„Wieso? Weshalb? Warum? Macht die Schule dumm?“
1. Stimmt, Schule macht dumm. Das steht
nicht etwa für ein Versagen der Schule, sondern gehört zu ihren
Aufträgen. Dummheit, was ist
das? Es fällt nicht unter Dummheit, wenn man nicht alle 27 Nebenflüsse der Elbe
weiß, die chemische Formel von Blei nicht kennt, von Feuerbach noch nie etwas
gehört hat oder die neue Zeichensetzung nicht beherrscht. Das ist fehlendes
Wissen, das kann man sich aneignen, wenn man will. Die äußerst sparsame
Vermittlung von Wissen und Kenntnisse an die Mehrheit der Schüler, die
frühzeitig für untere Regionen der Berufshierarchie aussortiert werden, weil
ihre weitere Qualifikation außer Kosten nichts bringt, fällt auch nicht unter
Dummheit, sondern unter schulisch organisierten, bildungspolitisch gewünschten
Ausschluss von weiterführenden Bildungswegen. Die stehen in der
„Wissensgesellschaft“ nämlich nur der Elite offen, also denen, die mit ihrem
Wissen den Kapitalstandort Deutschland voranbringen, und denen, die die dafür
nötigen Herrschaftsfunktionen ausüben: Juristen, Journalisten, Politiker, Lehrer
und sonstige Staatsbeamte.
3. Dafür Beispiele zu finden, ist nicht schwer: Als mündiger Staatsbürger glaubt
man z.B. an die Dummheit, dass Wahlen wichtig sind, weil sich damit die Politik
zur Rücksichtnahme auf die eigenen Interessen bewegen lässt. Wer an dem dummen
Spruch festhält, dass es jeder in dieser Gesellschaft zu etwas bringen kann,
wenn er sich nur ordentlich anstrengt, der ist bereits gut erzogenes und von
sich und seinen Fähigkeiten überzeugtes Konkurrenzsubjekt. Und dann gibt
es noch die Dummheiten, die auf den Namen Moral hören, mit denen
besonders der kritische Mensch alles, was ihn stört, auf fehlende
Gleichheit, Gerechtigkeit oder Freiheit und Missachtung der Menschenwürde
zurückführt; wofür er dann regelmäßig die Politik verantwortlich macht.
Warum sind das Dummheiten?
- Der Freund von Wahlen – er wird dieses Jahr reich beschenkt – lobt ein
Wahlrecht, mit dem das Wahlvolk wechselndes Personal für sehr prinzipiell
feststehende Regierungsaufgaben auswählt, und der dann nichts mehr dabei
findet, sich von den gewählten Machthabern die Existenzbedingungen diktieren
zu lassen. Wer es als Freiheit schätzt, keiner anderen Obrigkeit zu gehorchen
als jener, an deren Wahl er sich beteiligt hat, ist – im genannten Sinne - dumm.
- Der Freund der Leistungsgesellschaft lobt die Konkurrenz, die alle
entscheidenden Lebensbereiche – Schule, Arbeitsmarkt und Beruf - fest im Griff
hat, dafür, dass die Klassengesellschaft ihre Jobs nicht mehr nach Stand,
Herkunft, Geschlecht und Rasse verteilt, sondern ganz gleich und demokratisch
nach Leistung. Nichts findet er dabei, dass es diese Konkurrenz überhaupt nur
dort gibt, wo deren Macher die Anzahl der Siegerpositionen knapp halten und die
Masse der Konkurrenten nach ihren Kriterien in Verliererjobs einweisen; wo
folglich vor Beginn der Konkurrenz deren zentrales Ergebnis bereits feststeht:
die Berufshierarchie der Klassengesellschaft. Wer die staatlich verfügte
Erlaubnis schätzt, sich in der Konkurrenz daran beteiligen zu dürfen, also alle
Mitkonkurrenten möglichst zu Verlierern zu machen, und sich zudem einbildet,
das hätte er mit seiner Leistung in der Hand, ist – im genannten Sinne – dumm.
