GEGENARGUMENTE

„Wer rettet wen? - Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit“ - Wie ein Film in kritischer Absicht Demokratie und Marktwirtschaft gegen ihre hässliche Praxis verteidigt! Eine Filmkritik.

 

Seit der Finanzkrise steht die Politik der Welt ganz im Zeichen ihrer Bekämpfung. Banken wurden mit Milliardenbeträgen gerettet, mit dem Ergebnis eines rasanten Anstiegs der Staatsschulden. Das eben gerettete Finanzkapital, das einen Vergleich aller Investments am Markt anstellt und auf seinen - wegen seiner Krise - gesunkenen Risikoappetit bezieht, reagierte auf die massive Vermehrung der Euroschulden mit einer Revision seines Urteils die Kreditwürdigkeit der Staaten Europas betreffend und macht Problemstaaten ausfindig. Die Zinsen, die Irland, Portugal und Griechenland für neue Schulden bieten mussten, erreichten ein Maß, das diese Staaten dazu zwang, sich um Kredithilfen an Europa und den IWF zu wenden.

 

Spätestens seitdem lautet die alle anderen Themen dominierende Devise der europäischen Politik in allen Staaten Sparen. In einem Fiskalpakt verpflichteten sich die Staaten Europas zu einem strukturellen Nulldefizit. Den besonders hart getroffenen Krisenstaaten Südeuropas werden rigide Sparprogramme abverlangt: Massenentlassungen, Streichungen von Arbeitsrechten, radikale Kürzungen des Arbeitslosengeldes und der Pensionen, Zerstörung des Gesundheitssystems, Aushungern von Schulen und Universitäten, usw.

 

Niemand, auch nicht die verantwortlichen Politiker, bestreitet, dass diese Maßnahmen die Menschen in den Krisenstaaten mit brutaler Härte treffen. Unerbittlich betonen dieselben Politiker aber, dass all diese Maßnahmen alternativlos seien, soll Europa der Krise entkommen und wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren.

 

Die im heurigen Jänner neugewählte griechische Regierung, die sich mit dem Hinweis, Griechenland und seine Wirtschaft würde mit den ihm auferlegten Maßnahmen kaputt gespart, weigert sich, für die Auszahlung aus dem laufenden Programm ausstehender 7.5Mrd. Euro noch weitergehende Forderungen von EU-Kommision, EZB und IWF zu erfüllen. Sie darf sich dafür nicht nur der exemplarischen Unnachgiebigkeit der europäischen Politiker und des IWF, sondern auch des Unverständnisses der hiesigen Öffentlichkeit sicher sein, die wie die Politiker gerade in der Härte und Rücksichtslosigkeit der geforderten Maßnahmen die notwendige Voraussetzung dafür sieht, dass Europa seine Kreditwürdigkeit wiedererlangt.

 

Vor diesem Hintergrund kam im heurigen Frühjahr in Österreich und Deutschland ein Film von Leslie Franke und Herdolor Lorenz heraus, der den Titel trägt „Wer rettet wen? – Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit“. Der Film versucht, die Hegemonie der vorherrschenden öffentlichen Meinung, die sich ohne wenn und aber zur Verarmung als der einzig zielführenden Methode zur Wiedergewinnung europäischer Kreditwürdigkeit bekennt, ein Stück weit zu durchbrechen. Worum es den Filmemachern geht, dazu heißt es im dazugehörigen Pressedossier:

 

Seit fünf Jahren werden Banken und Länder gerettet. Politiker schaffen immer neue Rettungsfonds, während mitten in Europa Menschen wieder für Hungerlöhne arbeiten. Es wird gerettet, nur keine Rettung ist in Sicht. Für große Banken ist die Finanzkrise vor allem ein Geschäftsmodell. Und die ständig „verstimmten“ und „enttäuschten“ Finanzmärkte scheinen ein besonderes Wesen zu sein, das bei Laune gehalten werden muss. Wer rettet also wen? Die Reichen die Armen? Die Politiker die Banken? Die Rettungsschirme Europa? Oder die Steuerzahler einige wenige Individuen?

 

Was ist also das AWas ist also das Anliegen des Films? Die Filmemacher wollen aufdecken, dass

Was von diesen „Enthüllungen“ zu halten ist, inwiefern sie falsch sind und von einem offensichtlich unbeirrbaren Glauben an die eigentlich nützlichen Dienste von Staaten und der von einen eingerichteten Marktwirtschaft zeugen, darum geht es in unserer heutigen und der nächsten Sendung in einem Monat.

 

1. Rettung aber keine Rettung in Sicht:

 

Wem nützt die sogenannte Krise? ... Seit nun sechs Jahren schaffen Politiker immer neue Rettungsfonds zur Rettung von Banken und Ländern. Es heißt, würden die „systemrelevanten“ Banken nicht gerettet, gingen gleich ganze Volkswirtschaften zugrunde; würden vereinzelte Staaten nicht vor der Staatspleite gerettet, gleich die ganze EU. Deswegen sei es unumgänglich Milliarden Steuergelder in Rettungsschirme zu stecken, denn schlussendlich rette sich damit der Bürger und Steuerzahler selbst. Der Film „Wer Rettet Wen?“ zeigt, wer dabei wirklich gerettet wird. Nie ging es um die Rettung der Griechen, nie um die der Spanier oder Portugiesen …“

 

Dass Nutzen und Schaden der Krisenpolitik - wie sie von den Filmemachern eindringlich vor Augen geführt werden - sehr eindeutig verteilt sind, ist nicht zu leugnen. Hunderte Milliarden an Euros wurden von den Staaten Europas in die Hand genommen, um das europäische Bankensystem zu retten, worüber die Staatsverschuldung der Euro-Staaten rapid anstieg, was zur Folge hatte, dass die Finanzmärkte nach den Banken nun auch den Staaten als Schuldnern teilweise das Vertrauen entzogen; speziell Griechenland, Portugal, Irland und andere konnten sich überhaupt nicht mehr wie gewohnt über den Kapitalmarkt finanzieren. Der daraus resultierenden Bedrohung des Euro - des gemeinsamen Reichtumsmaßes der Eurozone - begegnete Europa mit der Schaffung zweier Rettungsfonds – EFSF und ESM – mit dem Auftrag für die Stabilität des europäischen Finanzmarktes zu sorgen, um aus dem Scheitern der Krisenstaaten nicht eines des Euro werden zu lassen. Im Gegenzug für den Kredit aus den diversen „Rettungsfonds“ werden die Krisenstaaten verpflichtet und angeleitet durch die, die Kreditgeber repräsentierende TROIKA, „Sparprogramme“ zu beschließen, deren Umsetzung unter strenger Aufsicht der TROIKA dazu führen soll, dass diese Staaten das Vertrauen des Finanzkapitals und derart ihre wirtschaftspolitische Souveränität wieder zurück gewinnen. Die Resultate dieser Sparprogramme werden von den Filmemachern eindringlich vor Augen geführt: Massenentlassungen, Mindestlöhne, Löhne und Pensionen werden in mehreren Etappen radikal gekürzt, die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld und sozialer Unterstützung zusammengestrichen, das Gesundheitssystem ausgehungert und nicht wenigen Menschen, wegen der „Sparmaßnahmen“ nicht mehr in der Lage ihre Versicherungsbeiträge zu zahlen, wurde der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen völlig versperrt.

 

Auf diese durch Finanzkrise und Rettungspolitik geschaffene Verarmung der Menschen nehmen die Filmemacher Bezug, bloß wie! Daran, dass die Maßnahmen der Politik zur Rettung von Banken und Ländern keine Verbesserung der Lage der Bevölkerungen Griechenlands, Spaniens etc. brachten, sondern sie ganz im Gegenteil erst so richtig ins Elend stürzten, wollen sie entdecken, dass es den Verantwortlichen in der Politik gar nicht wirklich um Rettung zu tun ist.

 

Damit sitzen sie ihrem eigenen Vorurteil über Nutzen und Schaden des Finanzkapitals, seiner Krise und seiner Rettung auf. Nur wenn man sich die Wirtschaft als Gemeinschaftswerk aller an ihr Beteiligten und die Krise dementsprechend als allgemeinen Schaden denkt – einen Schaden, der alle trifft: Unternehmer, Staat und Menschen -, kann man nämlich auf die Idee kommen, aus der nicht ab- sondern zunehmenden Verarmung der arbeitenden Bevölkerung im Zuge der Rettungspolitik auf einen Verstoß der Verantwortlichen an ihrem eigentlichen Auftrag, die Krise zu beenden, schließen.

 

Dazu muss man freilich die Erklärung der Politik gründlich missverstehen (wollen) – welche die Filmemacher sinngemäß durchaus richtig wie folgt wiedergeben: „Es heißt, würden die „systemrelevanten“ Banken nicht gerettet, gingen gleich ganze Volkswirtschaften zugrunde; würden vereinzelte Staaten nicht vor der Staatspleite gerettet, gleich die ganze EU. Deswegen sei es unumgänglich Milliarden Steuergelder in Rettungsschirme zu stecken, denn schlussendlich rette sich damit der Bürger und Steuerzahler selbst. Der Film „Wer Rettet Wen?“ zeigt, wer dabei wirklich gerettet wird. Nie ging es um die Rettung der Griechen, nie um die der Spanier oder Portugiesen …“

 

Die Rettungspakete heißen nicht zufällig nicht „Menschenrettungspakete“, sondern „Bankenrettungspakete“. Das Sorgeobjekt sind also ausdrücklich nicht die Menschen, sondern die Banken. Mit dem Zusatz „systemrelevant“ tun die Politiker auch noch kund, warum sie das sind. Gelingt das Gewinnemachen im Bankensektor nicht mehr, sind die Grundfesten der eingerichteten Marktwirtschaft erschüttert. Mit den Banken retten sie also nicht nur die Banken, sondern das ganze Wirtschaftssystem, die ganze Volkswirtschaft. Mit dem Bankrott eines in Euro wirtschaftenden Mitgliedsstaates sehen dieselben Politiker ihr imperialistisches Erfolgsprogramm der Euro-Zone gefährdet. Einzig deswegen halten sie die Staatsanleihen des bankrotten Griechenlands weiterhin werthaltig, „retten“ also den vom Bankrott betroffenen Mitgliedsstaat, tun alles, um den Bestand der Eurozone und überhaupt der EU zu sichern. Die lohnabhängige Mehrheit der Bevölkerung in den Krisenländern erfährt, dass sie als abhängige Variable vom Erfolg der Wirtschaft für diesen Erfolg mit ihrer radikalen Verelendung einzustehen hat.

