GEGENARGUMENTE

 

KRISE, KRISENPOLITIK UND DER PROTEST DAGEGEN – Teil I

 

In Griechenland, einem Mitglied eiens der stärksten Wirtschaftsblocks des 21.Jhdts., wird inzwischen gehungert, die Pensionen, die Löhne und der ohnehin schon mickrige Mindestlohn werden gekürzt, im öffentlichen Dienst werden Zehntausende entlassen. Die Arbeitslosenzahlen erreichen und überschreiten in den Staaten Südeuropas 25%. Selbst Jugendliche mit universitärer Ausbildung – eine solche galt und gilt als die Chance auf persönlichen Erfolg – finden keine oder höchstens prekäre Jobs. Mit dem Hinweis auf ihre leeren Kassen und die Notwendigkeit des Schuldenabbau verordnen die Staaten Europas ihren Bürgern harte Sparprogramme.

 

Die bisher für gesichert gehaltene Mittelschicht rutscht aus ihren bisherigen sozialen Standards, wie weit ist gar nicht ausgemacht. Kurz alle bis neulich gewohnten Verhältnisse, unter denen die Leute gelebt und gearbeitet haben, werden ruiniert, die Ersparnisse werden gefährdet, der Sozialstaat wird gekappt usw. Das nicht nur auswärts in den sogenannten Problemstaaten, sondern das macht sich auch hierzulande bemerkbar.

 

Europas Staaten verarmen ihre Völker, damit ihr Reichtum wieder wächst. Die Betroffenen wären gut beraten, der Sache auf den Grund zu gehen. Die öffentlich vorgetragenen Einwände und Proteste zielen allerdings in eine andere Richtung.

 

Die Krise als allgemeiner Schaden

 

Was wird an Kritik und Protesten laut?

 

Die zahllosen EU-Gipfel haben gänzlich ihre offiziellen Ziele verfehlt, nämlich das „Vertrauen der Märkte wiederherzustellen“ und die Krise in der Eurozone zu lösen. In Europa hat gerade eine weitere Bankenkrise begonnen; die Austeritätspolitik, die übereinstimmend in allen Ländern durchgeführt wird, führt zu einer allgemeinen Rezession; die soziale und wirtschaftliche Situation verschlechtert sich in den meisten europäischen Ländern, insbesondere den an der Peripherie der Eurozone gelegenen. … Diese Entwicklungen stellen die ernsthafteste Gefahr für die Demokratie dar, die Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlebt hat.“ (Aufruf zu einem Alternativgipfel – www.altersummit.eu)

 

Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt – jetzt müssen wir sparen! Nein. Der volkswirtschaftliche Reichtum ist größer denn je. Allein die Finanzvermögen der privaten Haushalte sind von 50 Prozent der Wirtschaftsleistung 1970 auf 150 Prozent der Wirtschaftsleistung heute angestiegen. Die Schulden der privaten Haushalte machen nur einen Bruchteil des Vermögens aus, auch die Staatsschulden sind bedeutend niedriger als das Geldvermögen der Haushalte. Pro Kopf ist mehr Einkommen und Netto-Vermögen da als je zuvor, nie war der Reichtum größer als heute. Das Problem ist, dass er ungleich verteilt ist: Eine Minderheit besitzt den Großteil des Vermögens, wodurch die Mehrheit relativ geringe Einkommen erzielt und der Staat sich verschulden muss. Würden Einkommen und Vermögen gerechter verteilt, hätten wir weder ein privates noch ein öffentliches Schuldenproblem. Es trifft vielmehr zu, dass die reichen Eliten über die Verhältnisse der Gesellschaft leben und die Frage lautet, ob wir uns eine derartige Konzentration des Reichtums noch leisten können und wollen.“ (www.wege-aus-der–krise.at)

 

Die Kritiker, die sich europaweit zu Wort melden, verweisen darauf, dass die Menschen als Resultat von Krise und Krisenpolitik schlecht und immer schlechter leben können. Und sie rufen zweitens nach Abhilfe und zwar durch den Staat.

 

Ein erstes Charakteristikum der Proteste ist dabei, dass die Protestierenden die Krise von vorneherein als allgemeinen Schaden begreifen, von dem nicht nur sie, die gerade ziemlich übel behandelte breite Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch alle anderen Instanzen betroffen wären.

 

Die Kritiker berufen sich also auf lauter von dieser Krise wie von einer gemeinschaftlichen Unglückslage Betroffene. Wirtschaft, Staat, Volk werden vorstellig gemacht als eine Gemeinschaft von Subjekten, die alle gemeinsam unter der Krise leiden. Die Beschwerden gehen europaweit darauf, dass die ganze Gesellschaft schlecht läuft, sodass die Wirtschaft, der Staat und sein Haushalt und am Ende das ganze Gemeinwesen und sogar die Demokratie in Gefahr sei.

 

Der Vorwurf lautet – und das ist ein zweites Charakteristikum – verfehlte Krisenpolitik, „ungerechte Verteilung“, „verfehlte Steuer- und Sozialpolitik“ und deswegen kein Wachstum und keine Arbeitsplätze. Es wird also eine nationale Notlage beschworen, die gemeinschaftlich unter Staatsregie bewältigt werden sollte. An die Politik ergeht die Aufforderung, aber bitte nicht so einseitig und bitte nicht auf unsere Kosten.

 

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Es ist aber ein schwerer Fehler, von einem allgemeinen Schaden zu reden und Vorschläge für eine bessere Bewältigung der Krise zu machen, bevor nicht geklärt ist, was denn da eigentlich in der Krise ist.

