Die Operation „Gegossenes Blei“ im Gazastreifen
Israels Antwort auf die Gefahr einer Zweistaatenlösung
Ende Dezember
gibt Regierungschef Olmert der israelischen Armee den Befehl, die Operation
„Gegossenes Blei“ zu starten:
„Die Operation wurde nach der Verletzung der
Bedingungen der Waffenpause durch die Hamas und den unaufhörlichen Angriffen
durch die Hamas-Behörde auf israelische Zivilisten im Süden des Landes
gestartet.“ (Kommuniqué des Sicherheitskabinetts, Haaretz, 27.12.)
Schon aus
der für diesen Krieg gewählten Metapher geht hervor, dass er das Schicksal der
Hamas ein für allemal besiegeln soll. Doch Israels Politiker, die so ihr Recht
auf die „Operation“ aus der Verletzung des Waffenstillstands durch die Hamas
ableiten, erklären auch selber in diplomatisch kaum verklausulierter Form, was
sie mit diesem Krieg erreichen wollen:
„Das Wichtigste ist, der Hamas einen
Schlag zu versetzen. Darüber hinaus müssen wir das Problem des Waffenschmuggels
über die ägyptische Grenze in den Griff bekommen ... Dies ist kein Krieg, der
mit einem Friedensabkommen beendet werden kann. Die Hamas erkennt Israel nicht
an, sie ist nicht zu einem Ende des Terrors und der Gewalt bereit. Unser Krieg
gegen die Hamas ist noch lange nicht vorbei, selbst wenn die derzeitige
Militäroperation irgendwann zu Ende geht.“ (Außenministerin Livni, Der Spiegel,
3/09) – „Wir führen einen totalen Krieg (all-out war) gegen die Hamas und
ihresgleichen … Israel befindet sich in einem Krieg bis zum bitteren Ende.“
(Verteidigungsminister Barak, Haaretz, 29.12.) – „Das Ziel ist, die Gleichung zu
verändern, Abschreckung zu schaffen, so dass sie so lange wie möglich mit dem
Schießen aufhören.“ (Generalstabschef Herzog, Haaretz, 1.1.)
Mit ihrem
Dauerbombardement des Gazastreifens bereitet die israelische Luftwaffe eine
14-tägige Bodenoffensive vor, die sie dann mit ihren Einsätzen weiter begleitet.
Alle Waffenstillstands-Appelle der Internationalen Gemeinschaft weist Israel als
„unzulässige Einmischung in seine Sicherheitsbelange“ zurück und beschließt nach
drei Wochen einseitig die Einstellung der Kampfhandlungen, weil es seine Ziele
erreicht habe – nicht ohne sich ausdrücklich vorzubehalten, auf künftige
Angriffe der Hamas mit noch größerer Härte zu reagieren.
I. Die Besprechung in der deutschen
Presse
Während sich die demokratische Öffentlichkeit in Israel
überlegt, ob ‚shock and awe’ richtig angekommen sind, die Abschreckung jetzt
vielleicht endlich mal sitzt – und daher vor allem die Frage aufwirft, ob die
israelische Armee nicht schon wieder zu früh aufgehört hat, nähern sich deutsche
Journalisten dem fernen Krieg mit einer Schilderung des Kriegsablaufs. Die
Bilder von der Verwüstung des Gazastreifens, vom Niedermachen der Hamas und
ihres Anhangs sollen für sich sprechen – eine Auskunft über den Kriegszweck will
man ihnen nicht entnehmen. Die vorgestellte Kriegsbilanz ist eine der
Opferzahlen, die Vorführung der „Kollateralschäden“ eines asymmetrischen Kriegs:
Während auf palästinensischer Seite 1300 Tote, 5000 Verletzte und 20.000
Obdachlose zu verzeichnen sind, beklagt Israel 10 gefallene Soldaten, 3 tote
Zivilisten und eine Reihe verletzter und unter Schock stehender Personen. Die
Präsentation der Disproportionalität der eingesetzten Waffen – so erfährt man,
dass der Hightech-Armee Israels auf der anderen Seite ein Arsenal von selbst
gebastelten bzw. vom Iran durch dunkle Kanäle und ein Tunnelsystem
eingeschleusten, relativ wirkungslosen Kurzstrecken-Raketen gegenübersteht – und
der daraus resultierenden Leichenzahlen ist bei aller Liebe zum Detail
unsachgemäß: eine gekonnte Nicht-Befassung damit, worum es in diesem Krieg geht.
Statt sich zu fragen, warum der Staat Israel es für nötig befindet, so viele
Opfer zu schaffen, steht für die Beobachter fest, dass es so viele nicht hätten
sein müssen. Die Klage über das Leid der Betroffenen ist aber nicht nur eine
Abstraktion vom Zweck der israelischen Kriegshandlungen, sondern will auf eine
Deutung des Kriegs hinaus. Während sonst das Schicksal der Kriegsopfer
Parteilichkeit für deren Sache evozieren soll, sprechen in diesem Fall die 1300
toten Palästinenser nicht gegen den weit überlegenen Gegner, sondern gegen die
Hamas, die das eigene Volk in einen „sinnlosen Krieg“ verstrickt und „feige
Deckung in Wohngebieten“ sucht. Und sie sprechen für Israel, das sich „in
Notwehr“ handelnd „heimtückischer Angriffe auf Zivilisten“ zu erwehren hat und
Verletzungen des eigenen Territoriums unterbinden muss, die sich „kein Staat
dieser Welt bieten lassen“ kann. Statt einer Beurteilung des Kriegs soll sich
das deutsche Publikum gleich die Rechtfertigung zu Gemüte führen, die Israel
selbst zu seiner Aktion mitliefert: Es war Notwehr!
Existenzrecht contra Terrorismus
Mit der
Bundeskanzlerin sind sich die Journalisten einig, dass Israel das Recht hat,
alles zu tun, um seine „Bürger zu schützen“ und sich gegen die „Bedrohung seiner
Existenz“, gegen den „Terror der Hamas“ nämlich, zu wehren. Mag das israelische
Zerstörungswerk dem Publikum in noch so drastischen Bildern präsentiert werden:
wem unsere Sympathie gehört und uneingeschränkte Solidarität gebührt, steht
unerschütterlich fest. Aus den Opfern auf Seiten der Palästinenser folgt keine
Sympathie für deren „Befreiungskampf“, sondern Abscheu über den Zynismus ihrer
Führer, die ihr Volk verheizen und unablässig den Staat Israel provozieren.
Suchen hingegen verängstigte jüdische Bürger vor den Einschlägen der
Kassam-Raketen Schutz in den Bunkern, dann „muss“ die israelische Regierung
„reagieren“ und die „radikalen Palästinenser“ ausschalten. Ganz
selbstverständlich übernehmen die hiesigen Medien den Standpunkt des jüdischen
Staates und haben dabei keinerlei Befürchtung, damit ihrem Ehrenkodex, der
Objektivität der Berichterstattung, zu widersprechen – schließlich haben „wir“
gegenüber Israel eine besondere Verantwortung.
Daher erscheint die
Bombardierung des Gazastreifens durch die israelische Luftwaffe als Wahrnehmung
der Fürsorgepflicht gegenüber den gefährdeten jüdischen Staatsbürgern, während
bei den Gewaltaktionen der Hamas, die die Aufhebung der Blockade und damit das
Überleben der Palästinenser erzwingen sollen, ein klarer Fall von Terror
vorliegt. Am „Schutz der Bürger“ als Rechtfertigung von Israels Vorgehen besteht
auch dann kein Zweifel, wenn in den ersten Kriegstagen wegen des einsetzenden
massiven Raketenbeschusses durch die Hamas mehr zivile Opfer auf israelischer
Seite anfallen als im ganzen Jahr zuvor; und dass israelische Bürger in Uniform
ihr Leben lassen müssen, ist in so einer „Notlage“ überhaupt kein
Gegenargument.
Im Übrigen machen die Zeitungsschreiber sich und ihren
Adressaten nichts vor und hängen den „Schutz der Bürger“ auch wieder
tiefer:
„Was Israel mit seinem Militärschlag im Gazastreifen bezweckt und
erreichen möchte, ist keine gewagte Vermutung. Es verspricht sich Sicherheit vor
einem eskalierenden Raketenbeschuss und vielleicht noch anderes mehr.“ (Neue
Zürcher Zeitung, 10.1.)
Dass für israelische Strategen Sicherheit mehr ist
als die Unterbindung des Raketenbeschusses, ist kein Geheimnis. Realistisch
denkenden Journalisten ist klar, dass Israel sich eine Militäraktion Marke
‚shock and awe’ schon deswegen schuldig ist, weil eine regionale Supermacht
keine feindlichen Drohpotenziale um sich herum dulden kann:
„Abschreckung war
auch das Ziel der israelischen Militäraktion im Gazastreifen. Der
Raketenbeschuss der Hamas-Kämpfer und anderer Terrorgruppen sollte gestoppt
werden; den Palästinensern sollte der Preis, den die Zivilbevölkerung für solche
‚Nadelstiche’ zahlen muss, vor Augen geführt werden. Darüber hinaus zielte die
Abschreckung auch auf die Waffenlieferanten und Konflikttreiber in Teheran und
Damaskus. Israel, so heißt die Botschaft, ist bereit, alle seine militärischen
Fähigkeiten aufzubieten und auch die Missbilligung der weltweiten öffentlichen
Meinung in Kauf zu nehmen, um seine Sicherheit, letztlich seine Existenz, zu
verteidigen.“ (FAZ, 22.1.)