 

Vor allem diesen letzten Punkt – die Verelendung der Bevölkerung – nehmen die Filmemacher zur Kenntnis und wenden ihn gegen die Ziele „Rettung der Volkswirtschaft“, „Rettung des Euros“ – aber nicht in dem Sinn, - na wenn Rettung der Volkswirtschaft und des Euros bedeutet, dass die Masse der Bevölkerung verelendet, dann spricht das gegen diese Ziele. Nein, sie wollen sich ihr Bild eines harmonischen Miteinanders der in der Gesellschaft vorfindlichen Interessen nicht nehmen lassen. Angesichts der durch die Krisenpolitik erst so richtig ins Elend gestürzten Bevölkerungsmassen bezweifeln sie, dass es der Politik tatsächlich um die Rettung ihrer Volkswirtschaften und Europas zu tun ist. Sie nehmen die „Krise“ als allgemeinen Schaden, als Schaden, den wir alle haben und werfen den Politikern vor, ihnen ginge es gar nicht wirklich darum, die Krise zu bekämpfen, sie würden eine falsche Krisenpolitik betreiben.

 

Staat, Wirtschaft und Bevölkerung werden in diesem Bild von Krise als allgemeinem Schaden unterschiedslos als von der Krise Betroffene gefasst. Die Filmemacher wollen nichts davon wissen, dass die unter dem Stichwort „Krise“ zusammengefassten Notlagen sich nicht bloß unterscheiden, es sich vielmehr um Krisen von Subjekten mit gegensätzlichen Interessen handelt. Da sind die Lohnabhängigen, die – wie schon diese Bezeichnung sagt – darauf angewiesen sind, jemanden zu finden, der ihnen einen Lohn zahlt. Dass dieser Lohn immer zu gering ist, ist kein Zufall und das gilt schon in den sogenannten normalen Zeiten. Erst recht kriegen sie ihn jetzt bestritten und zwar von den ebenfalls zur Gemeinschaft der Geschädigten gezählten Unternehmern. Die entlassen – nicht nur aber eben insbesondere in Zeiten der Krise - massenhaft Leute, kürzen die Löhne der verbliebenen Mannschaft, weil ihr Geschäft nicht läuft, die Anwendung der Arbeitnehmer ihnen also den erwarteten Gewinn nicht oder nicht in ausreichendem Maße einspielt.

 

Und dann gibt es da noch den Staat mit seinen Haushaltssorgen, der mit dem Verweis auf diese Sorgen sein Volk drangsaliert. Die verheerenden Folgen, die die Unternehmen und die Politik mit dem Verweis auf ihre Nöte und Sorgen dem Volk bescheren, werden von den Filmemachern bzw. den im Film zu Wort kommenden Kritikern der Krisenpolitik darauf zurückgeführt, dass die Verantwortlichen all das unterlassen und versäumen, was ihre eigentlich Aufgabe wäre – die Rettung der Menschen, der Griechen usw.

 

Die Gegensätzlichkeit der ökonomischen Interessen ist selbst noch der von ihnen sinngemäß zitierten Erklärung der Politiker anzumerken. „Schlussendlich“ würden die Menschen „sich retten“ und zwar als Bürger und Steuerzahler, heißt es da. Verordnet müssen die Rettungsmaßnahmen den Menschen offenbar schon noch werden, sonst würde es nichts mit der Selbstrettung, was doch ein einigermaßen schiefes Licht auf das Selbst dieser Rettung wirft. Wem müsste man schon Rettungsmaßnahmen aufzwingen, wenn es wirklich die eigene Rettung wäre?

 

Dass es mit der Zustimmung gelinde gesagt nicht weit her ist, ist kein Wunder, schließlich drückt das „schlussendlich“ doch auch aus, dass die von der Politik ergriffenen Maßnahmen die Lage der Menschen gar nicht verbessern, es sich im Gegenteil um lauter Maßnahmen handelt, die den Arbeitnehmern unmittelbaren Schaden zufügen – sie in anderen Worten ärmer machen. Trotzdem sollen die Menschen diese sie negativ treffenden „Rettungsmaßnahmen“ nicht als das nehmen, was sie sind – ihre Verarmung zwecks Rettung der Ökonomie -, sondern als Versprechen auf ein dadurch ins Werk gesetztes künftiges Wachstum der Wirtschaft, als dessen Nutznießer sie sich fühlen sollen.

 

Aus dieser Aussage der Politik hätte man einiges lernen können über die eigentümlichen Zwecke von Politik und Marktwirtschaft. Der Nutzen der Bürger ist offenbar eine abhängige Variable von Erfolgen der Wirtschaft, die dadurch zu befördern sind, dass an den Arbeitnehmern gespart wird.

 

Die Filmemacher wollen davon nichts wissen. Sie rechnen Politik und Wirtschaft – fix und unverrückbar am Standpunkt eines allgemeinen Schadens stehend - die von ihnen gesetzten Maßnahmen als Fehler – als Vergehen an den eigentlich guten Aufgaben dieser Institutionen vor. Ausgerechnet dort, wo ihnen auffällt, dass die politischen und wirtschaftlichen Zwecke den Arbeitnehmern ganz und gar nicht gut tun, halten sie das Bild einer besseren, den Menschen dienenden Politik hoch und verteidigen so die Politik gegen ihre hässliche Praxis.

 

Sie verdoppeln derart alle Institutionen in den ihnen grundlos unterstellten eigentlichen guten Zweck und in ihre schlechte Wirklichkeit. Sie trennen damit die beklagten negativen Wirkungen von den Institutionen ab und verlagern sie auf die Subjekte, die in ihnen das Sagen haben, und die – sei es durch ihr Versagen, sei es aus Gier und Egoismus – diesen guten Zweck zu Nichte machen. Alle diese Institutionen werden derart gegen Kritik immunisiert.

 

Dies tun sie gleich in mehreren Abteilungen, indem sie auf die Suche nach Schuldigen dafür gehen, warum aus den angeblich guten Zwecken nichts wird, und landen – wenig überraschend – bei den üblichen Verdächtigen.

2. Bankenrettung

a. Krise als Geschäftsmodell der Banken  

Über Finanzkrise und Finanzkapital schreiben die Filmemacher in ihrem Dossier:

Es wäre sicherlich unangemessen und verschwörerisch zu behaupten, die Banken und ihre Gläubiger hätten die Finanzkrise geplant, aber wenn man der Sache auf den Grund geht - so wie es der Film tut - zeigt sich doch, dass gerade sie, die erheblich die Finanz- und Eurokrise verursachten, aus der Krise Kapital geschlagen haben. Sie haben es geschafft die Finanzkrise sogar in ein profitables Geschäftsmodell umzumünzen. In den Worten von Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung: „Es ist geradezu das Geschäftsmodell der Banken, darauf zu setzen, dass im Krisenfall, die Staatengemeinschaft zur Rettung herbeigerufen wird. In guten Zeiten macht man Gewinne, schüttet sie aus an die Aktionäre, das Geld ist weg. In schlechten Zeiten setzt man darauf, dass der Steuerzahler zur Hilfe kommt und die Verluste trägt.““

Es wird schon so sein, dass es einigen Finanzkapitalisten gelungen ist, selbst noch aus Krise und Bankenrettung Kapital zu schlagen. Deswegen so zu tun, als wäre eine Krise eine einzige gute Gelegenheit fürs Finanzkapital - damit beiläufig den Verdacht zu streuen, die Krise könnte das absichtlich herbeigeführte Werk des Finanzkapitals sein -, geht schon einigermaßen daran vorbei, was eine Finanzkrise ist. Schließlich heißt Finanzkrise, dass eine ganze Menge an Wertpapieren der verschiedensten Art sich als uneinbringlich - statt als Kapital als Schulden - herausstellten und abgeschrieben werden mussten. Innerhalb eines Jahres gingen 83 Banken unter oder wurden teilverstaatlicht, 60% der amerikanischen Investmentbanken verschwanden, weil sie nicht in der Lage waren, ihre Verbindlichkeiten einzuhalten. Ohne dass Bedauern angesagt wäre, ist festzustellen, dass auch mancher „gestresste“ Finanzmanager im Zuge der Krise seinen lukrativen Job verloren hat.

Abgesehen davon ist die Entlarvung, Banken hätten aus der staatlichen Krisenbewältigung einen Nutzen gezogen, noch in anderer Hinsicht absurd. Was da als Vorwurf daherkommt, dass nämlich die Banken im Unterschied zur Bevölkerung Nutznießer der staatlichen Krisenbewältigung seien, will den Inhalt des staatlichen Krisenbefunds nicht zur Kenntnis nehmen. Was die Staaten für sich und die von ihnen eingerichtete Wirtschaft zum Krisenfall ausgerufen haben, war der drohende Zusammenbruch des Finanzsektors. Die Bankenrettungsmaßnahmen sind daher kein Unfall ihrer Wirtschaftspolitik, sondern beabsichtigt und das hieß, „systemrelevante“ Banken nicht in die Pleite gehen zu lassen, Kapital zuzuschießen usw. Dass dann die Banken – im Unterschied zur Bevölkerung gut aussteigen, ist dann weder Zufall noch Skandal, wie die Filmemacher glauben machen wollen, sondern zeigt, worauf es in unserer Wirtschaft wirklich ankommt.

b. Gute Banken – böse Bankmanager

Denken soll man sich, der Schaden der Allgemeinheit wäre das Resultat eines unanständigen, gegen die Regeln des sachgemäßen und anständigen Bankgeschäfts verstoßenden Verhaltens gewissenloser Finanzmanager. Unterstrichen wird dieses Bild vom unlauteren Bankmanager im Film durch Beispiele wie das folgende:

Kredit für die eigene Wohnung ist besser als Miete, mit diesem Slogan wurden viele Millionen auch weniger gut verdienende Spanier gelockt. Heute sind dies die großen Verlierer der Immobilienspekulation. … Die Banken haben etwas kommerzialisiert, das sich Hypothek nennt, und ein hoch toxisches Produkt darstellt. Warum toxisch? Weil die Banken schon von vielen wussten, die ihren Kredit nicht würden bezahlen können. Den Banken war das große Risiko klar, aber sie haben uns das niemals gesagt.

Schon vor der Krise hätten gewissenlose Banker auch weniger betuchten Kunden Kredite aufgeschwatzt, die sie sich eigentlich nicht leisten konnten. Seriöses Bankgeschäft hätte Kredite, von denen sich im Nachhinein herausstellt, dass sie uneinbringlich sind, schon damals nicht vergeben dürfen, lautet der Vorwurf. Dreht man den Vorwurf um, merkt man, dass ein solches Urteil nicht ohne einen gewissen Schuss Zynismus zu haben ist. Wäre es wirklich besser gewesen, den Menschen keinen Wohnungskredit zu geben? Sollte man aus den im Film geschilderten unzähligen Fällen von Wohnungskredit samt anschließender Delogierung nicht eher lernen, dass in unserer besten aller möglichen Welten für die sprichwörtlichen kleinen Leute offenbar schon ein Dach über dem Kopf eine nicht leistbare Sache ist.

