glauben entgegensetzen, wenn die Europäer nur wollten, ginge es auch anders. Bevor man derart voreilig die Notwendigkeit der Maßnahmen dementiert, sollte man würdigen, wie das Volk vorkommt, wenn es um Kreditfähigkeit geht. Die Forderungen der europäischen Staaten an die Adresse Griechenlands sind die Kehrseite davon, was die Kreditwürdigkeit von Staaten ausmacht.

 

Kreditwürdig ist ein Staat, insofern er eine Wirtschaft kommandiert, die aus seinem Volk Profite in einem Maße herauswirtschaftet, die das Finanzkapital zufriedenstellen. Am Beispiel Griechenlands bedeutet derselbe Standpunkt negativ: Insofern das Volk sich nicht als eine ausreichende Quelle von Reichtum und Wachstum bewährt, ist es eine untragbare Last. Es ist daher als eine zu streichende Kost im Staatshaushalt zu verbuchen. An Griechenland wird durchgesetzt: Soll der Staat überhaupt je wieder kreditwürdig werden, muss er zuallererst einmal sein Volk als Kost in den Blick nehmen. Kreditwürdigkeit verträgt sich nicht mit Sozialleistungen. Entweder das Volk trägt was zum Wachstum bei, bewährt sich damit als Einnahmequelle des Staates, oder es ist eine untragbare Last.

 

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Von Seiten der Kritiker ist der Einwand gekommen, das läuft doch auf Kaputtsparen hinaus. Man sieht es doch. Da gehen Staat und Volk kaputt. Bei einigen ist der Vorwurf gleich in der Form dahergekommen, das sei doch unvernünftig. Besser – auch für uns - wäre es, Griechenland wieder ökonomisch auf die Beine zu helfen. Es wurden und werden lauter Vorstellungen lanciert – bis hin zum ehemaligen Finanzminister von Griechenland Varoufakis – wie das vernünftigerweise ginge.

 

Da werden sich dieses Europa ebenso wie die Kreditinstitutionen vorgestellt als, die könnten und sollten vernünftigerweise doch großzügiger im Verhältnis zu Griechenland sein. Sie sollten dort Wachstum fördern, weil sonst Griechenland nicht mehr auf die Beine kommt und dann doch seine Schulden bei uns erst recht nicht bedienen kann. Alles andere wäre Kaputtsparen.

 

Das – so die Vorstellung wäre echte Solidarität, die dann noch dazu uns selbst nützen würde. Was Schäuble gemacht hat, das wäre ja das Gegenteil. Man sieht es doch am Ergebnis.

 

Einen speziellen Zynismus beinhaltet der Hinweis, es wäre doch auch in unserem Interesse, den Griechen wieder zu Wachstum zu verhelfen. Wer so daherredet, hält die Verarmung der Griechen, die Zerstörung des Gesundheitssystems, Pensionen, die ein Leben nicht mehr hergeben, offenbar nicht für eine ausreichende – die herrschenden Instanzen überzeugende - Kritik und meint, all das mit dem Hinweis darauf, dass wir uns andernfalls doch nur selbst schaden, toppen zu müssen.

 

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Eines ist den beiden genannten Positionen – „Griechenland muss sparen“ bzw. „Man solle Griechenland nicht Kaputtsparen, sondern finanziell unterstützen, damit es wieder auf die Beine kommt“ – gemeinsam. So als ob es die größte Selbstverständlichkeit wäre, gehen beide Seiten davon aus, dass Griechenland in ökonomischen Fragen ohnmächtig ist; ohnmächtig in Fragen der Verfügung über Geld und Zahlungsfähigkeit. Dass der griechische Staat, weil er sich in diese Situation hineinmanövriert hat, auf sich gestellt, zu nichts mehr fähig ist. Weil Griechenland keinen Kredit mehr genießt, hat es auch gleich kein Geld mehr. Von dieser angeblichen Selbstverständlichkeit gehen alle aus, wenn darüber diskutiert bzw. gestritten wird, wie man den Griechen wieder zu Geld verhelfen kann: Wie freigiebig bzw. wie restriktiv soll man mit Griechenland umgehen?

 

Dagegen wäre die Frage zu stellen, woher so etwas, dass ein Staat kein Geld mehr hat, eigentlich kommt? Was lässt sich daraus über das Lebensmittel Griechenlands und die Beziehungen Griechenlands zu den europäischen Partnern erschließen?

