GEGENARGUMENTE

 

Offener Brief an den Vorsitzenden der Armutskonferenz Martin Schenk!

 

In einer der letzten Nummern des Augustin konnte man in Deiner regelmäßigen Kolumne „eingSCHENKt“ unter dem Titel „Finanzmärkte: Business as usual“ folgendes lesen:

 

Das Bankenpaket war superschnell auf Schiene. Die Konjunkturpakete kamen so recht und schlecht auf den Weg. Die Sparpakete sind im Anrollen. Das Finanzpaket hingegen ist nicht sichtbar. Es fehlt der entscheidende Schritt, der die Ursachen der Krise bekämpft: die Kontrolle der Finanzmärkte. Das Ende der Krise ist nicht mit dem Steigen der Aktienkurse anzusetzen, sondern mit dem Sinken von Arbeitslosigkeit und sozialer Ungleichheit. Die Krise ist dann vorbei, wenn die Armut sinkt.

 

Es ist für niemanden einsichtig, warum zur Stabilisierung des sozialen Ausgleichs nicht dasselbe Engagement an den Tag gelegt wird, wie zur Stabilisierung der Finanzmärkte. Aktuell erleben wir kein „Kriserl“, keine vorübergehende Verstimmung, sondern einen ordentlichen Herzinfarkt. Ein Systembeben. Das ist eine historische Chance für eine neue Finanzarchitektur. Nur wo ist sie? Statt eines Finanzpaketes werden jetzt von denselben Akteuren von vor der Krise Sparpakete vorbereitet. Die derzeitigen Vorschläge bekämpfen nicht alle Krisenursachen: wie Deregulierung der Finanzmärkte, Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen Staaten und die Schere zwischen Arm und Reich.

 

Unser Vorschlag, wie wäre es, statt sich darüber zu wundern, warum Bankenpaket und Konjunkturprogramme sofort auf Schiene waren, bei der „Stabilisierung des sozialen Ausgleichs“ aber nichts weiter gehen will, einen Schluss auf Zwecke und Absichten der Politik zu ziehen. Auch wenn Du es nicht und nicht wahrhaben willst, Armut und Arbeitslosigkeit sind alles Mögliche, einem Irrtum oder Versäumnis der Politik sind sie nicht geschuldet. Schon gar nicht stellen Armut und Arbeitslosigkeit – wie Du glauben machen möchtest - eine Krise dar.

 

Armut – sprich Ausbeutung der abhängig Beschäftigten, die in Konkurrenz zueinander immer mehr Arbeit für immer geringeren Anteil am erwirtschafteten Reichtum abzuliefern haben, Arbeitslose usw. – gibt es nämlich nicht erst seit 2008, die gab es in ausreichender Zahl auch schon in Zeiten, in denen die Geschäftsleute und Politiker dieser Welt mit sich und den Erfolgen ihres Systems noch hochzufrieden waren. Keine dieser Figuren kam jemals auf die Idee, in der Existenz von Arbeitslosigkeit und Armut Symptome einer Systemkrise zu entdecken. Kurz: Der globale Kapitalismus produziert zwar laufend haufenweise „Dauerkrisen“ für die betroffene Menschheit – die Krise, welche die Herrschenden dieser Welt 2008 ausgerufen haben und an der sie bis jetzt so bitter leiden, ist damit aber nicht zu verwechseln. Was für die Herrschenden wirklich eine Krise ist, daraus könnte man viel lernen über die in unserem herrlichen System – jenseits der Ideologie – gültigen Erfolgskriterien!

 

Krise herrscht dann, wenn die Finanzspekulationen der Banken und Börsen misslingen. Dann steckt auch der Rest der Wirtschaft, der den Kredit der Banken für das eigene Geschäft braucht, in der Krise. Damit stockt ganz allgemein die Geschäftemacherei, weil der ökonomische Zweck nicht mehr aufgeht, für den überhaupt nur produziert und gearbeitet wird: Aus Geld mehr Geld zu machen. Dann liegt der ganze Laden lahm! Die Kapitalisten – und an vorderster Front die Vertreter des Finanzkapitals - exekutieren die schlichte ökonomische Wahrheit: Die Welt ist nur so viel wert, wie sie zu ihrer Bereicherung taugt. Aller materielle Reichtum wird einzig produziert, das ökonomische Leben von Gesellschaften nur insoweit aufrecht erhalten, wie Gewinne zustande kommen und Zinsen bezahlt werden können.

 

Dafür zu sorgen, dass kein Stück möglicher Ausbeutung mangels finanzieller Mittel unterbleibt, ist die Leistung des Finanzkapitals, für die die Staaten es mit allen für sein Geschäft mit Geld und Kredit nötigen Freiheiten ausstatten. Zugleich haben die Staaten mit dieser Einrichtung der Finanzmärkte auch sich selbst die Freiheit eröffnet, sich in der Herrichtung des eigenen Standorts und für die Durchführung der eigenen ehrgeizigen Vorhaben nicht auf die Steuermittel beschränken zu müssen, die die heimische Ökonomie aktuell abwirft.