Die Filmemacher denken lieber in eine andere Richtung. Sie treibt das Bedürfnis um, seriöses Bankgeschäft von gewissenloser Spekulation zu unterscheiden. Diese Unterscheidung macht nur, wer am Kreditgeschäft selbst nichts auszusetzen hat, vorausgesetzt nur, es wird seriös betrieben, erspart also insbesondere Menschen Kredite, die sie sich, wie man jetzt im nachhinein weiß, nicht leisten können. Den Grund der Krise verorten die Filmemacher daher dieser Unterscheidung gemäß nicht im Zweck des Kreditgeschäftes, sondern in dessen Übertreibung:

Die Banken sind ins Kasino gegangen, haben gesetzt und verloren. Wir alle haben den Bankinstituten Wohnungen abgekauft, Darlehen, Futurebonds, Hypothekenurkunden. Das sind Schuldentitel, die Banken auflegen und das kann hohe Verluste bedeuten.

Der Vorwurf lautet, die Banken hätten gezockt. Der gewöhnliche Kredit geht für sie in Ordnung. Spekulation beginnt für sie erst bei den Kreditgeschäften der höheren Art, bei denen Kredit auf Kredit, Spekulation auf Spekulation getürmt wird:

Die Bank gibt Kredit an Kunden. Die Bank hat ein Ausfallsrisiko, muss Kapitalreserven halten. Bei einem auf 5 Jahre ausgelegten Darlehen müsste das Kapital dafür auch 5 Jahre in der Bilanz bleiben. Bis er rückzahlbar war, konnte die Bank diesen Betrag nicht wieder verwenden. Mit einem credit default swap  kaufte sie eine Versicherung für den Fall, dass der Kunde den Kredit nicht zahlt. Damit hatte die Bank die Macht, mehr Kredite zu vergeben und sobald sie genug davon hatten, versicherten oder bündelten sie und verkauften sie weiter. Das beschleunigte die Geschwindigkeit, mit der die Kredite im System herumbewegt wurden. Dh. statt ein Darlehen 5 Jahre zu halten, konnte man es gewähren, es verkaufen, das Geld frei machen und wieder von vorne anfangen. Das vergrößerte das Kreditangebot exponentiell. Kurzfristig werden so zwar die Gewinne vergrößert, aber das Problem ist, sobald man das Darlehen verkauft hat, muss man immer weitermachen. Man musste immer weitermachen, immer mehr Kredite vergeben und als in der Krise viele die Arbeit verloren, wurden die Kredite zur Falle.

Hätten die Banken bloß Kredite vergeben und dafür ordentliche Zinsen kassiert, die Filmemacher wüssten nichts dagegen einzuwenden. Ihre Kritik wendet sich nicht gegen die Kreditgeschäfte: Geld wird gegen Zins verliehen; wie und ob der Kreditnehmer es schafft, diesen Zinsdienst zu leisten, bleibt dem Kreditnehmer überlassen und geht den Kreditgeber nichts an; er hat ein staatlich garantiertes Recht auf Bedienung seiner Schuldforderung. Nicht dagegen wendet sich ihre Kritik, sondern gegen die Banker. Die hätten mit lauter Tricks das Eigenkapital der Banken minimiert, Kredite gebündelt und in Form neuer Wertpapiere verkauft. All das nur um noch mehr Kredite vergeben und noch mehr Gewinn lukrieren zu können. Das sei ihnen zum Verhängnis geworden. Diese Geschäfte sind nicht mehr zu stoppen: „Man muss immer so weitermachen“.

Mit dieser Kritik nehmen die Filmemacher das Kreditgeschäft selbst in Schutz. Der Grund der genannten Übertreibung ist ja ihrem Urteil nach gerade nicht in der Logik dieses Kreditgeschäftes zu finden sein, sondern in der Psychologie der handelnden Personen, die aus kurzsichtiger Gier nach Gewinn das Kreditangebot über das nach Meinung der Filmemacher vertretbare Maß hinaus exponentiell vergrößert hätten. Was dieses vertretbare Maß sein könnte, darüber gibt es ganz und gar nicht zufällig keine Auskunft. Das weiß man immer erst, wenn es wieder einmal zu spät ist. Hat man sich aber einmal ganz im Sinne der Lebensweisheit „Allzuviel ist ungesund!“ zum Vorurteil, Grund der Krise sei die übermäßige Aufblähung des Kredits, entschlossen, kann man sich jetzt, nachdem die Krise eingetreten ist, als Durchblicker fühlen.

Dabei kommt diese Kritik um einen Widerspruch nicht herum. Wenn es am Kredit selbst nichts auszusetzen gibt, er im Gegenteil sogar als nützliches wirtschaftliches Instrument durchgeht, dann lässt sich doch nichts gegen die Beschleunigung dieser Kreditverhältnisse einwenden. Mehr an Kredit bedeutet dann doch nur mehr von dem Nützlichen, für das man den Kredit hält. Wo soll dann aber das Problem sein, immer so weitermachen zu müssen?

Wenn das Weitermachen umgekehrt aber tatsächlich zu Problemen führt, so deshalb, weil nicht ausgemacht ist, ob ein vergebener und genommener Kredit auch bedient werden kann. Dass so mancher Kredit in die Hose geht, liegt im Wesen des Kredit, ist also nicht Folge einer gar nicht näher bestimmten Beschleunigung der Kreditvergabe. Jeder Kredit ist nämlich immer und ohne Ausnahme – vom Wohnungskredit des Arbeitnehmers über den Unternehmerkredit zwecks Investitionstätigkeit bis hin zur spekulativen Veranlagung in Wertpapiere der verschiedensten Art - eine Spekulation auf einen zukünftigen Erfolg, der, dem Wesen von Spekulation entsprechend, in keinem Fall eine ausgemachte Sache ist, ganz im Gegenteil. Ob und ab welchem Maß an Kreditklemmen das dann zum Zusammanbruch des ganzen Finanzsystems führt, lässt sich ob der vielfältigen Verschlingungen der Kreditbeziehungen, bei der Schulden und Guthaben sich gar nicht unterscheiden lassen, beim besten Willen nicht mehr vorhersagen. Kurz, es ist verkehrt, Spekulation nicht schon im Kredit selbst, sondern erst im Geschäft der höheren Art mit ihm zu verorten.

Wer Spekulation erst am Handel mit Krediten – an Derivaten, Kreditverbriefungen und Swaps – entdeckt, und nicht schon am einfachen Kredit des Wohnungkäufers, sitzt aber noch in einer anderen Hinsicht einem Irrtum auf. Er übersieht nämlich, dass die von ihm als Spekulation gebrandmarkte Kreditaufblähung schon im von ihm als seriös eingestuften einfachen Kredit angelegt ist.

Banken konzentrieren alles Geld der Gesellschaft bei sich. Sie attrahieren Einlagen, wickeln den gesellschaftlichen Zahlungsverkehr ab, schöpfen und vergeben auf dieser Grundlage Kredite. Alles einzig um derart die eigene Kreditmacht beständig auszuweiten. Gradmesser des ökonomischen Erfolgs einer Bank ist die Verzinsung des von ihr eingesetzten Kapitals. Wenn das aber einziger Zweck jeder Kreditvergabe ist - und noch nicht einmal die Filmemacher erheben einen Einwand dagegen -, dann erreicht die Bank diesen Erfolg umso besser, je mehr an Krediten sie auf Basis des eingesetzten Kapitals vergibt. Dann wäre es aus der Sicht dieses Zwecks geradezu sträflich, auch nur eine solche mögliche Investitionsgelegenheit auszulassen. Die beschriebene Aufblähung des Kreditvolumens ist dementsprechend die logische Konsequenz jeden Bankgeschäfts und daher alles andere als eine Folge einer besonderen psychologischen Disposition der Bankmanager, wie die Filmemacher glauben machen wollen.

Die sprichwörtlich kleinen Leute gehören dabei in keinem Fall zu den Nutznießern dieser auf Spekulation beruhenden Verhältnisse und zwar unabhängig davon, ob die Spekulation aufgeht oder nicht. Gelingt ein realwirtschaftliches Geschäft, so können sie sich was darauf einbilden, durch ihre Arbeit das Unternehmen, das sie beschäftigt, reicher gemacht zu haben. Als Kunden einer Bank andererseits dürfen sie mit ihren Zinszahlungen auch noch zum Erfolg „ihrer“ kreditgewährenden Bank beitragen. Wird das Unternehmerrisiko ihres Arbeitgebers schlagend und verlieren sie deshalb mit ihrem Arbeitsplatz ihren Lohn, weil er sich für ihren Arbeitgeber nicht mehr lohnt, dürfen sie schauen, wie sie mit Tilgung und Zinsen ihres Kredites zurande kommen, verlieren sie doch ansonsten ihre mit einer Hypothek belastete Wohnung. Kommt dann - wie in den im Film geschilderten Fällen - im Zuge der Finanzkrise die kreditgewährende Bank selbst oder dasjenige Finanzkapital, das ihren Hypothekenkredit gerade im Portfolio hält, in Liquiditätsschwierigkeiten, sorgen die staatlichen Gesetze dafür, dass ihr Kredit fällig gestellt wird oder ihre mit einer Hypothek belastete Wohnung sich in der Konkursmasse wiederfindet. Dass spanische Wohnungskäufer, die ihren Kredit nicht mehr bedienen können, keine Hilfe vom Staat erhalten und sehen dürfen, wo sie bleiben, derselbe Staat aber mit seiner ganzen Gewalt hinter den Banken steht, ist dann kein Zufall.

 3.Der Staat im Würgegriff des Finanzkapitals!