 

Dass Griechenland ein solcher europäische Sanierungsfall ist, um den sich von außen gekümmert wird, verweist darauf, dass hier ein Sonderfall der Gemeinsamkeit des Geldes vorliegt. Es handelt sich in anderen Worten um eine Eigenart des Geschäftsmittels Griechenlands - des Euros -, über das es jetzt nicht mehr verfügt. Was kann man dem über den Euro entnehmen?

 

Woher kommt das, dass Griechenland angesichts seines riesigen Schuldenbergs nicht einfach sagen kann, weil wir so viele Schulden haben, drucken wir einfach Geld und zahlen die Schulden damit. Egal, dass dann der Geldwert leidet. Diese Hoheit, über die bankrotte Staaten immer noch verfügen, hat Griechenland nicht.

 

Umgekehrt kann Griechenland sich auch nicht einfach auf den Standpunkt stellen, nicht zu zahlen und darauf zu bestehen, dass die Schulden durchgestrichen werden müssen. Mit dem Verweis darauf, dass es die höchste Gewalt ist, die die Hoheit hat, darauf zu bestehen, dass die Banken die Verluste hinnehmen müssen.

 

Beides kann dieser Staat nicht, weil er wie in einem fremden Geld verschuldet ist. Ihm fehlt die Hoheit darüber, an beiden Enden zu drehen: Weder kann er Geld drucken, noch kann er – obwohl er oberster Souverän in seinem Herrschaftsgebiet ist – darauf bestehen, dass Schulden gestrichen werden müssen. Außer er würde zur Drachme zurückkehren und mit der dann beginnen, neu zu wirtschaften.

 

Daraus lassen sich zwei Schlüsse über die Natur des Geldes ziehen.

 

Geld ist ein staatliches Werk das durch die Ökonomie beglaubigt sein will

 

Der griechische Staat ist in existentieller Not, weil ihn – wie es im Fachjargon heißt - die Notenbank nicht mit Geld versorgt. Dieser Redeweise kann man entnehmen, dass Geld gewöhnlich im Verhältnis von Staat und Zentralbank in die Welt kommt - als Kehrseite der Staatsschulden, die das Bankensystem und Zentralbank beglaubigen. Geld ist in anderen Worten ein staatliches Dekret, ein staatliches Machwerk. Diese Hoheit der Schaffung von Geld hat der griechische Staat nicht mehr. Er hat sich ihrer mit dem Beitritt zum Euro begeben.

 

Diese Hoheit übers Geld ist das erste Charakteristikum des Geldes; es kommt per Staatsakt in die Welt. Der Staat erklärt es zum für alle ökonomischen Subjekte verbindlichen Reichtumsmittel. Alle Transaktionen zwischen ihnen sind qua dieses Geldes abzuwickeln und in diesem Geld zu bilanzieren. Man erkennt daran: Geld ist ein Herrschaftsmittel. Diese Hoheit zur Setzung des entscheidenden Reichtumsmittels hat Griechenland nicht mehr. Soweit die erste Hälfte.

 

Geld hat aber noch eine zweite Seite: Der Staat stiftet es zwar, geschäftlich wirksam werden - als ordentliches kapitalistisches Geschäftsmittel benutzt - muss aber schon auch noch, sonst ist es nichts wert. Seinen Wert kriegt das staatlich dekretierte Geld dadurch, dass es von den ökonomischen Subjekten für ihre Geschäfte genutzt wird: zum Kaufen, Verkaufen, Zahlen und wesentlich als Investition – als Vorschuss für die Erzielung eines um den Gewinn vermehrten Rückfluss – wodurch das Wachstum des nationalen Reichtums zustande kommt, das Basis der Staatsfinanzierung ist.

 

Griechenland werden beide Seiten entgegengehalten: Weder hat es die Hoheit über das Geld, noch gibt seine Wirtschaft her, was der Staat braucht, um kreditwürdig zu sein. Damit ist der Staat ökonomisch handlungsunfähig.

 

Geld ist also eine Kombination aus herrschaftlichem Machtmittel - der Staat verpflichtet alle Bürger auf es - und der mit seiner staatlichen Schaffung gesetzten Selbstverpflichtung des Staates, alles in seiner Macht Stehende zu tun für eine erfolgreiche Bewährung dieses Geldes als Mittel kapitalistischen Geschäfts. Geld muss sich für sein Wertsein als Mittel kapitalistischen Geschäfts bewähren. Es muss vermehrt werden, sonst taugt es nichts.