- Und dem Freund hoher Werte
schließlich schlägt die Sternstunde immer dann, wenn er entdeckt, dass seine
bzw. die Interessen der Mehrheit nicht so recht aufgehen. Dann beschwert er sich
bei der Politik – was ihm die Demokratie gnädigerweise erlaubt und wofür er sich
dann auch dankbar erweist – und wirft ihr Verstöße gegen Gleichheit der Chancen
und soziale Gerechtigkeit vor, beklagt Freiheitseinschränkung und Intoleranz.
Die Diagnose lautet in der Regel Amtsmissbrauch, Versagen der Politik,
weil die z.B. „anstatt den Kern des Problems anzugehen, nur an seiner Oberfläche
kratzen“, wie es in einem flyer von Bildungskritikern heißt. Wer auf diese Weise
Politik und Konkurrenz zu Einrichtungen erklärt, die eigentlich durch hehre
Prinzipien dazu verpflichtet seien, seinen Interessen zu dienen; wer meint, dass
hierzulande eigentlich alles harmonisch und zur Zufriedenheit aller ablaufen
könnte, wenn sich Lehrer, Politiker und Manager nicht immer an ihren
eigentlichen Aufgaben versündigen würden, wer also alle hierzulande erlaubten
Erfolgswege in Schule und Beruf auf diese Weise idealisiert, der ist – im
genannten Sinne – dumm.
4. Warum diese Dummheiten zum
Erziehungsauftrag des staatlichen und privaten Bildungswesens gehören, ist also
leicht zu erkennen: Sie sind das geistige Schmiermittel des demokratischen
Kapitalismus, mit dem der freie Bürger ausgestattet wird. Nicht ermittelt ist,
warum sie sich in der Köpfen halten, wo ihnen doch jede konkrete Erfahrung, die
Menschen in Verfolgung ihrer Lebensplanung in dieser Gesellschaft machen,
widerspricht. Spätestens nach der vierten Wahlbeteiligung kann man von
Wählern hören, dass die da oben ja doch machen, was sie wollen. (Schon wieder
eine Dummheit.) Wer wegen Insolvenz entlassen wird, wirft den Unternehmern
Undankbarkeit vor (auch eine Dummheit), weiß also, dass Arbeitslosigkeit nicht
Resultat seiner
Leistungsverweigerung ist. Und selbst der kritische Moralist, der mit seinen Forderungen immer wieder
unverdrossen bei jenen staatlichen Stellen antritt, die ihm eine Reform-Suppe
nach der anderen einbrocken, weiß, dass er „denen da oben Dampf“ machen muss,
was ja wohl nichts anderes bedeutet, als dass „die oben“ auf seine moralisch
wertvollen Argumente nicht hören.
6. Wenn regelmäßig die Kritik an Schule – so wie sie hier angedeutet worden ist
- mit der Frage nach der Alternative konfrontiert wird oder gar blamiert
werden soll, dann liegt nicht nur eine weitere gelernte Dummheit, der Imperativ
der konstruktiven Kritik, auf dem Tisch, sondern zugleich ein
Eingeständnis: Es ist bekannt, dass die Herrschaft in diesem Land
sich hütet, für ihre Bürger Alternativen zum demokratischen Kapitalismus
bereit zu halten; nichts als den wollen sie zum internationalen Erfolgsmodell
ausgestalten. Sie schließen sogar umgekehrt jede vernünftige Organisation des
Zusammenlebens grundsätzlich – siehe z.B. Art. 14 des Grundgesetzes, der das
Privateigentum schützt – aus. Und diese Alternativlosigkeit der
herrschenden Lebensverhältnisse, der (Sach-)Zwang, sich unter dem Regime von
Geld und Privateigentum, Konkurrenz mit ihren Interessengegensätzen,
Rechtsordnung und Gewaltmonopol sein Leben unter Aufbietung von Leistungen des
freien Willens einzurichten, ist es letztlich, unter dem sich gelernte
Dummheiten zu einem leider vielfach ziemlich unerschütterlichen Standpunkt
verfestigen. Wer dann die qua Staatsmacht erfolgte Ächtung jeder
Alternative zum herrschenden System ausgerechnet den Kritikern als fehlenden
Realismus ihrer Kritik vorhält, ist mit seiner Dummheit schon bei gemeiner
Parteinahme gelandet.