Ein mutiges Völkchen! Traut sich glatt
abzuschrecken! Wenn in der Nachbarschaft kein Gras mehr wächst, Israel alles –
bei Strafe eines neuerlichen militärischen Vorgehens – unter Kontrolle hat und
damit klarstellt, was für eine Macht diese Nation sich anmaßt und ausübt, dann
wird dem Schreiber nicht angst und bange. Schließlich muss „Konflikttreibern“
das Handwerk gelegt werden, die es auf Israels Existenz abgesehen haben. Der
FAZ-Kolumnist will „letztlich“ – für die Existenz Israels ist die
anspruchsvollste Definition von Sicherheit geboten – den Rechtstitel Israels für
alle seine Kriege, „Verteidigung des Existenzrechts des jüdischen Staats“,
genauso extensiv verstanden haben wie dessen Politiker: Durch „Nadelstiche“ in
Form von ohnmächtigen Gewaltaktionen aus den besetzten Gebieten, mit denen die
„militanten Palästinenser“ sich gegen den Terror Israels wehren, sieht sich der
jüdische Staat in seiner Existenz bedroht, weil damit immer noch deren Ansprüche
auf einen eigenen Staat in den Grenzen von 1967 fortleben; sein Existenzrecht
steht auch auf dem Spiel, wenn Syrien als Bedingung für einen Friedensschluss
Anspruch auf Rückgabe des Golan erhebt, und vor allem dann, wenn der Iran ihm
sein Atommachtmonopol in der Region streitig machen will. Sein
Verteidigungsrecht fällt folglich nicht einfach etwas üppiger aus als das seiner
Nachbarn, es schließt das der anderen explizit aus. Mit viel Einfühlungsvermögen
in Israels spezielles Sicherheitsbedürfnis propagiert die deutsche
Öffentlichkeit, dass der Staat der Juden seine Territorial- und Machtansprüche
absolut setzen und jedem, der diese bestreitet, eine gewaltsame Lektion erteilen
darf.
In Bezug auf den Kriegsgegner, die Hamas, schließen sich die
Meinungsbildner der Qualifizierung an, die die politischen Führer in Israel, den
USA und der EU festgelegt haben: Hier handelt es sich um eine „terroristische
Gruppierung“. Was die Hamas politisch will, ist nicht nur unerheblich, sondern
mit Terrorismus treffend charakterisiert: Zerstörung von allem, was „wir“ an
Werten schätzen, aus purer Bösartigkeit und islamischem Fanatismus. Das zeigt
schon ein Blick in ihre Charta von 1988, in der immer noch das Existenzrecht
Israels bestritten wird – ein willkommener Beleg dafür, dass Israel zu Recht die
Vernichtung dieser Gruppierung betreibt. Wer anführt, die Hamas habe seit Jahren
schon klargestellt, ihre Bereitschaft, sich mit dem Staat Israel zu arrangieren,
hänge von Israels Rückzug auf die Grenzen von 1967 ab, verharmlost ihre
Gefährlichkeit und outet sich als Sympathisant von Terroristen. Und die
Niedertracht dieser Gruppe zeigt sich am schlagendsten darin, dass sie weder
offen das Schlachtfeld betritt noch, unterlegen wie sie ist, kapituliert bzw.
sich abschießen lässt. Wer jetzt noch einwendet, dass sie wegen ihrer Schwäche
den Guerillakampf als einzig mögliche Art der Kriegsführung wählt, verdreht die
Tatsachen: Perfide versteckt sie sich in zivilen Einrichtungen, greift aus
Flüchtlingslagern die israelische Armee an und nimmt „die eigene Bevölkerung als
Geisel“. Sie ist darum schuld an den Opfern des israelischen
Bombenhagels:
„Rund 1300 Tote, mehr als 5300 Verletzte – der Blutzoll, den
die Palästinenser dafür entrichten mussten, dass die Hamas meinte, Israel
provozieren zu können, ist furchtbar hoch ... Der (Bevölkerung des
Gazastreifens) muss die Behauptung der Hamas, das Volk habe einen großen Sieg
errungen, wie blanker Hohn vorkommen. Tatsächlich hat das palästinensische Volk
den überhaupt nicht heroischen Kampf der Hamas mit einem hohen Preis bezahlt.“
(FAZ, 20.1.)
So steht von vornherein fest, welche Seite im Recht ist und
welche verlieren soll.
Bedenken hinsichtlich
des Kriegs – innerhalb gebotener Grenzen
Von diesem festen Standpunkt
aus machen sich unsere Medien Sorgen darum, ob die gute Seite auch alles richtig
macht. Dabei scheren sie sich nicht um die Zwecke, die Israel tatsächlich mit
seiner „Aktion“ verfolgt. Stattdessen unterwerfen sie die Kriegführung ihrer
kritischen Begutachtung, ob Israel damit seinen eigentlichen Zielen dient, die
wir besser kennen als es selbst und unter dem Titel ‚dauerhafte Friedenslösung’
zusammenfassen. Nur unter der Bedingung, dass sie da Fortschritte erblicken
können, wollen sie dem Gemetzel ihre Billigung erteilen. Gegen erwarteten
Einspruch verwahren sie sich vorweg, indem sie ihr über jede Kritik erhabenes
Kritikmotiv ins rechte Licht setzen; das entspringt nämlich keineswegs einer
„Arroganz“ gegenüber dem jüdischen Staat, sondern „unserer besonderen
Verantwortung für Israel“. Und die nehmen wir wahr, wenn wir grundsätzliche
Versäumnisse der Regierung feststellen müssen:
„Das Land ist in den
Krieg gezogen, ohne drei grundlegende Fragen positiv beantwortet zu haben. Wer
einen Krieg startet, muss zuvor sämtliche Möglichkeiten genutzt haben, ohne
Armee-Einsatz sein Ziel zu erreichen. Ein Krieg muss zudem die Proportionen
wahren. Und er muss die Chance in sich bergen, das Kriegsziel erreichen zu
können. In allen drei Punkten steht Israel schwach da. Israel hat nie mit Hamas
versucht zu reden, 820 tote Palästinenser und 13 tote Israelis sprechen für
sich, und ein konkretes Kriegsziel hat die Regierung bis heute nicht
formuliert.“ (SZ, 12.1.)
Eben noch wurde uns der israelische Standpunkt nahe
gelegt, mit Terroristen dürfe nicht verhandelt werden und die einzig adäquate
Antwort auf die Hamas sei ihre Entwaffnung und Vernichtung – und jetzt müssen
sich Olmert und Livni mangelnde Gesprächsbereitschaft nachsagen lassen!
Offensichtlich hat sich der Konfliktberater von der SZ mit seinem Urteil „Dialog
versäumt!“ dazu entschlossen, das Umnieten von Terroristen für eine
unangemessene Problemlösung halten – der Weg, sie in die Kapitulation
reinzuquatschen, erscheint ihm zielführender. Er hätte sich auf jeden Fall vor
diesem Krieg ein paar grundlegende Fragen vorgelegt, so dass ein korrektes
Vorgehen gar nicht hätte ausbleiben können. Auch „ein Krieg“ „muss“ sich an
bestimmte Regeln halten – wo kämen wir schließlich hin, wenn jeder einfach ohne
präzise Zielangabe darauf los schießen würde! Darf man den Schreiber fragen, bei
wem er sich dieses „Muss“ abgeholt hat? Wer hat diesen Kriegsknigge erfunden?
Nationen, die sich zu einem Krieg entschlossen haben, jedenfalls nicht. Mit der
Erfindung eines Verhaltenskodexes für anständige Kriege stülpt der gestrenge
Kritiker dem Gazakrieg erst eine fallunabhängige Norm über, um ihn anschließend
als Verstoß gegen diese Norm Punkt für Punkt zu problematisieren. In dem
abzuarbeitenden 3-Kriterien-Katalog ist der Krieg nicht wiederzuerkennen; er
firmiert als Mischung aus einer Polizeiaktion, in der dem Delinquenten erst
seine Rechte vorgelesen werden müssten, und einer Konfliktlösungsstrategie, in
der – wenn man gewisse Vorgaben beachtet – militärische Gewalt als reinigendes
Gewitter ihre wohltuende Wirkung entfalten soll. Israel muss sich daher einige
absurde Vorwürfe anhören: Wie konnte man dort nur die Geduld verlieren und den
gar nicht geknüpften Gesprächsfaden abreißen lassen? Unterstellt, ein Krieg als
Strafmaßnahme gegen die Hamas ist nötig, okay; aber dem Feind ein Strafmaß zu
verpassen, das alle Proportionen sprengt, welch schlimmer Lapsus! Darf man
jemand, der sich an der Bewältigung solch abgehobener und moralisch kniffliger
Probleme zu schaffen macht, überhaupt mit der Erinnerung belästigen, dass es
sich beim Kriegführen nicht um die Praktizierung einer Gleichgewichtstheorie
handelt? Und mit der Frage stören, was denn ein dem Kritiker genehmes Verhältnis
der anfallenden israelischen und palästinensischen Leichen wäre? Und wenn sich
Israel schließlich auch noch seine Chancen für eine befriedigende Konfliktlösung
dadurch zunichte macht, dass es nicht weiß, worauf es mit seinem umfassenden
Vernichtungswerk hinaus will, braucht es sich nicht zu wundern, wenn es
hinterher keinen Frieden bekommt und schon wieder den nächsten Krieg planen
muss. Dass es, wie Außenministerin Livni im Spiegel-Interview (s. o.) sagt, bei
der jetzigen „Operation“ gar nicht darum geht, durch Krieg Frieden zu erreichen,
lässt ein deutscher Kommentator einfach nicht gelten.
Auch wenn der eben
zitierte Schreiber die Disproportionalität der angefallenen Opfer bemängelt, zu
einer den Sachverhalt simplifizierenden Verurteilung will er sich nicht
hinreißen lassen. Er kennt nämlich die Motive der israelischen Seite, die sich
da auf den ersten Blick so „erschreckend“ „gewalttätig“ präsentiert:
„Die
Mitleidlosigkeit mit den zivilen Opfern des Krieges ist erschreckend. Sie könnte
daher rühren, dass Israel sich allein gelassen fühlt und niemandem traut, nur
noch sich selbst. Ein Offizier gab jetzt zu, die Armee sei ‚sehr gewalttätig’
und schrecke vor keinen Mitteln zurück, denn Soldatenleben schützen sei
wichtiger als das palästinensischer Bürger. So wird Israels Krieg gegen Hamas
auch zu einem Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Unendliches Leid wurde bislang
verursacht, unendlicher Hass hervorgerufen. Der Schaden ist unermesslich.“
(ebd.)