 

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Wenn am Ende Griechenland daran leidet, dass es unregierbar wird, weil ihm das Geld fehlt, dann blamiert sich offenbar nicht dieses Geld, der Euro, vor den Notwendigkeiten des Staates. Es verhält sich umgekehrt. Wenn der ganze griechische Staat samt Volk vor die Hunde geht, dann blamiert sich dieser Staat vor den Ansprüchen des Euro.

 

Dann ist der ganzen Welt klar – nicht - hier hat das Geld versagt, sondern hier hat der Staat vor den Notwendigkeiten des Geldes versagt. Erst recht blamieren sich vor diesen Ansprüchen des Euro alle Lebensansprüche des dortigen Volks. Das wird dann tatsächlich dem Urteil geopfert, es hat das Geld nicht bzw. nicht ausreichend bedient.

 

Das ist die eine Auskunft, die man dem entnehmen kann, Griechenland hat seine ökonomische Hoheit, also die Geldhoheit nicht mehr und zweitens es hat aber Geld auch nicht verdient. Das Geld hat dort nicht ordentlich als Geschäftsmittel für den Staat funktioniert.

 

Darin steckt aber zweitens noch eine spezielle Auskunft über den Euro als Gemeinschaftsgeld mit drin.

 

Das Projekt Euro

 

Der Euro ist etwas Eigentümliches. Staaten haben sich zusammengetan und ausgerechnet das Geld, ihr originäres ökonomisches Hoheitsmittel, die materielle Macht eines Staates, seine Verfügung über Geld, vergemeinschaftet.

 

Anlässlich der Einführung dieser gemeinsamen Währung wurden die Bürger mit lauter guten Gründen für diesen Schritt versorgt: Das sei nützlich für den Verbraucher, der muss nicht umtauschen, wenn er ins Ausland auf Urlaub fährt, das fördert zum Nutzen aller beteiligten Staaten die Geschäftsfähigkeit. Die damalige österreichische Staatssekretärin Brigitte Ederer hat den Bürgern sogar vorgerechnet, dass ihnen als Ergebnis dieser Einführung 1000 öS mehr in die Geldtasche geraten. Alle hätten was davon.

 

Sämtliche dieser ausgemalten positiven Vorstellungen werden durch den Streit in der Eurozone angesichts der Folgen von Finanz- und Eurokrise und die Konsequenzen von all dem widerlegt. Offensichtlich ist dieses Geld weder tauglich für allseitigen Nutzen. Das Ergebnis liegt ja heute in Gestalt einer Sortierung der Staaten vor. Noch hat der Euro und seine Einführung überhaupt etwas mit dem Nutzen für irgendeinen Konsumenten zu tun, wenn am Ende das griechische Volk wegen des Euro über die Klinge springt.

 

Ein letztes Propagandaargument für Europa hat gelautet: Nach zwei Weltkriegen wäre Europa und der Euro so etwas wie eine Garantie für den Frieden. Wie der Frieden aussieht, das sieht man mit an den Auseinandersetzungen um den Euro, um die Kreditfragen, die mit Griechenland exemplarisch für den ganzen Euroraum gelaufen sind.

 

Die Staaten zerstreiten sich und am Ende kommt raus, die einen Staaten leiden unterm Euro, unter ihrer mangelnden Kreditfähigkeit und die anderen regieren ihn, verdienen ihn und haben in ihm ein wuchtiges Erpressungsmittel. Ein riesiger gesamteuropäischer Streit, der bis an die Grenzen des Bruchs und des Auffliegens der ganzen Eurokonstruktion geht.

 

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Stellt sich die Frage, was war eigentlich der wirkliche Grund für die Einführung des Euro? Warum haben sich die Staaten darauf eingelassen und dieses eigentümliche Gemeinschaftswerk, sich diese Aufgabe von nationaler Hoheit übers Geld geleistet und sich auf eine gemeinsame Währung geeinigt?

 

Mit dem Euro haben die teilnehmenden Staaten auf die zweite Natur des Geldes gesetzt, auf die ökonomische Wucht einer Währung, in der sich nicht bloß der ökonomische Erfolg ihrer eigenen Wirtschaft bilanziert, sondern die Wirtschaftstätigkeit des ganzen europäischen Wirtschaftsraums. Die Staaten haben glatt ein Stück herrschaftlichen Kommandos über das Geld aufgegeben, weil sie sich ausgerechnet haben, dass die jeweilige Nation jede für sich, mit dem Euro an ökonomischer Macht, an Kreditfähigkeit usw. gewinnt.