Im Jahr 2008 ging im Zuge der Hypothekenkrise die amerikanische Bank Lehman Brothers Pleite. Diese Pleite drohte, auch den europäischen Finanzmarkt zum Einsturz zu bringen. Die Staaten Europas reagierten mit Rekapitalisierung ihrer gefährdeten Banken und, wenn dies nicht ausreichte, mit deren Verstaatlichung. Spätestens ab 2012 sah sich Spanien nicht mehr in der Lage, die Rettung der eigenen Banken in Eigenregie zu betreiben und wandte sich um Unterstützung an die europäischen Partner. Im Film erfährt man hiezu:

Als diese Blase in der Finanzkrise platzte, bestand für die deutschen Banken die Gefahr, dass etwa 200 Mrd.€, die sie an spanische Banken ausgeliehen hatten, nicht mehr zurückgezahlt werden können. Darauf entstand die Idee, dass Spanien gerettet werden muss, weil die Spanier faul sind. Weil hier nicht gearbeitet wird, die Firmen nicht gut sind. … Die ausländischen Banken werden gerettet, die spanischen Bürger müssen dafür alle Kosten und Risiken tragen.“

Dass es Spanien selbst darum gegangen sein könnte, seinen eigenen Bankensektor zu retten, kommt den Filmemachern nicht in den Sinn. Um die Bankenrettungspakete Spaniens, seinen Antrag um Unterstützung aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM als in einen Dienst Spaniens an deutschen Banken zu interpretieren, muss man sich freilich schon beinahe alles, was die Krise in Spanien tatsächlich ausgemacht hat, konsequent wegdenken.

Tatsächlich geriet die spanische Bau- und Immobilienwirtschaft als Folge der Kreditverknappung in Folge der Finanzkrise ab 2008 in eine Rezession. Die Folge war, dass ab 2011 die spanischen Sparkassen und Banken Probleme bekamen, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Ab 2008 legte der spanische Staat um den Preis der explosionsartigen Vergrößerung seiner Staatsschuld das - laut Angaben der EU – größte Konjunktuprogramm Europas auf. Das Finanzkapital, das dem spanischen Staat – trotz radikaler Kürzung seiner Staatsausgaben insbesondere für Soziales - nicht zutraute, damit tatsächlich ein es selbst zufriedenstellendes Kapitalwachstum anzustoßen, reagierte auf die explosionsartige Zunahme der Staatsschulden mit einer Erhöhung der Risikoaufschläge auf spanische Staatsanleihen.

Spanien sah sich daher im Jahr 2012 genötigt – und zwar aus eigenem nationalen Interesse – zwecks Refinanzierung seiner Banken und Verteidigung seines eigenen Zugangs zum Kapitalmarkt einen Antrag auf Unterstützung aus dem europäischen Rettungsschirm ESM zu stellen. Der ESM wurde ermächtigt durch Ausgabe von Anleihen bis zu 100 Mrd. Euro am Kapitalmarkt aufzunehmen und für die Rekapitalisierung der spanischen Banken zur Verfügung zu stellen. Für die Rückzahlung musste Spanien die Haftung übernehmen. Außerdem musste es sich zur Reform seines Bankensektors verpflichten.

Von diesem eigenständigen Interesse Spaniens an der Rettung seiner Banken, wollen die Filmemacher nichts wissen. Es ist zwar sicherlich so, dass es Spanien nicht um Rettung seiner Bürger vor den Folgen der Krise zu tun war. Deswegen ist es aber umgekehrt noch lange nicht richtig, das Handeln des spanischen Staates auf wahlweise sachfremde Einflüsterung oder Erpressung durch gierige Banker oder deutsche Politiker zurückzuführen. Auf die Idee kommt nur, wer – wie die Filmemacher –gegen die aktuellen Erfahrungen in der Krise und trotz der Aussagen der Politiker, die eigentlich nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig lassen, nicht von der Vorstellung lassen möchte, der Staat hätte seine wahre Aufgabe, seine Bürgern vor den Folgen der Krise zu retten, verraten.

In ihrer Überzeugung, dass Staat und Volk Spaniens Opfer der Finanzindustrie geworden sind, sehen die Filmemacher sich durch Aussagen wie die von Dennis Kelleher, einem Vertreter der Nonprofit-Organisation better markets, bestätigt:

Das ist die einzige Industrie in der Welt, die ein Damoklesschwert an die Kehlen der Regierungen und der Menschen setzt. Sie sind so groß und es klingt wie, ihr traut euch ja nicht, macht nur weiter, lasst uns Bankrott gehen und wir werden das gesamte Finanzsystem zerstören. Wir werden eine zweite große Depression einleiten. Wollt ihr das, Regierungsvertreter?“(Dennis Kelleher, Better Markets, www.bettermarkets.com)

Nicht auffallen will den Filmemachern der Widerspruch in dieser Aussage. Gedroht haben sollen die Banken damit, dass mit ihnen das ganze Finanzsystem untergeht. Hätten die Staaten kein eigenständiges Interesse an der Existenz des Finanzsystems und damit seiner wesentliche Player, ginge eine solche Drohung ins Leere. Haben sie aber ein eigenständiges Interesse, braucht es keine Drohung, um den Staat davon zu überzeugen, die Banken zu retten. Als Erklärung, warum Staaten systemrelevante Banken retten, taugt diese Aussage also nichts. Geleistet ist mit ihr aber trotzdem etwas, wird der Staat doch mit ihr ebenso wie die durch sein Tun verarmten Menschen zu den Opfern des Finanzkapitals gezählt.

Dabei zeigt doch schon der Umstand, dass es ohne die staatliche Gewalt das Finanzkapital gar nicht gäbe, dass er alles andere als ein hilfloses Opfer des Finanzkapitals ist: Rechtliche Absicherung und Durchsetzung von Schuldverhältnisses - und um solche handelt es sich bei Finanztiteln gleich welcher Art – kommt ohne staatliche Gewalt, die derartige Verhältnisse erst verbindlich macht, nicht aus. Das bedeutet aber, dass der Staat ein positives Interesse an der Existenz derartiger Verhältnissen hat.  

*

Was die Staaten mit der Rettung ihrer Banken in Wahrheit gerettet haben, war nicht weniger als ihr eigener Zugang zum Finanzmarkt. Das Geschäft der Banken hat „systemische Bedeutung“, weil es das Lebenselixier der Wirtschaft und die ökonomische Machtbasis des Staates ist. Alles in der Gesellschaft ist von seinem Gelingen abhängig – und ihm daher nachgeordnet. Auch die vielbeschworene Realwirtschaft funktioniert nur mit Kredit und hat keine andere Aufgabe, als der Verwertung des Finanzkapitals Stoff zu liefern. Sofern die Banken ihr das nicht mehr zutrauen und keine Kredite mehr gewähren, lohnt sich das Produzieren und Verkaufen von Bedarfsgütern nicht mehr, wird zurückgefahren oder ganz eingestellt. Selbst die Ersparnisse und Geldreserven der Bürger liegen in der Form von Darlehen der Bank, von Wertpapieren oder sonstigen zinstragenden Schuldforderungen vor, und sogar das Geld selbst existiert und zirkuliert in Gestalt von Forderung oder Verbindlichkeit auf Bankkonten, besteht also in Schulden der Banken gegen ihre Kunden.

Wenn Banken zusammenbrechen, ist das Geld weg, das Volk enteignet, bricht der Zahlungsverkehr zusammen und mit ihm alles Produzieren und Verkaufen. Mit einem solchen Zusammenbruch verliert der Staat die Quelle seiner eigenen Finanzierung, die bei allen modernen Staaten über den Kapitalmarkt läuft. Dass sie das Finanzkapital retten, ist daher kein Wunder.

Der Staat verschafft sich das für die Erfüllung seiner Aufgaben nötige Geld dadurch, dass er – und zwar ganz aus freien Stücken, soll heißen ohne Not - dem Finanzkapital verzinste Staatsanleihen zum Kauf anbietet. Er tut dies, weil er sich derart unabhängig davon macht, was ihm seine Wirtschaft aktuell gerade an Steuern einspielt. Dem Finanzkapital umgekehrt wird mit den Staatschulden ein neues Geschäftsfeld eröffnet. Es behandelt seine zinsbringenden Schulden als gewinnträchtige, normalerweise sogar besonders verlässliches Vermögen, weil dahinter nicht nur ein vereinzelter privater Schuldner steht, sondern der Staat mit seinem Durchgriff auf die gesamte nationale Ökonomie.

Die Befreiung der Staates aus seiner Abhängigkeit von den Steuereinnahmen hat freilich einen Preis. Mit dieser Methode seiner Finanzierung setzt sich der Staat dem Urteil des Finanzkapitals aus. Er macht sich von dessen vergleichenden Beurteilung seiner Schulden abhängig - das Finanzkapital vergleicht seine Schulden mit den Schulden aller anderen Staaten, die ihre Papiere in Konkurrenz zu den seinen unterzubringen versuchen. Ob und inwiefern seine Verschuldung gelingt, darüber entscheidet das Finanzkapital und zwar nach den Kriterien seines geschäftlichen Erfolgs. Ein Staatsbankrott wie der von Griechenland liegt daher dann vor, wenn das Finanzkapital einem Staat die Kreditwürdigkeit streicht.

Wie sehr der Staat aber in seiner Verschuldung  sein entscheidendes Erfolgsmittel sieht, lässt sich daran bemerken, dass er selbst in solchen Zeiten, in denen diese Verschuldung nicht wie gewohnt klappt, nicht auf die Idee verfällt, sich mit dem zu begnügen, was ihm seine Wirtschaft an Steuern einbringt. Sein ganzes Sinnen und Trachten ist dann darauf gerichtet, Bedingungen zu schaffen, die ihm die Rückkher auf die Finanzmärkte gestatten. Dafür nehmen sie  - wie schon in den nur im Nachhinein und im Vergleich idyllisch scheinenden normalen Zeiten – ihr Volk in die Pflicht.

Die getätigten Staatsausgaben haben sich nicht als geschäftswirksam erwiesen und werden in der Folge neu kalkuliert. Das Volk in Gestalt der Kosten der staatlichen Sozialeinrichtungen wird zur unhaltbaren Belastung erklärt. Dafür, um der staatlichen Schuldenwirtschaft die Rückkehr auf den Finanzmarkt zu ermöglichen, ist die Verarmung der Bevölkerung das adäquate Mittel.

4. Das Opfer Sozialstaat

Welche Auswirkungen das Zusammenstreichen der  sozialstaatlichen Ausgaben des griechischen Staates auf die Bevölkerung hat, dafür liefert der Film reichlich Anschauungsmaterial. Einen Schluss darauf, wofür die nun gekürzten Sozialstaatsausgaben schon in Vorkrisenzeiten gut waren, wollen die Filmemacher und die von ihnen interviewten Personen nicht ziehen:

Die Rettung maroder Banken wird zur Möglichkeit schließlich Kündigungsschutz sowie Sozial- und Arbeitsrechte systematisch abzubauen. In einem Interview mit dem Wallstreet Journal am 13.02.2012 macht Mario Draghi - einst Vizepräsident von Goldman Sachs und heute Präsident der EZB - daraus keinen Hehl: „Das europäische Sozialmodell ist Vergangenheit.“ Die Rettung des Euro und damit der Eurozone werde viel Geld kosten. Das bedeute auch, vom europäischen Sozialmodell Abschied zu nehmen.

