„Wer rettet wen? - Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit“ - Wie ein Film in kritischer Absicht Demokratie und Marktwirtschaft gegen ihre hässliche Praxis verteidigt! Eine Filmkritik.
Seit der Finanzkrise steht die Politik der Welt
ganz im Zeichen ihrer Bekämpfung. Banken wurden mit Milliardenbeträgen gerettet,
mit dem Ergebnis eines rasanten Anstiegs der Staatsschulden. Das eben gerettete
Finanzkapital, das einen Vergleich aller Investments am Markt anstellt und auf
seinen - wegen seiner Krise - gesunkenen Risikoappetit bezieht, reagierte auf
die massive Vermehrung der Euroschulden mit einer Revision seines Urteils die
Kreditwürdigkeit der Staaten Europas betreffend und macht Problemstaaten
ausfindig. Die Zinsen, die Irland, Portugal und Griechenland für neue Schulden
bieten mussten, erreichten ein Maß, das diese Staaten dazu zwang, sich um
Kredithilfen an Europa und den IWF zu wenden.
Spätestens seitdem lautet die alle anderen Themen
dominierende Devise der europäischen Politik in allen Staaten Sparen. In einem
Fiskalpakt verpflichteten sich die Staaten Europas zu einem strukturellen
Nulldefizit. Den besonders hart getroffenen Krisenstaaten Südeuropas werden
rigide Sparprogramme abverlangt: Massenentlassungen, Streichungen von
Arbeitsrechten, radikale Kürzungen des Arbeitslosengeldes und der Pensionen,
Zerstörung des Gesundheitssystems, Aushungern von Schulen und Universitäten,
usw.
Niemand, auch nicht die verantwortlichen
Politiker, bestreitet, dass diese Maßnahmen die Menschen in den Krisenstaaten
mit brutaler Härte treffen. Unerbittlich betonen dieselben Politiker aber, dass
all diese Maßnahmen alternativlos seien, soll Europa der Krise entkommen und
wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren.
Die im heurigen Jänner neugewählte griechische
Regierung, die sich mit dem Hinweis, Griechenland und seine Wirtschaft würde mit
den ihm auferlegten Maßnahmen kaputt gespart, weigert sich, für die Auszahlung
aus dem laufenden Programm ausstehender 7.5Mrd. Euro noch weitergehende
Forderungen von EU-Kommision, EZB und IWF zu erfüllen. Sie darf sich dafür nicht
nur der exemplarischen Unnachgiebigkeit der europäischen Politiker und des IWF,
sondern auch des Unverständnisses der hiesigen Öffentlichkeit sicher sein, die
wie die Politiker gerade in der Härte und Rücksichtslosigkeit der geforderten
Maßnahmen die notwendige Voraussetzung dafür sieht, dass Europa seine
Kreditwürdigkeit wiedererlangt.
Vor diesem Hintergrund kam im heurigen Frühjahr
in Österreich und Deutschland ein Film von Leslie Franke und Herdolor Lorenz
heraus, der den Titel trägt „Wer rettet wen? – Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und
sozialer Sicherheit“. Der Film versucht, die Hegemonie der vorherrschenden
öffentlichen Meinung, die sich ohne wenn und aber zur Verarmung als der einzig
zielführenden Methode zur Wiedergewinnung europäischer Kreditwürdigkeit bekennt,
ein Stück weit zu durchbrechen. Worum es den Filmemachern geht, dazu heißt es im
dazugehörigen Pressedossier:
„Seit fünf Jahren werden Banken und Länder gerettet. Politiker schaffen immer
neue Rettungsfonds, während mitten in Europa Menschen wieder für Hungerlöhne
arbeiten. Es wird gerettet, nur keine Rettung ist in Sicht. Für große Banken ist
die Finanzkrise vor allem ein Geschäftsmodell. Und die ständig „verstimmten“ und
„enttäuschten“ Finanzmärkte scheinen ein besonderes Wesen zu sein, das bei Laune
gehalten werden muss. Wer rettet also wen? Die Reichen die Armen? Die Politiker
die Banken? Die Rettungsschirme Europa? Oder die Steuerzahler einige wenige
Individuen?“
Was ist also das AWas ist also das Anliegen des Films? Die
Filmemacher wollen aufdecken, dass
es den Politikern mit ihren „Rettungsfonds“ gar nicht wirklich um
Rettung ginge,
Was von diesen „Enthüllungen“ zu
halten ist, inwiefern sie falsch sind und von einem offensichtlich unbeirrbaren
Glauben an die eigentlich nützlichen Dienste von Staaten und der von einen
eingerichteten Marktwirtschaft zeugen, darum geht es in unserer heutigen und der
nächsten Sendung in einem Monat.
1. Rettung aber keine Rettung in Sicht:
„Wem nützt die sogenannte Krise? ... Seit nun sechs Jahren
schaffen Politiker immer neue Rettungsfonds zur Rettung von Banken und Ländern.
Es heißt, würden die „systemrelevanten“ Banken nicht gerettet, gingen gleich
ganze Volkswirtschaften zugrunde; würden vereinzelte Staaten nicht vor der
Staatspleite gerettet, gleich die ganze EU. Deswegen sei es unumgänglich
Milliarden Steuergelder in Rettungsschirme zu stecken, denn schlussendlich rette
sich damit der Bürger und Steuerzahler selbst. Der Film „Wer Rettet Wen?“ zeigt,
wer dabei wirklich gerettet wird. Nie ging es um die Rettung der Griechen, nie
um die der Spanier oder Portugiesen …“
Dass Nutzen und Schaden der Krisenpolitik - wie sie von
den Filmemachern eindringlich vor Augen geführt werden - sehr eindeutig verteilt
sind, ist nicht zu leugnen. Hunderte Milliarden an Euros wurden von den Staaten
Europas in die Hand genommen, um das europäische Bankensystem zu retten,
worüber die Staatsverschuldung der Euro-Staaten rapid anstieg, was zur Folge
hatte, dass die Finanzmärkte nach den Banken nun auch den Staaten als Schuldnern
teilweise das Vertrauen entzogen; speziell Griechenland, Portugal, Irland und andere konnten
sich überhaupt nicht mehr wie gewohnt über den Kapitalmarkt finanzieren. Der
daraus resultierenden Bedrohung des Euro - des gemeinsamen Reichtumsmaßes der
Eurozone - begegnete Europa mit der Schaffung zweier Rettungsfonds – EFSF und
ESM – mit dem Auftrag für die Stabilität des europäischen Finanzmarktes zu
sorgen, um aus dem Scheitern der Krisenstaaten nicht eines des Euro werden zu
lassen. Im Gegenzug für den Kredit aus den diversen
„Rettungsfonds“ werden die Krisenstaaten verpflichtet und angeleitet durch die,
die Kreditgeber repräsentierende TROIKA, „Sparprogramme“ zu beschließen, deren
Umsetzung unter strenger Aufsicht der TROIKA dazu führen soll, dass diese
Staaten das Vertrauen des Finanzkapitals und derart ihre wirtschaftspolitische
Souveränität wieder zurück gewinnen. Die Resultate dieser Sparprogramme werden
von den Filmemachern eindringlich vor Augen geführt: Massenentlassungen,
Mindestlöhne, Löhne und Pensionen werden in mehreren Etappen radikal gekürzt, die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld
und sozialer Unterstützung zusammengestrichen, das Gesundheitssystem
ausgehungert und nicht wenigen Menschen, wegen der „Sparmaßnahmen“ nicht mehr in der Lage ihre
Versicherungsbeiträge zu zahlen, wurde der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen
völlig versperrt.
Auf diese durch Finanzkrise und Rettungspolitik
geschaffene Verarmung der Menschen nehmen die Filmemacher Bezug, bloß wie!
Daran, dass die Maßnahmen der Politik zur Rettung von Banken und Ländern keine
Verbesserung der Lage der Bevölkerungen Griechenlands, Spaniens etc. brachten,
sondern sie ganz im Gegenteil erst so richtig ins Elend stürzten, wollen sie
entdecken, dass es den Verantwortlichen in der Politik gar nicht wirklich um
Rettung zu tun ist.
Damit sitzen sie ihrem eigenen Vorurteil über Nutzen und Schaden des
Finanzkapitals, seiner Krise und seiner Rettung auf. Nur wenn man sich die
Wirtschaft als Gemeinschaftswerk aller an ihr Beteiligten und die Krise
dementsprechend als allgemeinen Schaden denkt – einen Schaden, der alle trifft:
Unternehmer, Staat und Menschen -, kann man nämlich auf die Idee kommen, aus der
nicht ab- sondern zunehmenden Verarmung der arbeitenden Bevölkerung im Zuge der
Rettungspolitik auf einen Verstoß der Verantwortlichen an ihrem eigentlichen
Auftrag, die Krise zu beenden, schließen.
Dazu muss man freilich die Erklärung
der Politik gründlich missverstehen (wollen) – welche die Filmemacher sinngemäß
durchaus richtig wie folgt wiedergeben: „Es heißt, würden die „systemrelevanten“ Banken nicht
gerettet, gingen gleich ganze Volkswirtschaften zugrunde; würden vereinzelte
Staaten nicht vor der Staatspleite gerettet, gleich die ganze EU. Deswegen sei
es unumgänglich Milliarden Steuergelder in Rettungsschirme zu stecken, denn
schlussendlich rette sich damit der Bürger und Steuerzahler selbst. Der Film „Wer Rettet Wen?“
zeigt, wer dabei wirklich gerettet wird. Nie ging es um die Rettung der
Griechen, nie um die der Spanier oder Portugiesen …“
Die Rettungspakete heißen nicht zufällig nicht „Menschenrettungspakete“, sondern „Bankenrettungspakete“. Das
Sorgeobjekt sind also ausdrücklich nicht die Menschen, sondern die Banken. Mit
dem Zusatz „systemrelevant“ tun die
Politiker auch noch kund, warum sie das sind. Gelingt das Gewinnemachen im
Bankensektor nicht mehr, sind die Grundfesten der eingerichteten Marktwirtschaft
erschüttert. Mit den Banken retten sie also nicht nur die Banken, sondern das
ganze Wirtschaftssystem, die ganze Volkswirtschaft. Mit dem Bankrott eines in
Euro wirtschaftenden Mitgliedsstaates sehen dieselben Politiker ihr
imperialistisches Erfolgsprogramm der Euro-Zone gefährdet. Einzig deswegen
halten sie die Staatsanleihen des bankrotten Griechenlands weiterhin werthaltig,
„retten“ also den vom Bankrott
betroffenen Mitgliedsstaat, tun alles, um den Bestand der Eurozone und überhaupt
der EU zu sichern. Die lohnabhängige Mehrheit der Bevölkerung in den
Krisenländern erfährt, dass sie als abhängige Variable vom Erfolg der Wirtschaft
für diesen Erfolg mit ihrer radikalen Verelendung einzustehen hat.