Nachsichtig bemüht er den Kritikverbots-Topos, den Israels offizielle
Vertreter unter beifälligem Nicken ihrer westlichen Gesprächspartner zu
verwenden pflegen: Die Juden sind von je her von der ganzen Welt im Stich
gelassen; daher sei ihrem Staat jede mögliche „Überreaktion“ zuzubilligen. Sich
in den jüdischen Nationalcharakter einfühlend kann der Autor zwar
nachvollziehen, dass Israel den Schutz seiner Soldaten über alles stellt und
über Hunderte palästinensischer Leichen geht – allerdings nicht, ohne eine
weitere Problematik zu bedenken zu geben: Kann es sich der Judenstaat mit seinem
Hang zur ‚Gewalttätigkeit’ wirklich leisten, sich immer unbeliebter zu machen
bei seinen Feinden? Kann ihm wirklich gleichgültig sein, welch seelische
Verwüstung und welchen Aggressionsstau er mit seinen Bomben bei den
Gaza-Insassen anrichtet?
Diese kritischen Töne gehen manchen Meinungsbildnern
schon zu weit. Sie nehmen all ihren juristischen Verstand zusammen, um Israel
vom Vorwurf des Kriegsverbrechens und des Völkerrechtsbruchs zu entlasten. Kaum
werfen sie die Frage auf, ob Israel alle Möglichkeiten zum Schutz der
Zivilbevölkerung im Krieg ausgeschöpft hat, weisen sie sie mit einer zweiten
rhetorischen Doppelfrage zurück: Lässt sich das Völkerrecht überhaupt anwenden
bei dieser Form des asymmetrischen Krieges? Und ist es überhaupt zumutbar, von
einer Partei zu verlangen, die Zivilbevölkerung zu schützen, wenn sie aus
zivilen Wohngebieten heraus angegriffen wird?
„Was das zwingende Gebot der
größtmöglichen Schonung von Zivilisten angeht, sind dabei hohe, aber keine
überspannten Anforderungen zu stellen. Ein effektiver Eigenschutz muss immer
möglich sein. Ansonsten würde auch das humanitäre Völkerrecht pervertiert.
Zivile Ziele dürfen nicht gezielt beschossen werden. Aber was ist, wenn zivil
und militärisch verschwimmen?“ (FAZ, 7.1.)
Während dieser Meinungsmacher
pragmatisch klarstellt, dass im Falle Israel „überspannte“ humanitäre
Anforderungen deplatziert sind und die Messlatte des Kriegsrechts tiefer gehängt
werden muss, argumentiert ein anderer streng rechtssystematisch, es könne nicht
im Sinne des Kriegsrechts sein – dessen Logik er mit seiner Überlegung ganz gut
erwischt -, der überlegenen Partei den Sieg unmöglich zu machen:
„Die
Begrenzung des Krieges ist notwendig, schon aus humanitären Gründen und nach dem
Kriegsvölkerrecht, doch eine hohe Kunst mit großem Risiko. Bei fanatischen
Feinden wie Hizbullah oder Hamas steigt dieses Risiko wegen der andersartigen
Rationalität und den absolut gesetzten Zwecken dieser Kriegsparteien. Das gilt
besonders, wenn der Gegner jeden dauerhaften Frieden ablehnt und – wie Hamas –
das Existenzrecht Israels nicht anerkennt. ‚Verhältnismäßigkeit der Mittel’
bedeutet dann in letzter Konsequenz Verzicht auf Erfolg und Verlust der
Fähigkeit zur Abschreckung. Solange seine Truppen in Gaza sind, ist Israel
ohnehin verantwortlich für die Ordnung und Versorgung der besetzten Gebietsteile
und muss sich dort als fremde Okkupationsmacht mäßigen. Auch dies kompliziert
die Operationen und den Erfolg des Feldzuges, von den späteren politischen
Folgen ganz abgesehen. Gegen die Macht der Bilder von Tod und Elend kann sich
das Militär nur schwer durchsetzen.“ (FAZ, 8.1.)
Israel hat es ohnehin schon
schwer bei seinen Kriegen gegen einen Gegner, der kein gesittetes
Völkerrechtssubjekt ist, Israels Existenzrecht bestreitet, die feindliche
Kriegspartei nicht anerkennt und mit Mitteln jenseits aller staatlichen
„Rationalität“ kämpft. Anstatt anklagend den Finger gegen Israel zu erheben,
sollte man lieber die kunstvolle, aber äußerst riskante Begrenzung dieses Kriegs
würdigen; die Gratwanderung bewundern, die Israel bei seiner „komplizierten
Operation“ versucht, als Besatzungsmacht gleichzeitig noch Krieg in einem dicht
besiedelten Gebiet zu führen; also in Rechnung stellen, wie sich hier die
Pflichten eines Okkupanten mit der Leichtigkeit und der Notwendigkeit des
Kriegsführens ins Gehege kommen. Stattdessen präsentieren „die Medien“ mit
Vorliebe die dunklen Seiten des Krieges, so dass Israel und sein geplagtes
Militär imagemäßig den Kürzeren ziehen. Schön, dass es wenigstens ab und zu noch
Journalisten gibt, die Israel und seinen Problemen Gerechtigkeit widerfahren
lassen.
Ein „enttäuschendes Ergebnis“ – der
Krieg eine Fehlentscheidung
Wenn die Regierung in Jerusalem sich über
Kriegsverlauf und -ergebnis zufrieden äußert: eine „brillante Operation“
(Olmert), und Israels rechtsnationale Opposition allenfalls auszusetzen hat,
dass die Vernichtung der Hamas zu früh beendet wurde, dann fangen die Experten
hierzulande an zu warnen. Vor Gefahren, die man in Israel nicht fürchtet – weil
es den Frieden nur zu seinen Bedingungen haben will. Unsere Kritiker aber ahnen
schon bei Beginn des Krieges Schlimmstes und prophezeien Fürchterliches: Der
nicht hergestellte Frieden wird sich rächen! Weil sie Israel den Auftrag
erteilen, der ‚Frieden schaffen’ heißt, sie seine Kriegsoffensiven an diesem
Maßstab beurteilen, sehen sie schwarz und ihren Pessimismus anschließend prompt
bestätigt. ‚Die radikalen Palästinenser’ in die Schranken weisen und ‚die
gemäßigten’ um Abbas stärken, um eine Zweistaatenlösung zu finden und sich mit
dem arabischen Lager auszusöhnen – dafür hätte die Olmert-Regierung Krieg führen
dürfen, aber Fehlanzeige! Der Feldzug ist für uns eine einzige Enttäuschung, für
den Judenstaat aber eine Katastrophe:
„Obwohl kein Problem gelöst wurde,
scheinen einige Resultate des Dreiwochenkrieges schon jetzt gewiss zu sein.“
„Durch den Krieg hat die Hamas einige hundert Mann, aber nicht die Kontrolle
über Gaza verloren. Das Gros ihrer Kämpfer und die wichtigsten Führer haben
überlebt. Die Vorstellung, sie könnten unter dem Bombenhagel ihre Waffen
niederlegen ... war von vornherein unrealistisch ... Abbas ist belastet, weil
seine jahrelangen Friedensverhandlungen mit Israel und Amerika selbst für das
Westjordanland absolut nichts gebracht haben.“ (SZ, 22.1.)
Das
Vernichtungsprogramm gegen die Hamas ist als „unrealistische“ Option
auszusortieren, weil es, wie sich zeigt, gar nicht geht – die Führer der Hamas
laufen ja immer noch frei herum; und vor allem deshalb, weil man sich in der
Redaktion der SZ nicht vorstellen kann, wie das schonend erledigt werden könnte.
Der israelische Terrorkrieg hat Formen angenommen, die ein zivilisierter
Westeuropäer kaum noch tolerieren mag – weshalb man die Schlächterei daran
blamiert, dass sich zu viel vorgenommen wurde. Hätten die israelischen Strategen
die Meinung des Experten von der SZ eingeholt, hätten sie die Finger davon
gelassen, Terroristen mit Bomben klein kriegen zu wollen. Das Hamas-Problem wäre
längst elegant erledigt, hätten Olmert und Livni Abbas in den vorausgegangenen
Friedensverhandlungen unterstützt und seine Partei als attraktive Alternative
zur Hamas aufgebaut. Stattdessen ist jetzt die Palästinensische
Autonomie-Behörde demontiert, die Hamas bleibt im Gazastreifen am Ruder, und der
Frieden ist in unerreichbare Ferne gerückt. Wenn schon die Taten der
israelischen Regierung so wenig zu den Aufträgen passen, die der SZ-Schreiber
sich für sie zu recht gelegt hat, wäre da der Gedanke nicht naheliegend, dass
sie andere als die ihr untergejubelten Ziele verfolgt? Solche Gedanken sind ihm
aber fremd. Dann wäre es ja aus mit dem Wehklagen über das Scheitern der
Versöhnung mit der arabischen Welt, und auf die schöne Pointe, dass Israel der
Hauptgeschädigte in diesem Krieg ist, müsste er auch verzichten:
„Mehr denn
je ist Israel in der arabisch-islamischen Welt zum Paria geworden, und nie war
die Bereitschaft in der Region so gering, den jüdischen Staat auf Dauer als
Nachbarn und Partner zu akzeptieren. Dabei hatten Hoffnungen auf einen haltbaren
Frieden, Sicherheit und Normalität gerade darauf beruht, Israel werde sich eines
Tages als verträgliches Gemeinwesen in ein arabisches Umfeld integrieren lassen.
– Diese Utopie liegt nun in den Trümmern von Gaza begraben, für Jahre, wenn
nicht für die Frist einer Generation. Bis dahin freilich werden sich die
demographischen und politischen Gegebenheiten wandeln – und nicht unbedingt zum
Vorteil Israels.“ (ebd.)
Gewisse Gefahren hat der Experte allerdings den
Sorgen der israelischen Politiker einfühlsam abgelauscht: Er hat Verständnis für
die Nöte eines Staats, der seinen Charakter als Judenstaat bewahren will – und
verknüpft sie mit der „Utopie“, ein jüdischer Staat müsste von der arabischen
Nachbarschaft endgültig akzeptiert und darüber seinerseits „verträglich“ werden.