 

Deshalb, weil viele Rechnungen nicht aufgehen, weil die Unternehmen nicht ausreichend Gelegenheit finden, zu unternehmen, weil die Löhne der Arbeitnehmer gekürzt werden oder sie gleich gar keinen Job mehr finden und weil die Kreditwürdigkeit der Staaten in Frage gestellt wird liegt noch lange kein allgemeiner Schaden vor, den „wir alle“ hätten.

 

Diese verschiedenen, unter dem Stichwort Krise zusammengefassten Notlagen unterscheiden sich nämlich nicht bloß. Es handelt sich vielmehr um Krisen von Subjekten, mit gegensätzlichen Interessen.

 

Da sind einmal die Einkommensabhängigen, Menschen, die auf Lohn angewiesen sind, der schon in normalen Zeiten immer zu gering ist und den sie nicht nur in Zeiten der Krise massenhaft bestritten kriegen. Ihre Krise ist das Werk der Unternehmer, die unter dem Titel allgemeiner Schaden ebenfalls zur Gemeinschaft der Krisenopfer dazugezählt werden, die doch aber gerade im Interesse der Bewältigung ihrer Krise - des Erfolgs ihres Geschäftes, das gerade nicht genügend gut läuft - die Löhne der Beschäftigten kürzen und massenhaft Leute entlassen und schließlich dem Staat mit seinen Haushaltssorgen, der mit dem Verweis auf diese Sorgen sein Volk drangsaliert.

 

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Von so etwas wie objektiven, in den Zwecken der Ökonomie gründenden Gegensätzen der Interessen wollen die europaweite Beschwerden allesamt nichts wissen. Im Gegenteil, insoweit die Krise als allgemeine Notlage aufgefasst wird, werden alle gegensätzlichen Interessen eingemeindet in den großen Kreis der von der Krise Betroffenen.

 

Auf der anderen Seite kennen die Protestierenden aber nicht nur eine gemeinsame Betroffenheit sondern lauter Schuldige, die - sei es durch Fehler, Versäumnisse, Unfähigkeit oder aus Egoismus - die Krise verursacht hätten und die jetzt ihre richtige Bewältigung verhindern würden: das Finanzkapital und die Eliten, die sich rücksichtslos bereichern und die Politiker, die diesen Figuren dann auch noch pflichtvergessen Milliarden nachwerfen.

 

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In allen ihren Urteilen tauchen deshalb Gesellschaft, Wirtschaft und Politik doppelt auf. Einmal als lauter Institutionen - Banken, Finanzmärkte und sogar Europa -, ohne die sich auch die Protestbewegungen die Welt nicht vorstellen können. Alle diese Institutionen bis zu den Finanzmärkten erfahren das grundsätzliches Lob, dass es sie braucht.

 

Ohne Finanzmärkte ist das moderne Wirtschaften nicht möglich“( VÖGB, Stefan Hinsch, Finanzmärkte, S8)

 

Wenn diese Institutionen richtig funktionieren, wenn die das ihre ordentlich machen, dann kommen auch die Leute zurecht. Wenn Wirtschaft und Staat ihrer Aufgabe nachkommen, dann leisten sie auch für die Menschen nützliche Dienste. Wenn die Wirtschaft gelingt und wächst, dann gibt es Beschäftigung, dann haben die Arbeitnehmer Chancen auf Arbeitsplatz und Lohn. Dafür braucht es Banken und Finanzmärkte, die die Realwirtschaft mit Liquidität versorgen und den Unternehmen ermöglichen, sich gegen Risken abzusichern. Wenn schließlich der Staat ordentlich verwaltet wird und ordentlich haushaltet, dann wird sich auch um ihre sozialen Belange gekümmert.

 

Es gibt nichts, wozu die Kritiker auf Distanz gehen. Die ungeprüfte Unterstellung ist, die wahre Aufgabe all dieser Institutionen wäre die Daseinsfürsorge für die Menschen.

 

Andererseits kommen dieselben Instanzen ganz anders vor. Die Krise der Wirtschaft und die Krisenpolitik des Staates und deren verheerende Konsequenzen, werden als ein einziges Versagen der Subjekte vorstellig gemacht, die in diesen Institutionen agieren. Die Behauptung ist, die nehmen ihren Auftrag nicht richtig wahr. Welchen Auftrag? All die vorgestellten guten Dienste am Volk, die gerade vermisst werden:

 

Die Wirtschaft beschäftigt nicht, weil ihre Vertreter nicht investieren. Dieselben Figuren, die einerseits als Arbeitgeber für gute Dienste zuständig sein und für Beschäftigung sorgen sollen, leisten das nicht und sind dann andererseits rücksichslose Reiche, Eliten eben, die auf ihrem unverdienten Reichtum hocken – weswegen man ihnen berechtigterwewise was wegnehmen dürfe! In den Führungsetagen der Banken und auf den Finanzmärkte treiben sich lauter verantwortungslose und raffgierige Bonijägern herum, die - statt ihrem eingebildeten Auftrag nachzukommen, die Realwirtschaft mit Kredit zu versorgen - zocken. Schuld seien die Politiker, die, weil verantwortungslos und pflichtvergessen, all das durch Deregulierung der Finanzmärkte erst ermöglicht hätten, statt sich um einen ordentlichen Gang der Gesellschaft und die Belange des Volkes zu kümmern, ihren Staatshaushalt ordentlich zu finanzieren um damit dann die vorgestellten guten Werke zu tun.

 

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Das ist erstens eine begriffslose Abtrennung der beobachteten negativen Wirkungen der verschiedenen Instanzen von den Instanzen, die diese Wirkungen hervorbringen.