Vor allem diesen letzten Punkt – die Verelendung der Bevölkerung – nehmen die
Filmemacher zur Kenntnis und wenden ihn gegen die Ziele „Rettung der Volkswirtschaft“, „Rettung des Euros“ – aber nicht in
dem Sinn, - na wenn Rettung der Volkswirtschaft und des Euros bedeutet, dass die
Masse der Bevölkerung verelendet, dann spricht das gegen diese Ziele. Nein, sie
wollen sich ihr Bild eines harmonischen Miteinanders der in der Gesellschaft
vorfindlichen Interessen nicht nehmen lassen. Angesichts der durch die
Krisenpolitik erst so richtig ins Elend gestürzten Bevölkerungsmassen bezweifeln
sie, dass es der Politik tatsächlich um die Rettung ihrer Volkswirtschaften und
Europas zu tun ist. Sie nehmen die „Krise“
als allgemeinen Schaden, als Schaden, den wir alle haben und werfen den
Politikern vor, ihnen ginge es gar nicht wirklich darum, die Krise zu bekämpfen,
sie würden eine falsche Krisenpolitik betreiben.
Staat, Wirtschaft und Bevölkerung werden in diesem Bild von Krise als
allgemeinem Schaden unterschiedslos als von der Krise Betroffene gefasst. Die
Filmemacher wollen nichts davon wissen, dass die unter dem Stichwort „Krise“ zusammengefassten Notlagen
sich nicht bloß unterscheiden, es sich vielmehr um Krisen von Subjekten mit
gegensätzlichen Interessen handelt. Da sind die
Lohnabhängigen, die – wie schon diese Bezeichnung sagt – darauf angewiesen sind,
jemanden zu finden, der ihnen einen Lohn zahlt. Dass dieser Lohn immer zu gering
ist, ist kein Zufall und das gilt schon in den sogenannten normalen Zeiten. Erst
recht kriegen sie ihn jetzt bestritten und zwar von den ebenfalls zur
Gemeinschaft der Geschädigten gezählten Unternehmern. Die entlassen – nicht nur
aber eben insbesondere in Zeiten der Krise - massenhaft Leute, kürzen die Löhne
der verbliebenen Mannschaft, weil ihr Geschäft nicht läuft, die Anwendung der
Arbeitnehmer ihnen also den erwarteten Gewinn nicht oder nicht in ausreichendem
Maße einspielt.
Und dann gibt es da noch den Staat mit seinen Haushaltssorgen, der mit dem
Verweis auf diese Sorgen sein Volk drangsaliert. Die verheerenden Folgen, die
die Unternehmen und die Politik mit dem Verweis auf ihre Nöte und Sorgen dem
Volk bescheren, werden von den Filmemachern bzw. den im Film zu Wort kommenden
Kritikern der Krisenpolitik darauf zurückgeführt, dass die Verantwortlichen all
das unterlassen und versäumen, was
ihre eigentlich Aufgabe wäre – die Rettung der Menschen, der Griechen usw.
Die Gegensätzlichkeit der
ökonomischen Interessen ist selbst noch der von ihnen sinngemäß zitierten
Erklärung der Politiker anzumerken. „Schlussendlich“ würden die
Menschen „sich retten“ und zwar als Bürger und Steuerzahler,
heißt es da. Verordnet müssen die Rettungsmaßnahmen den Menschen offenbar schon
noch werden, sonst würde es nichts mit der Selbstrettung, was doch ein
einigermaßen schiefes Licht auf das Selbst dieser Rettung wirft. Wem müsste man
schon Rettungsmaßnahmen aufzwingen, wenn es wirklich die eigene Rettung wäre?
Dass es mit der Zustimmung gelinde gesagt nicht weit her ist, ist kein Wunder,
schließlich drückt das „schlussendlich“ doch auch aus, dass die von der Politik ergriffenen
Maßnahmen die Lage der Menschen gar nicht verbessern, es sich im Gegenteil um
lauter Maßnahmen handelt, die den Arbeitnehmern unmittelbaren Schaden zufügen –
sie in anderen Worten ärmer machen. Trotzdem sollen die Menschen diese sie
negativ treffenden „Rettungsmaßnahmen“
nicht als das nehmen, was sie sind – ihre Verarmung zwecks Rettung der Ökonomie
-, sondern als Versprechen auf ein dadurch ins Werk gesetztes künftiges Wachstum
der Wirtschaft, als dessen Nutznießer sie sich fühlen sollen.
Aus dieser Aussage der Politik hätte man einiges lernen
können über die eigentümlichen Zwecke von Politik und Marktwirtschaft. Der
Nutzen der Bürger ist offenbar eine abhängige Variable von Erfolgen der
Wirtschaft, die dadurch zu befördern sind, dass an den Arbeitnehmern gespart
wird.
Die Filmemacher wollen davon nichts wissen. Sie rechnen
Politik und Wirtschaft – fix und unverrückbar am Standpunkt eines allgemeinen
Schadens stehend - die von ihnen gesetzten Maßnahmen als Fehler – als Vergehen
an den eigentlich guten Aufgaben dieser Institutionen vor. Ausgerechnet dort, wo
ihnen auffällt, dass die politischen und wirtschaftlichen Zwecke den
Arbeitnehmern ganz und gar nicht gut tun, halten sie das Bild einer besseren,
den Menschen dienenden Politik hoch und verteidigen so die Politik gegen ihre
hässliche Praxis.
Sie verdoppeln derart alle Institutionen in den ihnen grundlos unterstellten
eigentlichen guten Zweck und in ihre schlechte Wirklichkeit. Sie trennen damit
die beklagten negativen Wirkungen von den Institutionen ab und verlagern sie auf
die Subjekte, die in ihnen das Sagen haben, und die – sei es durch ihr Versagen,
sei es aus Gier und Egoismus – diesen guten Zweck zu Nichte machen. Alle diese
Institutionen werden derart gegen Kritik immunisiert.
Dies tun sie gleich in mehreren Abteilungen, indem sie auf
die Suche nach Schuldigen dafür gehen, warum aus den angeblich guten Zwecken
nichts wird, und landen – wenig überraschend – bei den üblichen Verdächtigen.
2. Bankenrettung
a. Krise als Geschäftsmodell der Banken
Über Finanzkrise und Finanzkapital schreiben die Filmemacher in ihrem Dossier:
„Es wäre sicherlich unangemessen und
verschwörerisch zu behaupten, die Banken und ihre Gläubiger hätten die
Finanzkrise geplant, aber wenn man der Sache auf den Grund geht - so wie es der
Film tut - zeigt sich doch, dass gerade sie, die erheblich die Finanz- und
Eurokrise verursachten, aus der Krise Kapital geschlagen haben. Sie haben es
geschafft die Finanzkrise sogar in ein profitables Geschäftsmodell umzumünzen.
In den Worten von Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für
Wirtschaftsforschung: „Es ist geradezu das Geschäftsmodell der Banken, darauf zu
setzen, dass im Krisenfall, die Staatengemeinschaft zur Rettung herbeigerufen
wird. In guten Zeiten macht man Gewinne, schüttet sie aus an die Aktionäre, das
Geld ist weg. In schlechten Zeiten setzt man darauf, dass der Steuerzahler zur
Hilfe kommt und die Verluste trägt.““
Es wird schon so sein, dass es einigen Finanzkapitalisten gelungen ist, selbst
noch aus Krise und Bankenrettung Kapital zu schlagen. Deswegen so zu tun, als
wäre eine Krise eine einzige gute Gelegenheit fürs Finanzkapital - damit
beiläufig den Verdacht zu streuen, die Krise könnte das absichtlich
herbeigeführte Werk des Finanzkapitals sein -, geht schon einigermaßen daran
vorbei, was eine Finanzkrise ist. Schließlich heißt Finanzkrise, dass eine ganze
Menge an Wertpapieren der verschiedensten Art sich als uneinbringlich - statt
als Kapital als Schulden - herausstellten und abgeschrieben werden mussten.
Innerhalb eines Jahres gingen 83 Banken unter oder wurden teilverstaatlicht, 60%
der amerikanischen Investmentbanken verschwanden, weil sie nicht in der Lage
waren, ihre Verbindlichkeiten einzuhalten. Ohne dass Bedauern angesagt wäre, ist
festzustellen, dass auch mancher „gestresste“
Finanzmanager im Zuge der Krise seinen lukrativen Job verloren hat.
Abgesehen davon ist die Entlarvung, Banken hätten aus der staatlichen
Krisenbewältigung einen Nutzen gezogen, noch in anderer Hinsicht absurd. Was da
als Vorwurf daherkommt, dass nämlich die Banken im Unterschied zur Bevölkerung
Nutznießer der staatlichen Krisenbewältigung seien, will den Inhalt des
staatlichen Krisenbefunds nicht zur Kenntnis nehmen. Was die Staaten für sich
und die von ihnen eingerichtete Wirtschaft zum Krisenfall ausgerufen haben, war
der drohende Zusammenbruch des Finanzsektors. Die Bankenrettungsmaßnahmen sind
daher kein Unfall ihrer Wirtschaftspolitik, sondern beabsichtigt und das hieß, „systemrelevante“ Banken nicht in die
Pleite gehen zu lassen, Kapital zuzuschießen usw. Dass dann die Banken – im
Unterschied zur Bevölkerung gut aussteigen, ist dann weder Zufall noch Skandal,
wie die Filmemacher glauben machen wollen, sondern zeigt, worauf es in unserer
Wirtschaft wirklich ankommt.
b. Gute Banken – böse Bankmanager
Denken soll man sich, der Schaden der Allgemeinheit wäre das Resultat eines
unanständigen, gegen die Regeln des sachgemäßen und anständigen Bankgeschäfts
verstoßenden Verhaltens gewissenloser Finanzmanager. Unterstrichen wird dieses
Bild vom unlauteren Bankmanager im Film durch Beispiele wie das folgende:
„Kredit für die eigene Wohnung ist besser
als Miete, mit diesem Slogan wurden viele Millionen auch weniger gut verdienende
Spanier gelockt. Heute sind dies die großen Verlierer der Immobilienspekulation.
… Die Banken haben etwas kommerzialisiert, das sich Hypothek nennt, und ein hoch
toxisches Produkt darstellt. Warum toxisch? Weil die Banken schon von vielen
wussten, die ihren Kredit nicht würden bezahlen können. Den Banken war das große
Risiko klar, aber sie haben uns das niemals gesagt.“
Schon vor der Krise hätten gewissenlose Banker auch weniger betuchten Kunden
Kredite aufgeschwatzt, die sie sich eigentlich nicht leisten konnten. Seriöses
Bankgeschäft hätte Kredite, von denen sich im Nachhinein herausstellt, dass sie
uneinbringlich sind, schon damals nicht vergeben dürfen, lautet der Vorwurf.