 

Also die Deutschen, Franzosen, Österreicher bis zu den Griechen mit ihrer Drachme, haben gesagt, wenn wir unser Geld aufgeben und uns dem Euro anschließen, dann verfügen wir über ein Geld, das viel schlagkräftiger, viel besser ist, weil es das Geschäftsmittel des ganzen Euroraumes ist.

 

Da steht dann hinter dem Kredit des griechischen Staates nicht bloß das eigene Wachstum, sondern das Wachstum des ganzen Euroraumes. Man soll nicht sagen, das kann nicht gut gehen. 10 Jahre lang hat es ja auch für Griechenland funktioniert. Es hatte mehr an Kredit aufhäufen können, als es in seiner Drachme je hätte aufhäufen können. Und an diesem Urteil Griechenlands hat sich bis heute, trotz Finanzkrise und der Folgen für Griechenland nichts geändert. Bis heute kann sich auch die „radikale Linke“ Syriza keine größere Bedrohung vorstellen, als einen Rauswurf aus dem Euro.

 

Aus diesem Beschluss von Staaten, der jetzt zur Grundlage dieses Riesenstreits geworden ist, kann man etwas lernen über den Standpunkt dieser Staaten. Ein gemeinsames Geld ist zwar ein Verzicht auf Souveränität, aber und zugleich ist es ein Gewinn an ökonomischer Macht. Die Staaten stehen offenbar auf dem Standpunkt, dass für sie die materielle Seite des Geldes, die Wucht, die es als Geld darstellt, seine vergrößerte Zugriffsmacht auf Reichtum - was sich in und mit ihm an Geschäft organisieren lässt -, sie mit mehr Souveränität ausstattet, als die autonome Verfügung über ein eigenes nationales Geld.

 

Der erste Widerspruch des Euro-Projektes

 

Die Staaten haben also darauf gesetzt, dass das Geld als kapitalistisches Bereicherungsmittel - wenn es einen größeren Raum hat - ihnen mehr ökonomische Macht verschafft als die bloß nationale Verfügung qua Hoheit über so ein Geld.

 

Auf der anderen Seite haben sie die Konkurrenz - das nationale Abrechnen; dass jeder bei sich bilanziert, was von diesem Eurogeschäft sich in seiner Bilanz niedergeschlagen hat -, überhaupt nicht aufgegeben. Das Gemeinschaftsgeld - und das ist eine zweite Eigentümlichkeit dieses Gemeinschaftgeldes - ist zugleich Objekt und Mittel der Konkurrenz zwischen ihnen.

 

Es liegt im Wesen dieser Konkurrenz, in der alle im und mit demselben Geld ihren Erfolg suchen und zwar nicht miteinander, sondern gegeneinander - und das Ergebnis bestätigt es praktisch -, dass sich letztlich die Einen auf Kosten der Anderen bereichern. Am Ende steht der riesengroße deutsche Erfolg mit seinem ganzen Wachstum, mit seinem Geschäft in und mit Europa und das zu Lasten anderer Nationen. Diese Anderen sind dann Verlierernationen, die ein entsprechendes Wachstum, entsprechende nationale Bilanzen nicht aufzuweisen hatten, weil die deutsche Geschäftswelt, das deutsche Kapital mit seiner Kombination aus Produktivität und Billiglohn offenbar ganz Europa erfolgreich zu seiner Geschäftsquelle gemacht hat und sich das in den deutschen Bilanzen niederschlägt.

 

Die Staaten haben also darauf gesetzt, dass sie mit dem Euro ein besseres national tauglicheres Mittel ihrer Konkurrenz kriegen. Diese Vergemeinschaftung des Geldes haben sie betrieben als Grundlage ihrer Konkurrenz gegeneinander.

 

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Diesen Standpunkt, dass man im Euro ein tauglicheres nationales Mittel hat, den geben Staaten noch nicht einmal auf, wenn sie als Euroverlierer faktisch vor dem Bankrott stehen, wie Griechenland.