 

Die verheerenden Folgen, die die Unternehmen und die Politik mit Verweis auf ihre Sorgen und Nöte dem Volk bescheren, werden darauf zurückgeführt, dass die Verantwortlichen all das unterlassen und versäumen, was ihre eigentliche Aufgabe wäre, was ihr eigenes Interesse sein müsste.

 

Prototypisch im Aufruf zum Altersummit: „ EU-Gipfel haben … ihre offiziellen Ziele verfehlt …  „Vertrauen der Märkte wiederherzustellen“ … Krise in der Eurozone zu lösen.

 

Derlei negative Urteile - dass die Verantwortlichen das Richtige immerzu nicht machen, die ihnen freihändig unterstellten Interessen nicht ordentlich verfolgen – erklären erstens nicht, warum die Verantwortlichen handeln, wie sie handeln. Das was sie tun, ist doch nicht damit erklärt, dass sie das angeblich Richtige nicht tun.

 

Wenn die Unternehmen, statt Arbeitsplätze zu schaffen, Leute entlassen, dann wird es dafür doch einen Grund geben, den man wissen sollte. Weil die Finanzmärkte angeblich nicht oder nicht mehr reguliert sind, müssen die Banken und sonstigen Finanzmarktterilnehmer doch nach lange nicht zocken. Dafür muss es doch einen positiven Grund im Zweck der Banken und der Finanzmärkte geben. Soweit die Politiker die Regeln am Finanzmarkt geändert haben, ist zu erklären wie und warum.

 

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Wenn die Protestbewegungen das Handeln der Politik aber schon als Versäumnis charakterisieren, stellt sich zweitens die Frage, woher sie diese Behauptung nehmen. Der Politik selber kann sie jedenfalls unmöglich entnommen sein. Die steht mittlerweile seit Jahren europaweit im Zeichen der Krisenbekämpfung und macht gar kein Geheimnis daraus, worum es geht, wenn Banken gerettet, sozialstaatliche Leistungen gestrichen, Löhne gesenkt, massenhaft Arbeitnehmer auch im öffentlichen Dienst gekündigt, Staatsbetrieb privatisiert werden und am Ausbildungssytem gespart wird. Offen ausgesprochener Zweck ist Wiederherstellung des Vertrauens ins Kreditsystem und die staatliche Kreditwürdigkeit.

 

Es ist dies der praktische Beweis dafür, dass Krise nicht gemeinsame Betroffenheit bedeutet, nicht den Umstand bezeichnet, dass massenhaft Beschäftigte in Existenznot geraten. Die Herstellung dieser Existenznot ist im Gegenteil offen ausgesprochen das Mittel, das Vertrauen in den Kredit wiederherzustellen.

 

Krise ist, wenn das Gewinnemachen nicht funktioniert und die staatliche Kreditwürdigkeit leidet. Dann werden massenhaften Existenzen von Arbeitnehmern geopfert, weil sie im System der Marktwirtschaft ohnehin keine andere Berechtigung haben, als den Nutzen, der sich aus ihnen herausholen lässt. In der Krise wird das noch nicht einmal beschönigt.

 

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Die Protestbewegungen nehmen all das schlicht nicht zur Kenntnis, wenn sie die praktizierte Politik als Versäumnis kennzeichnen. Versäumnis ist die Behauptung, die Politik würde nicht im Sinne ihres ureigenster Auftrag, im Sinne dessen, was vernünftiger- und sachlichlicherweise geboten wäre, handeln. Zum einem solchen Befund gelangt man nur auf Basis eines unterstellten Maßstabs, gemessen an dem ein Versäumnis vorliegt, eines Maßstabes, von dem noch nicht einmal die Protestbewegungen selbst behaupten, ihn der Politik selbst entnommen zu haben.

 

Weil sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass das, was sie als Sozialabbau registrieren, sich der der Rationalität der herrschenden politischen und wirtschaftlichen Zwecke verdankt, können sie sich derlei von ihnen behauptete Abweichung vom eingebildeten wahren Auftrag der Politik nur mit der Wirkung dunkler Mächte – des Neoliberalismus – erklären. Die Krise wird „ausgenutzt“, um zu einer ganz anderen Gesellschaftsordnung überzugehen, die mit der Zerstörung der sozialen und demokratischen Rechte das neoliberale Projekt vervollkommnen würde.“, heißt es daher im Aufruf zum Altersummit.

 

Statt aus der praktizierten Politik auf deren Zweck zu schließen, halten sie unumstößlich daran fest, dass es für die praktizierte Politik andere, sachfremde Gründe geben muss. Der Neoliberalismus nimmt die Krise als Gelegenheit beim Schopf, um durch die Zerstörung sozialer und demokratischer Rechte sein Projekt einer anderen Gesellschaftsordnung zu vervollkommnen.

 

Völlig Unbeantwortet bleibt dabei, wie es dem Neolioberalismus bloß gelingt, sich der Politik zu bemächtigen, warum seine Vertreter überhaupt einen Vorwand brauchen, um ihr Projekt durchzusetzen und wieso dann ausgerechnet die Krise als ein solcher Vorwand taugt? Offenbar leuchtet ihnen selber zuallererst ein, dass das was es braucht Wachstum ist. Nur nehmen sie den Neoliberalen dieses Anliegen nicht ab. Die – so ihre Vermutung – würden dieses allseits geteilte und für vernünftig gehaltene Anliegen nur missbrauchen und in Wahrheit ganz anderes im Schilde führen.

 

Der Staat als Beschwerdeadresse – die unwillige Instanz der Abhilfe

 

Der Staat als Instrument der Umverteilung

 

Mit ihren Beschwerden wenden sich die Protestbewegungen an den Staat. Der könnte und sollte alles, was nicht ordentlich läuft, mit seinem Haushalt - mit einer ordentlichen Einnahme- und Ausgabenpolitik - in Ordnung bringen. Die Politik müsste bloß wollen.