Dreht man den Vorwurf um, merkt man, dass ein solches Urteil nicht ohne einen
gewissen Schuss Zynismus zu haben ist. Wäre es wirklich besser gewesen, den
Menschen keinen Wohnungskredit zu geben? Sollte man aus den im Film
geschilderten unzähligen Fällen von Wohnungskredit samt anschließender
Delogierung nicht eher lernen, dass in unserer besten aller möglichen Welten für
die sprichwörtlichen kleinen Leute offenbar schon ein Dach über dem Kopf eine
nicht leistbare Sache ist.
Die Filmemacher denken lieber in eine andere Richtung. Sie treibt das Bedürfnis
um, seriöses Bankgeschäft von gewissenloser Spekulation zu unterscheiden. Diese
Unterscheidung macht nur, wer am Kreditgeschäft selbst nichts auszusetzen hat,
vorausgesetzt nur, es wird seriös betrieben, erspart also insbesondere Menschen
Kredite, die sie sich, wie man jetzt
im nachhinein
weiß, nicht leisten können. Den Grund der Krise verorten die Filmemacher daher
dieser Unterscheidung gemäß nicht im Zweck des Kreditgeschäftes, sondern in
dessen Übertreibung:
„Die Banken sind ins Kasino gegangen,
haben gesetzt und verloren. Wir alle haben den Bankinstituten Wohnungen
abgekauft, Darlehen, Futurebonds, Hypothekenurkunden. Das sind Schuldentitel,
die Banken auflegen und das kann hohe Verluste bedeuten.“
Der Vorwurf lautet, die Banken hätten gezockt. Der gewöhnliche Kredit geht für
sie in Ordnung. Spekulation beginnt für sie erst bei den Kreditgeschäften der
höheren Art, bei denen Kredit auf Kredit, Spekulation auf Spekulation getürmt
wird:
„Die Bank gibt Kredit an Kunden. Die Bank hat ein Ausfallsrisiko, muss Kapitalreserven halten. Bei einem auf 5 Jahre ausgelegten Darlehen müsste das Kapital dafür auch 5 Jahre in der Bilanz bleiben. Bis er rückzahlbar war, konnte die Bank diesen Betrag nicht wieder verwenden. Mit einem credit default swap kaufte sie eine Versicherung für den Fall, dass der Kunde den Kredit nicht zahlt. Damit hatte die Bank die Macht, mehr Kredite zu vergeben und sobald sie genug davon hatten, versicherten oder bündelten sie und verkauften sie weiter. Das beschleunigte die Geschwindigkeit, mit der die Kredite im System herumbewegt wurden. Dh. statt ein Darlehen 5 Jahre zu halten, konnte man es gewähren, es verkaufen, das Geld frei machen und wieder von vorne anfangen. Das vergrößerte das Kreditangebot exponentiell
. Kurzfristig werden so zwar die Gewinne vergrößert, aber das Problem ist, sobald man das Darlehen verkauft hat, muss man immer weitermachen. Man musste immer weitermachen, immer mehr Kredite vergeben und als in der Krise viele die Arbeit verloren, wurden die Kredite zur Falle.“
Hätten die Banken bloß Kredite vergeben und dafür ordentliche Zinsen kassiert,
die Filmemacher wüssten nichts dagegen einzuwenden. Ihre Kritik wendet sich
nicht gegen die Kreditgeschäfte: Geld wird gegen Zins verliehen; wie und ob der
Kreditnehmer es schafft, diesen Zinsdienst zu leisten, bleibt dem Kreditnehmer
überlassen und geht den Kreditgeber nichts an; er hat ein staatlich garantiertes
Recht auf Bedienung seiner Schuldforderung. Nicht dagegen wendet sich ihre
Kritik, sondern gegen die Banker. Die hätten mit lauter Tricks das Eigenkapital
der Banken minimiert, Kredite gebündelt und in Form neuer Wertpapiere verkauft.
All das nur um noch mehr Kredite vergeben und noch mehr Gewinn lukrieren zu
können. Das sei ihnen zum Verhängnis geworden. Diese Geschäfte sind nicht mehr
zu stoppen: „Man muss immer so
weitermachen“.
Mit dieser Kritik nehmen die Filmemacher das Kreditgeschäft selbst in Schutz.
Der Grund der genannten Übertreibung ist ja ihrem Urteil nach gerade nicht in
der Logik dieses Kreditgeschäftes zu finden sein, sondern in der Psychologie der
handelnden Personen, die aus kurzsichtiger Gier nach Gewinn das Kreditangebot
über das nach Meinung der Filmemacher vertretbare Maß hinaus exponentiell
vergrößert hätten. Was dieses vertretbare Maß sein könnte, darüber gibt es ganz
und gar nicht zufällig keine Auskunft. Das weiß man immer erst, wenn es wieder
einmal zu spät ist. Hat man sich aber einmal ganz im Sinne der Lebensweisheit „Allzuviel ist ungesund!“ zum
Vorurteil, Grund der Krise sei die übermäßige Aufblähung des Kredits,
entschlossen, kann man sich jetzt, nachdem die Krise eingetreten ist, als
Durchblicker fühlen.
Dabei kommt diese Kritik um einen Widerspruch nicht herum. Wenn es am Kredit
selbst nichts auszusetzen gibt, er im Gegenteil sogar als nützliches
wirtschaftliches Instrument durchgeht, dann lässt sich doch nichts gegen die
Beschleunigung dieser Kreditverhältnisse einwenden. Mehr an Kredit bedeutet dann
doch nur mehr von dem Nützlichen, für das man den Kredit hält. Wo soll dann aber
das Problem sein, immer so weitermachen zu müssen?
Wenn das Weitermachen umgekehrt aber tatsächlich zu Problemen führt, so deshalb,
weil nicht ausgemacht ist, ob ein vergebener und genommener Kredit auch bedient
werden kann. Dass so mancher Kredit in die Hose geht, liegt im Wesen des Kredit,
ist also nicht Folge einer gar nicht näher bestimmten Beschleunigung der
Kreditvergabe. Jeder Kredit ist nämlich immer und ohne Ausnahme – vom
Wohnungskredit des Arbeitnehmers über den Unternehmerkredit zwecks
Investitionstätigkeit bis hin zur spekulativen Veranlagung in Wertpapiere der
verschiedensten Art - eine Spekulation auf einen zukünftigen Erfolg, der, dem
Wesen von Spekulation entsprechend, in keinem Fall eine ausgemachte Sache ist,
ganz im Gegenteil. Ob und ab welchem Maß an Kreditklemmen das dann zum
Zusammanbruch des ganzen Finanzsystems führt, lässt sich ob der vielfältigen
Verschlingungen der Kreditbeziehungen, bei der Schulden und Guthaben sich gar
nicht unterscheiden lassen, beim besten Willen nicht mehr vorhersagen. Kurz, es
ist verkehrt, Spekulation nicht schon im Kredit selbst, sondern erst im Geschäft
der höheren Art mit ihm zu verorten.
Wer Spekulation erst am Handel mit Krediten – an Derivaten, Kreditverbriefungen
und Swaps – entdeckt, und nicht schon am einfachen Kredit des Wohnungkäufers,
sitzt aber noch in einer anderen Hinsicht einem Irrtum auf. Er übersieht
nämlich, dass die von ihm als Spekulation gebrandmarkte Kreditaufblähung schon
im von ihm als seriös eingestuften einfachen Kredit angelegt ist.
Banken konzentrieren alles Geld der Gesellschaft bei sich. Sie attrahieren
Einlagen, wickeln den gesellschaftlichen Zahlungsverkehr ab, schöpfen und
vergeben auf dieser Grundlage Kredite. Alles einzig um derart die eigene
Kreditmacht beständig auszuweiten. Gradmesser des ökonomischen Erfolgs einer
Bank ist die Verzinsung des von ihr eingesetzten Kapitals. Wenn das aber
einziger Zweck jeder Kreditvergabe ist - und noch nicht einmal die Filmemacher
erheben einen Einwand dagegen -, dann erreicht die Bank diesen Erfolg umso
besser, je mehr an Krediten sie auf Basis des eingesetzten Kapitals vergibt.
Dann wäre es aus der Sicht dieses Zwecks geradezu sträflich, auch nur eine
solche mögliche Investitionsgelegenheit auszulassen. Die beschriebene Aufblähung
des Kreditvolumens ist dementsprechend die logische Konsequenz jeden
Bankgeschäfts und daher alles andere als eine Folge einer besonderen
psychologischen Disposition der Bankmanager, wie die Filmemacher glauben machen
wollen.
Die sprichwörtlich kleinen Leute gehören dabei in keinem Fall zu den Nutznießern
dieser auf Spekulation beruhenden Verhältnisse und zwar unabhängig davon, ob die
Spekulation aufgeht oder nicht. Gelingt ein realwirtschaftliches Geschäft, so
können sie sich was darauf einbilden, durch ihre Arbeit das Unternehmen, das sie
beschäftigt, reicher gemacht zu haben. Als Kunden einer Bank andererseits dürfen
sie mit ihren Zinszahlungen auch noch zum Erfolg „ihrer“ kreditgewährenden Bank
beitragen. Wird das Unternehmerrisiko ihres Arbeitgebers schlagend und verlieren
sie deshalb mit ihrem Arbeitsplatz ihren Lohn, weil er sich für ihren
Arbeitgeber nicht mehr lohnt, dürfen sie schauen, wie sie mit Tilgung und Zinsen
ihres Kredites zurande kommen, verlieren sie doch ansonsten ihre mit einer
Hypothek belastete Wohnung. Kommt dann - wie in den im Film geschilderten Fällen
- im Zuge der Finanzkrise die kreditgewährende Bank selbst oder dasjenige
Finanzkapital, das ihren Hypothekenkredit gerade im Portfolio hält, in
Liquiditätsschwierigkeiten, sorgen die staatlichen Gesetze dafür, dass ihr
Kredit fällig gestellt wird oder ihre mit einer Hypothek belastete Wohnung sich
in der Konkursmasse wiederfindet. Dass spanische Wohnungskäufer, die ihren
Kredit nicht mehr bedienen können, keine Hilfe vom Staat erhalten und sehen
dürfen, wo sie bleiben, derselbe Staat aber mit seiner ganzen Gewalt hinter den
Banken steht, ist dann kein Zufall.
Im Jahr 2008 ging im Zuge der Hypothekenkrise die amerikanische Bank Lehman
Brothers
Pleite.
Diese Pleite drohte, auch den europäischen Finanzmarkt zum Einsturz zu bringen.
Die Staaten Europas reagierten mit Rekapitalisierung ihrer gefährdeten Banken
und, wenn dies nicht ausreichte, mit deren
Verstaatlichung.