Den Milliarden, welche die Staaten in die Bankenrettung gesteckt haben, werden die Kürzungen im Sozialbereich gegenübergestellt. Denken soll man sich, die hohen Kosten der Bankenrettung wären Vorwand bzw. Grund - die Filmemacher unterscheiden da nicht so genau - für die als „Abschied vom europäischen Sozialmodell“ apostrophierten Einschnitte in den Sozialstaat. Dieses Argument lebt von der Vorstellung des Staatshaushaltes als einer Kasse, aus der der Staat unterschiedslos die Notwendigkeiten des Staats, seinen Gewaltapparat, seine Ausgaben für Wirtschaftsförderung, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik bis zur Sozialpolitik im engeren Sinn bestreitet. Jetzt, wo diese Kasse wegen der Bankenrettung leer sei, wäre der Staat zum Sparen gezwungen. Behauptet wird damit also, die Kürzungen am Sozialstaat wären die Konsequenz der jetzt leeren staatlichen Kasse.

Um dieses Argument zu teilen, muss man sich den Staatshaushalt als eine Art Gemeinschaftskasse vorstellen, vergleichbar mit der Geldbörse des kleinen Mannes, der tatsächlich nicht mehr ausgeben kann als er verdient. Dass es sich beim Haushalt des Staates etwas anders verhält, könnte man aber allein schon daran merken, dass ausnahmslos alle Staaten ihre Schulden in all den vergangenen Jahren laufend vergrößert haben. Dem kann man entnehmen, dass staatliche Schulden gar nicht darauf berechnet sind, je wieder auf Null gestellt zu werden. Jeweils fällige alte Schulden werden stets mit Hilfe neuer Schulden beglichen. Krise ist dann, wenn das Finanzkapital aus seinen Gründen einem Staat das Vertrauen entzieht und tatsächlich auf Rückzahlung besteht. Dann ist ein Staat pleite. Der vorgestellte kleine Mann mit seiner Geldbörse kriegt all das nicht hin.

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Hält man trotzdem für einen Moment am Bild fest, der Staat könne so wie Hunz und Kunz nicht mehr ausgeben, als er einnimmt, so zeigt sich das Argument bei genauerem Hinsehen als in sich widersprüchlich. Wenn trotz – wie in dem Bild unterstellt – beschränkter staatlicher Mittel viel Geld für die Rettung des Euros und der Eurozone ausgegeben wird, für den Sozialstaat radikal weniger - dann ist die Kürzung im Sozialstaatsbereich auch von dieser Seite her nicht irgendeinem Diktat klammer Kassen geschuldet, sondern dieser staatlichen Prioritätensetzung. Fällig wäre an dieser Stelle zu fragen, warum die Banken „systemisch“ sind, der Erhalt des Sozialstaats in der bisherigen Form dieses Prädikat aber nicht zugesprochen erhält.

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Die Filmemacher machen anders weiter. Sie sind überzeugt, für den Rückbau des Sozialstaates könne es keinen in den politökonomischen Verhältnissen liegenden Grund geben. Für sie verdanken sich Kürzungen im Sozialbereich den bösen Absichten pflichtvergessener Politiker, die ihre Verantwortung für das soziale Wohl der von ihnen regierten Menschen nicht wahrnehmen. Der klamme Staatshaushalt wird ihnen zum willkommenen Vorwand, das schon die ganze Zeit über latent vorhandene - ganz anderen und nicht weiter benannten Beweggründen geschuldete - Interesse an der Abschaffung des Sozialstaates endlich in die Tat umzusetzen. Wenn „die Rettung maroder Banken zur Möglichkeit wird,… Sozial- und Arbeitsrechte systematisch abzubauen“, haben die Regierenden nach Ansicht der Filmemacher offenbar schon die ganze Zeit über auf eine solche Gelegenheit gewartet.

Wenn sie aber schon immer auf eine Gelegenheit gewartet haben sollen, den Sozialstaat abzuschaffen, stellt sich freilich die Frage, wieso sie ihn dann überhaupt jemals eingeführt haben? Wenn sie andererseits all diese Rechte schon abschaffen wollen, warum sollten sie das dann nicht einfach tun? Warum brauchen sie dazu einen Vorwand? Wieso sollte außerdem der Hinweis auf die Notwendigkeit der „Rettung maroder Banken“ überhaupt als Vorwand taugen? Um die wegen der Bankenrettung leeren Staatskassen für einen geeigneten Vorwand halten zu können, müssen die Filmemacher selbst das Argument für irgendwie einleuchtend halten. Woher nehmen sie dann aber ihre Überzeugung, es würde sich um einen Vorwand handeln?

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Dass die Kürzungen im Sozialbereich dem Diktat der wegen der Kosten für die Bewältigung der Banken- und Staatsschuldenkrise leeren Kassen geschuldet seien, stellt das wirkliche Verhältnis dieser Staatsausgaben auf den Kopf. Die Politik macht gar kein Geheimnis daraus, worum es geht, wenn Banken gerettet, sozialstaatliche Leistungen gestrichen, Löhne gesenkt, massenhaft Arbeitnehmer auch im öffentlichen Dienst gekündigt, Staatsbetriebe privatisiert werden und am Ausbildungswesen gespart wird.

Finanzkapitalistische Investoren haben Griechenland – zwischenzeitlich auch Irland, Spanien, Portugal - den Kredit entzogen. Die getätigten Staatsausgaben haben sich als nicht ausreichend geschäftswirksam erwiesen. In der Folge werden die Staatsausgaben neu kalkuliert, mit dem Ergebnis, dass die soziale Betreuung des Volkes zu einer nicht lohnenden und daher unhaltbaren Kost erklärt wird. Um der staatlichen Schuldenwirtschaft die Rückkehr auf den Finanzmarkt zu ermöglichen, ist die Verarmung der Bevölkerung das adäquate Mittel. Die „Krise der Staaten“ bzw. die Probleme, die die Staaten mit ihrer Refinanzierung am Kapitalmarkt haben, sind eben nicht gleichzusetzen mit der der Krise der von ihnen regierten Bevölkerung. Die Herstellung von deren Existenznot ist im Gegenteil das offen ausgesprochene Mittel, das verlorengegangene Vertrauen in die Kreditwürdigkeit dieser Staaten wiederherzustellen.

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Das ist auch eine Klarstellung darüber, wofür der Sozialstaat und die sozialen Leistungen des Staates schon immer gut waren. Mit seinen Ausgaben für den Sozialstaat kümmert sich der Staat um die kapitalistische Benutzbarkeit seines Volkes. Gibt es kein Wirtschaftswachstum, wird daher das Volk in Gestalt der Sozialkassen zur unnützen Staatsausgabe. Das konstatiert gleich zu Beginn des Films auch ein Universitätsprofessor für Psychologie an der Universität von Thessaloniki, allerdings nicht ohne die Objektivität des genannten politischen Zwecks mit dem Hinweis auf den Neoliberalismus als Grund gleich wieder zu relativieren:

Unsere Universität hat letztes Jahr eine Budgetkürzung von 70% bekommen. … Das sind Maßnahmen, die kennen wir aus der Welt, wo Neoliberalismus schon existiert. Mit 60% Jugendarbeitslosigkeit ist Bildung für die Herrschenden eine sekundäre Sache. Wenn man 60% der Jugendlichen gar nicht verwerten möchte, dann muss man sie auch nicht ausbilden.

Die Aussage, Menschen, für die Staat und Kapital keine Verwendung haben, braucht man auch nicht auszubilden, benennt das vom Staat in Anschlag gebrachte Kriterium der Finanzierung seines Bildungswesens. Bildung im Kapitalismus gehorcht keinem anderen Kriterium als der Bereitstellung des entsprechend qualifizierten Personals für die Verwertung des Kapitals und seiner politischen Verwaltung in den entsprechenden staatlichen Positionen. Ist keine Verwendung der Ausgebildeten im Dienste von Staat und Kapital in Sicht, braucht es auch keine Ausbildung. Das könnte zwar ein kritisches Licht auf das werfen, was an den Universitäten an Wissen erarbeitet und vermittelt wurde. So ist die Kritik aber nicht gemeint. Kritisiert werden nicht die Leistungen der Universitäten in Vorkrisenzeiten. Kritisiert wird, dass die Erbringung dieser Leistungen jetzt unmöglich gemacht wurde. Die Kürzungen der Universitätsbudgets und deren Konsequenzen werden einem nicht als logische Konsequenz dessen, worum es Kapitalismus geht vorgeführt, sondern als Missstand, der sich einer schlechten, einer neoliberalen Verwaltung des Kapitalismus verdankt.

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Wofür die Leistungen des Sozialstaats gut waren bzw. sind, das spricht der jetzige EZB-Präsident Mario Draghi 2012 in seinem, von Filmemachern nur zum Teil wiedergegebenen Interview im Wall Street Journal in aller Offenheit aus. In der Tageszeitung „Die Presse“ vom 24.02.2012 konnte man Folgendes lesen:

Draghi hält dem entgegen, dass eine Belebung der griechischen Wirtschaft nur möglich sei, wenn zuvor eingehende Strukturreformen durchgeführt würden. Das betreffe vor allem den Arbeitsmarkt „für den geschützten Teil der Bevölkerung“. So seien die Verträge „höchst unflexibel und die Löhne folgen eher dem Alter als der Produktivität“. Das gelte nicht nur für Griechenland, wo Draghi ein niedrigeres Lohnniveau für unvermeidbar hält. Sondern für die meisten EU-Mitglieder. Spezifische Länder außer Griechenland nannte der EZB-Präsident nicht. … Auf die Frage der US-Journalisten, ob das Sozialstaatsmodell Europas angesichts der anstehenden Reformen künftig weniger stark wie bisher sein werde, antwortete Draghi: „Das europäische Sozialstaatsmodell gibt es nicht mehr.“ Die Zeiten, in denen die Europäer so reich gewesen seien, dass sie „es sich leisten konnten, jeden dafür zu bezahlen, dass er nicht arbeite“ seien vorbei.“(Die Presse, 24.02.2012)

Draghi gibt damit nicht - wie es die Filmemacher vorstellig machen - kund, dass er froh ist, endlich einen Vorwand für die von ihm schon längst gewollte Abschaffung des Kündigungsschutzes und von Sozial- und Arbeitsrechten gefunden zu haben. Er führt einerseits schon immer geltende Kriterien und andrerseits geänderte ökonomische Verhältnisse ins Treffen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft mache es heutzutage eben notwendig, dass am Arbeitsmarkt die „Verträge flexibler“ werden, z.B. Kündigungsschutzbestimmungen abgebaut werden müssen.

