GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Lehren aus der Krise (2):
Alles in dieser Gesellschaft hängt ab
von der Geldvermehrung im Finanzsektor

Die Finanzkrise ist noch immer nicht bewältigt und frisst sich nun schon seit geraumer Zeit durch die weltweite Geschäftemacherei in allen Branchen. In der öffentlichen Behandlung der Gründe und Folgen gilt die Devise, dass es sich hier um einen Sonderfall, einen sogar ganz unnötigen Unglücksfall im Kapitalismus handele. Als Hauptschuldigen in der jetzigen Krise hat man sich den „Bankster“ ausgeguckt, der aus lauter Gier seine eigene Bank und mit ihr die Wirtschaft zugrunde richtet. In der Übertreibung von Spekulanten beim Hereinwirtschaften von Gewinnen für ihre Arbeitgeber soll der drohende Zusammenbruch der gesamten Geldwirtschaft begründet liegen. Da fragt sich allerdings, was dann der normale Job der vielen Finanzagenten bei den Banken, Börsen, Immobilienfonds usw. ist – arbeiten die nicht alle für die Bereicherung ihrer Auftraggeber? Und gilt da nicht überall die Regel: je mehr, desto besser? Wenn nicht gerade Krise ist, sind die Banker ehrenwerte und hoch bezahlte Leute, aber jetzt plötzlich kommen sie in Verruf, als wären sie eine kriminelle Vereinigung. Verantwortungsvoll betrieben soll es sich bei der Kreditwirtschaft und Spekulation mit allem und jedem um ein grundsolides und hochanständiges Geschäft handeln. Und das soll durch zu große „Gier“ seiner Betreiber die ganze Welt des an und für sich wunderbar funktionierenden Kapitalismus durcheinander bringen? Bevor man sich diese Schuldzuweisungen einleuchten lässt, schaut man sich besser mal das grundsolide Geschäftsprinzip dieser „Herren des Geldes“ an. Vielleicht liegt der Grund für die Finanzkrise und ihre schädlichen Folgen doch eher im gelobten Normalfall der kapitalistischen Geldvermehrung als in der kriminellen Energie von „Bankstern“.

1.

Jedem ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Geld „arbeitet“. Nicht nur bei den großen Geldbesitzern, die ihr Geld immer wieder neu und anders investieren, wächst das Geldvermögen; noch der letzte Inhaber eines kleinen Sparkontos freut sich über 2 % Zinsen und findet es ganz normal, dass sein Geld einfach so, aus sich heraus, mehr wird. Ein tolles Ding also, dieses Geld: Man darf es nur nicht unter seinem Kopfkissen liegen lassen oder es einfach für Essen und Möbel ausgeben, sondern muss es in den Finanzmarkt bringen. Zum Reichwerden braucht man dann nur eines, nämlich Geld, davon allerdings so viel wie möglich!

In der Vorkrisenzeit hat der Finanzmarkt sein Versprechen der Geldvermehrung wunderbar erfüllt. Viele haben sich erfolgreich bereichert, mit satten Renditen. Alle haben auf Wachstum gesetzt, haben ihr Geld immer wieder neu investiert, und jeder, der geldmäßig was zu sagen hat, hat sich daran beteiligt. So haben sie eine Aufwärtsspirale in Gang gesetzt, in der jeder Einzelne auf seinen Erfolg vertraut, weil ja die anderen auch Erfolg hatten. Solange das funktioniert, fällt die öffentliche Begutachtung positiv aus, und das Spekulieren wird für so wichtig gehalten, dass auch finanziell ganz unbedarfte Fernsehzuschauer am laufenden Band die Zuwachsraten oder Wertverluste an der Börse mitgeteilt bekommen. Klar, dass dann auch brave Landesbanken mitspekulieren; und solange die Aufwärtsspirale funktioniert, kreieren die Banken und ähnlich Institute immer neue „Finanzprodukte“, die sie sich zu einem Gutteil wechselseitig in ihrem so genannten „Einzelhandel“ verkaufen.

2.

Der Handel mit solchen spekulativen Papieren ist 2008 plötzlich eingebrochen. Da war die Rede von windigen Wertpapiergeschäften, nicht nur hier und da, sondern flächendeckend auf dem internationalen Finanzmarkt. Es stellte sich heraus, dass viele von den tollen Wertpapieren, die die Banken, Versicherungen, Investment-Fonds usw. sich gegenseitig haufenweise verkauft hatten, auf einmal kein Geldkapital mehr waren; und zwar einfach dadurch, dass sie von heute auf morgen keine Abnehmer mehr fanden, also nicht mehr handelbar waren. Die Wertverluste treffen dann nicht nur die Papiere, die gerade im Angebot sind. Auch die riesigen Massen der bereits erworbenen und in den Depots und Tresoren lagernden Papiere werden ganz oder teilweise entwertet. Es kommt also eine Abwärtsspirale in Gang, die die Wachstumsraten der Vorkrisenzeit mit umgekehrtem Vorzeichen versieht.

Im Nachhinein finden sich wie in jeder Krise ein paar Besserwisser, die es vorher schon geahnt haben wollen: Von „gigantischen Fehlspekulationen“, von einer „Blase“ ist da die Rede, von unsoliden, allzu riskanten Geschäften. Auch der Vorwurf, hier würde ein Schneeballsystem praktiziert, bei dem nie eine Vermehrung herauskommen könnte, war zu hören. Solche Vorwürfe gehen an der Sache vorbei und sind eine einzige Verharmlosung dieser Geldwirtschaft.