Spätestens ab 2012 sah sich Spanien nicht mehr in der Lage, die Rettung der
eigenen Banken in Eigenregie zu betreiben und wandte sich um Unterstützung an
die europäischen Partner. Im Film erfährt man hiezu:
„Als diese Blase in der Finanzkrise
platzte, bestand für die deutschen Banken die Gefahr, dass etwa 200 Mrd.€, die
sie an spanische Banken ausgeliehen hatten, nicht mehr zurückgezahlt werden
können. Darauf entstand die Idee, dass Spanien gerettet werden muss, weil die
Spanier faul sind. Weil hier nicht gearbeitet wird, die Firmen nicht gut sind. …
Die ausländischen Banken werden gerettet,
die spanischen Bürger müssen dafür alle Kosten und Risiken tragen.“
Dass es Spanien selbst darum gegangen sein könnte, seinen eigenen Bankensektor
zu retten, kommt den Filmemachern nicht in den Sinn. Um die Bankenrettungspakete
Spaniens, seinen Antrag um Unterstützung aus dem Europäischen
Stabilitätsmechanismus ESM als in einen Dienst Spaniens an deutschen Banken zu
interpretieren, muss man sich freilich schon beinahe alles, was die Krise in
Spanien tatsächlich ausgemacht hat, konsequent wegdenken.
Tatsächlich geriet die spanische Bau- und Immobilienwirtschaft als Folge der
Kreditverknappung in Folge der Finanzkrise ab 2008 in eine Rezession. Die Folge
war, dass ab 2011 die spanischen Sparkassen und Banken Probleme bekamen, sich am
Kapitalmarkt zu refinanzieren.
Ab 2008 legte der spanische Staat um den Preis der explosionsartigen
Vergrößerung seiner Staatsschuld das - laut Angaben der EU – größte
Konjunktuprogramm Europas auf.
Das Finanzkapital, das dem spanischen Staat – trotz radikaler Kürzung seiner
Staatsausgaben insbesondere für Soziales - nicht zutraute, damit tatsächlich ein
es selbst zufriedenstellendes Kapitalwachstum anzustoßen, reagierte auf die
explosionsartige Zunahme der Staatsschulden mit einer Erhöhung der
Risikoaufschläge auf spanische Staatsanleihen.
Spanien sah sich daher im Jahr 2012 genötigt – und zwar aus eigenem nationalen
Interesse – zwecks Refinanzierung seiner Banken und Verteidigung seines eigenen
Zugangs zum Kapitalmarkt einen Antrag auf Unterstützung aus dem europäischen
Rettungsschirm ESM zu stellen. Der ESM wurde ermächtigt durch Ausgabe von
Anleihen bis zu 100 Mrd. Euro am Kapitalmarkt aufzunehmen und für die
Rekapitalisierung der spanischen Banken zur Verfügung zu stellen. Für die
Rückzahlung musste Spanien die Haftung übernehmen. Außerdem musste es sich zur
Reform seines Bankensektors verpflichten.
Von diesem eigenständigen Interesse Spaniens an der Rettung seiner Banken,
wollen die Filmemacher nichts wissen. Es ist zwar sicherlich so, dass es Spanien
nicht um Rettung seiner Bürger vor den Folgen der Krise zu tun war. Deswegen ist
es aber umgekehrt noch lange nicht richtig, das Handeln des spanischen Staates
auf wahlweise sachfremde Einflüsterung oder Erpressung durch gierige Banker oder
deutsche Politiker zurückzuführen. Auf die Idee kommt nur, wer – wie die
Filmemacher –gegen die aktuellen Erfahrungen in der Krise und trotz der Aussagen
der Politiker, die eigentlich nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig lassen,
nicht von der Vorstellung lassen möchte, der Staat hätte seine wahre Aufgabe,
seine Bürgern vor den Folgen der Krise zu retten, verraten.
In ihrer Überzeugung,
dass Staat und Volk Spaniens Opfer der Finanzindustrie geworden sind, sehen die
Filmemacher sich durch Aussagen wie die von
Dennis Kelleher, einem Vertreter der Nonprofit-Organisation better markets,
bestätigt:
„Das ist die einzige Industrie in der
Welt, die ein Damoklesschwert an die Kehlen der Regierungen und der Menschen
setzt. Sie sind so groß und es klingt wie, ihr traut euch ja nicht, macht nur
weiter, lasst uns Bankrott gehen und wir werden das gesamte Finanzsystem
zerstören. Wir werden eine zweite große Depression einleiten. Wollt ihr das,
Regierungsvertreter?“(Dennis
Kelleher, Better Markets,
www.bettermarkets.com)
Nicht auffallen will den Filmemachern der Widerspruch in dieser Aussage.
Gedroht haben sollen die Banken damit, dass mit ihnen das ganze Finanzsystem
untergeht. Hätten die Staaten kein eigenständiges Interesse an der Existenz des
Finanzsystems und damit seiner wesentliche Player, ginge eine solche Drohung ins
Leere. Haben sie aber ein eigenständiges Interesse, braucht es keine Drohung, um
den Staat davon zu überzeugen, die Banken zu retten. Als Erklärung, warum
Staaten systemrelevante Banken retten, taugt diese Aussage also nichts.
Geleistet ist mit ihr aber trotzdem etwas, wird der Staat doch mit ihr ebenso
wie die durch sein Tun verarmten Menschen zu den Opfern des Finanzkapitals
gezählt.
Dabei zeigt doch schon der Umstand, dass es ohne die staatliche Gewalt das Finanzkapital gar nicht gäbe, dass er alles andere als ein hilfloses Opfer des Finanzkapitals ist: Rechtliche Absicherung und Durchsetzung von Schuldverhältnisses - und um solche handelt es sich bei Finanztiteln gleich welcher Art – kommt ohne staatliche Gewalt, die derartige Verhältnisse erst verbindlich macht, nicht aus. Das bedeutet aber, dass der Staat ein positives Interesse an der Existenz derartiger Verhältnissen hat.
*
Was die Staaten mit der Rettung ihrer Banken in Wahrheit gerettet haben, war
nicht weniger als ihr eigener Zugang zum Finanzmarkt. Das Geschäft der Banken
hat „systemische Bedeutung“, weil es
das Lebenselixier der Wirtschaft und die ökonomische Machtbasis des Staates ist.
Alles in der Gesellschaft ist von seinem Gelingen abhängig – und ihm daher
nachgeordnet. Auch die vielbeschworene Realwirtschaft funktioniert nur mit
Kredit und hat keine andere Aufgabe, als der Verwertung des Finanzkapitals Stoff
zu liefern. Sofern die Banken ihr das nicht mehr zutrauen und keine Kredite mehr
gewähren, lohnt sich das Produzieren und Verkaufen von Bedarfsgütern nicht mehr,
wird zurückgefahren oder ganz eingestellt. Selbst die Ersparnisse und
Geldreserven der Bürger liegen in der Form von Darlehen der Bank, von
Wertpapieren oder sonstigen zinstragenden Schuldforderungen vor, und sogar das
Geld selbst existiert und zirkuliert in Gestalt von Forderung oder
Verbindlichkeit auf Bankkonten, besteht also in Schulden der Banken gegen ihre
Kunden.
Wenn Banken zusammenbrechen, ist das Geld weg, das Volk enteignet, bricht der
Zahlungsverkehr zusammen und mit ihm alles Produzieren und Verkaufen. Mit einem
solchen Zusammenbruch verliert der Staat die Quelle seiner eigenen Finanzierung,
die bei allen modernen Staaten über den Kapitalmarkt läuft. Dass sie das
Finanzkapital retten, ist daher kein Wunder.
Der Staat verschafft sich das für die Erfüllung seiner Aufgaben nötige Geld
dadurch, dass er – und zwar ganz aus freien Stücken, soll heißen ohne Not - dem
Finanzkapital verzinste Staatsanleihen zum Kauf anbietet. Er tut dies, weil er
sich derart unabhängig davon macht, was ihm seine Wirtschaft aktuell gerade an
Steuern einspielt. Dem Finanzkapital umgekehrt wird mit den Staatschulden ein
neues Geschäftsfeld eröffnet. Es
behandelt seine zinsbringenden Schulden als gewinnträchtige, normalerweise sogar
besonders verlässliches Vermögen, weil dahinter nicht nur ein vereinzelter
privater Schuldner steht, sondern der Staat mit seinem Durchgriff auf die
gesamte nationale Ökonomie.
Die Befreiung der Staates aus seiner Abhängigkeit von den Steuereinnahmen hat
freilich einen Preis. Mit dieser Methode seiner Finanzierung setzt sich der
Staat dem Urteil des Finanzkapitals aus.
Er macht sich von dessen vergleichenden Beurteilung seiner Schulden abhängig -
das Finanzkapital vergleicht seine Schulden mit den Schulden aller anderen
Staaten, die ihre Papiere in Konkurrenz zu den seinen unterzubringen versuchen.
Ob und inwiefern seine Verschuldung gelingt, darüber entscheidet das
Finanzkapital und zwar nach den Kriterien seines geschäftlichen Erfolgs. Ein
Staatsbankrott wie der von Griechenland liegt daher dann vor, wenn das
Finanzkapital einem Staat die Kreditwürdigkeit streicht.
Wie sehr der Staat aber in seiner Verschuldung
sein entscheidendes Erfolgsmittel sieht, lässt sich daran bemerken, dass
er selbst in solchen Zeiten, in denen diese Verschuldung nicht wie gewohnt
klappt, nicht auf die Idee verfällt, sich mit dem zu begnügen, was ihm seine
Wirtschaft an Steuern einbringt. Sein ganzes Sinnen und Trachten ist dann darauf
gerichtet, Bedingungen zu schaffen, die ihm die Rückkher auf die Finanzmärkte
gestatten. Dafür nehmen sie - wie schon
in den nur im Nachhinein und im Vergleich idyllisch scheinenden normalen Zeiten
– ihr Volk in die Pflicht.
Die getätigten
Staatsausgaben haben sich nicht als geschäftswirksam erwiesen und werden in der
Folge neu kalkuliert. Das Volk in Gestalt der Kosten der staatlichen
Sozialeinrichtungen wird zur unhaltbaren Belastung erklärt. Dafür, um der
staatlichen Schuldenwirtschaft die Rückkehr auf den Finanzmarkt zu ermöglichen,
ist die Verarmung der Bevölkerung das adäquate Mittel.