Dass die Europäer sich bislang den Luxus geleistet hätten, Menschen dafür zu bezahlen, nicht zu arbeiten, ist auf der einen Seite zynischer Unsinn. Schon deshalb, weil die Reichen bekanntlich auch nicht arbeiten, sondern arbeiten lassen und davon nicht schlecht leben. Richtig ist natürlich, dass sie nicht bezahlt werden. Lohn ist Bezahlung für Arbeit in fremden Dienst, und sowas haben sie per definitionem nicht notwendig.

Wer umgekehrt tatsächlich auf einen Lohn angewiesen ist, steht in unserer Wirtschaftsweise - daran erinnert Draghi - unter dem Diktat einer unbedingten Arbeitspflicht. Auch bisher wurde ein Arbeitsloser natürlich nicht dafür „bezahlt, dass er nicht arbeitet“ , garantiert wurde vielmehr mit dem Arbeitslosengeld die Erhaltung der Brauchbarkeit seiner Arbeitskraft für das Kapital, im Hinblick auf ihre Wiederverwendung und daher immer bloß befristet. Wer dauerhaft nicht gebraucht wird und damit dieser Arbeitspflicht nicht mehr nur vorübergehend nicht nachkommt, um den kann sich sein Staat nicht kümmern. Dafür ist der Sozialstaat nicht da. Das ist es, was man der Äußerung von Draghi und den europaweit in den letzten Jahren durchgesetzten Maßnahmen entnehmen kann.

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Davon wollen die Kritiker nichts wissen. Für sie ist die konstatierte Rücknahme von arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen nicht der Anlass, an dem von ihnen unterstellten guten und für die Menschen nützlichen Zweck des Sozialstaates zu zweifeln. Statt dessen wird die Rücknahme von arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen beklagt! Statt sich zur erklären, warum Banken für „systemisch“ erklärt werden, dem Sozialbereich dieses Prädikat aber nicht zugeschrieben wird, bedauern sie den Abbau des Sozialstaats und übersehen dabei, was alles sie damit als selbstverständlich unterschreiben.

Wer nach dem Erhalt des Sozialstaates ruft, akzeptiert, dass Menschen ohne sozialstaatliche Regelungen in ihrem gesamten gesellschaftlichen und Arbeitsleben mehr oder weniger aufgeschmissen wären, dass die Unternehmen laufend für Sozialfälle bei Alt und Jung sorgen, dass es beständiger staatlicher Eingriffe bedarf, um dem Arbeitsvolk auch nur ein Auskommen zu ermöglichen.

Statt nach dem Erhalt des Sozialstaates zu rufen, wäre man gut beraten, zu fragen, was denn das für eine Politik ist, die ja nicht erst nachträglich haushälterisch eingreift, sondern doch offenbar diese ganze Gesellschaft bis ins Detail organisiert und hoheitlich betreut, eine Gesellschaft, die laufend solche Ergebnisse hervorbringt.

5. Demokratie wird ausgehöhlt

Der Entschlossenheit, mit der alle Regierungen in Europa ihre Staatshaushalte von allen „unproduktiven“ Kosten entlasten, also am Lebensunterhalt ihrer Völker sparen, lässt sich entnehmen, was die aktuellen Staatsnotwendigkeiten sind. Für diese Regierungen sind Spardiktate zur drastischen Verarmung ihrer Bevölkerung „alternativlos“. Für die Standortverwalter geht es ums Ganze. Die Rettung des Euro, die Sanierung des Staatshaushalts und die Gesundung der Marktwirtschaft, die den Insassen der Kapitalstandorte Europas überall als unabweisliches Lebensmittel vorgesetzt wird – das ist marktwirtschaftliche Staatsräson, und die ist nur durch die durchgreifende Verschlechterung der Lebenslage der Bevölkerung zu haben. Und das nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer.

Während Europas demokratisch gewählte Staatenlenker in der Verarmung weiter Teile ihrer Bevölkerung, im sogenannten Sozialabbau in großem Stil das Mittel ihrer Wahl sehen, das Vertrauen des Finanzkapitals in ihre Staatsschuldpapiere wiederherzustellen, ziehen die Filmemacher den umgekehrte Schluss. Wenn solche Verarmungsmaßnahmen beschlossen werden, dann hat das seinen Grund darin, dass es in Europa undemokratisch zugeht.

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Neben den geschädigten Leuten werden daher im Film noch ganz andere Opfer der TROIKA vorstellig gemacht:

Jetzt wird die Politik nicht durch demokratisch gewählte Regierungen bestimmt, sondern durch supranationale, nicht demokratische Institutionen wie die Troika – durch EU-Kommission, EZB und IWF.

Welch hohe Güter unter dem Label „undemokratisch“ unter die Räder kommen! Da sorgen sich Kritiker quer durch ganz Europa auf einmal um die demokratischen Institutionen und verteidigen das „Königsrechts des Parlaments“, das Geld für den Staatshaushalt zu genehmigen. Als die griechischen, spanischen etc. Parlamente ihre Spardiktate zu Lasten ihrer Bevölkerung beschlossen haben, hieß es im Spektrum der „Empörten“ noch: „Diese Politiker vertreten uns nicht!“. Jetzt auf einmal soll dieselbe „Souveränität der nationalen Parlamente“ etwas Verteidigenswertes sein? In Kreisen solcher Kritiker offensichtlich völlig vergessen ist, dass die feinen Institutionen zuallererst einmal souverän gegen ihr Volk sind, das den Beschlüssen der Gesetzesmacher unterworfen ist. Es ist schon bemerkenswert, welche Gleichheitszeichen da ganz unbefangen aufgestellt werden: Geschädigte Interessen der Bevölkerung = Aushöhlung der Rechte der Herrscherfiguren von Parlament und Regierung über die Bevölkerung! Geschädigte Interessen der Bevölkerung soll man sich vorstellen als eine Aushöhlung der Rechte des Parlaments, als genau der Institution, die all diese Maßnahmen in Gesetzesform gießt!

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Entgangen ist ihnen bei all dem außerdem, dass die verpönten supranationalen Institutionen, die die Nationalstaaten entmachtet haben sollen, bis ins in ihnen entscheidende Personal das Geschöpf genau dieser Nationalstaaten sind.

Entscheiden muss man sich auch, ob man sich an den von Griechenland, Spanien usw. als Gegenleistung für Kredithilfen verlangten Maßnahmen stört oder aber am Bestellmodus des Personals besagter Institutionen. Soll man sich ernsthaft vorstellen, die Bestellung von Finanzfachleuten, die für die europäische Geldpolitik zuständig sind, durch europaweite Wahlen würde die Reformmaßnahmen für das griechische bzw. spanische Volk bekömmlicher machen? Soll man sich ernsthaft vorstellen, dass eine vom Volk gewählte EU-Kommission keine Pensions- und Lohnkürzungen verlangen würde?

Wenn man, so wie die Filmemacher, den Bestellmodus der Vertreter in IWF, EZB und EU kritisiert, kann man sich offenbar das, was IWF und EZB verwalten bzw. exekutieren – die Funktionsfähigkeit des internationalen Finanzsystems und die Sicherung des Euros als das erfolgreiche Geschäftsmittel des Kapitals in der Eurozone - wie überhaupt das Verleihen und Ausleihen von Geld gegen Zins, also den Gegensatz von Gläubigern und Schuldnern als ein wirtschaftliches Gemeinschaftswerk vorstellen.

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Aus dem Mund einer spanischen Studentin heißt es:

Diese Institutionen haben die spanische Regierung unter Druck gesetzt, die Verfassung zu ändern. Sie legten fest, dass die Bezahlung von öffentlichen Schulden Priorität hat vor allen anderen öffentlichen Ausgaben“.

Einerseits ist selbst dieser Aussage noch zu entnehmen, dass die von den Kritikern verpönten Maßnahmen auf Antrag der spanischen Regierung mit Verfassungsmehrheit im spanischen Parlament beschlossen worden sind. Ungeachtet dessen, dass die von der TROIKA von Spanien als Gegenleistung für die gewährten Kredite verlangten Maßnahmen auf Antrag der spanischen Regierungsvertreter im spanischen Parlament beschlossen worden sind, soll man sich diesen Umstand aber ganz anders denken: eigentlich hat diese Maßnahmen die TROIKA beschlossen, die Verbindlichmachung im eigenen Land durch die nationalen Herrscherfiguren im Parlament erfolgte nur, weil sie unter Druck gesetzt wurden.

Womit das spanische Parlament erpresst wurde, interessiert diese Kritiker schon nicht mehr. Die Antwort auf diese Frage hätte auch nicht zum von ihnen beabsichtigen Bild, die Verarmung der spanischen Bevölkerung könne unmöglich im Sinne Spaniens sein, gepasst. Unter Druck gesetzt werden konnte Spanien nämlich einzig mit seinem eigenen Interesse, wieder auf den Kapitalmarkt zurückkehren zu können. Offenbar haben den spanischen Parlamentariern die vorgeschlagenen Verarmungsprogramme als Weg dazu eingeleuchtet. Der Lebensunterhalt der spanischen Bevölkerung hat sich an diesem Zweck zu relativieren. Diese Antwort klärt dann auch das - von den Filmemachern gar nicht als solches wahrgenommen - Rätsel, wieso denn eigentlich das spanische Parlament die entsprechenden dem spanischen Interesse angeblich zuwiderlaufenden Beschlüsse gefasst hat und das noch dazu mit Verfassungsmehrheit.

Was ein unbeirrbarer Idealist der eigenen Herrschaft ist, der kann und will sich einfach nicht vorstellen, dass die durchgesetzte Verarmung weiter Bevölkerungsteile von der eigenen – in dem Fall spanischen – Regierung tatsächlich beabsichtigt sein kann. Was macht es schon, dass der zuständige spanische Finanzminister selbst die Sache ganz anders sieht? Finanzminister Spaniens, Cristobal Montoro:

Es geht nicht darum, es zu verhindern. Vielmehr ist es normal, dass die Troika hier in Spanien ist …  Spanien ist ein Mitglied der Europ. Union, Mitglied im Euro, es muss sich dem Mechanismus unterwerfen, um das exzessive Defizit zur korrigieren. Ich bin hoch erfreut und es gefällt mir, dass sie mich überwachen. Dafür sind wir in Europa. Europa ist ein Club und in einem Club gibt es Regeln. Wenn ein Mitglied die Regeln nicht einhält, muss man diese auf ihn anwenden, sonst kann man nicht im Club bleiben.“

Worauf weist der Mann hin? Er präsentiert die spanische Nation als ein treues Mitglied und Nutznießer von Europäischer Union und Währungsunion, das weiß, dass Spanien für seinen angestrebten Erfolg Europa ebenso braucht, wie Europa Spanien. Während in anderen Nationen darüber gestritten wird, ob sich Europa und der Euro im Hinblick auf den Nutzen der Nation überhaupt „lohnen“, herrschte und herrscht in Spanien innerhalb und außerhalb der politischen Klasse tatsächlich weitgehend Einigkeit in dem Urteil, der Euro und der europäische Kredit seien auch in Zukunft und gerade in der Krise das alternativlose Mittel Spaniens und deswegen auf keinen Fall aufzugeben.

