Herrn Thilo Sarrazins herrschafftliche Durchmusterung des Volkskörpers auf
seine Nützlichkeit für Staat und Kapital mit dem Befund „bedingt
tauglich!“ – Wo ist da der „Skandal“?
Während sich die Schweizer Stimmbürger herbe Kritik aus den
demokratischen Redaktionsstuben hierzulande einfingen durch ihren
Baustopp für moslemische Kirchtürme, hat Thilo Sarrazin, Ex-Senator von
Berlin und immer noch Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, hat
mit einem ausführlichen Interview zwar für einigen Wirbel gesorgt, aber
vorwiegend großes Verständnis für seine „zugespitzten“ Formulierungen
angetroffen. Herr Sarrazin hat nämlich Sorgen mit dem, was er
Deutschlands “kleines Volk” nennt. Denkt er an Berlin in der Nacht, ist
der Mann gewissermaßen um den Schlaf gebracht. In der Gazette “Lettre
International“ vom Oktober 2009 gibt er zu Protokoll:
“Bei uns gibt es eine breite
Unterschicht, die nicht in Arbeitsprozesse integriert ist. Doch das
Berliner Unterschichtproblem reicht weit darüber hinaus … Wir haben in
Berlin vierzig Prozent Unterschichtgeburten, und die füllen die Schulen
und die Klassen … Berlin hat einen Teil von Menschen, etwa zwanzig
Prozent der Bevölkerung, die nicht ökonomisch gebraucht werden ... Eine
große Zahl an Arabern und Türken hat keine produktive Funktion, außer
für den Obst- und Gemüsehandel... Das gilt auch für einen Teil der
deutschen Unterschicht, die einmal in den subventionierten Betrieben
Spulen gedreht oder Zigarettenmaschinen bedient hat. Diese Jobs gibt es
nicht mehr. Berlin hat wirtschaftlich ein Problem mit der Größe der
vorhandenen Bevölkerung.”
Die Aufregung drehte sich eigentlich nur um eine Frage: Ist er nun ein
Rassist, oder was? Dabei ging in der Öffentlichkeit unbemerkt und
unkritisiert durch - wohl weil sie das für normal hält -, von welcher
herrschaftlichen Warte aus dieser Mann argumentiert. Da tritt nämlich
mal ein Politiker an und wirft sich nicht gleich in die Pose eines
Dieners des Volkes, gibt sich nicht den Anschein eines Anwalts der
Unzufriedenheit, dem mitten aus dem Volk Interessen und Wünsche
gemeldet werden und der sich bemüht, denen gerecht zu werden. Hier
äußert ein politischer Macher ziemlich ungeschminkt, dass Berlins
Regierende sich nicht bloß mit den Sorgen ihrer Untertanen zu befassen
haben, sondern vielmehr sie es sind, die massive Probleme mit Teilen
ihres Volks haben. Zu viele Leute - das sind besonders auffällig die
mit „Migrationshintergrund“ - wässern nur herum, ohne dass sie Staat
oder Wirtschaft etwas nützen würden. So das Menschenmaterial des
Staates vom Standpunkt seiner Nützlichkeit sortiert, versagen an die 20
bis 40 Prozent. Sie leisten nicht das, was sich die Regierenden von
ihnen erwarten: Sie haben sich gefälligst für die Wohlfahrt Berlins,
dann Deutschlands überhaupt, nützlich zu machen, wobei nicht einmal
extra betont werden muss, dass damit für ihre Wohlfahrt nichts
versprochen wird. Dieses „Bevölkerungssegment“ ist oft arbeitslos, arm,
wirtschaftlich primitiv oder erfolglos, ungebildet – in der Summe
jedenfalls für eine Führung, die einen erfolgreichen
Wirtschaftsstandort regieren will, eine Zumutung! Wie soll man,
bitteschön, mit einem solchen Volk Staat machen?, fragt sich und vor
allem uns der Herrenmensch Sarrazin.