 

Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt – jetzt müssen wir sparen! Nein. Der volkswirtschaftliche Reichtum ist größer denn je. … Das Problem ist, dass er ungleich verteilt ist: Eine Minderheit besitzt den Großteil des Vermögens, wodurch die Mehrheit relativ geringe Einkommen erzielt und der Staat sich verschulden muss. Würden Einkommen und Vermögen gerechter verteilt, hätten wir weder ein privates noch ein öffentliches Schuldenproblem.“ (www.wege-aus-der-krise.at)

 

Die Beschwerde lautet, obwohl der Reichtum doch vorhanden ist, werden die Menschen verarmt, nur weil die Regierenden eine falsche Haushaltspolitik betreiben - Austeritätspolitik statt Wachstumspolitik, keine Umverteilung von oben nach unten.

 

Die Beschwerdeführer von „Wege aus der Krise“ stellen sich den Staatshaushalt wie eine riesige Umverteilungsinstanz vor. So als ob der Reichtum herumläge und der Staat bloß zugreifen müsste, um seine Rechnungen und Finanzen in Ordnung zu bringen. Stattdessen schmeißt er der Finanzwelt Geld nach, stürzt sich damit selbst in Haushaltsnöte und müsse deswegen bei den Geringverdienern kürzen.

 

Dieses Bild ist erstens schon deshalb daneben, weil der Staat überhaupt nicht umverteilt. Der nimmt nicht bei den einen, um es den anderen zu geben, sondern kassiert bei allen in Form von Steuern ab - bei den einen mehr, bei den anderen weniger - nach dem einfachen Kriterium, wo er sich den größten Nutzen verspricht. Der Staat verteilt nicht um, mit Steuern finanziert er sich.

 

Zweitens haben die Protestbewegungen eine denkbar widersprüchliche Auffassung vom Haushalt des Staates: Einerseits sehen die Kritiker des Handlungsspielraum des Staates eingeschränkt. Sie teilen die Einschätzung, dass der Staat wegen seiner im Zuge der Bankenrettung aufgehäuften Schulden seinen sozialen Verpflichtungen tatsächlich nicht mehr nachkommen kann und deswegen spart. Da wird die Finanznot des Staates insoweit unterschrieben, als gesagt wird, ohne dass der Staat über ausreichende Einnahmen verfügt, geht nichts von den guten Werken, die sie sich vom Staat erwarten. Deshalb gehen sie daran, dem Staat mit Tipps hilfreich zur Hand zu gehen, wo er sich das fehlende Geld für die Bedeckung seiner Schulden holen könnte. Andererseits, wenn sie den Politikern vorwerfen, den Banken das Geld hinterherzuwerfen, wissen sie ganz genau darum, dass der Staat die Freiheit der Verschuldung hat und sie auch ausgiebig gebraucht.

 

Statt das nebeneinander stehen zu lassen und selber zu glauben, dass das „Sparen“ wegen der Schulden notwendig wäre, wäre zu klären, warum die Politik im Sozialbereich kürzt, nicht aber bei den Bankenrettungspakten und warum dieselbe Politik die Banken laufend für „systemisch wichtig“ erklärt, dem Sozialbereich aber andererseits dieses Prädikat nicht zuschreibt. Dafür muss es Gründe geben, die wissen muss, wer sich nicht nur wie ein alternativer und ziemlich widersprüchlicher Haushaltsberater des Staates, der die besseren Vorschläge zur Behebung der staatlichen Finanznot hätte, aufführen möchte.

 

 

Wie Reichtum und Armut zustande kommen

 

Wenn die Kritiker schreiben:

 

Pro Kopf ist mehr Einkommen und Netto-Vermögen da als je zuvor, nie war der Reichtum größer als heute. Das Problem ist, dass er ungleich verteilt ist: Eine Minderheit besitzt den Großteil des Vermögens, wodurch die Mehrheit relativ geringe Einkommen erzielt und der Staat sich verschulden muss. Würden Einkommen und Vermögen gerechter verteilt, hätten wir weder ein privates noch ein öffentliches Schuldenproblem.“ (www.wege-aus-der-krise.at ),

 

sehen sie von einer entscheidenden Frage völlig ab. Sie kümmern sich einfach nicht darum, was das für ein Reichtum ist, der da produziert wird und auf den der Staat zugreifen soll. Sie kümmern sich nicht um seine gesellschaftliche Zweckbestimmung.

 

Wie kommt es eigentlich, dass der Reichtum der einen sich immerzu vermehrt, woher kommen die riesigen Vermögen, die sich milliardenfach in den Banken und auf den Konten der Reichen sammeln? Warum ist das Ergebnis regelmäßig so einseitig. Das alles geschieht doch auf Basis gesetzlicher Regeln, die der Staat mit seiner Gewalt allgemein verbindlich macht. Derselbe Staat, den sie auffordern, korrigierend einzugreifen. Dass sich das Verhältnis von Arm und Reich dauerhaft und systematisch reproduziert, muss in der Natur der verschiedenen Einkommensquellen begründet sein.

 

Gänzlich unbekannt ist das auch den Protestbewegungen wie „Wege aus der Krise“ nicht. Würden sie sonst eine doch ebenfalls systematische und auf Dauer angelegte staatliche Umverteilungspolitik fordern? Eine auf Dauer angelegte Umverteilung setzt nämlich die ebenso dauerhafte Reproduktion dieser Unterschiede gerade voraus. Das interessiert sie bloß nicht. Viel besser in ihr Bild von der grundsätzlich gut und richtig eingerichteten Wirtschaft passt die Vorstellung von der ungerechten Einkommensverteilung.