Welche Auswirkungen das Zusammenstreichen der sozialstaatlichen Ausgaben des
griechischen Staates auf die Bevölkerung hat, dafür liefert der Film reichlich
Anschauungsmaterial. Einen Schluss darauf, wofür die nun gekürzten
Sozialstaatsausgaben schon in Vorkrisenzeiten gut waren, wollen die Filmemacher
und die von ihnen interviewten Personen nicht ziehen:
„Die Rettung
maroder Banken wird zur Möglichkeit schließlich Kündigungsschutz sowie Sozial-
und Arbeitsrechte systematisch abzubauen. In einem Interview mit dem Wallstreet
Journal am 13.02.2012 macht Mario Draghi - einst Vizepräsident von Goldman Sachs
und heute Präsident der EZB - daraus keinen Hehl: „Das europäische Sozialmodell
ist Vergangenheit.“ Die Rettung des Euro und damit der Eurozone werde viel Geld
kosten. Das bedeute auch, vom europäischen Sozialmodell Abschied zu nehmen.“
Den Milliarden, welche die Staaten in die
Bankenrettung gesteckt haben, werden die Kürzungen im Sozialbereich
gegenübergestellt. Denken soll man sich, die hohen Kosten der Bankenrettung
wären Vorwand bzw. Grund - die Filmemacher unterscheiden da nicht so genau - für
die als „Abschied vom europäischen
Sozialmodell“ apostrophierten Einschnitte in den Sozialstaat. Dieses
Argument lebt von der Vorstellung des Staatshaushaltes als einer Kasse, aus der
der Staat unterschiedslos die Notwendigkeiten des Staats, seinen Gewaltapparat,
seine Ausgaben für Wirtschaftsförderung, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik bis
zur Sozialpolitik im engeren Sinn bestreitet. Jetzt, wo diese Kasse wegen der
Bankenrettung leer sei, wäre der Staat zum Sparen gezwungen. Behauptet wird
damit also, die Kürzungen am Sozialstaat wären die Konsequenz der jetzt leeren
staatlichen Kasse.
Um dieses Argument zu teilen, muss man sich den
Staatshaushalt als eine Art Gemeinschaftskasse
vorstellen, vergleichbar
mit der Geldbörse des kleinen Mannes, der tatsächlich nicht mehr ausgeben kann
als er verdient. Dass es sich beim Haushalt des Staates etwas anders verhält,
könnte man aber allein schon daran merken, dass ausnahmslos alle Staaten ihre
Schulden in all den vergangenen Jahren laufend vergrößert haben. Dem kann man
entnehmen, dass staatliche Schulden gar nicht darauf berechnet sind, je wieder
auf Null gestellt zu werden. Jeweils fällige alte Schulden werden stets mit
Hilfe neuer Schulden beglichen. Krise ist dann, wenn das Finanzkapital aus
seinen Gründen einem Staat das Vertrauen entzieht und tatsächlich auf
Rückzahlung besteht. Dann ist ein Staat pleite. Der vorgestellte kleine Mann mit
seiner Geldbörse kriegt all das nicht hin.
*
Hält man trotzdem für einen Moment am Bild fest, der
Staat könne so wie Hunz und Kunz nicht mehr ausgeben, als er einnimmt, so zeigt
sich das Argument bei genauerem Hinsehen als in sich widersprüchlich. Wenn trotz
– wie in dem Bild unterstellt – beschränkter staatlicher Mittel viel Geld für
die Rettung des Euros und der Eurozone ausgegeben wird, für den Sozialstaat
radikal weniger - dann ist die Kürzung im Sozialstaatsbereich auch von dieser
Seite her nicht irgendeinem Diktat klammer Kassen geschuldet, sondern dieser
staatlichen Prioritätensetzung.
Fällig wäre an dieser Stelle zu fragen, warum die Banken
„systemisch“ sind, der Erhalt des
Sozialstaats in der bisherigen Form dieses Prädikat aber nicht zugesprochen
erhält.
*
Die Filmemacher machen anders
weiter. Sie sind überzeugt, für den Rückbau des Sozialstaates könne es keinen in
den politökonomischen Verhältnissen liegenden Grund geben. Für sie verdanken
sich Kürzungen im Sozialbereich den bösen Absichten pflichtvergessener
Politiker, die ihre Verantwortung für das soziale Wohl der von ihnen regierten
Menschen nicht wahrnehmen. Der klamme Staatshaushalt wird ihnen zum willkommenen
Vorwand, das schon die ganze Zeit über latent vorhandene - ganz anderen und
nicht weiter benannten Beweggründen geschuldete - Interesse an der Abschaffung
des Sozialstaates endlich in die Tat umzusetzen. Wenn „die Rettung maroder Banken zur
Möglichkeit wird,… Sozial- und Arbeitsrechte systematisch abzubauen“, haben
die Regierenden nach Ansicht der Filmemacher offenbar schon die ganze Zeit über
auf eine solche Gelegenheit gewartet.
Wenn sie aber schon immer auf
eine Gelegenheit gewartet haben sollen, den Sozialstaat abzuschaffen, stellt
sich freilich die Frage, wieso sie ihn dann überhaupt jemals eingeführt haben?
Wenn sie andererseits all diese Rechte schon abschaffen wollen, warum sollten
sie das dann nicht einfach tun? Warum brauchen sie dazu einen Vorwand? Wieso
sollte außerdem der Hinweis auf die Notwendigkeit der „Rettung maroder Banken“ überhaupt als
Vorwand taugen? Um die wegen der Bankenrettung leeren Staatskassen für einen
geeigneten Vorwand halten zu können, müssen die Filmemacher selbst das Argument
für irgendwie einleuchtend halten. Woher nehmen sie dann aber ihre Überzeugung,
es würde sich um einen Vorwand handeln?
*
Dass die Kürzungen im Sozialbereich dem Diktat der
wegen der Kosten für die Bewältigung der Banken- und Staatsschuldenkrise leeren
Kassen geschuldet seien, stellt das wirkliche Verhältnis dieser Staatsausgaben
auf den Kopf.
Die Politik macht
gar kein Geheimnis daraus, worum es geht, wenn Banken gerettet, sozialstaatliche
Leistungen gestrichen, Löhne gesenkt, massenhaft Arbeitnehmer auch im
öffentlichen Dienst gekündigt, Staatsbetriebe privatisiert werden und am
Ausbildungswesen gespart wird.
Finanzkapitalistische Investoren haben Griechenland –
zwischenzeitlich auch Irland, Spanien, Portugal - den Kredit entzogen. Die
getätigten Staatsausgaben haben sich als nicht ausreichend geschäftswirksam
erwiesen. In der Folge werden die Staatsausgaben neu kalkuliert, mit dem
Ergebnis, dass die soziale Betreuung des Volkes zu einer nicht lohnenden und
daher unhaltbaren Kost erklärt wird. Um der staatlichen Schuldenwirtschaft die
Rückkehr auf den Finanzmarkt zu ermöglichen, ist die Verarmung der Bevölkerung
das adäquate Mittel. Die „Krise der
Staaten“ bzw. die Probleme, die die Staaten mit ihrer Refinanzierung am
Kapitalmarkt haben, sind eben nicht gleichzusetzen mit der der Krise der von
ihnen regierten Bevölkerung. Die Herstellung von deren Existenznot ist im
Gegenteil das offen ausgesprochene Mittel, das verlorengegangene Vertrauen in
die Kreditwürdigkeit dieser Staaten wiederherzustellen.
*
Das ist auch eine Klarstellung darüber, wofür der
Sozialstaat und die sozialen Leistungen des Staates schon immer gut waren. Mit
seinen Ausgaben für den Sozialstaat kümmert sich der Staat um die
kapitalistische Benutzbarkeit seines Volkes. Gibt es kein Wirtschaftswachstum,
wird daher das Volk in Gestalt der Sozialkassen zur unnützen Staatsausgabe.
Das konstatiert gleich zu Beginn des Films auch ein Universitätsprofessor für
Psychologie an der Universität von Thessaloniki, allerdings nicht ohne die
Objektivität des genannten politischen Zwecks mit dem Hinweis auf den
Neoliberalismus als Grund gleich wieder zu relativieren:
„Unsere Universität hat letztes Jahr eine Budgetkürzung von 70% bekommen. …
Das sind Maßnahmen, die kennen wir aus der Welt, wo Neoliberalismus schon
existiert. Mit 60% Jugendarbeitslosigkeit ist Bildung für die Herrschenden eine
sekundäre Sache. Wenn man 60% der Jugendlichen
gar nicht verwerten möchte, dann muss man sie auch nicht ausbilden.“
Die Aussage, Menschen, für die
Staat und Kapital keine Verwendung haben, braucht man auch nicht auszubilden,
benennt das vom Staat in Anschlag gebrachte Kriterium der Finanzierung seines
Bildungswesens.
Bildung im
Kapitalismus gehorcht keinem anderen Kriterium als der Bereitstellung des
entsprechend qualifizierten Personals für die Verwertung des Kapitals und seiner
politischen Verwaltung in den entsprechenden staatlichen Positionen.
Ist keine Verwendung der Ausgebildeten im Dienste von Staat und
Kapital in Sicht, braucht es auch keine Ausbildung.
Das könnte zwar ein kritisches Licht auf das werfen, was an den Universitäten an
Wissen erarbeitet und vermittelt wurde. So ist die Kritik aber nicht gemeint.
Kritisiert werden nicht die Leistungen der Universitäten in Vorkrisenzeiten.
Kritisiert wird, dass die Erbringung dieser Leistungen jetzt unmöglich gemacht
wurde. Die Kürzungen der Universitätsbudgets und deren Konsequenzen werden einem
nicht als logische Konsequenz dessen, worum es Kapitalismus geht vorgeführt,
sondern als Missstand, der sich einer schlechten, einer neoliberalen Verwaltung
des Kapitalismus verdankt.
*
Wofür die Leistungen des
Sozialstaats gut waren bzw. sind, das spricht der jetzige EZB-Präsident Mario
Draghi 2012 in seinem, von Filmemachern nur zum Teil wiedergegebenen Interview
im Wall Street Journal in aller Offenheit aus. In der Tageszeitung „Die Presse“
vom 24.02.2012 konnte man Folgendes lesen:
„Draghi
hält dem entgegen, dass eine Belebung der griechischen Wirtschaft nur möglich
sei, wenn zuvor eingehende Strukturreformen durchgeführt würden. Das betreffe
vor allem den Arbeitsmarkt „für den geschützten Teil der Bevölkerung“. So seien
die Verträge „höchst unflexibel und die Löhne folgen eher dem Alter als der
Produktivität“. Das gelte nicht nur für Griechenland, wo Draghi ein niedrigeres
Lohnniveau für unvermeidbar hält. Sondern für die meisten EU-Mitglieder.
Spezifische Länder außer Griechenland nannte der EZB-Präsident nicht. … Auf die
Frage der US-Journalisten, ob das Sozialstaatsmodell Europas angesichts der
anstehenden Reformen künftig weniger stark wie bisher sein werde, antwortete
Draghi: „Das europäische Sozialstaatsmodell gibt es nicht mehr.“ Die Zeiten, in
denen die Europäer so reich gewesen seien, dass sie „es sich leisten konnten,
jeden dafür zu bezahlen, dass er nicht arbeite“ seien vorbei.“(Die
Presse, 24.02.2012)
Draghi gibt damit nicht - wie
es die Filmemacher vorstellig machen - kund, dass er froh ist, endlich einen
Vorwand für die von ihm schon längst gewollte Abschaffung des Kündigungsschutzes
und von Sozial- und Arbeitsrechten gefunden zu haben. Er führt einerseits schon
immer geltende Kriterien und andrerseits geänderte ökonomische Verhältnisse ins
Treffen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft mache es heutzutage eben
notwendig, dass am Arbeitsmarkt die „Verträge flexibler“ werden, z.B. Kündigungsschutzbestimmungen abgebaut
werden müssen.