Warnend unkt er, es könne auf Dauer nicht gut gehen, sich gegen die Umgebung
feindselig abzugrenzen und gleichzeitig das jüdische Wesen rein zu halten – und
abstrahiert dabei vornehm von der vom „Paria“ Israel (und seinem Paten, den USA)
eingesetzten Gewalt, aufgrund derer ihm die scheelen Blicke der Nachbarn nichts
anhaben können. Dass Israel dank seiner überlegenen militärischen Macht schon
längst nicht nur „politische Gegebenheiten“ umbuchstabiert, sondern auch dem
drohenden „demografischen Wandel“ durch präventive Maßnahmen – von der
Ausgrenzung der israelischen Araber über den Ausbau der Siedlungen bis hin zum
Krieg gegen die ‚militanten Palästinenser’ – begegnet, störte nur die idealen
Kreise, innerhalb derer sich der hoffnungsfrohe Vordenker Israels bewegt. Dass
Israel auf die Weise Fakten schafft, statt sich von bedrohlichen Realitäten
mäßigen zu lassen, hindert den Herren Kassandra von der SZ jedoch nicht, seine
Stimme zu erheben, um die Kriegsherren in Tel Aviv vor noch gefährlicheren
Folgen ihres Zuschlagens zu warnen:
„Die Sinnlosigkeit des Gaza-Kriegs, der
weltweit antisemitische und antiisraelische Strömungen verstärkt, zeigt sich am
fortgesetzten Raketenbeschuss Israels durch Hamas-Terroristen. Es ist naiv zu
glauben, Israel könne Hamas zerstören. Deren Kämpfer fürchten sich nicht vor
Israels Truppen, weil der Tod als Märtyrertum verklärt wird. Hamas braucht
Israels Krieg, um zu existieren.“ (SZ, 12.1.)
Als wäre es nicht schon schlimm
genug, dass der Krieg allen weltweit im Umlauf befindlichen Vorurteilen gegen
den jüdischen Staat neue Nahrung zuführt – und damit dem deutschen
Anti-Antisemitismus das pro-israelische Werben nicht gerade leichter macht,
müssen wir der israelischen Führung vor allem zu bedenken geben, dass so ein
„sinnloser“ Krieg eigentlich überhaupt nichts erreicht – außer eins: die
Falschen, Israels Feinde nämlich, zu stärken. Der Krieg treibt der unterlegenen
Mannschaft die Sympathisanten zu, stärkt also die Hamas, weil Israel die
Irrationalität seiner Gegner nicht berücksichtigt hat: Denen kommt der Krieg
gerade recht, um die Gemeinde ihrer Fans zu erweitern, die sich unbedingt mit
ihrem Opfertod ins Paradies katapultieren wollen1, wo die schönen „Huris“, die
72 Jungfrauen, schon auf sie warten. Das Gegenmittel, dass „wir“ gegen diesen
Irrsinn anzubieten hätten, wäre eine superraffinierte Lösung und strategische
Meisterleistung: Einfach mit ihnen reden, statt ihnen mit Gewalt zu kommen, wie
sie es erwarten!
„Die wichtigste Waffe im Kampf gegen Hamas hat Israel bis
heute nicht eingesetzt: Worte, Verhandlungen, Diplomatie, Grenzöffnungen. Früher
oder später aber wird verhandelt werden müssen. Hoffentlich früher.“ (ebd.)
Wann versucht Israel endlich, der Hamas ihr Lebenselixier Krieg zu
entziehen? Es wird dringendst empfohlen, den Forderungen der Hamas
entgegenzukommen und sie durch Nicht-Führen des Kriegs zur Vernunft zu
bringen!
*
So wird das Feindbild von der Hamas
bestätigt und zugleich Israels Antiterrorkrieg in Frage gestellt. Das Publikum
soll sich fragen, wann sich Israel endlich im eigensten Interesse an den
Verhandlungstisch begibt. Ein gut geschulter Leser ergreift nicht einfach Partei
für die in Jerusalem beschlossenen kriegerischen Aktionen, sondern beherrscht
mit seinen Lehrmeistern die Heuchelei, den unparteiischen Schiedsrichter zu
markieren: ‚Wir’ sind gewiss nicht die 5. Kolonne Israels, sondern beweisen mit
unseren friedenspolitischen Ordnungsvorschlägen unsere berechtigte, begründete
Parteilichkeit.
Unbestellte Ratschläge und
Hilfsangebote
Nach dem Krieg warten die deutschen Kommentatoren
eilfertig mit konstruktiven Vorschlägen auf, was Israel tun solle, um sich aus
der „verfahrenen“ Lage zu befreien: humanitäre Hilfe, Wiederaufbau und
Wiederaufnahme des Friedensprozesses lauten die altbekannten Rezepte, nämlich
die Forderungen an Israel, die aus deutscher Sicht im Interesse einer stabilen
Nahost-Ordnung erfüllt werden müssen. Dabei fällt man nicht plump mit der
Tür ins Haus: Man zeigt Verständnis für die Probleme des jüdischen Staates, die
der allein unmöglich bewältigen kann. Weil Israel mit seinen „Schwierigkeiten
allein überfordert“ ist, braucht es dringend unseren Rat, wie es aus der
„Sackgasse“ herauskommt:
„Die Israelis scheinen sich angesichts der Umstände
damit abgefunden zu haben, dass es zurzeit nicht einmal einen ‚kalten Frieden’
geben kann, sondern bestenfalls einen verlängerten Waffenstillstand, der die
unmittelbare Bedrohung ihrer Städte vermindert. Sie sollten jetzt nachholen, was
sie bisher versäumt oder durch harte Kontrollen verhindert haben: Im
Westjordanland, wo die Fatah regiert, müssten sich die wirtschaftlichen
Verhältnisse soweit verbessern, dass die palästinensische Bevölkerung den
Vorteil eines friedlichen Arrangements mit Israel erleben kann. Dazu gehört auch
eine konsequente Beendigung der israelischen Besiedlung.“ (FAZ, 22.1.)
Zur
Ausschaltung der Hamas bedarf Israel der Mitarbeit des schwierigen Partners
Ägypten, und für die anstehende Neuordnung in der Region müssen dazu berufenere
Mächte antreten, die die Parteien vor Ort „in Verhandlungen zusammenzwingen“
(Joschka Fischer). Damit die sich endlich bewegen, muss ihnen drastisch klar
gemacht werden, dass es so nicht weiter gehen kann:
„Im Gazastreifen ist ein
Arrangement noch schwerer zu finden. Ein Ende der Blockade würde der Bevölkerung
dort helfen, aber auch unweigerlich von der Hamas propagandistisch ausgebeutet
werden. Und zweifellos wird, falls das Grenzregime gelockert wird, auch der
Waffenimport aus Ägypten wieder zunehmen, gleichzeitig mit einem Zuzug
islamistischer Fanatiker nach Ägypten. Die Lage ist verfahren, ohne kurzen
Ausweg. Erst wenn alle Seiten dies akzeptieren, gibt es wieder Aussicht auf
Fortschritte.“ (ebd.)
In solch vertrackter Lage, die nur durch erfahrene
Diplomaten von Weltniveau zu beheben ist, ist es gut, dass ein „ausgewiesener
Freund Israels“ mit seinem Rat zur Verfügung steht. Der ehemalige Außenminister
Fischer weiß in solch heiklen Fragen Bescheid und findet den richtigen Ton, den
Judenstaat zu kritisieren, ohne sich den Verdacht des Antisemitismus
einzuhandeln. Ist es doch nur zu Israels Besten, seine Politik zu ändern und
„Hilfe von außen“ anzunehmen.
„Israel hat seit seiner Gründung 1948 sieben
Kriege gegen seine arabischen und palästinensischen Nachbarn geführt,
einschließlich des jetzigen in Gaza ... Was aber hat sich für Israel durch all
diese Kriege seit seiner Gründung strategisch verändert? Die Antwort lautet:
Nicht allzu viel. Denn strategisch ist die Ausgangslage im Kernkonflikt zwischen
Israel und den Palästinensern in den vergangenen 60 Jahren nahezu unverändert
geblieben ... Bis heute bleibt die zentrale Frage für beide Seiten
unbeantwortet: Wo beginnt, wo endet Israel, wo Palästina? ... Alle Beteiligten
wissen, dass dabei am Ende nur die Grenzen vom Juni 1967 für beide Seiten unter
Schmerzen akzeptabel sein werden, unter Einschluss Jerusalems und eines
verhandelten, kleineren Gebietsaustauschs. Alles andere bleiben böse
Wunschträume, für die weiter Unschuldige ihr Leben werden lassen müssen. Weder
wird Israel verschwinden, noch werden die Palästinenser die weiße Fahne hissen
und gehen.“ (Gastkommentar, SZ, 27.1.)
Strategisch soll sich dort in den
letzten 60 Jahren „nicht allzu viel verändert“ haben?! Ist Fischer etwa
entgangen, dass Israel in diesem Zeitraum politische Fakten geschaffen hat, so
dass es seinem Traum von einem Groß-Israel beträchtlich näher gekommen und die
Schaffung eines palästinensischen Staates immer mehr verunmöglicht worden ist?