So ein elender Zustand für eine demokratische Herrschaft, mit einem in
relevanten Minderheiten untauglichen Volk regieren zu müssen, verlangt
nach schonungsloser Erklärung. Sarrazin will ausdrücklich “gegen viele
Mauern der politischen Korrektheit” verstoßen. Die nicht bloß von ihm
entdeckten Missstände will er endlich und schonungslos beim Namen
nennen, und da stößt Sarrazin bei seinem Volk als Erstes auf dessen
mangelnde Geistesausstattung:
“Unsere Bildungspopulation wird von
Generation zu Generation immer dümmer. Der Anteil der intelligenten
Leistungsträger fällt kontinuierlich ab.”
So denkt ein Vertreter der staatlichen Elite. Von seinem
Anspruchsdenken her dreht er das wirkliche Verhältnis einfach um: Wenn
eine wachsende Zahl von Menschen weder von Staat noch Wirtschaft
gebraucht wird, dann müssen die zu dumm dafür sein! Bei Opel kann man
gerade mal wieder sehen, wie der kapitalistische „Sachzwang“ aussieht,
der Unternehmer veranlasst, “Arbeitsplätze abbauen”. Wegen ihrer
Konkurrenz mit anderen Autobauern sparen die Manager bezahlte Arbeit
ein und wollen aus der verbliebenen mehr herausholen. 4000 Leute, die
bis gerade eben noch keineswegs ‚zu dumm‘ waren, fliegen raus, und sie
sind ein weiterer lebender Beweis dafür, dass das “kleine Volk” eben
nur Manövriermasse und abhängige Variable kapitalistischer
Profitrechnungen ist. Privileg und Selbstverständnis der politischen
Elite ist es aber, an ihrer Schuldzuweisung unerschütterlich
festzuhalten: Wer in dieser Gesellschaft nichts wird, ist selber
schuld! Für Sarrazin ist klar, dass er und seinesgleichen schon im
eigenen Interesse das Nötige für eine erfolgreiche Benützung des Volkes
tun, und wenn diese Benützung nicht passiert, muss es am
Menschenmaterial liegen. Sie, die Menschen, werden immer untauglicher
für ihre Benützung. Sie müssen in doppelter Hinsicht eine Art Defekt
haben: Ihnen fehlt die nötige Intelligenz dafür, die Fähigkeit, und
ihnen fehlt nicht selten auch der nötige Wille, die Dienstbereitschaft,
um von Staat und Wirtschaft hergenommen werden zu können. Sarrazin
versetzt sich in die Rolle des politischen Verwalters zweier nationaler
Leistungsquellen, nämlich der Intelligenz und der
Integrationsbereitschaft, und er macht sich daran, den Berliner
Volkskörper nach tauglichen und untauglichen Volksgruppen, nach
Nützlingen und Schädlingen durchzumustern. Und das – den Vorwurf
“Rassist” will er damit auch widerlegt wissen – tut er ganz
vorurteilslos. Er hat nichts gegen Ausländer - es müssen nur die
richtigen sein! Für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands eben.
Sarrazin greift sich als Beurteilungskriterien den schulischen und
akademischen Erfolg und den Integrationswillen heraus. Da schneiden die
Vietnamesen, verschiedene Osteuropäer und die Russlanddeutschen ganz
gut ab, auch wenn es mal zwei oder drei Generationen dauert.
Jugoslawen, Türken und Arabern gehören hingegen in die Kategorie
Parasiten der Berliner Gesellschaft‘:
“Auch in der dritten Generation haben
sehr viele keine vernünftigen Deutschkenntnisse, viele gar keinen
Schulabschluss ... Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt,
diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig
sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für
70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in
Berlin.”
So geht politische Selektion von oben, mitten in der deutschen
Zivilgesellschaft: Bevölkerungspolitiker interessiert alles –
Schulabschlussquoten, Gesinnung, die Art zu leben, von deutschen
Gewohnheiten abweichende sittliche Eigenheiten usw. –, für all das sind
sie zuständig. Sie messen damit die Menschen an den Maßstäben, die die
hiesige Herrschaft als verbindlich erklärt hat dafür, wie sie, die
Herrschaft, mit den von ihr Regierten umzugehen gedenkt, was sie denen
abverlangt. Weichen welche davon ab, wird ihnen das als ihr völkischer
Naturdefekt zur Last gelegt. Die eine Abteilung Bevölkerungspolitiker
holt dann das Programm mit dem Titel “Integration” heraus: Auf den –
wenn auch erst noch herzustellenden – Nutzen dieser Volksgruppen wollen
sie nicht verzichten, aber es ist völlig klar, was “Integration”
bedeutet: Die müssen sich anpassen, ihren ‚Naturdefekt‘ überwinden.