Dass die Europäer sich bislang den Luxus geleistet
hätten, Menschen dafür zu bezahlen, nicht zu arbeiten, ist auf der einen Seite
zynischer Unsinn. Schon deshalb, weil die Reichen bekanntlich auch nicht
arbeiten, sondern arbeiten lassen und davon nicht schlecht leben. Richtig ist
natürlich, dass sie nicht bezahlt werden. Lohn ist Bezahlung für Arbeit in
fremden Dienst, und sowas haben sie per definitionem nicht notwendig.
Wer umgekehrt tatsächlich auf einen Lohn angewiesen
ist, steht in unserer Wirtschaftsweise - daran erinnert Draghi - unter dem
Diktat einer unbedingten Arbeitspflicht. Auch bisher wurde ein Arbeitsloser
natürlich nicht dafür „bezahlt, dass er
nicht arbeitet“ , garantiert wurde vielmehr mit dem Arbeitslosengeld die
Erhaltung der Brauchbarkeit seiner Arbeitskraft für das Kapital, im Hinblick auf
ihre Wiederverwendung und daher immer bloß befristet. Wer dauerhaft nicht
gebraucht wird und damit dieser Arbeitspflicht nicht mehr nur vorübergehend
nicht nachkommt, um den kann sich sein Staat nicht kümmern. Dafür ist der
Sozialstaat nicht da. Das ist es, was man der Äußerung von Draghi und den
europaweit in den letzten Jahren durchgesetzten Maßnahmen entnehmen kann.
*
Davon wollen die Kritiker nichts wissen. Für sie ist
die konstatierte Rücknahme von arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen nicht
der Anlass, an dem von ihnen unterstellten guten und für die Menschen nützlichen
Zweck des Sozialstaates zu zweifeln. Statt dessen wird die Rücknahme von
arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen beklagt! Statt sich zur erklären, warum
Banken für „systemisch“ erklärt
werden, dem Sozialbereich dieses Prädikat aber nicht zugeschrieben wird,
bedauern sie den Abbau des Sozialstaats und übersehen dabei, was alles sie damit
als selbstverständlich unterschreiben.
Wer nach dem Erhalt des Sozialstaates ruft,
akzeptiert, dass Menschen ohne sozialstaatliche Regelungen in ihrem gesamten
gesellschaftlichen und Arbeitsleben mehr oder weniger aufgeschmissen wären, dass
die Unternehmen laufend für Sozialfälle bei Alt und Jung sorgen, dass es
beständiger staatlicher Eingriffe bedarf, um dem Arbeitsvolk auch nur ein
Auskommen zu ermöglichen.
Statt nach dem Erhalt des Sozialstaates zu rufen, wäre
man gut beraten, zu fragen, was denn
das für eine Politik ist, die ja nicht erst nachträglich haushälterisch
eingreift, sondern doch offenbar diese ganze Gesellschaft bis ins Detail
organisiert und hoheitlich betreut, eine Gesellschaft, die laufend solche
Ergebnisse hervorbringt.
5. Demokratie wird ausgehöhlt
Der Entschlossenheit, mit der alle Regierungen in
Europa ihre Staatshaushalte von allen „unproduktiven“ Kosten entlasten, also am Lebensunterhalt ihrer Völker
sparen, lässt sich entnehmen, was die aktuellen Staatsnotwendigkeiten sind. Für
diese Regierungen sind Spardiktate zur drastischen Verarmung ihrer Bevölkerung „alternativlos“. Für die
Standortverwalter geht es ums Ganze. Die Rettung des Euro, die Sanierung des
Staatshaushalts und die Gesundung der Marktwirtschaft, die den Insassen der
Kapitalstandorte Europas überall als unabweisliches Lebensmittel vorgesetzt wird
– das ist marktwirtschaftliche Staatsräson, und die ist nur durch die
durchgreifende Verschlechterung der Lebenslage der Bevölkerung zu haben. Und das
nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer.
Während Europas
demokratisch gewählte Staatenlenker in der Verarmung weiter Teile ihrer
Bevölkerung, im sogenannten Sozialabbau in großem Stil das Mittel ihrer Wahl
sehen, das Vertrauen des Finanzkapitals in ihre Staatsschuldpapiere
wiederherzustellen, ziehen die Filmemacher den umgekehrte Schluss. Wenn solche
Verarmungsmaßnahmen beschlossen werden, dann hat das seinen Grund darin, dass es
in Europa undemokratisch zugeht.
*
Neben den geschädigten Leuten werden daher im Film
noch ganz andere Opfer der TROIKA vorstellig gemacht:
„Jetzt wird die
Politik nicht durch demokratisch gewählte Regierungen bestimmt, sondern durch
supranationale, nicht demokratische Institutionen wie die Troika – durch
EU-Kommission, EZB und IWF.“
Welch hohe
Güter unter dem Label „undemokratisch“
unter die Räder kommen! Da sorgen sich Kritiker quer durch ganz Europa auf
einmal um die demokratischen Institutionen und verteidigen das „Königsrechts des Parlaments“, das
Geld für den Staatshaushalt zu genehmigen. Als die griechischen, spanischen etc.
Parlamente ihre Spardiktate zu Lasten ihrer Bevölkerung beschlossen haben, hieß
es im Spektrum der „Empörten“ noch: „Diese Politiker vertreten uns nicht!“.
Jetzt auf einmal soll dieselbe „Souveränität
der nationalen Parlamente“ etwas Verteidigenswertes sein? In Kreisen solcher
Kritiker offensichtlich völlig vergessen ist, dass die feinen Institutionen
zuallererst einmal souverän gegen ihr Volk sind, das den Beschlüssen der
Gesetzesmacher unterworfen ist. Es ist schon bemerkenswert, welche
Gleichheitszeichen da ganz unbefangen aufgestellt werden: Geschädigte Interessen
der Bevölkerung = Aushöhlung der Rechte der Herrscherfiguren von Parlament und
Regierung über die Bevölkerung! Geschädigte Interessen der Bevölkerung soll man
sich vorstellen als eine Aushöhlung der Rechte des Parlaments, als genau der
Institution, die all diese Maßnahmen in Gesetzesform gießt!
*
Entgangen ist ihnen bei all dem außerdem, dass die verpönten
supranationalen Institutionen, die die Nationalstaaten entmachtet haben sollen,
bis ins in ihnen entscheidende Personal das Geschöpf genau dieser
Nationalstaaten sind.
Entscheiden muss man sich auch, ob man sich an den von
Griechenland, Spanien usw. als Gegenleistung für Kredithilfen verlangten
Maßnahmen stört oder aber am Bestellmodus des Personals besagter Institutionen.
Soll man sich ernsthaft vorstellen, die Bestellung von Finanzfachleuten, die für die europäische Geldpolitik zuständig
sind, durch europaweite Wahlen würde die Reformmaßnahmen für das griechische
bzw. spanische Volk bekömmlicher machen? Soll man sich ernsthaft vorstellen,
dass eine vom Volk gewählte EU-Kommission keine Pensions- und Lohnkürzungen
verlangen würde?
Wenn man, so wie die Filmemacher, den Bestellmodus der
Vertreter in IWF, EZB und EU kritisiert, kann man sich offenbar das, was IWF und
EZB verwalten bzw. exekutieren – die Funktionsfähigkeit des internationalen
Finanzsystems und die Sicherung des Euros als das erfolgreiche Geschäftsmittel
des Kapitals in der Eurozone - wie überhaupt das Verleihen und Ausleihen von
Geld gegen Zins, also den Gegensatz von Gläubigern und Schuldnern als ein
wirtschaftliches Gemeinschaftswerk vorstellen.
*
Aus dem Mund
einer spanischen Studentin heißt es:
„Diese
Institutionen haben die spanische Regierung unter Druck gesetzt, die Verfassung
zu ändern. Sie legten fest, dass die Bezahlung von öffentlichen Schulden
Priorität hat vor allen anderen öffentlichen Ausgaben“.
Einerseits ist selbst dieser Aussage noch zu
entnehmen, dass die von den Kritikern verpönten Maßnahmen auf Antrag der
spanischen Regierung mit Verfassungsmehrheit im spanischen Parlament beschlossen
worden sind. Ungeachtet dessen, dass die von der TROIKA von Spanien als
Gegenleistung für die gewährten Kredite verlangten Maßnahmen auf Antrag der
spanischen Regierungsvertreter im spanischen Parlament beschlossen worden sind,
soll man sich diesen Umstand aber ganz anders denken: eigentlich hat diese
Maßnahmen die TROIKA beschlossen, die Verbindlichmachung im eigenen Land durch
die nationalen Herrscherfiguren im Parlament erfolgte nur, weil sie unter Druck
gesetzt wurden.
Womit
das spanische Parlament erpresst wurde, interessiert diese Kritiker schon nicht
mehr. Die Antwort auf diese Frage hätte auch nicht zum von ihnen beabsichtigen
Bild, die Verarmung der spanischen Bevölkerung könne unmöglich im Sinne Spaniens
sein, gepasst. Unter Druck gesetzt werden konnte Spanien nämlich einzig mit
seinem eigenen Interesse, wieder auf den Kapitalmarkt zurückkehren zu können.
Offenbar haben den spanischen Parlamentariern die vorgeschlagenen
Verarmungsprogramme als Weg dazu eingeleuchtet. Der Lebensunterhalt der
spanischen Bevölkerung hat sich an diesem Zweck zu relativieren. Diese Antwort
klärt dann
auch
das - von den Filmemachern gar nicht als solches wahrgenommen - Rätsel, wieso
denn eigentlich das spanische Parlament die entsprechenden dem spanischen
Interesse angeblich zuwiderlaufenden Beschlüsse gefasst hat und das noch dazu
mit Verfassungsmehrheit.
Was ein unbeirrbarer Idealist der eigenen Herrschaft
ist, der kann und will sich einfach nicht vorstellen, dass die durchgesetzte
Verarmung weiter Bevölkerungsteile von der eigenen – in dem Fall spanischen –
Regierung tatsächlich beabsichtigt sein kann. Was macht es schon, dass der
zuständige spanische Finanzminister selbst die Sache ganz anders sieht?