 

Einkommen werden aber gar nicht verteilt. Ungleich verteilt kann aber nur sein, was überhaupt verteilt wird. Davon ist aber beim besten Willen nichts zu sehen: Weder kommt der jährlich produzierte Reichtum als ein großes Gemeinschaftwerk zustande - was ja eine notwendige Voraussetzung jeder Verteilung wäre -, und schon gar nicht gelangt anschließend irgendwo irgendwas zur Verteilung und die Arbeitnehmer würden es immerzu versäumen, sich rechtzeitig anzustellen.

 

Wenn man schon dem Glauben anhängt, Einkommen würden irgendwie verteilt, wäre schon noch zu erklären, wieso es denn dann immer dieselben sind – die Lohnabhängigen nämlich – die bei dieser Verteilung zu kurz kommen. Das dürfte dann wohl doch eher etwas mit ihrer besonderen Stellung im Produktionsprozess – mit ihrer besonderen Einkommensquelle also - zu tun haben, als mit einer angeblich ungerechten Einkommensverteilung. Die müsste man sich, so man es ernst meint, ansehen[i].

 

Der Ruf nach der Rettung des Sozialstaates

 

Dass auf der einen Seite Reichtum zustandekommt und auf der anderen Seite über Arbeit keiner, das ist bei allen Beschwerden wie selbstverständlich unterstellt und wird für nicht weiter erklärenswert befunden. Der Staat soll durch seine haushaltsmäßige Umverteilung, durch staatliche Eingriffe - nachdem das Ergebnis zustande gekommen ist also - die Welt für die Arbeitnehmer wieder in Ordnung bringen oder jedenfalls wenigstens sie erträglicher. Derselbe Staat, von dem man immerzu enttäuscht ist, weil er das nicht oder jedenfalls nicht ausreichend macht.

 

Wenn in diesem Zusammenhang der Ruf nach Rettung des Sozialstaates erhoben wird, ist wie eine Selbstverständlichkeit unterstellt, dass zur Beschäftigung, zum Arbeitsleben, lauter soziale Notlagen dazugehören, lauter Sozialfälle, die vom Staat zu betreuen sind und die in seinem Haushalt als ein Posten auftauchen, an deren Erhaltung appeliert wird.

 

Wer nach dem Erhalt des Sozialstaates ruft, nimmt es als Selbstverständlichkeit hin, dass die Menschen ohne die sozialstaatlichen Regelungen, ohne dass sie über entsprechende staatlich organisierte Kassen - die aus Lohnteilen finanziert werden - versorgt sind, in ihrem gesamten gesellschaftlichen und Arbeitsleben, das ihnen einerseits Chancen eröffnet, zu dem aber offenbar andererseits mit Notwendigkeit eintretende Notlagen dazugehören, mehr oder weniger aufgeschmissen wären.

 

Eine Frage, die die Protestierenden überhaupt nicht aufwerfen, ist die Frage danach, was das denn eigentlich für eine Wirtschaftsweise ist, in der immerzu die Staatsgewalt nötig ist, damit das Arbeitsvolk - die große Mehrheit des Volks - irgendwie sein Leben auch nur halbwegs bekömmlich führen kann; warum der Staat kontrollierend und korrigierend eingreifen muss, damit ein normales Arbeitsleben in dieser Wirtschaftsweise überhaupt funktioniert.

 

Realismus und Idealismus der Kritiker

 

Was ist das für eine Politik, die gar nicht erst nachträglich haushalterisch eingreift, sondern die doch offenbar die Gesellschaft in all ihren Details organisiert und hoheitlich betreut, eine Gesellschaft, die laufend solche Ergebnisse hervorbringt?

 

Was sind das umgekehrt für Beschwerden, die unkritisiert unterstellen, dass die Unternehmen mit ihren Geschäften jedenfalls keine Lebenssicherheiten stiften, weder gesicherte Beschäftigung noch gesicherte und ausreichende Bezahlung, sondern stattdessen von Jung bis Alt lauter Sozialfälle schaffen? Beschwerden die angesichts solcher Resultate von Politik und Wirtschaft darauf pochen, dass das alles mit einer ordentlichen Politik aushaltbar zu machen wäre? Beschwerden, die darauf pochen, dass für genügend Beschäftigung und soziale Sicherheit gesorgt werden müsste und die sich selbst mit diesem bescheidenen Anliegen an der Politik die Zähne ausbeißen.

 

Solche Beschwerden sind auf realistisch und idealistisch zugleich. Realistisch, weil sie wie selbstverständlich von der Abhängigkeit der Menschen - ihrer ganzen Lebenslage - von Wirtschaft und Politik ausgehen. Darin irren sie auch nicht. Mit den Appellen an die Politik, die es für sie richten soll, gestehen sie im Grunde ein, dass sie es unter den herrschenden Verhältnissen selber gar nicht in der Hand haben, sich mit ihrer Arbeit auch nur irgendwie erträgliche, bekömmliche Lebensumstände zu sichern; dass sie selber letztlich nichts für eine Verbesserung ihrer Lage tun können. Das ist die Seite des Realismus.

 

Der Idealismus der Kritiker andererseits besteht darin, auf Basis solcher Umstände von der Politik zu erwarten, dass die ihre negative Abhängigkeit, ihre Ohnmacht, zum Besseren wenden würde, wenn sie nur richtig zu Werke ginge.

 

Rettet die Menschen und nicht die Banken.“ (Forderung spanischer Demonstranten, Presse vom 15.2.2013),

 

heißt es in Spanien, wie man immer wieder in der Presse nachlesen konnte.