Als 2012 die Staatsschulden Spaniens durch Bankenrettungs- und Konjunkturpakete dermaßen steigen, dass das internationale Finanzkapital die Refinanzierung am Kapitalmarkt auch für Spanien zunehmend teurer macht, steht für Spanien die Frage des Antrags auf Hilfe aus dem europ. Rettungsschirm am Tapet. Im damaligen Streit um die Bedingungen eines Kredits für Spanien, stellte die spanische Regierung klar, dass sie sich mit dem restlichen Europa, allen voran Deutschland, einig darin ist, dass auch Spanien seine Staatsschuldenkrise nur mit strenger Haushaltsdisziplin bewältigen könne. Sie stellte aber auch klar, dass das Wie der Sanierung des spanischen Staatshaushaltes Sache einzig Spaniens ist. So kann man in der SZ vom 13.9.2012 folgende Ankündigung Rajoy‘s nachlesen:

seine Regierung (werde) nicht hinnehmen können, dass von außen diktiert werde, auf welche Weise der Staatshaushalt saniert werde, ... eine Troika, wie sie in Griechenland, Portugal oder Irland die Bücher kontrolliert, komme nicht in Frage ... Er will einfach kein Stück Souveränität abgeben.“

Im Streit um die mit den europäischen Kredithilfen verbundenen Auflagen bedingt sich Spanien erfolgreich aus, dass eine Aufgabe seiner haushälterischen Souveränität zu Gunsten der TROIKA nicht in Frage kommt (http://orf.at/stories/2125073/2125067). Die drohenden Eingriffe in die Freiheit der Nation weist die spanische Regierung praktisch damit zurück, dass sie sich die Zumutungen der Austeritätspolitik selbst zum souveränen Anliegen macht. Dass auch der spanische Kredit daran genesen soll, dass die Schuldenwirtschaft der öffentlichen Haushalte durch Sparsamkeit wieder solide wird, hat sich die konservative Führung vom ersten Tage der Regierungsübernahme selbst zum Programm gemacht und anschließend mit aller Härte verfolgt. Die Resultate sind im Film zu bewundern – Arbeitsmarktreformen wie etwa erleichterte Kündigungen, Entlassung von Staatsbediensteten, Gehaltskürzungen und Arbeitszeitverlängerungen für das verbliebene Staatspersonal, Kürzung von Gesundheitsausgaben, Förderung der privaten Krankenversicherung, eine Welle von Zwangsräumungen usw.

Dazu passt dann auch, wie sich der spanische Finanzminister im Film präsentiert. Angesichts der – von ihm als naiv empfundenen - Fragen des Interviewers ständig leicht grinsend, gibt er das Bild eines selbstbewussten Staatenlenkers, der die Entlastung des Staatshaushalts von sämtlichen für unproduktiv befundenen Kosten, die Verarmung der spanischen Bevölkerung ganz selbst bestimmt betrieben hat, der also alles andere ist als ein Befehlsempfänger der TROIKA. Diesbezüglich gab es für TROIKA nichts zu tun, und dem im Fall von Spanien eingeschränkten Prüfauftrag der TROIKA auf die Restrukturierung der Banken könne die TROIKA selbstverständlich nachkommen.

Unbeirrt von all dem, halten die im Film zu Wort kommenden Kritiker die durchgesetzte Verarmungspolitik in Spanien und Griechenland für eine Abweichung von der Demokratie, gerade so, als ob Demokratie so etwas wäre, wie ein Rechtsanspruch gegen Verarmung. Woher sie diese Gewissheit bloß nehmen? Von den real existierenden Demokratien auf jeden Fall nicht.

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Ebenfalls nicht den real existierenden Demokratien zu entnehmen ist das im Film behauptete Verhältnis von Volkswillen und Politik in einer Demokratie. Da heißt es im Film u.a:

Wenn die Politik genau das Gegenteil von dem zu machen versucht, was 80% der Bevölkerung wollen, dann stirbt die Demokratie, dann ist sie ein Problem, ein Hindernis, das beseitigt werden muss.“

Die Filmemacher und die in ihrem Film zu Wort kommenden Kritiker der Krisenpolitik beschweren sich darüber, dass die Politiker sich über den Volkswillen hinwegsetzen. Darin sehen sie eine tendenzielle Aufhebung von Demokratie, einen Abbau von Demokratie.

Solche Beschwerden stellen sich Demokratie, die demokratische Politik wie eine einzige Verpflichtung der Regierung gegenüber den Bedürfnissen und Gerechtigkeitsvorstellungen ihres Volkes vor. Vom Volk gewählt, können sie doch nicht machen, was sie machen!

Eines stimmt, auf die Wünsche des Volkes nach Arbeit und Auskommen nehmen sie wenig Rücksicht. Die nehmen sie nur so zur Kenntnis, wie es in ihre Kalkulationen mit dem Arbeitsvolk als Manövriermasse für den geschäftlichen Erfolg und fürs staatliche Vorankommen hineinpasst. Darauf berufen sich dann als Inhalt ihrer demokratische Verantwortung für das Allgemeinwohl, für Staat und Wirtschaft, ohne die doch das Volk nicht leben kann.

Demokratie funktioniert nicht so, dass sich die Regierenden in Wahlen über Wünsche der Regierten informieren. Demokratie funktioniert anders herum. Die Regierenden Berufen sich darauf, dass sie dafür gewählt sind, das Beste für ihre Völker zu tun. Zur Rechtfertigung ihrer Maßnahmen verweisen sie auf lauter Sachzwänge, denen sie genügen müssen: der Staatshaushalt muss schließlich in Ordnung kommen, die Krise muss bewältigt werden, die brachliegende Wirtschaft muss wieder aufleben usw. Nur wenn das alles in Ordnung kommt, und das kommt eben nur mit diesen harten Maßnahmen in Ordnung, die zu treffen sie gezwungen seien, kann auch das Volk, sich Besserung erhoffen. Nicht gleich, aber dann wenn es wieder aufwärts geht mit der Wirtschaft und wenn der Staat wieder besser dasteht, dann lohnen sich die Opfer - so die beständige Auskunft der europäischen Politiker.

Diese Opfer werden nicht von der Einsicht der Bevölkerung in die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen abhängig gemacht, sondern diese werden von oben durchgesetzt. Dafür gebrauchen die Politiker einerseits ihre Macht, die sie als Gewählte haben. Andererseits berufen sie sich dann auch noch auf die Art und Weise, wie diese Macht zustande gekommen ist und auf die Verantwortung, die sie damit übernommen haben. Insofern sie ja vom Volk gewählt seien, sei ihr Handeln nicht nur notwendig, sondern auch noch legitim. Was sie damit machen, ist also schlicht: Sie verweisen die Betroffenen auf deren Abhängigkeit - darauf, was alles aufgehen muss an Kapital- und Staatsrechnungen und wie das Volk darin vorkommt - und fordern mit dem Verweis, vom Volk gewählt zu sein, Zustimmung ein.

Leider funktioniert das alles noch immer viel zu gut. Alle - selbst die von der Krisenpolitik Enttäuschten mit ihren Vorstellungen von einer sozialeren, besseren Politik appellieren ja mit ihren Massendemonstrationen, Besetzungen von Plätzen an die Politik, sich ihrer Belange anzunehmen. Damit verweisen sie ihre Belange an die für ihre verheerende Lage zuständigen Instanzen. Ausgerechnet diejenigen, die ihnen die ziemlich verheerenden Wirkungen ihrer geschäftlichen Anwendung und politischen Betreuung einbrocken, werden dafür für zuständig erklärt, diese Wirkungen zu korrigieren.

6. Die fatalen Lehren des Films - die praktizierte Politik, ein Verstoß gegen den wahren Auftrag der Politik - kein Grund für Hoffnungslosigkeit, es gibt Alternativen! - die Jämmerlichkeit der imaginierten alternativen Welt, die so anders nicht ist!

a. Die fatalen Lehren des Films

Wenn die von den europäischen Politikern beschlossenen Maßnahmen zur „Rettung ihrer Volkswirtschaften“ und zur „Rettung des Euros“ die Verarmung bzw. Verelendung breiter Bevölkerungsschichten bewirken, dann ist das den Filmemachern nicht Beweis für die Unverträglichkeit des Erfolgs der europäischen Volkswirtschaften mit einem guten Leben der Lohnabhängigen, sondern dafür, dass die „Rettungsschirme Europas“ ihr Ziel verfehlt haben, dass die Politik die europäischen Volkswirtschaften und Europa als Ganzes gar nicht rettet.

Die Finanzkrise war in ihrem Bild nicht Konsequenz des grundsätzlich spekulativen Charakters finanzkapitalistischer Geschäfte, sondern bloß der unsachgemäßen Vervielfachung von Kreditgeschäften.

Wenn die Staaten Milliarden für die Bankenrettung ausgeben, zeigt das nicht, wie sehr den Staaten offensichtlich am Gelingen des Bankgeschäfts gelegen ist, weil es Lebenselixier der Marktwirtschaft und ökonomische Machtbasis der Staaten ist, nein, für die Filmemacher sind Staaten Opfer einer Erpressung durch das übermächtig gewordene Finanzkapital.

Wo die staatlichen Retter ihr ganzes Sinnen und Trachten darauf richten, das Vertrauen der Finanzmärkte in ihre eigene Verschuldungsfähigkeit zu erhalten bzw. wieder zu erlangen und dafür ihr Volk in die Pflicht nehmen und dementsprechend die Kosten der staatlichen Sozialeinrichtungen zur unhaltbaren Kost erklären, entdecken die Filmemacher die Verwirklichung der schlechten - neoliberalen - Variante des Kapitalismus.

Wenn all das von den Demokratien Europas beschlossen wird, wissen die Filmemacher, dass es undemokratisch zugegangen sein muss.

