GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Die Hetze der Bild-Zeitung gegen “die Griechen”

Seit 2 Monaten hetzt die Bild-Zeitung gegen Griechen und Griechenland. In verschiedenen Variationen immer dieselbe Botschaft: “Die Griechen machen unseren Euro kaputt!” Was die falsch machen, erkennt man daran, was wir richtig machen:

“Hier arbeiten die Menschen bis sie 67 Jahre alt sind ... Deutschland hat zwar auch hohe Schulden – aber die können wir auch begleichen. Weil wir morgens ziemlich früh aufstehen und den ganzen Tag arbeiten. Weil wir von unserem Gehalt immer auch einen Teil für schlechte Zeiten sparen. Weil wir fitte Firmen haben, deren Produkte rund um den Globus gefragt sind.” (10.3.10)

Die Deutschen leben also, um tagein tagaus von früh bis spät zu arbeiten, bis sie alt sind. Das tun sie für ihren Staat, damit sich der neue Schulden leisten kann. Deutsche sind fleißig und zu Opfern bereit. Warum also ist der Euro “unser Euro”? Nicht weil wir ihn haben, sondern weil wir ihn möglichst wenig beanspruchen. Wir sagen zwar “unser Euro”, aber das “unser” besteht darin, dass wir uns ihm, d.h. seiner Vermehrung unterwerfen und nicht ihr im Wege stehen. Damit sorgen wir auch dafür, dass wir fitte Firmen haben. Für die arbeiten wir tagein tagaus von früh bis spät, schonen ihren Personalkostenetat, und wenn sie uns nicht mehr brauchen können, murren wir, mehr aber auch nicht - sonst wären sie ja nicht fit.

Dass wir so sind, haben auch die im Ausland gemerkt, bloß finden die das nicht so toll wie wir. “Man rümpft in Frankreich schon länger die Nase über die Lohnzurückhaltung der deutschen Gewerkschaften und die dadurch entstandene Senkung der Lohnstückkosten in Deutschland, zumal sie den französischen Export empfindlich stören.” (FAZ, 16.3.10) Und die französische Finanzministerin Lagarde beschwert sich: “Deutschland hat seine Lohnstückkosten und seine Arbeitskosten insgesamt seit gut zehn Jahren im Vergleich zu seinen Partnern gesenkt und sich dadurch auf den Exportmärkten Wettbewerbsvorteile verschafft.” (SZ, 15.3.10)

Aus berufenem Munde erfährt die deutsche Arbeiterklasse also, was mit ihr angestellt wird bzw. was sie mit sich anstellen lässt. Hier spricht eine Politikerin über die Konkurrenz der Staaten: Deutschland verschafft sich Wettbewerbsvorteile auf den Exportmärkten, und das passt der Ministerin nicht, denn das ist zum Nachteil Frankreichs – und ein bedeutendes Mittel in dieser Konkurrenz, wenn nicht das wichtigste, ist die Kostengünstigkeit und Dienstbarkeit des für diese Konkurrenz zu benutzenden Volkes. Sie sagt: “Deutschland hat seine Lohnstückkosten und seine Arbeitskosten insgesamt gesenkt”, nimmt also die Leistungen der Unternehmer beim Lohndrücken unmittelbar als Erfolg der Nation und auch die deutschen Gewerkschaften haben sich mit ihrer “Lohnzurückhaltung” in den Dienst der Nation gestellt.

Diese Äußerungen der Ministerin haben hierzulande für eine gewisse Empörung gesorgt. Nicht deswegen, weil man den Wahrheitsgehalt ihrer Behauptungen bestreiten würde, sondern weil man das als Angriff auf die von Deutschland eroberte Konkurrenzposition und das dafür eingesetzte Mittel verstanden hat. Und dieses Mittel und dessen Einsatz in gewohnter Manier lassen wir uns nicht madig machen, geschweige denn wegnehmen. Exporterfolge auf Kosten anderer Nationen durch Verarmung und Ausbeutung zu erzielen – das soll unfair sein? Dagegen muss sich die deutsche Politik entschieden verwahren:

“Herr Schäuble ... wies die Kritik seiner europäischen Gegenspieler, einschließlich ... der französischen Finanzministerin zurück, dass Deutschlands Exportmodell irgendwie für die Not der schwächeren Länder verantwortlich sei. 'Ich möchte sehr klar, ruhig und besonnen die Kritik in Abrede stellen, dass die, die ziemlich erfolgreich im Wettbewerb sind, für die Probleme anderer verantwortlich zu machen sind.'” (Financial Times, 17.3.10)

Der deutsche Finanzminister steht ausdrücklich zum deutschen Erfolgsmittel im “Wettbewerb” um nationale Aneignung von Reichtum. Er stellt klar: Wer bei der Volksverarmung schwächelt, trägt selbst die Verantwortung für ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolg! Und Kanzlerin Angela Merkel pflichtet ihm bei:

“'Dort, wo wir stark sind, werden wir unsere Stärken nicht aufgeben', sagte sie im Bundestag … Es ist falsch, sich nach demjenigen zu richten, der am langsamsten ist.” (Spiegel Online, 22.3.10)

Wenn ein Politiker zum anderen sagt: “Du hast es eben nicht geschafft, dein Volk so herzunehmen wie ich”, dann redet er nicht über die Faulheit anderer Völker und er beschwert sich nicht ausgerechnet über die. Es ist zwar jetzt große Mode – um wieder auf Griechenland zu kommen -, dem griechischen Staat Versagen in Form zu großer Rücksichtnahme auf sein Volk vorzuwerfen, aber sollen sich deutsche Politiker wirklich gewünscht haben, dass Griechenland sich toll aufbaut und Deutschland die Konkurrenzniederlagen zufügt? In Wahrheit ist es doch so – wie in einer früheren Analyse erläutert -, dass Griechenland in der innereuropäischen Konkurrenz immer weiter zurückgefallen ist, was darum und nur darum ein Problem ist, weil das griechische Geld eben auch der Euro ist. Wenn nun die Finanzmärkte griechische Staatspapiere immer mehr in Zweifel ziehen, dann ist das eine Krise des Euro – Deutschland sähe es zu gern, wenn man diese Krise lokalisieren, also ganz auf Griechenland begrenzen könnte, aber bei einer Gemeinschaftswährung ist das kaum möglich, wenn überhaupt. Das sind die Sorgen deutscher Politiker: Die konkurrenzlerische Überlegenheit Deutschlands wird den Finanzmärkten sicherlich gefallen, wenn sie aber die konkurrenzlerische Unterlegenheit Griechenlands – dann Portugals, Spaniens etc. – zum Gegenstand ihrer Spekulation machen, dann kratzt das eben auch die Gemeinschaftswährung an und Deutschland wird in Mitleidenschaft gezogen. Mit dieser Lage gehen die deutschen Politiker so um, dass sie einerseits ein „Rettungspaket schnüren“, das den Staatsbankrott Griechenlands und seine Wirkungen auf den Euro verhindern soll, das sie andererseits an die Bedingung knüpfen, dass der griechische Staat, der seinem Bürgern bisher unverantwortlicherweise erlaubt hat , „über ihre Verhältnisse zu leben“, endlich „seine Hausaufgaben macht“, nämlich durch ein rigoroses Sparprogramm die Solidität seiner Verschuldung wiederherstellt.

Das ist das Stichwort für die Bild-Zeitung. Sie verdolmetscht ihren braven deutschen Lesern das Konkurrenzverhältnis zwischen den europäischen Staaten und dessen Wirkungen auf den gemeinsamen Euro nun so, dass sie Völker gegeneinander antreten lässt – sie tut so, als wären die die Macher in dieser Konkurrenz. Sie tut so, als hätten es die Völker in der Hand, was aus “unserem Euro” wird, und da fällt BILD bezeichnenderweise als das Mittel, den Euro zu stärken, genau das ein, was die Politiker sich zuvor gegenseitig als “Senkung der Lohnstückkosten” und “Lohnzurückhaltung” vor die Nase gehalten haben – nun aber als die Tugend des Verzichts und der Leistungsbereitschaft. Es ist so, als wollte die Bild-Zeitung der Frage, die man ja auch mal stellen kann: nämlich was man von diesen schönen Tugenden eigentlich hat, zuvorkommen will durch die Beteuerung: Genau dieser selbstlose Dienst ist unser innerstes Bedürfnis und das lassen wir uns nicht nehmen! So wird aus der Tatsache, dass deutsche Beschäftigte sich für die Zwecke der Wirtschaft und der Nation hernehmen lassen müssen, eine einzige Botschaft an die Herrschaft: Macht mit uns, was ihr für nötig haltet. Umgekehrt ausgedrückt als Vorwurf an die Griechen: Ihr habt euch nicht so hernehmen lassen wie wir, und das hat uns geschadet. Mit ihrer Hetze auf “die Griechen” fährt die Bild-Zeitung einen Ertrag ein, der dümmer und herrschaftsdienlicher kaum sein kann: Indem sie fast jeden Tag die faulen Griechen zum Abschuss freigibt, schürt sie umgekehrt den Stolz der fleißigen Deutschen. Wofür sich das Arbeitsvolk hergibt, darf es gedanklich als Sieg einstreichen; dafür erhält es Glückwünsche. Man fragt sich: Was hat man eigentlich von diesem Stolz und worin besteht der Sieg? Die Antwort: Man darf andere Völker verachten. Ohne Verachtung kein Stolz und umgekehrt.