 

Die Tatsache, dass Spaniens in Schieflage geratene Banken vom Staat und vom Euro-Rettungsfonds mit Milliarden gestützt werden, die Familien aber allein klarkommen müssen, empört viele Menschen. „Das ist“, schallt es über den Parlamentsplatz, „eine Schande“.“ (Eine Welle von Selbstmorden erschüttert Spanien, Presse vom 15.2.2013)

 

Dass die Politik diesen Antrag, nicht die Banken, sondern die Betroffenen zu retten, verweigert, dass sie was ganz anderes macht, darüber sind diese Bürger dann radikal enttäuscht, sprich halten radikal und gegen den eigenen Augenschein an ihrem Urteil über die eigentlichen Aufgaben der Politik fest. Nichts läuft ihrer Auffassung nach normal und ordentlich.

 

Statt den Maßnahmen der europäischen Regierungen zu entnehmen, welche Interessen in ihrem System „systemische“ Qualität haben – und welche eben nicht, und entsprechend dieser Einsicht daran zu gehen, sich dieses System vom Hals zu schaffen, sind sie enttäuscht darüber, dass ihnen die Politik das Auskommen in diesem System so schwer macht und wenden diesen Enttäuschung eher gegen sich – siehe Selbstmorde!

 

Diese Kritik ist also in gewissem Sinn fatal. Sie besteht sehenden Auges darauf, den Bock zum Gärtner zu machen! Man muss schon wissen, womit man es zu tun hat, wogegen man sich aufstellen muss, wenn man sich über seine miese Lage und über die Verschlechterung der Lage beschwert.

 

Klarstellungen über Krisenpolitik und das Programm: Der Staat saniert seinen Haushalt – Verarmung als Staatsprogramm – Auskünfte über die Normalität von Kapital und Staat

 

Dem Staat werden bessere Alternativen zu seiner Verarmungspolitik angetragen. Er ist der Adressat, an die sich alle Beschwerden richten! An die Wirtschaft, ans Kapital, an die Unternehmen richten die sich die Kritik gar nicht.

 

Deshalb im Folgenden ein paar Klarstellungen darüber, was man aus der Krisenpolitik über die Normalität, darüber, was ein Staat wie der unsere ist und wie da das Volk drin vorkommt, lernen kann.

 

Hauptgegenstand der Beschwerden, der Anträge und Forderungen der diversen Protestbewegungen gegen die Verarmungspolitik in den Krisenstaaten ist die staatliche Haushaltspolitik. Der Vorwurf lautet, der Staat würde eine „falsche“ Haushaltspolitik machen:

 

Doch anstatt zu versuchen, die infolge der Wirtschaftskrise gestiegene Staatsverschuldung mit Einnahmen zu verringern, werden die Krisenverursacher, die Reichen und Mächtigen, schadlos gehalten und die Krisenverlierer zur Kasse gebeten. Während Vermögende, Banken und Konzerne bestenfalls kosmetisch belastet werden, setzt sich die Zerschlagung des Sozialstaats fort. Dabei könnten alleine mit einer geringen Besteuerung von Vermögen ab 700.000 Euro geschätzte 5,44 Mrd. Euro pro Jahr in den Staatshaushalt fließen!“ (aus: Reiche zur Kassa, Kampagne der Kommunistischen Gewerkschaftsinitiative)

 

Die Regierungen lassen jedoch die BürgerInnen für die Kosten der Krisen zahlen: Budgetlöcher sollen mit Kürzungen und Massensteuern gestopft werden. Gewinne fließen weiterhin in die Hände weniger. Vermögen und der Finanzsektor bleiben unangetastet. Echte Reformen werden verwässert oder blockiert.“(www.wege-aus-der-krise.at)

 

Der Vorwurf lautet, die Haushaltspolitik sei einseitig, Vermögen, Banken, Konzerne werden kaum belastet, auf der anderen Seite werden Sozialleistungen gekürzt und und Massensteuern erhöht, der Staat begibt sich zum eigenen Schaden in die Fänge des Finanzkapitals, er hätte doch alle Freiheiten sich zu bedienen und müsste nur zugreifen, bei den Richtigen, bei den Reichen, um seine Staatsverschuldung zu verringern.

 

Was als Einseitigkeit und Rücksichtslosigkeit beklagt wird hat aber System. Das zeigt sich gerade an den Haushaltsnöten, die jetzt als Staatsschuldenkrise verhandelt werden, an den vom Staatsbankrott bedrohten Staaten und den staatlichen Maßnahmen, diesen Bankrott zu verhindern.

 

Wenn alle betroffenen Staaten durch die Bank alle auf dieselben Maßnahmen kommen, soll man sich da tatsächlich vorstellen, sie machen alle Fehler? Statt die Maßnahmen als ungerecht und einseitig zu bejammern, wäre mal ein Rückschluss auf die tatsächliche Grundlage des Staatshaushalts fällig.

 

Staatsschulden – ein Gemeinschaftswerk von Staat und Finanzkapital

 

Richtig ist, der Staat lebt vom Geld, über das er verfügt, aber es ist weder so, dass er sich einfach das Geld nimmt, das er braucht, noch umgekehrt so, dass er sich bei seinem Haushalt auf das beschränkt, was er sich in seiner Gesellschaft an Geld per Steuern meint holen zu können. Der Staat finanziert sich vielmehr mit Schulden, indem er den Banken und anderen Investoren Schuldpapiere mit Verzinsung verkauft. Damit macht er seinen Geldbedarf produktiv für deren Geschäftsinteresse.

 

Das Finanzkapital umgekehrt behandelt seine zinsbringenden Schulden als gewinnträchtige Vermögen, normalerweise sogar als besonders verlässliche Vermögen, weil hinter ihnen die Staatsgewalt steht. Sie behandeln diese Schulden als existentes Vermögen mit Verzinsungsversprechen, als Wertpapier.