Ausgerechnet da, wo die europäischen Politiker tagtäglich vorbuchstabieren, dass die „Wettbewerbsfähigkeit“ der Wirtschaft, die „Verschuldungsfähigkeit der Staaten am Finanzmarkt“ die umfassende Verbilligung der Arbeitnehmer für Unternehmen und den Staat in Gestalt seiner Sozialstaatsausgaben und damit das Sparen an deren Lebensunterhalt notwendig macht, ausgerechnet da, wo noch auffallen könnte, dass die herrschenden politischen und wirtschaftlichen Zwecke den Arbeitnehmern ganz und gar nicht gut tun, halten die Filmemacher an ihrem Ideal, Politik und Marktwirtschaft würden, richtig betrieben, den Menschen dienen, fest. Nolens volens verteidigen sie damit die Politik gegen ihre hässliche Praxis.

b. Die praktizierte Politik, ein Verstoß gegen den wahren Auftrag der Politik

Das Prinzip dieser Kritik besteht darin, das Handeln der Staaten Europas an dem zu messen, was die Filmemacher für die eigentliche Aufgabe der Politik halten, um ein ums andere Mal empört festzustellen, dass die Politik mit der ihr von den Filmemachern zugedachten Aufgabe nichts am Hut hat. Statt aus dieser Abwesenheit ihrer Ideale den Schluss zu ziehen, dass es der Politik dann wohl um was anderes zu tun sein muss, was erst noch zu ermitteln wäre, legen sie diese Abweichung der praktizierten Politik von ihrem Ideal selbiger als ihren Mangel zur Last. Die Politik macht nicht das, was sie nach Meinung der Filmemacher doch eigentlich machen müsste. Mit diesem Vorwurf gilt das Interesse der Filmemacher nicht mehr den Zwecken der Politik, sondern der ganz und gar irrationalen Frage, warum die Politik nicht das macht, was sie – die Filmemacher – für deren Aufgabe halten.

Der Erkenntniswert dieser Art des Denkens ist Null. Über die herrschenden politischen Zwecke erfährt man nämlich schlicht und ergreifend nichts, weil das gar nicht intendiert ist, wenn nicht das Handeln der Politik, sondern die Verhinderung ihrer angeblich besseren Absichten zum Erklärungsgegenstand gemacht wird. An die Stelle der Erklärung der herrschenden politischen Zwecke tritt die Aufzählung von Bedingungen und Umständen, die angeblich verhindern, dass die Politik der ihr zugedachten Aufgabe nicht nachkommt – Lobbbyismus des Finanzkapitals bis hin zu Erpressung durch das Finanzkapital plus personelle Verflechtung von Finanzkapital und Politik.

Vollzieht man diese Erklärung für die Abweichung der Politik nach, merkt man, dass sie noch nicht einmal leistet, was sie zu leisten vorgibt. Grund der Abweichungen soll Lobbyismus des Finanzkapitals und seine personelle Verflechtung mit der Politik sein. Statt eine Antwort auf die selbst gestellte Frage zu geben, wirft diese Erklärung in Wahrheit sofort die nächste Frage auf, warum denn der Lobbyismus des Finanzkapitals Erfolg hat, mehr Erfolg als der Lobbyismus anderer Interessensgruppen, etwa der Arbeitnehmer. Mit der besonderen Stellung des Finanzkapitals zu argumentieren, wirft diese Erklärung endgültig in einen unendlichen Regress; jede Antwort führt zu nächsten Frage und das ohne Ende.

 

Attestiert man andererseits, dass besonders viele ehemalige Vertreter des Finanzkapitals sich heute in Regierungspositionen befinden, lässt dies doch einen ganz anderen Schluss zu, als ihn die Filmemacher gezogen sehen wollen. Das deutet doch auf eine in Wahrheit viel höhere Interessensidentität von Politik und Finanzkapital hin, als sie glauben wollen. Dann ist das aber zumindest ein weiteres Indiz dafür, dass die Politik mit den hehren Ziel Rettung der Menschen vor Rettung von Banken nicht viel am Hut hat.

c. Kein Grund für Hoffnungslosigkeit, es gibt Alternativen!

Die Politik der Staaten Europas erklären, heißt, aus den Handlungen dieser Staaten auf ihren Zweck zu schließen. Mit einer solchen Erklärung weiß man dann, warum die Interessen der großen Mehrheit der Menschen zuschanden werden. Man weiß dann aber auch, was zu tun ist, sollen derlei Schädigungen abgestellt werden. Eines ist eine solche Erklärung mit Garantie nie, Grund für Optimismus oder Pessimismus. Anders bei der Kritik, wie sie die Filmemacher üben. Nicht zufällig lautet ihre Konsequenz:

Der Film „Wer rettet wen?“ ist allerdings kein Aufruf zur Hoffnungslosigkeit. Er zeigt auch verschiedene Beispiele der Umverteilung von oben nach unten, vor allem durch Entschuldung. Eine politische Alternative sind sogenannte Schuldenaudits, wie sie in Spanien und Lateinamerika vorgenommen wurden. In Ecuador wurde so die komplette Entschuldung des Staats erreicht. In Island hat sich das Volk in mehreren Volksabstimmungen der Bankenrettung durch die Bürger verweigert. Die Gläubiger wurden nicht entschädigt. In den USA gibt es organisierte Schuldenstreiks, bei denen sich Menschen kollektiv der Tilgung ihrer Privatschulden verweigern. Das sind vielleicht keine revolutionären Schritte, aber gewiss doch Schritte in eine Richtung ohne Alternative. Ein Film, der uns alle angeht. Das Allgemeinwohl hat angesichts der Macht des Finanzmarkts nur eine Chance, wenn Bürger anfangen, ihre Interessen in dem „Spiel der Milliarden“ zu erkennen, die wesentlichen Strukturen und Mechanismen des Finanzkapitals zu durchschauen. Das betrifft die Erwachsenen von heute, aber natürlich mindestens genauso, die Erwachsenen von Morgen. „Wer Rettet Wen?“ soll ein Werkzeug dazu sein.“

Dass die Filmemacher die Sorge umtreibt, Pessimismus verbreitet zu haben, ist kein Zufall, sondern die Konsequenz ihres Standpunktes. Weil sie die Politik über die Abwesenheit der ihr von ihnen unterstellten besseren Absichten kritisieren, Absichten, die per definitionem gar nicht der praktizierten Politik entnommen sind – auch gar nicht entnommen sein können -, sehen sie die Gefahr, mit dieser Diagnose Pessimismus bezüglich des Zustands der Welt verbreitet zu haben.

Eigens treten sie einem solchen von ihnen für möglich gehaltenen Pessimismus in dem fünzehnminütigen Abspann ihres Films entgegen. Wahllos werden disparateste Beispiele vorgeführt, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht, belegen zu sollen, dass erste Schritte, die Realität in Einklang mit ihrem Ideal von einer dem Allgemeinwohl dienenden Politik zu bringen, schon unterwegs sind.

Vorgeführt wird ein wildes Potpourri von Problemlagen und Problemlösungen, das keinen Unterschied mehr zwischen den verschiedenen Subjekten und ihren Problemlagen kennt. Staaten und Privathaushalte werden als gleichermaßen vom Problem der Überschuldung Betroffene vorgeführt.

Als Problemlösungen und hoffnungsstiftende Alternativen werden einem als gleichwertige Varianten eines erfolgversprechenden Kampfes für eine „Umverteilung von oben nach unten“ ein Schuldenschnitt bei ecuadorianischen Staatsschulden, ein von Island nach zwei Volksabstimmungen abgelehntes Rückzahlungsabkommen des isländischen Staates gegenüber Großbritannien und den Niederlanden betreffend Entschädigung der britischen und niederländischen Gläubiger der isländischen Bank Icesave, ein Schuldenschnitt für isländische Privathaushalte und isländische Unternehmen, die Forderung nach einem Schuldenaudit bis hin zu Tanzen für das Ausharren in zur Versteigerung anstehenden Wohnungen in Spanien und amerikanische Broschüren für den richtigen Umgang mit Privatschulden, vorgestellt.

Neben der totalen Ignoranz gegenüber den sehr unterschiedlichen Inhalten der von den Filmemachern vorgestellten Probleme und Problemlösungen, offenbaren diese Beispiele auch wie wenig alternativ die andere, die ideale Welt in Wirklichkeit ist.

d. Die Jämmerlichkeit der imaginierten alternativen Welt, die so anders nicht ist!

Wie ist sie denn beschaffen, diese schöne, heile Welt, die sich Filmemacher erträumen? Wenn in ihr umverteilt wird, gibt es auch in ihr nicht nur Reichtum, sondern auch Armut. Wo die sozial Schwächsten geschont werden, gibt es sozial Schwache, wo den Menschen zu Arbeitsplätzen verholfen wird, gibt es Lohnarbeit, Arbeit im Dienste des Kapitals. Wo es einen Sozialstaat braucht, erzeugt diese Wirtschaft nebeneinander Reichtum und Sozialfälle. Umverteilung wird zur nie endenwollende Daueraufgabe. Selbst Kredit soll und wird es in dieser heilen Welt geben, nur leistbar soll er halt sein für die Menschen. So ganz anders sieht sie also gar nicht aus diese heile Welt, für die sich die Menschen stark machen sollen.

Selbst ihrem als Messlatte an die Politik angelegten Ideal ist also noch zu entnehmen, dass das Allgemeinwohl, dem die Politik zu dienen hätte, eine trostlose und alles andere als allseits nützliche Sache ist. Statt Harmonie herrscht in dieser Welt der Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital. Wessen Interesse da zählt und wer die abhängige Variable ist, die die Bedingungen des eigenen Lebens nicht unter Kontrolle hat, ist da kein Geheimnis. Von all dem wollen die Filmemacher nichts wissen.

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Auch wenn mit der zweistündigen Darstellung der hintergründigen Machenschaften des Finanzkapitals kein Stück Politik auf ihren Zweck zurückgeführt wird, geleistet ist mit dieser Betrachtungsweise freilich trotzdem – besser gesagt gerade deswegen - eine ganze Menge. Was immer die europäischen Politiker im Namen der Rettung ihrer kapitalistischen Volkswirtschaften und im Namen Europas tun, welche Opfer immer sie den Bevölkerungen Griechenlands oder anderer Länder Europas auch bescheren, man ist sich sicher, in dem was Kapitalismus, was die europäische Währungsunion und überhaupt das Projekt Europa ist, kann das seinen Grund nie und nimmer haben kann. Ein prinzipiellerer Freibrief für die Politik ist kaum vorstellbar und das ausgerechnet dort, wo man gerade deren negative Wirkungen zu spüren bekommt.