 

Am Euro sortieren sich Sieger- und Verlierernationen. Griechenland will sich mit seiner Konkurrenzniederlage nicht abfinden und kämpft um seinen Nutzen von Europa. Die im Jänner 2015 neugewählte griechische Regierung weigerte sich, ein weiteres Memorandum auszuverhandeln, wie Deutschland das fordert. Syriza will stattdessen ein Programm, das Griechenland wieder auf die Beine hilft und fordert einen Schuldenschnitt, weil ansonsten die Kredite nicht lebensfähig seien. Sie wehrt sich dagegen, dass Griechenland als isolierter nationaler Krisenfall behandelt wird: Griechenland, so der national gefärbte Blick auf die Krise, ist nur Teil einer gesamteuropäischen Krisenlage, die andere, im Grunde alle gleichermaßen betrifft, die also auch nur „solidarisch“ zu bewältigen ist, letztlich zum Nutzen aller und der Integration Europas.

 

In diesem Geist fordert Athen einen neuen europäischen Willen, eine umfassende Revision der sozial-, wirtschafts- und integrationspolitischen Generallinie der EU. Mit all dem bekundet Syriza die feste Absicht, im Euro bleiben zu wollen, weil sie offensichtlich keine nationale Alternative zu einer Pro-Euro-Staatsräson sieht. Zugleich kämpft sie aber um national verträgliche Bedingungen und Perspektiven Euro-Europas. Das kommt einem Aufstand gleich.

 

III. Lehren aus der Kritik, Griechenland fehlt es an Konkurrenzfähigkeit

 

Griechenlands Weigerung, sich die Sicht der Gegenseite umstandslos zu eigen zu machen, nimmt die Berliner Führungsmacht in Gestalt seines Finanzministers Schäuble zum Anlass für eine Klarstellung. Die Euro-Verpflichtungen sind so wenig wählbar wie abwählbar, sondern - so Schäuble wahlweise – einfach die Gebote der „ökonomischen Vernunft“ oder schlicht „die Realität“. Das Problem sei, dass Griechenland nicht konkurrenzfähig sei.

 

Deutschland nötigt GR ein Kreditregime auf, das dem Urteil der Finanzwelt über Griechenlands geschäftliche Untauglichkeit Rechnung trägt:

 

·         Der Euro soll kein Geld sein, dessen sich eine notleidende Nation wie GR nach ihrem Bedarf bedienen kann.

·         Nur soweit er erfolgreiches kapitalistisches Wachstum und damit die Potenz seiner verlässlichen weiteren Vermehrung repräsentiert genügt das Gemeinschaftsgeld den Ansprüchen seines politischen Hauptnutznießers.

·         Um die Erhaltung und Stabilisierung des Kredits der Euro-Staaten als imperialistisches Machtmittel, in Konkurrenz zum Dollar als Weltgeld Nr. 1 geht es Deutschland. Das ist der Standpunkt des „guten Geldes“, von dem die deutsche Regierung nicht abrückt.

 

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Mit ökonomischer Vernunft, wie Schäuble das in Antwort auf Kritik an der harten deutschen Haltung ausgedrückt hat – hat das nichts zu tun. Es ist aber auch mit unsozial, ungerecht und unsolidarisch nicht gut gefasst.

 

Die Position der Eurostaaten heißt: Geld gibt es nur gegen die geforderten Reformen. Ohne Reformen gibt es kein Geld, ist der offizielle Tenor des Griechenland aufgenötigten Regimes. Nur so könne Griechenland wieder auf die Beine kommen. Wie das zu gehen hat, darüber haben die Europäer unter Führung Schäubles keinen Zweifel gelassen.

 

Wenn jetzt dem griechischen Staat der Gebrauch seiner Souveränität vorgeschrieben wird, dann ist das nach allen Grundsätzen des Geldes, dessen sich auch Griechenland bedient hat und weiter bedienen will, nur gerecht. Das ist nämlich die Gerechtigkeit der ökonomischen Ordnung, der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, auf die sich dieser Staat im Verein mit den anderen Eurostaaten festgelegt hat.

 

Weil er sich auf Basis dieser Festlegung eine ökonomische Konkurrenzniederlage eingehandelt hat, hat er ein Stück seiner Souveränität verloren und unterliegt dem Kommando derjenigen, die tatsächlich Herren dieses Geldes als ihres Reichtums sind, und am griechischen Staat geltend machen, dass er nicht verdient hat, was er sich geleistet hat. Dass er insofern kein Beitrag zur Stärke des gemeinsamen Geldes war.