 

Der Staat setzt damit sich und seine Finanzierung dem Urteil des Finanzkapitals aus. Ob und inwiefern seien Verschuldung gelingt, darüber entscheidet das Finanzkapital und zwar nach seinen Kriterien. Das hat es in sich.

 

Diese Abhängigkeit, in die der Staat sich damit von seinen Banken, von der Finanzwelt begibt, ist nicht unfreiwillig, sondern in die begibt er sich aus seinem Interesse und die ist in beider Interesse: Dem Finanzkapital eröffnet ein Geschäft und sich finanziert er sich über das hinaus, was die Steuern einbringen.

 

Auch wenn die Finanzmärkte das - wie derzeit - nicht mehr wie gewohnt hergeben, beschränkt sich der Staat nicht auf seinen Steuereinnahmen, nach der Devise, wenn der Staat keinen Kredit mehr bekommt, dann muss er halt ohne auskommen. Tatsächlich droht ihm dann die Pleite. Daran zeigt sich, dass seine ganze Finanzierung auf Verschuldung aufgebaut ist, dass er insbesondere neue Schulden braucht, um seine alten zu bedienen. Er macht also gar nicht ausnahmsweise und aus Not Schulden, sondern das ist die Normalität seines Haushalts. Staatsverschuldung gehört zum staatlichen Wirtschaften immerzu schon dazu! Mit neuen Schulden wälzt er seine alten fort. Die dauerhaften Geschäfte der Finanzwelt sind seine Haushaltsbasis, solange sie ihm abnehmen, dass er in der Lage ist seine Versprechen einlösen.

 

Der Umstand, dass - wie die Bewegung gegen die Krise vorrechnet - aufaddiert ausreichend Vermögen für die staatlichen Finanzbedürfnisse vorhanden wäre, der Staat sich aber dessen ungeachtet lieber verschuldet, lässt in Wahrheit doch nur einen Schluss zu: der Staat will(!) sich nicht einfach an den vorhandenen Vermögen bedienen.

 

Er ist sich nämlich eines grundsätzlichen Widerspruchs bewusst. Als Einkommensquelle hat er sich eine Wirtschaft eingerichtet, deren immanenter Zweck Wachstum von geldförmigem Reichtum ist. Damit entspricht sie seinem Bedürfnis, über eine beständig wachsende finanzielle Basis zu verfügen. Förderung des Wachstum wo immer möglich, heißt daher der Imperativ seiner Wirtschaftspolitik. Keine wirtschaftspolitische Maßnahme, die nicht daran gemessen würde, welchen Einfluss sie auf das Wachstum hat. Schließlich „hängen wir alle doch vom Wachstum ab“, „Ohne ausreichendes Wachstum keine Arbeitplätze“, und so ähnlich lauten die entsprechenden Ansage der Politik.

 

Andererseits bedeutet jede Besteuerung der in seiner Gesellschaft vorhandenen Vermögen immer eine Beschränkung des Wachstums dieser Vermögen – ihrer Basis und ihrer Wachstumspotenzen. Eine Besteuerung der Einkommen und Vermögen, ohne die Wirkungen dieser Besteuerung auf das Wachstum zu berücksichtigen, kommt für den Staat daher nicht in Frage. Staatsverschuldung ist die Antwort auf dieses selbstgewählte Dilemma. Statt der Wirtschaft Geld zu entziehen, macht er ihren maßgeblichen Vertretern – seinem Finanzkapital, den Banken und allen, die über überflüssige Finanzmittel verfügen – das Angebot, staatliche Schuldscheine - Staatsanleihen - zu kaufen. Er kommt derart zu den für seine Vorhaben nötigen finanziellen Mitteln, die Wirtschaft im Gegenzug erhält einen weiteren Geschäftsartikel: einen staatlich garantierten und handelbaren Vermehrungsanspruch.

 

Das machen alle Staaten. Die Qualität ihrer Schulden unterscheiden sich nicht an deren Höhe. Die Schulden Griechenlands und Zyperns sind vergleichsweise lächerlich zu denen, die sich ein deutscher, japanischer oder amerikanischer Staat leistet. Die Staaten unterscheiden sich also nicht an der Höhe der Schulden, sondern daran, ob die Geldkapitalisten sie ihnen abnehmen; ob sie darauf setzen, dass der Staat seine Schulden bedienen kann, sie sicher sind, sich verlässlich verzinsen, ob sie also den Staat insgesamt als kreditwürdig beurteilen. Wenn sie davon nicht mehr ausgehen, dann heißt das, der Staat lohnt sich nicht mehr ausreichend verlässlich für das Finanzkapital.

 

An diesem Urteil des Finanzkapitals entscheidet sich dann, ob der Staat über die nötigen Mittel für alles verfügt, was er für nötig hält. Er lebt also davon, dass ihm seine Kreditwürdigkeit abgenommen wird.

 

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Der Staat borgt sich Geld und verspricht, dass diesen Betrag samt Zins zurückzuzahlen. Er selbst ist aber gar kein Kapitalist. Aus seinen Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Schulen, Pensionen, Militär usw. fließt kein Gelrd zurück. Allgemein gesprochen, sind seine Ausgaben nicht auf erhöhte Einnahmen berechnet, die es ihm erlauben würden, seinen eingegangenen Verpflichtungen nachkommen könnte. Staatsausgaben sind nicht auf vermehrten Rückfluss berechnent, sie sind keine Kapitalinvestitionen.