Finanzminister Spaniens, Cristobal Montoro:
„Es geht nicht
darum, es zu verhindern. Vielmehr ist es normal, dass die Troika hier in Spanien
ist … Spanien ist ein Mitglied der
Europ. Union, Mitglied im Euro, es muss sich dem Mechanismus unterwerfen, um das
exzessive Defizit zur korrigieren. Ich bin hoch erfreut und es gefällt mir, dass
sie mich überwachen. Dafür sind wir in Europa. Europa ist ein Club und in einem
Club gibt es Regeln. Wenn ein Mitglied die Regeln nicht einhält, muss man diese
auf ihn anwenden, sonst kann man nicht im Club bleiben.“
Worauf weist der Mann hin? Er präsentiert die
spanische Nation als ein treues Mitglied und Nutznießer von Europäischer Union
und Währungsunion, das weiß, dass Spanien für seinen angestrebten Erfolg Europa
ebenso braucht, wie Europa Spanien. Während in anderen Nationen darüber
gestritten wird, ob sich Europa und der Euro im Hinblick auf den Nutzen der
Nation überhaupt „lohnen“, herrschte
und herrscht in Spanien innerhalb und außerhalb der politischen Klasse
tatsächlich weitgehend Einigkeit in dem Urteil, der Euro und der europäische
Kredit seien auch in Zukunft und gerade in der Krise das alternativlose Mittel
Spaniens und deswegen auf keinen Fall aufzugeben.
Als 2012 die Staatsschulden Spaniens durch
Bankenrettungs- und Konjunkturpakete dermaßen steigen, dass das internationale
Finanzkapital die Refinanzierung am Kapitalmarkt auch für Spanien zunehmend
teurer macht, steht für Spanien die Frage des Antrags auf Hilfe aus dem europ.
Rettungsschirm am Tapet. Im damaligen Streit um die Bedingungen eines Kredits
für Spanien, stellte die spanische Regierung klar, dass sie sich mit dem
restlichen Europa, allen voran Deutschland, einig darin ist, dass auch Spanien
seine Staatsschuldenkrise nur mit strenger Haushaltsdisziplin bewältigen könne.
Sie stellte aber auch klar, dass das Wie der Sanierung des spanischen
Staatshaushaltes Sache einzig Spaniens ist. So kann man in der SZ vom 13.9.2012
folgende Ankündigung Rajoy‘s nachlesen:
„seine Regierung
(werde) nicht hinnehmen können, dass von außen diktiert werde, auf welche Weise
der Staatshaushalt saniert werde, ... eine Troika, wie sie in Griechenland,
Portugal oder Irland die Bücher kontrolliert, komme nicht in Frage ... Er will
einfach kein Stück Souveränität abgeben.“
Im Streit um die mit den europäischen Kredithilfen
verbundenen Auflagen bedingt sich Spanien erfolgreich aus, dass eine Aufgabe
seiner haushälterischen Souveränität zu Gunsten der TROIKA nicht in Frage kommt
(http://orf.at/stories/2125073/2125067). Die
drohenden Eingriffe in die Freiheit der Nation weist die spanische Regierung
praktisch damit zurück, dass sie sich die Zumutungen der Austeritätspolitik
selbst zum souveränen Anliegen macht. Dass auch der spanische Kredit daran
genesen soll, dass die Schuldenwirtschaft der öffentlichen Haushalte durch
Sparsamkeit wieder solide wird, hat sich die konservative Führung vom ersten
Tage der Regierungsübernahme selbst zum Programm gemacht und anschließend mit
aller Härte verfolgt. Die Resultate sind im Film zu bewundern –
Arbeitsmarktreformen wie etwa erleichterte Kündigungen, Entlassung von
Staatsbediensteten, Gehaltskürzungen und Arbeitszeitverlängerungen für das
verbliebene Staatspersonal, Kürzung von Gesundheitsausgaben, Förderung der
privaten Krankenversicherung, eine Welle von Zwangsräumungen usw.
Dazu passt dann
auch, wie sich der spanische Finanzminister im Film präsentiert. Angesichts der
– von ihm als naiv empfundenen - Fragen des Interviewers ständig leicht
grinsend, gibt er das Bild eines selbstbewussten Staatenlenkers, der die
Entlastung des Staatshaushalts von sämtlichen für unproduktiv befundenen Kosten,
die Verarmung der spanischen Bevölkerung ganz selbst bestimmt betrieben hat, der
also alles andere ist als ein Befehlsempfänger der TROIKA. Diesbezüglich gab es
für TROIKA nichts zu tun, und dem im Fall von Spanien eingeschränkten
Prüfauftrag der TROIKA auf die Restrukturierung der Banken könne die TROIKA
selbstverständlich nachkommen.
Unbeirrt von
all dem, halten die im Film zu Wort kommenden Kritiker die durchgesetzte
Verarmungspolitik in Spanien und Griechenland für eine Abweichung von der
Demokratie, gerade so, als ob Demokratie so etwas wäre, wie ein Rechtsanspruch
gegen Verarmung. Woher sie diese Gewissheit bloß nehmen? Von den real
existierenden Demokratien auf jeden Fall nicht.
*
Ebenfalls nicht den real existierenden Demokratien zu
entnehmen ist das im Film behauptete Verhältnis von Volkswillen und Politik in
einer Demokratie. Da heißt es im Film u.a:
„Wenn die
Politik genau das Gegenteil von dem zu machen versucht, was 80% der Bevölkerung
wollen, dann stirbt die Demokratie, dann ist sie ein Problem, ein Hindernis, das
beseitigt werden muss.“
Die Filmemacher und die in ihrem Film zu Wort
kommenden Kritiker der Krisenpolitik beschweren sich darüber, dass die Politiker
sich über den Volkswillen hinwegsetzen. Darin sehen sie eine tendenzielle
Aufhebung von Demokratie, einen Abbau von Demokratie.
Solche Beschwerden stellen sich Demokratie, die
demokratische Politik wie eine einzige Verpflichtung der Regierung gegenüber den
Bedürfnissen und Gerechtigkeitsvorstellungen ihres Volkes vor. Vom Volk gewählt,
können sie doch nicht machen, was sie machen!
Eines stimmt, auf die Wünsche des Volkes nach Arbeit
und Auskommen nehmen sie wenig Rücksicht. Die nehmen sie nur so zur Kenntnis,
wie es in ihre Kalkulationen mit dem Arbeitsvolk als Manövriermasse für den
geschäftlichen Erfolg und fürs staatliche Vorankommen hineinpasst. Darauf
berufen sich dann als Inhalt ihrer demokratische Verantwortung für das
Allgemeinwohl, für Staat und Wirtschaft, ohne die doch das Volk nicht leben
kann.
Demokratie
funktioniert nicht so, dass sich die Regierenden in Wahlen über Wünsche der
Regierten informieren. Demokratie funktioniert anders herum. Die Regierenden
Berufen sich darauf, dass sie dafür gewählt sind, das Beste für ihre Völker zu
tun. Zur Rechtfertigung ihrer Maßnahmen verweisen sie auf lauter Sachzwänge,
denen sie genügen müssen: der Staatshaushalt muss schließlich in Ordnung kommen,
die Krise muss bewältigt werden, die brachliegende Wirtschaft muss wieder
aufleben usw. Nur wenn das alles in Ordnung kommt, und das kommt eben nur mit
diesen harten Maßnahmen in Ordnung, die zu treffen sie gezwungen seien, kann
auch das Volk, sich Besserung erhoffen. Nicht gleich, aber dann wenn es wieder
aufwärts geht mit der Wirtschaft und wenn der Staat wieder besser dasteht, dann
lohnen sich die Opfer - so die beständige Auskunft der europäischen Politiker.
Diese Opfer
werden nicht von der Einsicht der Bevölkerung in die Notwendigkeit der
getroffenen Maßnahmen abhängig gemacht, sondern diese werden von oben
durchgesetzt. Dafür gebrauchen die Politiker einerseits ihre Macht, die sie als
Gewählte haben. Andererseits berufen sie sich dann auch noch auf die Art und
Weise, wie diese Macht zustande gekommen ist und auf die Verantwortung, die sie
damit übernommen haben. Insofern sie ja vom Volk gewählt seien, sei ihr Handeln
nicht nur notwendig, sondern auch noch legitim. Was sie damit machen, ist also
schlicht: Sie verweisen die Betroffenen auf deren Abhängigkeit - darauf, was
alles aufgehen muss an Kapital- und Staatsrechnungen und wie das Volk darin
vorkommt - und fordern mit dem Verweis, vom Volk gewählt zu sein, Zustimmung
ein.
Leider funktioniert das alles noch immer viel zu gut.
Alle - selbst die von der Krisenpolitik Enttäuschten mit ihren Vorstellungen von
einer sozialeren, besseren Politik appellieren ja mit ihren
Massendemonstrationen, Besetzungen von Plätzen an die Politik, sich ihrer
Belange anzunehmen. Damit verweisen sie ihre Belange an die für ihre verheerende
Lage zuständigen Instanzen. Ausgerechnet diejenigen, die ihnen die ziemlich
verheerenden Wirkungen ihrer geschäftlichen Anwendung und politischen Betreuung
einbrocken, werden dafür für zuständig erklärt, diese Wirkungen zu korrigieren.
6. Die fatalen Lehren des Films
- die praktizierte Politik, ein Verstoß
gegen den wahren Auftrag der Politik - kein Grund für Hoffnungslosigkeit, es
gibt Alternativen!
- die Jämmerlichkeit der imaginierten alternativen Welt, die so anders nicht ist!
a. Die fatalen Lehren des Films
Wenn die von
den europäischen Politikern beschlossenen Maßnahmen zur „Rettung ihrer Volkswirtschaften“ und
zur „Rettung des Euros“ die Verarmung
bzw. Verelendung breiter Bevölkerungsschichten bewirken, dann ist das den
Filmemachern nicht Beweis für die Unverträglichkeit des Erfolgs der europäischen
Volkswirtschaften mit einem guten Leben der Lohnabhängigen, sondern dafür, dass
die „Rettungsschirme Europas“ ihr Ziel
verfehlt haben, dass die Politik die europäischen Volkswirtschaften und Europa
als Ganzes gar nicht rettet.
Die Finanzkrise
war in ihrem Bild nicht Konsequenz des grundsätzlich spekulativen Charakters
finanzkapitalistischer Geschäfte, sondern bloß der unsachgemäßen Vervielfachung
von Kreditgeschäften.
Wenn die
Staaten Milliarden für die Bankenrettung ausgeben, zeigt das nicht, wie sehr den
Staaten offensichtlich am Gelingen des Bankgeschäfts gelegen ist, weil es
Lebenselixier der Marktwirtschaft und ökonomische Machtbasis der Staaten ist,
nein, für die Filmemacher sind Staaten Opfer einer Erpressung durch das
übermächtig gewordene Finanzkapital.
Wo die
staatlichen Retter ihr ganzes Sinnen und Trachten darauf richten, das Vertrauen
der Finanzmärkte in ihre eigene Verschuldungsfähigkeit zu erhalten bzw. wieder
zu erlangen und dafür ihr Volk in die Pflicht nehmen und dementsprechend die
Kosten der staatlichen Sozialeinrichtungen zur unhaltbaren Kost erklären,
entdecken die Filmemacher die Verwirklichung der schlechten - neoliberalen -
Variante des Kapitalismus.
Wenn all das
von den Demokratien Europas beschlossen wird, wissen die Filmemacher, dass es
undemokratisch zugegangen sein muss.