Erster Punkt: Der Vorwurf der Überspekulation. Da ist es als ganz normal unterstellt, dass auf dem Finanzmarkt sowieso jedes Geschäft spekulativ ist. Bloß, was heißt das eigentlich? Da wird Geld für ein Wertpapier, eine Aktie oder einen Kredit hergegeben gegen das Versprechen künftiger Rückzahlung mit Zinsen. Den anvisierten Rückfluss verbucht die Finanzwelt, längst bevor er stattgefunden hat, sofort als Kapital, als Vergrößerung ihres Vermögens. Sie tut so, als könnte nichts schiefgehen und behandelt den Rückfluss mit Zins einfach als Tatsache, als Selbstverständlichkeit – was sich ja auch bewahrheitet, weil und solange die Aufwärtsspirale sich dreht. Das freut den Geldbesitzer, der ein Wertpapier kauft. Er ist zwar sein Geld los, aber er kann sein Vermögen trotzdem entsprechend hochrechnen, der erwartete Zuwachs ist gleich mit drin. Wenn also überall der Erfolg der Spekulation gleich vorweggenommen wird – welche Spekulation ist dann vernünftig und welche übertreibt es? Solange die Aufwärtsspirale läuft, haben sie es alle richtig gemacht. Keiner von den schlaumeierischen Journalisten hätte vorher sagen können, wo das „Über“ anfängt.

Zweiter Punkt: Was heißt hier „zu riskant“? Jedem Finanzagenten ist das generelle Risiko bekannt, das in einem spekulativen Geschäft steckt: Der Geschäftspartner kann aus irgendeinem Grund nicht in der Lage sein, die geliehene Geldsumme mit Zins zurückzuzahlen. In dem Fall hilft es auch nichts, dass er rechtlich zur Rückzahlung verpflichtet ist. Aber das darf auf keinen Fall ein Argument gegen Finanzgeschäfte werden. Die Finanzwelt hat Mittel und Wege gefunden, die Unsicherheit ihrer Geschäfte in die Preisgestaltung der Wertpapiere einfließen zu lassen. Auch riskantere Papiere dürfen und sollen auf den Markt, sie müssen nur extra hohe Zinsen anbieten. Die immanente Unsicherheit ihres Geschäfts verwandeln sie also in eine reine Preisfrage. Alle Banken, Hedge-Fonds usw. wollten immer welche von diesen Hochzins-Papieren in ihrer Sammlung haben, je höher, desto besser. Welches Risiko zu hoch ist, stellt sich nun einmal erst hinterher heraus.

Dritter Punkt: Woran erkennt man eigentlich eine „Blase“? Auch bloß daran, dass sie schon „geplatzt“ ist! Die Besserwisser sollen nicht so tun, als gäbe es grundsolide und unbezweifelbare Geschäfte im Finanzsektor, die sauber zu trennen wären von denen ohne Basis und Erfolgsaussichten. Wenn die Geschäfte gut laufen, liegt das nicht daran, dass sie solide wären, also auf sichere Einnahmen gegründet. Die Finanzsubjekte bieten sich gegenseitig Geschäfte auf allen Risikostufen an und finden, ein hoher Zins sei eine gute Belohnung für ein hohes Risiko. Das einzige, was für das Zustandekommen eines Geschäfts wirklich nötig ist, ist das Vertrauen in den Geschäftspartner, dass er die versprochenen Zahlungen schon leisten wird. Und dieses Vertrauen ist offenbar so lange da, wie die Masse der Geschäfte gut läuft und die Aufwärtsspirale in Gang ist. Umgekehrt, umgekehrt.

4.

Eben dieses Vertrauen haben sich die Betreiber dieser famosen Geldvermehrung zu Beginn der großen Finanzkrise wechselseitig entzogen. Damit waren große Teile gelaufener Geschäfte und darauf lautender Papiere ebenso „vergiftet“ wie geplante neue – und das gleich weltweit und in allen Branchen. Das Vermögen der großen Geldhäuser, das überwiegend aus derartigen Papieren bestand, deren Wert auf dem wechselseitigen Vertrauen beruhte, zerrann daher mit dem aufkommenden Misstrauen in nichts. Der Verlauf der Krise zeigt: Auf so gut wie dem ganzen Globus hängt alles davon ab, ob und wie die Geldvermehrung auf dem Finanzmarkt klappt. Die „Logik“ der gesamten Marktwirtschaft ist damit auf den Punkt gebracht. Eine Wirtschaft im Aufschwung, lohnende Geschäfte und Exportweltmeister – das alles geht nur so lange, wie die Banker und Finanzagenten dies als Basis ihrer eigenen Geldvermehrungsmaschinerie benutzen können. So lange ist die Macht des Geldes, sich selbst zu vermehren, der Motor für ein gigantisches globales Bereicherungswesen, das in sich überhaupt keine Schranken kennt. Aber wehe, wenn die Geschäfte der Finanzer nicht mehr reibungslos klappen! Dann stellt sich heraus: Ohne die Macht des Geldes, sich in den Händen von kundigen Finanzjongleuren selbst zu vermehren, ist das Geld einfach weg. Geld existiert also nur dafür und dadurch, dass es mehr wird.

Diesen Irrsinn in alter Frische, ohne Gier und mit ganz viel Verantwortung wieder aufleben zu lassen – das soll man sich wünschen?