 

Worauf gründet sich seine Kreditwürdigkeit dann? Er gibt der Finanzwelt Anweisungen auf seine Macht hin, in seiner Gesellschaft über ausreichend Reichtum zu kommandieren,in anderen Worten also das materielle Versprechen, dass er diese Schulden immer bedienen kann, weil hinter seinen Schulden ausreichend nationales Geschäft steht, dass in dem Geld, das er in seinem Land verbindlich macht, immerzu erfolgreich und ausreichend Wirtschaftswachstum produziert wird und entsprechend Staatseinnahmen fließen.

 

Das ist die ökonomische und gewaltmäßige Grundlage, die Garantie auf die hin der Staat beim Finanzkapital ziemlich ausufernd kreditwürdig, also verschuldungsfähig ist.

 

Dabei ist diese Sicherheit ausreichender Geschäfte gar nicht auf das an Geschäft bezogen, das schon stattgefunden hat, sondern mit seinen Schulden, mit seinen Verzinsungsversprechen gibt er einen Wechsel auf die Zukunft, auf seine Macht auf künftiges nationales Geldwachstum zugreifen zu können.

 

Der Staat lebt mit seinem Haushalt letztendlich von dem Versprechen, und zwar von dem mit seinen Schulden verbindlich gemachten Versprechen gegenüber der einschlägigen Finanzwelt, dass er mit seiner Macht dafür sorgen kann und sorgen wird, dass seine Gesellschaft jede Spekulation der Finanzwelt auf künftiges Wachstum und wachsende Staatseinnahmen rechtfertigt.

 

Mit seiner von der Bankenwelt kreditierten Hoheit nötigt er sich selbst dazu – er nötigt sich dabei zu nichts, was er nicht will - , seine ganze Gesellschaft erfolgreich als Geldvermehrungsmaschinerie herzurichten, indem er das Land entsprechend regiert und verwaltet, d.h. mit seinen Mitteln die Bedingungen dafür stiftet, dass seine Unternehmen dann auch ausreichend erfolgreich den Geldreichtum produzieren, auf den der Staat selbst und die Finanzwelt, die ihn kreditieren, längst spekuliert haben. Das ist es, was den Staat kreditwürdig macht.

 

Diesem und keinem anderen Zweck dienen dann aber auch all seine Maßnahmen, vom Straßenbau über Schulen, Wirtschaft- und Beschäftigungsförderung, sozialstaatliche Regelungen bis zum Militär, mit dem er sich bei anderen Staaten Respekt verschafft. Alles ist auf den Zweck bezogen, dieses Versprechen auf die geschäftliche Zukunft seines Standortes, auf die hin er sich finanziert, mit seiner ganzen Macht einzulösen.

 

Der Staat begnügt sich also bei seiner Finanzierung nicht mit seinen Steuereinnahmen und er begnügt sich auch nicht bloß mit dem aktuellen Wachstum, das gerade in seinem Land zustande kommt. Mit seinem Haushalt und dieser Art seiner Haushaltsfinanzierung, etabliert er von sich aus seiner Ökonomie gegenüber den Sachzwang, dass immer mehr Wachstum zustande kommt.

 

Das ist nicht mit einer Finanznot zu verwechseln, weil er zu wenig Steuern einnimmt oder weil er sich Schulden für die Falschen leistet – wie die Protestbewegungen glauben machen wollen. Da ist der Staat zu nichts genötigt und da nötigt sich der Staat zu nichts, was er nicht will. Das ist vielmehr die haushaltsmäßige Konsequenz davon, dass er selber seine ganze Gesellschaft als nationale Reichtumsquelle will, eingerichtet hat und ihren Gesetzmäßigkeiten entsprechend fördert.

 



[i]Exkurs zur Einkommensverteilung: Anders als beim Verteilungsgedanken unterstellt, führt Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht das gemeinsame Interesse an einem gemeinsamen Resultat zueinander, in das sie sich nach getaner Arbeit teilen. Es ist vielmehr so, dass die Arbeitgeber Geld ausgeben, dafür Arbeitsvermögen - die Fähigkeit der Arbeitnehmer, mehr Reichtum herzustellen, als ihr eigenes Arbeitsvermögen kostet -, kaufen, dieses Arbeitsvermögen in ihrem Betrieben anwenden und schließlich das Arbeitsresultat verkaufen, das ihnen – als Besitzern aller Produktionsfaktoren inklusive des eingekauften Arbeitsvermögens gehört. Ihr einziger damit verfolgter Zweck ist es, den in Geld gemessene Reichtum ihres Unternehmens durch diese Operationen zu vergrößern. Maß ihres Erfolgs ist die Größe des über den getätigten Vorschuss erzielten Überschusses.

 

Qua staatlich verbindlich gemachtem Privateigentums sind die Arbeitnehmer von allen anderen Möglichkeiten, sich ein Auskommen zu verschaffen getrennt und damit abhängig davon, einen Arbeitgeber zu finden, der ihnen das Angebot macht, sie in seinem Betrieb gegen Zahlung eines Lohns zu beschäftigen. Dieses Angebot macht er seinem Zweck gemäß freilich nur, wenn sich der Kauf für ihn lohnt.

 

Die beschäftigten Arbeitnehmer werden für den Dienst bezahlt, ihren Anwender reicher zu machen, ein Dienst der umso besser gelingt, je weniger sie selbst verdienen, je geringer ihr Lohn oder in anderen Worten ihr Anteil am von ihnen produzierten Reichtum ist.

 

Wer wieviel verdient hat daher mit einer Verteilung der Einkommen nichs zu tun. Der Kapitalismus schafft und braucht dauerhaft Arme, die auch morgen wieder antreten.

 

Sowas braucht eine gewaltmäßige, staatliche Grundlage. Da soll man sich dann vorstellen, ausgerechnet der Staat wäre die Instanz der Kompensation?