Andere Bevölkerungspolitiker, darunter Sarrazin, halten das für
vollkommen verkehrt. Sie wollen mit allen Integrationsmaßnahmen,
genauer: Integrationszwangsmaßnahmen, die irgendwie einen sozialen
Touch haben, gründlich aufräumen. Dazu zählt für Sarrazin auch die
überkommene Sozialpolitik mit Hartz IV. Sie habe nicht nur versagt, sie
sei mit verantwortlich für den unzumutbaren Zustand der Gesellschaft in
Berlin:
“Der Neuköllner Bürgermeister
Buschkowsky erzählt von einer Araberfrau, die ihr sechstes Kind
bekommt, weil sie durch Hartz IV damit Anspruch auf eine größere
Wohnung hat. Von diesen Strukturen müssen wir uns verabschieden ... So
kann man keine nachhaltige Gesellschaft bauen, das geht für ein, zwei,
drei Generationen gut, dann nicht mehr.”
Sechs Kinder von deutschen oder vielleicht auch ausländischen
Eliteeltern, das ginge in Ordnung. Damit ließe sich staatlicherseits
was anfangen. Aber Elendsfiguren Stütze zahlen, damit schadet sich der
Staat selbst. Mit dem Geld nivelliert er das ‚Ranking‘, das Sarrazin
zwischen den Volksgruppen aufgestellt hat: Den Vietnamesen,
Osteuropäern etc. wird damit erschwert, sich gegen die minderwertige
Konkurrenz durchzusetzen, erschwert wird damit aber insbesondere, dass
die “Türken” und “Araber” – wie Sarrazin es vornehm aber
unmissverständlich ausdrückt – sich “auswachsen”. Stattdessen vermehren
sie sich auch noch:
“Die Türken erobern Deutschland
genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch höhere
Geburtenrate. Das würde mir gefallen, wenn es osteuropäische Juden
wären mit einem um 15 Prozent höheren IQ als dem der deutschen
Bevölkerung … Die Araber und Türken haben einen zwei- bis dreimal
höheren Anteil an Geburten, als es ihrem Bevölkerungsanteil
entspricht... Zudem pflegen sie eine Mentalität, die sie als
gesamtstaatliche Mentalität aggressiv und atavistisch macht.”
Sarrazins Äußerungen sind eine gezielte Polemik gegen die aktuelle
Integrationspolitik mit den dazugehörigen Sprachregelungen. Araber und
Türken, die sind so!, und zwar Schädlinge Deutschlands, die drohen
“unseren” Staat zu unterwandern und zu übernehmen, lautet sein Credo.
Wenn einer so daherredet, offenbart sich da nun ein unverbesserlicher
Rassist, der gegen unverbrüchliche demokratische Grundwerte verstößt,
oder denkt hier nur einer – zwar radikal, aber trotzdem – im Rahmen der
demokratischen Ausländerpolitik weiter? Die Reaktion der demokratischen
Öffentlichkeit auf Sarrazins Polemik bietet darauf eine Antwort: Die
herrschaftliche Sichtweise, mit der Sarrazin das Volk mustert, sortiert
und in nützlich und unnütz einteilt, wurde nicht kritisiert. Im
Gegenteil: Dem Mann wurde attestiert, ein real existierendes Problem
„unserer Gesellschaft“ noch dazu „mutig“ angepackt zu haben. „Rassist“
hin oder her, der Standpunkt, Menschen bezüglich ihrer Nützlichkeit für
Staat und Kapital zu sortieren und dabei unwürdigen Individuen das
Existenzrecht hierzulande abzusprechen, das ist offensichtlich
und unverbrüchlich auch ein Grundwert unserer Demokratie.