Hat er vielleicht nicht zur Kenntnis genommen, was es aus der UN-Parole von der
fälligen Zweistaatenlösung gemacht hat? Dass es mit dieser Vorgabe der
internationalen Gemeinschaft so umgegangen ist, sie als Floskel zu akzeptieren,
aber alles zu unterbinden, was zu deren Realisierung beitragen könnte. Dass es
den Palästinensern einen eigenständigen Staat buchstäblich verbaut hat – durch
die Errichtung eines Zauns weit ins Westjordanland hinein und den Ausbau von
Siedlungen mitten im Palästinensergebiet. Und dass ihm zu all dem von seinem
Paten Amerika der Segen erteilt wurde. Dass sich der israelische Staat also
inzwischen die Position erobert hat, auf Ansprüche der EU überhaupt nicht
eingehen zu müssen und es sich zu leisten zu können, auf Appelle aus Amerika nur
sehr zögerlich zu reagieren und die Grenzen der Toleranz der großen Schutzmacht
auszutesten. Und jetzt, wo die strategische Lage gründlich verändert und die
ganze Gegend kaum mehr wiederzuerkennen ist, soll sich nach wie vor die Frage
stellen: „Wo beginnt, wo endet Israel, wo Palästina?“ Diese zu Zeiten der
israelischen Staatsgründung heikle Frage, als noch um jedes Dorf Krieg geführt
und das gewonnene Territorium systematisch arrondiert wurde, hat längst eine
ganz andere Bedeutung gewonnen: Heute ist das Offenhalten dieser Frage ein
Pfund, mit dem der israelische Imperialismus diplomatisch wuchert, um alle
Ansprüche abzuschmettern, die den eigenen entgegenstehen – also darauf zu
bestehen, dass eigentlich das ganze Territorium vom Mittelmeer bis zum Jordan
„Eretz Israel“ ist.
Dem Kenner der kniffligen Materie ist natürlich gar
nichts entgangen, weder die veränderte Lage noch die gewachsenen Ansprüche
Israels, wenn er eine „strategische Kernlage“ behauptet, die seit 1948
unverändert auf der Agenda steht. Aber weil er der Auffassung ist, dass nicht
Israel, sondern die Weltaufsichtsmächte über Grenzziehung und Staatsgründung zu
befinden hätten, beruft er sich auf die Rechtslage nach den UN-Resolutionen und
erklärt diese für die immer noch gültige Lage, die den einzig vernünftigen
Maßstab für die immer noch ausstehenden Regelung des Konflikts abgeben könne:
„Obwohl dies nach all den Jahrzehnten des Konflikts mehr als klar ist,
wurden und werden die Bedingungen für eine Zwei-Staaten-Lösung immer schlechter
... mit dem Sieg der Hamas über die Fatah und Präsident Abbas sind die
Palästinenser zurück auf Los gegangen, in das Jahr 1948. Denn die Hamas lehnt
jeden Frieden mit Israel ab und ist maximal zu einem befristeten
Waffenstillstand bereit ... Und auf israelischer Seite wiegen 200.000 Siedler in
der Westbank und der weitere Ausbau der Siedlungen mehr als alle hehren Worte
über zwei Staaten. Zu Recht bestehen angesichts der von Israel geschaffenen
Fakten am Boden ernste Zweifel, ob eine Zwei-Staaten-Lösung überhaupt noch
durchsetzbar sein wird. Der Krieg in Gaza wird diesen negativen Trend noch
massiv verstärken. Denn eines lässt sich jetzt schon mit an Gewissheit
grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen: Einen politischen Totalschaden auf
palästinensischer Seite haben Präsident Abbas und die Fatah erlitten.“
(ebd.)
Solange keine Zwei-Staaten-Lösung geschaffen ist, soll also die Lage
nicht wirklich verändert sein: Die Fortschritte Israels bei seiner Landnahme
durch die Siedlungspolitik; die erfolgreiche Diskreditierung der
palästinensischen Ansprüche auf einen eigenen Staat als „Terrorismus“ der Hamas
bzw. als „Unfähigkeit“ von Abbas, ein friedliches Gemeinwesen zu organisieren;
die systematisch betriebene Verschlechterung der Lebensbedingungen der
Palästinenser in der Westbank und im Gazastreifen, mit der die Diagnose Israels
endgültig unterstrichen wird, dass aus Palästina kein Staat zu machen ist; die
damit erfolgte Klarstellung an die Adresse der übrigen Welt, dass sie sich nicht
mit einem politischen Status quo in der Region arrangieren kann, den Israel als
unhaltbare Bedrohung betrachtet – all das gilt Herrn Fischer nicht als
erfolgreiche Durchsetzung der israelischen Staatsgewalt gegen den
palästinensischen Willen zu eigener Staatsgründung, sondern als Verfolgung eines
„bösen Wunschtraums“, mit dem Israel die einzig haltbare Friedenslösung
verhindert: „zwei Staaten Seite an Seite“.
So lässt Fischer die Erfolge
Israels einfach nicht gelten und plädiert für ein entschlossenes Einschreiten
der Weltordnungsmächte. Als realistischer Diplomat lässt er den USA den
Vortritt, allerdings nicht, ohne ihnen die nötige Strategie vor- und eine
entscheidende Verpflichtung mitzugeben: die Pflicht zur Geschlossenheit, also zu
einer kooperativen Beteiligung der anderen Aufsichtsmächte. Mit dieser
unverfänglichen Formel gibt er nebenbei zu verstehen, dass in dem fälligen
Friedensdiktat der europäische Rechtsanspruch auf eine nützliche Nahost-Ordnung
zum Zuge kommen muss:
„Will man dieses strategische Dilemma, in das sich
beide Konfliktparteien hineinmanövriert haben, aufzulösen versuchen, dann wird
dies nur von außen gehen: Erstens müssen die USA versuchen, Syrien und Iran in
eine regionale Lösung einzubinden, die auch die Bedingungen für beide
Konfliktparteien im Nahostkonflikt grundsätzlich verändern würde. Und zweitens
müsste den Konfliktparteien die Zwei-Staaten-Lösung von außen aufgezwungen
werden. Dabei wird die Entschlossenheit der USA ebenso wie die
Geschlossenheit der wichtigsten internationalen Akteure von entscheidender
Bedeutung sein. Scheitert eine solche von außen aufgezwungene Lösung, so wird
schon während der ersten Jahre Barack Obamas die gesamte Region in eine
gefährliche Konfrontation hineinrutschen, die nicht auf Israel und die
Palästinenser beschränkt bleiben wird.“ (ebd.)
Die Hilfestellung, die Fischer
dem Staat Israel wie seinem palästinensischen Widerpart anbietet, besteht also
darin, dass die USA und Europa beide in eine Friedensordnung hineinzwingen.
Schließlich können ‚wir’ es uns doch nicht bieten lassen, dass regionale
Konfliktparteien Verhältnisse schaffen, die wir gar nicht bestellt haben! Damit
hat unser ehemaliger Außenminister sein Bestes gegeben und alles Wesentliche
vermeldet: Der Weltordnungsgeist, der aus Herrn Fischer spricht, darf nicht
übergangen werden!
Der Grund der kritischen Parteilichkeit – das
deutsch-israelische Verhältnis
Idealismus wie Ignoranz, die die westliche und
allen voran die deutsche Öffentlichkeit gegenüber den wirklichen Kriegszielen
Israels an den Tag legen, zeugen davon, dass diese durchaus zur Kenntnis
genommen werden. Eine explizite Kritik an ihnen verbietet sich zwar im Namen der
Parteilichkeit für Israel – Holocaust! In Form eines Wunschzettels, auf dem
„Mit-Gestaltung“ beim „Friedensprozess“ und „Neu-Ordnung“ des Nahen Ostens ganz
obenan stehen, wird man aber doch anmelden dürfen, dass ‚uns’ das ewige
Kriegführen Israels nicht passt. Die pseudo-konstruktive Kritik am Vorgehen der
nahöstlichen Vormacht, das ewige Genörgel über die verpassten Möglichkeiten
eines Friedensprozesses, speist sich aus einem speziell deutschen und
europäischen Leiden: Die Regierungen in Europa verfügen nicht über die Macht,
Israel zur Ordnung zu rufen. Eine ungebetene Einmischung bei der Regelung der in
der Region anstehenden Gewaltfragen lässt es einfach nicht zu. Die Europäer
müssen zur Kenntnis nehmen, dass Jerusalem seit Jahrzehnten mit der
Rückendeckung durch die USA Beschlüsse der internationalen Staatengemeinschaft
ignoriert und allenfalls Handlangerdienste für seine Sicherheitsinteressen in
der Region gestattet. Und mit jeder militärischen Offensive werden europäisch
finanzierte Aufbauprojekte bei den Palästinensern dem Erdboden gleich gemacht.
Alle Versuche Europas, seine wirtschaftlichen und politischen Interessen in der
Region geltend zu machen, ganz zu schweigen von den Anläufen, sich die
„Mittelmeeranrainer“ als EU-Hinterhof zuzuordnen und selber zur Vormacht im
Broader Middle East zu avancieren, werden durch Israels Auftreten als regionale
Supermacht gebremst, wenn nicht völlig vereitelt. Die europäischen Politiker von
Weltformat sind laufend damit konfrontiert, dass die Rolle des Platzanweisers
längst vergeben ist. Die USA bestehen auf ihrem Aufsichtsmonopol und der
Sonderrolle, die sie für ihren special ally vorgesehen haben: Er soll in dieser
strategisch bedeutsamen Weltgegend den arabischen und iranischen Nationalismus
in die Schranken weisen. Wegen ihrer Unzufriedenheit mit dieser Lage suchen die
europäischen Führungsnationen, jede auf ihre Weise, Israels Offensivdrang zu
mäßigen, ohne sich dabei offen in Gegensatz zu ihm zu stellen. Deutsche wie
überhaupt die europäischen Politiker präsentieren sich daher gerne als Anwalt
israelischer Sicherheitsinteressen, auch wenn bzw. gerade weil sie der jüdische
Staat ganz anders definiert als seine hilfsbereiten Freunde. Sie berufen sich
auf diplomatische Titel, auf die sich Israel in der Vergangenheit verpflichten
ließ und die durch die einschlägigen UN-Resolutionen Rechtsverbindlichkeit
beanspruchen, wie den „Friedensprozess“, „Land für Frieden“, die
„Zwei-Staaten-Lösung“ und die „Versöhnung mit der arabischen Welt“, um sich in
Nahost als Ordnungsmacht einzuklinken. Sie wollen Israel bändigen, seine Rolle
als regionale Supermacht auf ein handlicheres Format zurecht stutzen Sie wollen
sich einfach nicht damit abfinden, dass der jüdische Staat Europa mit ständig
neu geschaffenen strategischen Fakten konfrontiert. Jeder Krieg macht den
Einfluss, den sich die EU erobert zu haben erhoffte, zunichte, weil er
klarstellt, dass sie nichts Entscheidendes gegen Israel aufzubieten hat. Der
Gazakrieg ist wieder so ein Fall.