 

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Die Gegenposition der Kritiker lautete: Es müsste darum gehen, Griechenland wieder zu Wachstum und Konkurrenzfähigkeit zu verhelfen. Schäuble und Co. hätten das aber gar nicht vor. Sie hätten zumindest kein Interesse daran, dass Griechenland wieder auf die Beine kommt, wenn in Wirklichkeit Griechenland nicht überhaupt kaputt gemacht werden soll. Die Kritiker verpassen mit ihrem negativen Urteil, Schäuble und Co. wollen Griechenland gar nicht wirklich auf die Beine helfen, worum es eigentlich geht. Wer so dementiert, fragt sich nämlich gar nicht, was das denn eigentlich heißt, Griechenland konkurrenzfähig zu machen. Statt zu dementieren, dass es darum ginge, Griechenland wieder konkurrenzfähig zu machen, wäre es angebracht, sich zu überlegen, welches Programm unter dem Titel „Reformen sind notwendig“ an Griechenland durchgezogen wird.

 

Noch ärgerlicher ist freilich, das Ideal von Konkurrenzfähigkeit, dass mit diesem Dementi bewusst oder unbewusst unterschrieben wird. Es handelt sich um die Vorstellung, wenn Griechenland wieder ökonomisch auf die Beine kommt, dann gibt es wieder Wachstum, dann ist der Staat wieder zahlungsfähig und das Volk hat wieder Arbeit. Diese Vorstellung nimmt den Zustand, so wie er bei uns – in Deutschland, Österreich, ... - vorliegt, als positives, erstrebenswertes Vorbild. Nicht alle, aber die große Mehrheit hat Arbeit, die Wirtschaft wächst, der Staat hat ein Steueraufkommen und kann sich über den Kapitalmarkt finanzieren.

 

Da gilt ausgerechnet ein Zustand als vorbildhaft, in dem sich die Leute für ein Wachstum ins Zeug legen dürfen, das nicht das ihre ist, von dessen Gelingen sie aber andererseits in ihrer ganzen Existenz abhängen und das, ohne dieses Gelingen selbst nur irgendwie beeinflussen zu können. Ausgerechnet der Zustand der reichen europäischen Länder wie Deutschland, Österreich usw. mit ihrer Kombination aus produktivem Kapital, Billiglohn und proletarischen Lebensverhältnissen - die also deshalb so reich sind, weil die Ausbeutung in ihnen so konkurrenzlos erfolgreich ist - wird da zum Ideal hochstilisiert, zu dem auch Griechenland wieder verholfen werden sollte.

 

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Statt zu dementieren, dass Schäuble und Konsorten vorhaben, Griechenland wieder auf die Beine zu helfen, wäre es besser, zur Kenntnis zu nehmen, was der harte ökonomische Kern dessen ist, was mit Griechenland jetzt angestellt wird, was den Griechen abverlangt wird.

 

Warum ist Schäuble so rücksichtslos und sagt, die Griechen verdienen Kredite nur, wenn sie ihren Haushalt zusammenstreichen, Mehrwertsteuern erhöhen, Steuerbefreiungen für Bauern abschaffen, Erstwohnsitze zur Versteigerung freigeben, Flughäfen und Werften privatisieren, usw.? Worum geht es da?

 

Mit der Forderung nach Konkurrenzfähigkeit formuliert Schäuble den Anspruch an die Euro-Staaten, dass sie den Kredit, den sie schöpfen, für eine erfolgreiche Kapitalakkumulation nutzen. Dieses erfolgreiche Wachstum soll über die Steigerung seines Anteils am Weltgeschäft die Stärke des Euro steigern und ihn zu einem Weltgeld machen, das dem Dollar Paroli bietet. Derart soll sich dann auch die Finanzmacht der an diesem Projekt teilnehmenden Staaten beständig vergrößern. Als Ausweis für die Ernsthaftigkeit der Bemühungen gilt den Staaten Europas dabei der ausgeglichene Staatshaushalt.

 

In diesem Anspruch auf erfolgreiche Verwendung des gemeinsamen Geldes enthalten ist das negative Urteil, dass Staaten wie Griechenland, die an diesem Anspruch scheitern, sich disqualifizieren und, wenn sie schon keinen positiven Beitrag zu Stärke des Euro hinkriegen, alles tun müssen, um den Euro wenigstens nicht zu belasten.