Ausgerechnet
da, wo die europäischen Politiker tagtäglich vorbuchstabieren, dass die „Wettbewerbsfähigkeit“ der Wirtschaft,
die „Verschuldungsfähigkeit der Staaten am
Finanzmarkt“ die umfassende Verbilligung der Arbeitnehmer für Unternehmen
und den Staat in Gestalt seiner Sozialstaatsausgaben und damit das Sparen an
deren Lebensunterhalt notwendig macht, ausgerechnet da, wo noch auffallen
könnte, dass die herrschenden politischen und wirtschaftlichen Zwecke den
Arbeitnehmern ganz und gar nicht gut tun, halten die Filmemacher an ihrem Ideal,
Politik und Marktwirtschaft würden, richtig betrieben, den Menschen dienen,
fest. Nolens volens verteidigen sie damit die Politik gegen ihre hässliche
Praxis.
b. Die praktizierte
Politik, ein Verstoß gegen den wahren Auftrag der Politik
Das Prinzip
dieser Kritik besteht darin, das Handeln der Staaten Europas an dem zu messen,
was die Filmemacher für die eigentliche Aufgabe der Politik halten, um ein ums
andere Mal empört festzustellen, dass die Politik mit der ihr von den
Filmemachern zugedachten Aufgabe nichts am Hut hat. Statt aus dieser Abwesenheit
ihrer Ideale den Schluss zu ziehen, dass es der Politik dann wohl um was anderes
zu tun sein muss, was erst noch zu ermitteln wäre, legen sie diese Abweichung
der praktizierten Politik von ihrem Ideal selbiger als ihren Mangel zur Last.
Die Politik macht nicht das, was sie nach Meinung der Filmemacher doch
eigentlich machen müsste. Mit diesem Vorwurf gilt das Interesse der Filmemacher
nicht mehr den Zwecken der Politik, sondern der ganz und gar irrationalen Frage,
warum die Politik nicht das macht, was sie – die Filmemacher – für deren Aufgabe
halten.
Der
Erkenntniswert dieser Art des Denkens ist Null. Über die herrschenden
politischen Zwecke erfährt man nämlich schlicht und ergreifend nichts, weil das
gar nicht intendiert ist, wenn nicht das Handeln der Politik, sondern die
Verhinderung ihrer angeblich besseren Absichten zum Erklärungsgegenstand gemacht
wird. An die Stelle der Erklärung der herrschenden politischen Zwecke tritt die
Aufzählung von Bedingungen und Umständen, die angeblich verhindern, dass die
Politik der ihr zugedachten Aufgabe nicht nachkommt – Lobbbyismus des
Finanzkapitals bis hin zu Erpressung durch das Finanzkapital plus personelle
Verflechtung von Finanzkapital und Politik.
Vollzieht man diese Erklärung für die Abweichung der Politik nach, merkt man,
dass sie noch nicht einmal leistet, was sie zu leisten vorgibt. Grund der
Abweichungen soll Lobbyismus des Finanzkapitals und seine personelle
Verflechtung mit der Politik sein. Statt eine Antwort auf die selbst gestellte
Frage zu geben, wirft diese Erklärung in Wahrheit sofort die nächste Frage auf,
warum denn der Lobbyismus des Finanzkapitals Erfolg hat, mehr Erfolg als der
Lobbyismus anderer Interessensgruppen, etwa der Arbeitnehmer. Mit der besonderen
Stellung des Finanzkapitals zu argumentieren, wirft diese Erklärung endgültig in
einen unendlichen Regress; jede Antwort führt zu nächsten Frage und das ohne
Ende.
Attestiert man andererseits, dass besonders viele ehemalige Vertreter des
Finanzkapitals sich heute in Regierungspositionen befinden, lässt dies doch
einen ganz anderen Schluss zu, als ihn die Filmemacher gezogen sehen wollen. Das
deutet doch auf eine in Wahrheit viel höhere Interessensidentität von Politik
und Finanzkapital hin, als sie glauben wollen. Dann ist das aber zumindest ein
weiteres Indiz dafür, dass die Politik mit den hehren Ziel Rettung der Menschen
vor Rettung von Banken nicht viel am Hut hat.
c. Kein Grund für
Hoffnungslosigkeit, es
gibt Alternativen!
Die Politik der
Staaten Europas erklären, heißt, aus den Handlungen dieser Staaten auf ihren
Zweck zu schließen. Mit einer solchen Erklärung weiß man dann, warum die
Interessen der großen Mehrheit der Menschen zuschanden werden. Man weiß dann
aber auch, was zu tun ist, sollen derlei Schädigungen abgestellt werden. Eines
ist eine solche Erklärung mit Garantie nie, Grund für Optimismus oder
Pessimismus. Anders bei der Kritik, wie sie die Filmemacher üben. Nicht zufällig
lautet ihre Konsequenz:
„Der Film „Wer rettet wen?“ ist allerdings
kein Aufruf zur Hoffnungslosigkeit. Er zeigt auch verschiedene Beispiele der
Umverteilung von oben nach unten, vor allem durch Entschuldung. Eine politische
Alternative sind sogenannte Schuldenaudits, wie sie in Spanien und Lateinamerika
vorgenommen wurden. In Ecuador wurde so die komplette Entschuldung des Staats
erreicht. In Island hat sich das Volk in mehreren Volksabstimmungen der
Bankenrettung durch die Bürger verweigert. Die Gläubiger wurden nicht
entschädigt. In den USA gibt es organisierte Schuldenstreiks, bei denen sich
Menschen kollektiv der Tilgung ihrer Privatschulden verweigern. Das sind
vielleicht keine revolutionären Schritte, aber gewiss doch Schritte in eine
Richtung ohne Alternative. Ein Film, der uns alle angeht. Das Allgemeinwohl hat
angesichts der Macht des Finanzmarkts nur eine Chance, wenn Bürger anfangen,
ihre Interessen in dem „Spiel der Milliarden“ zu erkennen, die wesentlichen
Strukturen und Mechanismen des Finanzkapitals zu durchschauen. Das betrifft die
Erwachsenen von heute, aber natürlich mindestens genauso, die Erwachsenen von
Morgen. „Wer Rettet Wen?“ soll ein Werkzeug dazu sein.“
Dass die
Filmemacher die Sorge umtreibt, Pessimismus verbreitet zu haben, ist kein
Zufall, sondern die Konsequenz ihres Standpunktes. Weil sie die Politik über die
Abwesenheit der ihr von ihnen unterstellten besseren Absichten kritisieren,
Absichten, die per definitionem gar nicht der praktizierten Politik entnommen
sind – auch gar nicht entnommen sein können -, sehen sie die Gefahr, mit dieser
Diagnose Pessimismus bezüglich des Zustands der Welt verbreitet zu haben.
Eigens treten
sie einem solchen von ihnen für möglich gehaltenen Pessimismus in dem
fünzehnminütigen Abspann ihres Films entgegen. Wahllos werden disparateste
Beispiele vorgeführt, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht, belegen zu
sollen, dass erste Schritte, die Realität in Einklang mit ihrem Ideal von einer
dem Allgemeinwohl dienenden Politik zu bringen, schon unterwegs sind.
Vorgeführt wird
ein wildes Potpourri von Problemlagen und Problemlösungen, das keinen
Unterschied mehr zwischen den verschiedenen Subjekten und ihren Problemlagen
kennt. Staaten und Privathaushalte werden als gleichermaßen vom Problem der
Überschuldung Betroffene vorgeführt.
Als
Problemlösungen und hoffnungsstiftende Alternativen werden einem als
gleichwertige Varianten eines erfolgversprechenden Kampfes für eine „Umverteilung von oben nach unten“ ein
Schuldenschnitt bei ecuadorianischen Staatsschulden, ein von Island nach zwei
Volksabstimmungen abgelehntes Rückzahlungsabkommen des isländischen Staates
gegenüber Großbritannien und den Niederlanden betreffend Entschädigung der
britischen und niederländischen Gläubiger der isländischen Bank Icesave, ein
Schuldenschnitt für isländische Privathaushalte und isländische Unternehmen, die
Forderung nach einem Schuldenaudit bis hin zu Tanzen für das Ausharren in zur
Versteigerung anstehenden Wohnungen in Spanien und amerikanische Broschüren für
den richtigen Umgang mit Privatschulden, vorgestellt.
Neben der
totalen Ignoranz gegenüber den sehr unterschiedlichen Inhalten der von den
Filmemachern vorgestellten Probleme und Problemlösungen, offenbaren diese
Beispiele auch wie wenig alternativ die andere, die ideale Welt in Wirklichkeit
ist.
d. Die Jämmerlichkeit der
imaginierten alternativen Welt, die so anders nicht ist!
Wie ist sie
denn beschaffen, diese schöne, heile Welt, die sich
Filmemacher erträumen?
Wenn in ihr umverteilt wird,
gibt es auch in ihr nicht nur Reichtum, sondern auch Armut. Wo die sozial
Schwächsten geschont werden, gibt es sozial Schwache, wo den Menschen zu
Arbeitsplätzen verholfen wird, gibt es Lohnarbeit, Arbeit im Dienste des
Kapitals. Wo es einen Sozialstaat braucht, erzeugt diese Wirtschaft
nebeneinander Reichtum und Sozialfälle. Umverteilung wird zur nie endenwollende
Daueraufgabe. Selbst Kredit soll und wird es in dieser heilen Welt geben, nur
leistbar soll er halt sein für die Menschen. So ganz anders sieht sie also gar
nicht aus diese heile Welt, für die sich die Menschen stark machen sollen.
Selbst ihrem als Messlatte an die
Politik angelegten Ideal ist also noch zu entnehmen, dass das Allgemeinwohl, dem
die Politik zu dienen hätte, eine trostlose und alles andere als allseits
nützliche Sache ist.
Statt Harmonie herrscht in dieser Welt der Gegensatz
von Lohnarbeit und Kapital. Wessen Interesse da zählt und wer die abhängige
Variable ist, die die Bedingungen des eigenen Lebens nicht unter Kontrolle hat,
ist da kein Geheimnis. Von all dem wollen die Filmemacher nichts wissen.
*
Auch wenn mit
der zweistündigen Darstellung der hintergründigen Machenschaften des
Finanzkapitals kein Stück Politik auf ihren Zweck zurückgeführt wird, geleistet
ist mit dieser Betrachtungsweise freilich trotzdem – besser gesagt gerade
deswegen - eine ganze Menge. Was immer die europäischen Politiker im Namen der
Rettung ihrer kapitalistischen Volkswirtschaften und im Namen Europas tun,
welche Opfer immer sie den Bevölkerungen Griechenlands oder anderer Länder
Europas auch bescheren, man ist sich sicher, in dem was Kapitalismus, was die
europäische Währungsunion und überhaupt das Projekt Europa ist, kann das seinen
Grund nie und nimmer haben kann. Ein prinzipiellerer Freibrief für die Politik
ist kaum vorstellbar und das ausgerechnet dort, wo man gerade deren negative
Wirkungen zu spüren bekommt.