II. Der
Gazakrieg
Die Amtszeit Georg W. Bushs war aus Israels Sicht ein
„einmaliger Glücksfall“ (Olmert). Unter keinem anderen US-Präsidenten hat Israel
so viel politischen Handlungsspielraum gehabt und von keinem soviel
Unterstützung erhalten. In seiner Ära hat die Regierung in Jerusalem wichtige
Fortschritte in der Auseinandersetzung mit den Palästinensern und im Verhältnis
zu den Nachbar-Staaten erzielt. Zufrieden geben will sich Israel mit dem
Erreichten allerdings nicht:
Israels Bilanz
am Ende der Bush-Ära
Sein Konflikt mit den Palästinensern ist von
Amerika zum Bestandteil des Antiterrorkriegs erklärt worden, den die USA mit
ihren Verbündeten weltweit führen. Inzwischen wird von allen maßgeblichen
Mitgliedern der „internationalen Gemeinschaft“ und selbst von den gemäßigten
arabischen Staaten – insbesondere Ägypten und Saudi-Arabien – der gewaltsame
Widerstand der palästinensischen Gruppierungen gegen die Besatzungsmacht, ihr
bewaffneter Kampf für einen Palästinenserstaat als Terrorismus geächtet. Israel
wird zugestanden, dass es „in Sicherheitsfragen keine Kompromisse“ schließt und
bei allem, was es als „Bedrohung seiner Existenz“ definiert, nur noch
militärische Lösungen sucht. Der „Friedensprozess“ ist damit de facto von der
Tagesordnung abgesetzt. Israel weigert sich, mit der Hamas zu verhandeln, weil
„Terroristen nur die Sprache der Gewalt verstehen“. Abbas kann nach Olmerts
Bekunden nicht als echter „Friedenspartner“ fungieren, weil er die
„Infrastruktur des Terrors“ nicht ausmerzt und wegen seiner Schwäche „nicht für
die Palästinenser spricht“. Außenministerin Livni lässt sich zwar pflichtgemäß
zu den von den USA auf der Konferenz in Annapolis/Maryland verordneten
Gesprächen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde herbei, weigert sich aber,
wie die Gegenseite berichtet, über die entscheidenden Fragen – Festlegung der
Grenzen, Rückkehr der Flüchtlinge und Status von Jerusalem – zu verhandeln. Den
in Annapolis vereinbarten Verpflichtungen, Abbau der „illegalen“ Außenposten und
Siedlungsstopp, kommt die Regierung nicht nach, im Gegenteil: sie treibt den
Ausbau der großen Siedlungsblöcke im Westjordanland stärker voran als je zuvor,
behandelt sie als quasi israelisches Staatsgebiet und beruft sich auf ein
Schreiben von Bush, in dem er deren Räumung als „unrealistisch“ bezeichnet. Der
Ring jüdisch besiedelter Trabantenstädte um Jerusalem steht kurz vor der
Vollendung, auf dass die Teilung der „ewigen Hauptstadt“ endgültig unmöglich
wird. Durch die Zerstückelung des Westjordanlandes blamiert Israel die
politische Linie des „gemäßigten“ Abbas, der seinen Landsleuten predigt, mit
Gewaltverzicht könnten die Palästinenser die Unterstützung der USA gewinnen und
dadurch erreichen, dass der Judenstaat einen palästinensischen neben sich
zulassen müsse. Alle Bitten des PLO-Chefs, Olmert möge wenigstens durch
versöhnliche Gesten wie die Freilassung palästinensischer Gefangener oder die
Erleichterung der Lebensbedingungen der Bevölkerung im Westjordanland,
z. B. durch die Aufhebung der Straßensperren, zeigen, dass er grundsätzlich
zu Kompromissen gegenüber gemäßigten Palästinensern bereit ist, bleiben
unerfüllt. Trotz der Appelle aus Washington, die Position von Abbas zu stärken,
betreibt die israelische Regierung systematisch dessen Demontage: Kalt lächelnd
verweigert sie ihm aufgrund von „Sicherheitsbedenken“ sogar die Einfuhr von
Ausrüstungsmaterial für seine Polizeikräfte, mit dem er sie besser ausstatten
will für den Kampf gegen die militanten Gruppierungen. Die israelische Armee
führt ihrerseits regelmäßig Razzien und Massenverhaftungen in den unter
palästinensischer Sicherheitskontrolle stehenden Städten des Westjordanlands
durch, konterkariert Abbas’ Bemühungen, selber die militanten Kräfte unter
Kontrolle zu nehmen, und untergräbt gezielt dessen Autorität. Damit ist für die
israelische Regierung zugleich der Beweis erbracht, dass die Fatah-Polizei nicht
für Ordnung sorgt, Abbas kein zuverlässiger Partner im Antiterrorkrieg ist,
seine Autonomie-Ansprüche vom Standpunkt israelischer Sicherheitsbedürfnisse
kontraproduktiv sind.
Seit dem Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen 2006
hat Israel die politische Isolierung der Islamisten-Partei betrieben. Als ihr
Regierungschef Hanija im Juni 2007 die Funktionsträger der Fatah im Gazastreifen
entmachtet und damit dem von deren Seite geplanten Putsch zuvorkommt2, definiert
Israel dies als terroristischen Akt und beschließt die Intensivierung seines
Antiterrorkriegs an dieser Front. Dabei nutzt es den strategischen Vorteil, den
der von Scharon durchgesetzte Rückzug der Siedler und des Militärs aus dem
Gazastreifen erbracht hat. Israel ist offiziell nicht mehr Besatzungsmacht,
damit nicht mehr für die Lebensbedingungen der Bevölkerung in Gaza
verantwortlich, verfügt aber nach wie vor über die entscheidenden Mittel, von
denen die Versorgung der Leute abhängt: Geld, Strom und Wasser. Zudem
kontrolliert es alle Grenzen, entscheidet also über die Einfuhr der benötigten
Güter, inklusive Treibstoff, Medizin und Lebensmittel. Im September 2007
verhängt die israelische Regierung die bis heute andauernde Blockade und lässt
nur noch ein Minimum an Versorgung der Bewohner des Gazastreifens zu3. Ohne
großes Risiko für die eigenen Soldaten beschießt es Ziele im Küstenstreifen, aus
der Luft bzw. durch die Artillerie im Grenzgebiet, und lässt immer wieder Panzer
ein paar Kilometer tief ins feindliche Territorium vordringen. Der Zweck
der andauernden Kriegshandlungen ist nicht nur die Vergeltung von
palästinensischen Raketenangriffen, sondern die Zermürbung der Hamas und der von
ihr regierten Bevölkerung4. Darüber hinaus stellt die Olmert-Regierung klar,
dass es für sie keinen Sinn macht, über eine Friedensregelung mit den
Palästinensern zu reden, solange im Gazastreifen Terroristen an der Macht sind,
das traditionell als Kernland der Palästinenser betrachtete Territorium also
„feindliches Gebiet“ (Olmert) ist.
Die amerikanische Regierung unter Bush hat
die Isolierung des von der Hamas regierten Gazastreifens prinzipiell
befürwortet, die Ausweitung des Lebensraums für die jüdischen Bürger im
Westjordanland geduldet, allenfalls mit matten Protesten begleitet und
ausdrücklich dafür Verständnis gezeigt, dass Israel mit der Anwesenheit der
Palästinenser in seiner Nachbarschaft ein schier unzumutbares Sicherheitsrisiko
trägt. Allerdings hat sie sich nicht dazu herbeigelassen, Israel dabei zu
unterstützen, endlich einen Schlussstrich unter die leidige Teilungsfrage aus
dem Jahre 1948 ziehen zu können. Ausgerechnet der größte Förderer des jüdischen
Staates weckt bei den Arabern mit seiner „Vision eines friedlichen,
lebensfähigen und zusammenhängenden Staates der Palästinenser“ „Seite an Seite
mit Israel“ Begehrlichkeiten und sucht auf der Annapolis-Konferenz den schon ad
acta gelegten Friedensprozess wieder zu beleben. Zwar hat die
Bush-Administration in den darauf folgenden Monaten hinlänglich klar gemacht,
dass sie von Israel keinen Kurswechsel verlangt, ihre Nahost-Initiative vielmehr
eine Geste ist, um die arabischen Verbündeten in die Antiterrorfront gegen Iran
und Syrien einzubinden und die übrigen Weltmächte mit „ins Boot zu holen“, aber
Israel sieht sich zurückgeworfen, zumal nicht ausgemacht ist, dass die künftige
US-Regierung den Kurs der alten beibehält.