 

Insofern ist das Gebot zur Konkurrenzfähigkeit die positive Wendung des praktisch geltend gemachten negativen Urteils, dass Griechenland nicht für den Euro taugt. Das von den europäischen Partnern an Griechenland durchgezogene Urteil lautet: Wenn das Finanzkapital Griechenland den Kredit entzieht, dann beweist das, dass dieses Land für den Euro nichts getaugt hat. Das an Griechenland vollzogene Urteil heißt, dort ist zu wenig an erfolgreichen Geschäften gelaufen. Der Standort Griechenland - was in Griechenland an Geschäft gelaufen ist - hat sich ökonomisch nicht als Quelle von Wachstum und damit nicht als positiver Beitrag zur Stärke des Euro bewährt.

 

Was ist die geforderte Konsequenz? Wenn Griechenland schon keinen positiven Beitrag zur Stärke des Euros hinkriegt, muss es alles tun, um diesen Euro wenigstens nicht zu belasten. Griechenland steht unter Konkursverwaltung und muss seinen gesamten ökonomischen Bestand, zum Angebot an potentes ausländisches Kapital machen, zum Angebot an Investoren, Flughäfen, den Hafen von Piräus, Werften, usw. billig zu übernehmen. Dann kriegt Griechenland Kredit der europäischen Partner dafür, seine Schulden bedienen zu können. Weil es Griechenland selbst nicht zu einer ausreichend erfolgreichen Akkumulation von Kapital gebracht hat, wird es zum billigen Objekt auswärtigen Kapitals. Das ist die eine Hälfte.

 

Der griechische Staat nimmt qua dieses Ausverkaufs ein paar Milliarden ein, die aber in gar keinem Verhältnis zum griechischen Schuldenberg stehen. Daran erkennt man – nebenbei bemerkt - ein weiteres Mal, dass es nicht ums Rückzahlen der Schulden geht, dass es nicht darum geht, Griechenland wieder schuldenfrei zu machen und schon gar nicht darum, aus Griechenland wieder eine im kapitalistischen Sinne blühende Landschaft zu machen.

 

Auf der anderen Seite muss Griechenland alles, was es noch an Sozialleistungen gibt, zusammenstreichen und zugleich die Steuern erhöhen. Das Volk hat sich als nicht rentierlich fürs Geschäft erwiesen und wird daher als zu streichende soziale Unkosten behandelt.

 

Schulden machen darf Griechenland nach wie vor; sofern es seine „Hausaufgaben“ zur Zufriedenheit der Prüfer von der Troika erledigt, kriegt es politischen Kredit vom ESM, um qua Zahlung von Zins und Tilgung seine alten Schulden in Wert zu halten.

 

Ein erstes Resümee

 

Es sollte klargeworden sein, wovon das griechische Volk mit seiner Lage ein Derivat ist. Ein Derivat der ganzen Rechnungen, die mit ihm angestellt werden, die ihre Bestimmungsgründe ganz wo anders haben als in der Frage, wie es hinterher den Griechen geht.

 

Wenn die von den europäischen Politikern beschlossenen Maßnahmen zur „Rettung des Euros“ die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten bewirken, dann zeigt dies die Unverträglichkeit des Erfolgs der europäischen. Volkswirtschaften mit einem guten Leben der Lohnabhängigen und nicht, dass die „Rettungsschirme Europas“ ihr Ziel verfehlt hätten.

 

Jeder, der meint, man sollte mit den Griechen besser umgehen, macht außerdem noch einen zweiten gravierenden Fehler. Er will nämlich keinen Unterschied mehr zwischen den Menschen – den Griechen ebenso wie den Deutschen – und ihrem Staat mehr kennen. Es ist aber ein schwerer Fehler zwischen der Notlage, in der die Nation sich befindet, und den Nöten, die die Regierenden ihren Völkern in Aussicht stellen ein großes Gleichheitszeichen zu setzen. Wer so denkt, verwechselt am Ende noch, ein Mehr an Kredit für den griechischen Staat mit einer Hilfe für die Menschen in Griechenland.

 

Man sollte es aufgeben, sich in die Pose des besseren Organisators der Kreditverhältnisse zu begeben – sich verträglichere Beziehungen zwischen Euro-Staaten vorzustellen und sich damit nolens volens auf den Standpunkt des deutschen oder österreichischen Staatshaushaltes zu begeben, der – das ist dann die Spitze von derlei Perfidie – doch auch gut damit fahren würde, würde man die Griechen besser behandeln.