 

Wenn das Geschäft des Finanzsektors, wie 2008, zusammenzubrechen droht, dann sieht sich die Politik daher anders als bei der Armutsbekämpfung wirklich gefordert. Da werden von einem Tag auf den anderen Tag 100 Milliarden Euro locker gemacht, um Banken zu retten, faule Kredite aufzukaufen, Geld für die Rettungsschirme des Euro zur Verfügung zu stellen und Konjunkturprogramme aufzulegen, um der unter den Wirkungen der Finanzkrise notleidenden Industrie unter die Arme zu greifen. Nichts war da wie noch kurz zuvor zu hören von klammen Staatskassen und fehlenden finanziellen Mitteln. Weil es darum geht, die Herrschaft des Geldes über das ökonomische Leben der Gesellschaft aufrecht zu erhalten, steht für die Regierungen fest, ihre Rettungsaktionen sind alternativlos. „Diese Maßnahmen waren absolut richtig“ verkündete erst kürzlich die Finanzministerin in ihrer Budgetrede.

 

Genauso fraglos steht für die Frau Ministerin fest, was zu tun ist, wenn wegen dieser im Zuge der Bankenrettung eingegangen Belastung der Staatsfinanzen das Finanzkapital zum Schluss zu kommen droht, österreichische Schulden nicht mehr zu den Besten zu zählen. Dann muss eine Schuldenbremse her und zwar im Verfassungsrang, um die Finanzakteure von der Solidität österreichischer Bemühungen, alles aber auch wirklich alles fürs Vertrauen der Finanzwelt Nötige zu tun, zu überzeugen. Alles was umgekehrt dem Wachstum abträglich wäre, ist kontraproduktiv und unterbleibt: „Wir brauchen einen wettbewerbsfähigen und lebenswerten Wirtschafts-, Wachstums- und Arbeitsstandort Österreich“ betonte Finanzministerin Fekter in ihrer heurigen Budgetrede wieder einmal. Wie ist dann der Beweis der Vertrauenswürdigkeit Österreichs zu schaffen? „Wir müssen sparen“ und zwar dort, wo zwar die Menschen in diesem Land nicht aber das Wachstum leidet: bei den Pensionen, am Gesundheitssystem und an den Studenten. Verschwiegen oder verschleiert, wie du meinst, wird da nichts!

 

Von wegen was fehlt, wäre die Regulierung der Finanzmärkte und ausgerechnet die Krise wäre dafür eine „historische Chance“. Der Finanzmarkt ist reguliert, auch wenn Du und mit Dir eine ganze Reihe anderer Kritiker, besessen von der Idee, selbst das Finanzkapital – das Geschäft mit Schulden - könnte nützlich für die Menschheit sein, das nicht und nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Er hat Regeln und zwar die, die er für seinen Erfolg braucht: rechtliche und gewaltmäßige Absicherung eingegangener Schuldverhältnisse, Verpflichtung der Finanzakteure auf Einhaltung eingegangener Zins- und sonstiger Verpflichtungen inklusive. Dass Misserfolge bei Geschäften, deren Inhalt die Spekulation auf zukünftige Erfolge aller gegeneinander konkurrierender Kapitalisten ist, nicht ausbleiben können, liegt eigentlich auf der Hand und lässt sich durch keine noch so schöne und neue „Finanzarchitektur“ vermeiden – sehr zum Leidwesen der Staaten selbst. Dem gewöhnlichen Menschen könnte das völlig egal sein, gehört er doch in guten wie in schlechten Zeiten nicht zu den Nutznießern dieser Geschäfte, sondern steht auf Seite der für diese Erfolge Benutzten. Das solltest Du selber als einer, der sich nicht erst seit gestern dem Kampf gegen die Armut verschrieben hat, doch eigentlich am besten wissen.

 

Wie deutlich muss die Politik eigentlich noch sagen, dass ihr nichts aber auch wirklich nichts über den Erfolg des Kapitals geht und dass sie daher alles zu tun gedenkt, das Vertrauen der Finanzmärkte wieder zu gewinnen, koste es die Menschen in diesem Land, was es wolle, damit Menschen wie Du ihr „business as usual“, dem Kapitalismus seine angeblich besseren Möglichkeiten hinterherzutragen, aufgeben und erkennen, dass Kapitalismus ohne wachsenden Ausschluss der Lohnarbeiter vom vorhandenen und von ihnen produzierten Reichtum nicht zu haben ist.

 

PS.: Sollte Deinerseits Wunsch zu Diskussion auch in öffentlichem Rahmen bestehen, wir stehen bereit!