Im Verhältnis zu den
Nachbarstaaten setzt die Regierung Olmert im Libanonkrieg5 Maßstäbe: Für die
„terroristischen Akte“, die vom Territorium des nördlichen Nachbarn aus verübt
werden, macht sie die gesamte Nation haftbar. Israels Luftwaffe bombardiert
zunächst die Stellungen des Hizbullah, liquidiert eine größtmögliche Zahl seiner
Kämpfer und macht ernst mit der Drohung, die „Infrastruktur des Terrors“ zu
zerstören. Dazu zählt sie die (potenziellen) Rückzugsräume und Verstecke,
Nachschubwege, alle Orte, die sich als Depots und Werkstätten nutzen lassen,
Ausbildungseinrichtungen sowie religiöse Versammlungsstätten, letztlich den
gesamten Lebensraum der schiitischen Bevölkerung. Mit Cluster-Bomben wird der
Süden des Landes so zugepflastert, dass er auf Jahre hinaus für seine Bewohner
nur unter Lebensgefahr nutzbar ist. Doch die Angriffe bleiben nicht auf die vom
Hizbullah kontrollierte Region beschränkt, im gesamten Land werden Straßen,
Brücken und Infrastruktureinrichtungen zerstört. Olmert will der libanesischen
Regierung die Lektion erteilen, dass ihr Land, solange sie nicht selber den
Hizbullah entwaffnet und politisch entmachtet, nicht zur Ruhe kommen wird. Wenn
der Libanon Feinde Israels auf seinem Territorium duldet, macht dessen Luftwaffe
30 Jahre Wiederaufbau in wenigen Tagen zunichte. Eine zweite Lektion an Israels
Nachbarn ergeht im April 2008: Israelische Kampfjets bombardieren ein Gebäude in
Syrien, bei dem es sich angeblich um einen von Nordkorea gelieferten
Nuklearreaktor zur Herstellung von Atombomben gehandelt haben soll, was Damaskus
energisch bestreitet. Ziel der Aktion ist es, Israels Entschlossenheit zu
demonstrieren, seine gehobenen Sicherheitsansprüche – wenn nötig – mit
militärischen Mitteln in der gesamten Region durchzusetzen, ohne Rücksicht auf
Grenzen und Hoheitsrechte anderer Staaten. Jerusalem nimmt sich das Recht heraus
zu entscheiden, welche Waffen und welche Technik in die Hände seiner Nachbarn
geraten dürfen und welche nicht. Es interveniert in Moskau, wenn Russland mit
Syrien bzw. dem Iran über die Lieferung moderner russischer Abwehrraketen
verhandelt, und fordert die russische Regierung immer wieder auf, die
Fertigstellung des Reaktors in Buschehr zu unterlassen. Olmert & Co.
verlangen von den UN-Sicherheitsrats-Mitgliedern, endlich zu handeln und die
Sanktionen gegen den Iran zu verschärfen. Und weil sie damit rechnen, dass die
nicht wunschgemäß aktiv werden, drohen sie mit einem Übergang zu einer
militärischen Lösung des Iran-Problems, zu dem man sich in Israel „genötigt“
sehen könnte. Die israelische Luftwaffe statuiert daher an Syrien, Irans
Nachbarn und Bündnispartner, das bereits erwähnte Exempel. Demonstrativ
eigenmächtig wird die von Israels Geheimdienst aufgespürte atomare Gefahr in
Syrien ausgeschaltet. Israel hält sich auch künftig „alle Optionen offen“, sein
Atomwaffenmonopol in der Region zu verteidigen.
Mit dieser erfolgreichen
Vorführung ihrer Abschreckungsmacht ist die regionale Supermacht aber keineswegs
zufrieden. Der Krieg im Libanon wird in der Nation zu einer nationalen
Katastrophe, zum „Trauma“ stilisiert6: Weil der Ministerpräsident Unerreichbares
– die Befreiung von drei entführten Soldaten – vorgegeben habe und er zudem der
israelischen Armee die Bodenoffensive verweigert habe, so dass der Hizbullah
zwar geschwächt, aber nicht vernichtet sei und die Schiiten-Partei immer noch
eine mit-entscheidende politische Kraft im Libanon bleibe, habe Israel seine
Abschreckungsfähigkeit eingebüßt, anstatt sie zu verbessern. Um diese Scharte
auszuwetzen, so die einhellige öffentliche Meinung, müsse möglichst bald eine
rundum gelungene, an frühere Erfolge anknüpfende Militäroperation her. Das
Trauma wächst sich aus, als sich Olmert und Livni auf Drängen der USA mit einem
Waffenstillstand einverstanden erklären, über dessen Einhaltung gemäß Resolution
1701 des Weltsicherheitsrats Europäer in Gestalt einer UN-Friedensmission
wachen. Aus Israels Sicht wäre zwar nichts daran auszusetzen, dass fremde Mächte
den Waffenschmuggel aus Iran und Syrien an den Hizbullah unterbinden; dazu
müssten sie jedoch rigoroser gegen die Lieferländer vorgehen, als sie es tun,
und deren Grenzen gleich mitüberwachen. Vollends unerträglich aber ist, dass
diejenigen, die so schlampig mit Israels Sicherheit umgehen, dessen Luftwaffe
verurteilen, wenn die mit ihren Kontrollflügen über dem Libanon europäische
Versäumnisse ausbügelt. Unterm Strich erweist sich die UN-Resolution als Fehler,
den die Bush-Administration mit zu verantworten hat. Doch nicht nur in diesem
Fall versäumen es die USA, sich als Hauptfreund Israels so zu bewähren, wie man
es sich wünscht. Die US-Administration untersagt der Olmert-Regierung explizit
einen Alleingang in Sachen Iran, weil sie befürchtet, in einen Krieg
hineingezogen zu werden, den sie – zumindest zu diesem Zeitpunkt und auf diese
Weise – nicht will. Sie verweigert Israel nicht nur dafür benötigte Waffen,
sondern droht mit dem Abschuss seiner Kampfbomber, sollten sie auf dem Weg in
den Iran in irakischen Luftraum eindringen.
Wenn Olmert und Co aus solchen
Enttäuschungen schließen, „bei der Wahrung seiner Sicherheitsinteressen“ sei
Israel letztlich doch „auf sich allein gestellt“, dann verdrehen sie nicht nur
die Tatsachen, sondern manifestieren auch die Reichweite ihres Machtsanspruchs.
Die israelische Regierung weiß nur zu gut, dass die Existenz des jüdischen
Staats von Amerikas finanzieller und militärischer Unterstützung abhängt und
erst dessen Sicherheitsgarantie und diplomatischer Rückhalt ihr außenpolitische
Handlungsfreiheit verschafft. Ihr ist auch klar, dass Israel es vor allem der
Politik Bushs zu verdanken hat, wenn es nun als regionale Supermacht dasteht.
Aber gerade wegen der gewonnenen Stärke will Jerusalem endlich die nicht
nachlassenden Bemühungen fremder Mächte, Einfluss auf die Ordnung in der Region
zu nehmen, zum Scheitern verurteilen. Folglich ist die Olmert-Mannschaft
entschlossen, bei der Regelung der anstehenden Konflikte selber die Vorgaben zu
machen, an denen sich die Staaten der Region, „Möchtegern-Weltordner“7 und
selbst die Supermacht abzuarbeiten haben. Gegenüber den USA ist zwar wegen der
gegebenen Abhängigkeit Vorsicht geboten. Die geht aber nicht so weit, als
Amerikas Befehlsempfänger zu agieren. „Selbstbewusst“ nimmt Israel seine
Interessen wahr, testet aus, was die USA zulassen, und vertraut darauf, dass der
Hauptfreund „Israel niemals im Stich lässt“ (Bush).8 In Anbetracht des
bevorstehenden Wechsels im Weißen Haus hält es Olmerts Regierungsmannschaft für
angezeigt, noch mit Hilfe der alten Regierung die Weichen für die Nahost-Politik
der künftigen zu stellen.
Bekämpfung des vom
Iran gesteuerten Terrorismus statt Zwei-Staaten-Lösung
Anlass für die
Operation „Gegossenes Blei“ ist die Wiederaufnahme des Raketenbeschusses durch
die militanten Palästinenser im Gazastreifen. Die Hamas erklärt die
Verhandlungen über die Verlängerung des im Juni 2008 vereinbarten
Waffenstillstands für gescheitert, weil Jerusalem sich weigert, die Blockade des
Gazastreifens aufzuheben, und nimmt die Kampfhandlungen wieder auf. Die
Olmert-Regierung antwortet mit einer Großoffensive und zieht damit die
Konsequenz aus ihrer Unzufriedenheit mit dem bisherigen Erfolg ihrer
Kriegsführung. Die Blockade hat ihr Ziel nicht erreicht: Die Hamas denkt nicht
an Kapitulation, und die Bevölkerung lässt sich durch den „Gegenterror“ der
israelischen Armee nicht dazu bewegen, die Regierung Hanija aus dem Amt zu
jagen. Mit einem umfänglichen Schmuggelwesen durch Hunderte von Tunneln an der
ägyptischen Grenze und dank finanzkräftiger Unterstützung durch den Iran gelingt
es den Islamisten, das Überleben im Gazastreifen halbwegs sicherzustellen und
sich für den Kampf gegen israelische Angriffe auszurüsten. Im Bewusstsein ihrer
relativen Stärke stellen sie Forderungen bei den Waffenstillstandsverhandlungen
und weigern sich, den gefangen gehaltenen israelischen Soldaten Schalit
auszuliefern, falls nicht die von ihnen verlangte Gegenleistung, die Freilassung
hunderter palästinensischer Gefangener, erfolgt. Sie beharren auf ihrem
Widerstandsrecht gegen die Besatzungsmacht und wollen den Kampf gegen Israel
erst einstellen, wenn es sich auf die Grenzen von 1967 zurückzieht und einen
palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt akzeptiert. Als „gewählte
Führer des palästinensischen Volkes“, dessen „berechtigte Interessen“ sie
vertreten, verlangen sie, mit der israelischen Führung auf gleicher Augenhöhe zu
verhandeln. Darin sieht Olmert eine unerträgliche „Provokation“ durch von allen
ehrbaren Staaten geächtete Terroristen, die sich Israel als anständiger Staat –
„einzige Demokratie im Nahen Osten“, Hightech-Militär- und Atommacht – nicht
bieten lassen darf.
Dieser Krieg soll nicht eine der gewohnten Strafaktionen
sein, sondern „die Spielregeln völlig verändern“ (Verteidigungsminister Barak).
Der Feind darf nicht mehr in der Lage sein, gewaltsam seine politischen
Ansprüche gegen den jüdischen Staat geltend zu machen. Israel will ihn mit
maximaler Schädigung daran hindern, dass er jemals wieder eine Basis für
effektive Widerstandsaktionen finden und sich die Mittel beschaffen kann, um
seine alte Stärke wiederzugewinnen. Der Auftrag an die israelische Armee lautet,
sämtliche Regierungs- und Verwaltungsgebäude zu zerstören, so viele
Versorgungstunnel nach Ägypten wie möglich zu bombardieren und der Bevölkerung
klar zu machen, dass die Duldung der Hamas tödlich sein kann, auf alle Fälle ein
normales Leben unter deren Führung auf unabsehbare Zeit nicht stattfinden wird:
Wohnviertel werden beschossen, Tausende Wohnungen und Werkstätten zerstört,
durch militärische Sperrriegel die Fluchtmöglichkeiten abgeschnitten und
Schulen, in denen das UN-Flüchtlingshilfswerk UNWRA Schutz gewährt, unter
Beschuss genommen. Olmert und Livni haben „aus ihren Fehlern im Libanonkrieg
gelernt“: Der Ministerpräsident redet nicht mehr von Zielen, die „die
israelische Armee nicht erreichen kann“, bindet den Kriegserfolg nicht mehr an
die Befreiung Schalits, sondern verspricht in aller Bescheidenheit nur noch
einen so „schweren Schlag“ gegen die Hamas, dass der sie wirksam abschreckt,
Israels Süden mit Raketen zu beschießen. Diesmal weicht er einer Bodenoffensive
nicht mehr aus, sondern stimmt sein Volk beizeiten auf die Gefahr erheblicher,
„leider nicht zu vermeidender“ Opfer ein. Von vornherein baut seine Regierung
Kritik aus Europa und dem arabischen Lager vor, dass die Militär-Operation gegen
Kriegs- und Menschenrecht verstoße, weil sie vor allem die Zivilbevölkerung
treffe – und geht in die Offensive: Kein Staat habe das Recht, dem jüdischen
Staat den Kampf gegen den Terror zu verbieten, und in humanitären Fragen lasse
sich Israel keine Versäumnisse nachsagen.9 Israel ist so zivilisiert, den
idealen Mix zwischen Töten und humanitärer Versorgung zu finden: Demonstrativ
hat Barak vor dem ersten Bombenabwurf noch ein paar LKWs mit Hilfsgütern und
Medizin in den Gazastreifen hineingelassen, und an jedem Kriegstag legt die
Armee eine zweistündige Feuerpause ein.
Als wichtigste Lehre aus dem
„Libanon-Desaster“ beschließt die Regierung in Jerusalem, sich nicht mehr
internationalem Druck zu beugen. Sie hat es satt zu kämpfen, um sich am Ende auf
einen „Kompromiss“ mit den radikalen Palästinensern einlassen zu müssen. Die
UN-Resolution 1860, die eine Waffenruhe fordert, weist sie zurück; als regionale
Supermacht lässt sich Israel von anderen Staaten keine Vorschriften machen; der
Krieg werde solange dauern, wie Israel ihn für nötig erachtet. Den
Sicherheitsratsbeschluss empfindet Israels Führung insgesamt als einen einzigen
Affront: Er ignoriert den Unterschied zwischen einem demokratischen Staat als
Opfer und einer Organisation von Terroristen als Täter – ein Unterschied, der
„niemals übersehen werden“ dürfe – , weil er ohne Nennung eines Subjekts, also
von beiden gleichermaßen eine „sofortige, dauerhafte und umfassend eingehaltene
Waffenruhe“ verlangt und „jede Gewalt und alle Feindseligkeiten, die sich gegen
Zivilpersonen richten, sowie alle terroristischen Handlungen“ verurteilt.
Darüber hinaus fordert der Beschluss „internationale Anstrengungen zur Milderung
der humanitären und wirtschaftlichen Lage in Gaza“, ermutigt zu „einer
innerpalästinensischen Aussöhnung“, fordert „dringende Anstrengungen seitens der
Parteien und der internationalen Gemeinschaft zur Herbeiführung eines
umfassenden Friedens auf der Grundlage der Vision einer Region, in der zwei
demokratische Staaten, Israel und Palästina, Seite an Seite in Frieden innerhalb
sicherer und anerkannter Grenzen leben, wie in Resolution 1850 (2008) des
Sicherheitsrats vorgesehen, und erinnert außerdem an die Wichtigkeit der
Arabischen Friedensinitiative.“
Das höchste UN-Gremium hat also einfach nicht
zur Kenntnis genommen, worauf Israel mit seiner Operation „Gegossenes Blei“
hinaus will: In Gaza gibt es keine normalen Lebensbedingungen, sondern wird der
Krieg fortgesetzt, weil und solange sich dort die Hamas noch rührt; die Bildung
einer palästinensischen Einheitsregierung ist unzulässig, weil Leute mit
terroristischen Staatsgründungszielen und gewaltsamer Vorgehensweise nicht
aufgewertet werden dürfen; die „Vision“ von zwei demokratischen Staaten ist
nicht mehr aktuell, weshalb die einzige Aufgabe für die internationale
Gemeinschaft darin besteht, Israels Antiterrorkrieg zu unterstützen; statt
Forderungen für eine Aussöhnung mit Israel zu stellen, sollten sich die
arabischen Staaten zusammen mit Israel in die Antiterror-Front gegen den Iran
einreihen.
Dass die US-Außenministerin die Resolution 1860 mit den Europäern
abgestimmt hat, hält die israelische Regierung für einen Skandal, weil Amerika
mit dem Übergehen israelischer Wünsche seinem Hauptverbündeten in den Rücken
gefallen sei. Nach einer Intervention Olmerts10 enthalten sich die USA bei der
Abstimmung und nehmen der Resolution damit de facto ihre Verbindlichkeit für
Israel. Beschwichtigen aber lässt sich Jerusalem erst, als die US-Regierung auf
Israels „Anregung“ eingeht, den Gazakrieg als „Chance“ auch für Amerikas
Neuordnung des Nahen Osten zu begreifen, also für sein Bemühen, die arabische
Welt und die gesamte internationale Gemeinschaft darauf festzulegen, den
Terroristen das Handwerk zu legen und ‚die gemäßigten Kräfte’ zu stärken.11 Das
Resultat der Überzeugungsarbeit liegt in einem „Memorandum of Understanding“
vor, dem „US-israelischen Abkommen zur Beendigung des Waffenschmuggels nach
Gaza“. Hier holt Bush all das nach, was der Sicherheitsrat so sträflich versäumt
hat. Nach dem Schema der UN-Resolutionen erinnern sich die USA an ihre
Verpflichtung, „Israels Verteidigungs- und Abschreckungs-Fähigkeit“ gegen „jede
Bedrohung oder mögliche Kombination von Bedrohungen“ „zu erhalten und zu
stärken“; stellen fest, dass „terroristische Handlungen“ nicht zu rechtfertigen
sind, „wo, durch wen und aus welchen Gründen auch immer sie verübt werden“;
erkennen „die terroristische Bedrohung Israels“ „durch den Waffenschmuggel“ und
„die Schaffung einer terroristischen Infrastruktur“ in Gaza an und verstehen,
dass Israel „sein jeder Nation zukommendes Selbstverteidigungsrecht“ wahrnimmt
und sich „angemessen gegen den Terror verteidigt“. Noch mehr als diese
Reinwaschung von jeglichem Verdacht der „Überreaktion“ und des mangelnden
Friedenswillens verbucht Israel aber als Erfolg, dass Amerika per Vertrag
zusagt, sich bei der internationalen Gemeinschaft für eine verstärkte Bekämpfung
des Terrorismus einzusetzen, zu der sie durch einschlägige UN-Resolutionen
längst verpflichtet ist. Zusammen mit den Nato-Partnern wollen die USA das
„Problem der Waffentransporte an die Hamas ... durchs Mittelmeer, den Golf von
Aden, das Rote Meer und Ostafrika angehen“, bestehende Vereinbarungen sollen in
dieser Hinsicht verbessert und neue Initiativen ergriffen werden. Erwähnt werden
u.a. „die Erweiterung der existierenden internationalen Sanktionen und die
Verschärfung der Überwachungsmechanismen gegen die Lieferung von materieller
Unterstützung für die Hamas und andere terroristische Organisationen,
einschließlich einer internationalen Reaktion auf jene Staaten wie den Iran, die
beschlossen haben, Waffen- und Sprengstofflieferant für Gaza zu sein.“
Nach
der Unterzeichnung dieses „Agreements“ erklärt Israel einseitig den
Waffenstillstand, weil es den „Zweck der Operation erreicht“ habe. Damit ist
klargestellt, dass der Zweck des Kriegs nicht nur darin bestand, ein paar
hundert Palästinenser zu töten, -zig Schmuggel-Tunnel zu zerstören und die
Bevölkerung des Gazastreifens zu terrorisieren, sondern nicht zuletzt darin, von
den USA gegen die Einmischungsversuche aller anderen Nationen noch einmal
förmlich das Recht bestätigt zu bekommen, die eigenen Machtansprüche gegen die
Palästinenser und ihre „Hintermänner“ mit aller Gewalt durchzusetzen. Zugleich
sollte Bush seinem Nachfolger die Richtung für eine Nahostpolitik weisen, die
Israels Interessen gerecht wird. Und obgleich Israel mit der in letzter Minute
geschlossenen Vereinbarung nicht in der Hand hat, dass Obama sich daran hält:
die scheidende Olmert-Regierung hat der Staatenwelt eine Vorgabe gemacht, an der
sie sich nun abzuarbeiten hat.
PS:
Zumindest der israelische Wähler hat die Botschaft des Gazakriegs begriffen und
gleich das zionistische Original gewählt; eine deutliche rechte Mehrheit ergibt
sich für Netanjahu, der für die „Verbesserung der Ökonomie und der Sicherheit im
Westjordanland statt für Gebietsabtretungen und die Lösung des
Flüchtlingsproblems“ (Jordan Times, 8.2.) steht, und für Liebermann, der schon
seit Jahren für eine „maximale Separierung“ von jüdischer und arabischer
Bevölkerung unter Einbeziehung Ägyptens und Jordaniens wirbt. Der Mann, der gute
Chancen hat, der nächste Regierungschef zu werden, sprüht jedenfalls vor
Tatendrang:
„Falls ich gewählt werde, wird meine erste Mission sein, die
iranischen Terrornester im Randgebiet (on the outskirts) von Ashkelon und
Beersheba (gemeint ist der Gazastreifen) zu erledigen und die gesamte
internationale Gemeinschaft für diese Mission zu rekrutieren. Der Iran wird sich
nicht mit Atomwaffen bewaffnen.“ (Netanjahu, Jerusalem Post, 31.1.)