GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Die Öffentlichkeit bespricht die Finanzkrise (5)

Gleich zu Beginn steht für Medien und Politik ein ausgesprochen positiver Aspekt der Krise fest:

"Es ist eine fundamentale Krise der Vereinigten Staaten, die Nation sieht sich in ihrer Rolle als ökonomische Führungsmacht gefährdet".

So Nikolaus Piper in der "Süddeutschen", und Finanzminister Steinbrück stößt im Bundestag ins selbe Horn: "Die USA werden ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystems verlieren." Nun kommt es schwer darauf an, die günstige Gelegenheit auszunutzen und sich in der internationalen Konkurrenz nach vorn zu arbeiten:

"Europa sucht nach einem eigenen Helden. Jede Krise sucht ihren Helden, für jede Not findet sich ein Retter. Schwierig nur, wenn gleich mehrere den Job der Lichtgestalt für sich beanspruchen: Nicolas Sarkozy, Gordon Brown, Angela Merkel – eine europäische Helden-Trias in Zeiten der Finanzkrise, die den Spitzenplatz noch unter sich ausmachen muss."

Naiv zu denken, es wäre doch ganz gut, wenn Europa über drei Helden verfügte. Da belehrt uns die "Süddeutsche" in leicht ironischem Ton, dass es um die Besetzung des Spitzenplatzes geht. Von ‚unseren‘ Repräsentanten wird erwartet, dass sie dabei ein gewichtiges Wort mitreden. Es geht also nicht nur um die Konkurrenz gegen die USA, auch die Konkurrenz der europäischen Führungsnationen bekommt einen gehörigen Schub, wobei den USA der Verlust ihrer vormaligen Führungskompetenz vorab wie ein selbstverständliches Faktum attestiert wird.

Starke Führung ist jetzt gefragt und da heißt es höllisch aufpassen, dass die Posten nicht schlecht besetzt sind und falsche Figuren die Lage unberechtigterweise ausnutzen. Die Krise hätte sich doch nun wirklich zu einem passenderen Zeitpunkt, z. B. unter deutscher EU-Präsidentschaft, einstellen können; nun aber muss die deutsche Presse mit Säuernis zusehen, wie sich immer wieder der französische Staatschef in den Vordergrund spielt. Spiegel – "großes Ego" – und "Frankfurter Allgemeine" bemühen sich darum, den aktuellen Europa-Vorstand, Sarkozy eben, auf die Größe zurückzustutzen, die ihm aus deutscher Sicht zusteht. Seine Idee, den kommenden Ratsvorsitz der europaskeptischen tschechischen Staatsführung zu entwerten, indem er sich daneben als Vorsitzender der Euro-Gruppe und eigentlicher Führer des Vereins Europa installiert, hat mit ‚unserer‘ Vorstellung von guter Führung nun aber auch überhaupt nichts gemein. Er hat sie ja auch "nicht vorab mit der Bundesregierung besprochen, sondern lauthals in die Mikrofone der Weltpresse hinausgerufen". Aber das kennen wir ja schon. "Sarkozys Aktionismus läuft ins Leere, Sarkozys Welt ist nun einmal nicht das beharrliche Bohren dicker Bretter. Er muss die Welt jeden Tag mit mindestens einer neuen Idee versorgen." (FAZ) Der Ärger, dass ausgerechnet Frankreich im Namen Europas das Wort führt, wurmt auch noch am nächsten Tag weiter in der FAZ herum:

"Unstrittig hat sich der französische Präsident einen Namen als Krisenmanager gemacht und einen europäischen Konsens über die Bewältigung der Krise zustande gebracht. Diesen Konsens hat er seither missbraucht. Was er an neuen Vorschlägen – stets auf eigene Rechnung – präsentierte, hat mit den Finanzmärkten wenig zu tun, [...] sehr viel dagegen mit uralten französischen Vorstellungen[... Er] nutzt die Finanzkrise als Vorwand, um seine Forderungen nach mehr Staat allüberall zu rechtfertigen."

Nachdem die Krise so global ist, wie es sich für eine – früher einmal bestaunte – globalisierte Welt gehört, weiß die sachkundige Presse sofort, was da zur Klärung ansteht: Es müssen die Schäden der Krise und die imperialistischen Krisengewinne abgeschätzt werden. Wo überall müssen "wir" damit rechnen, dass "unsere" Geschäftsfelder "wegbrechen"? Welche Schäden stehen "uns" ins Haus wegen der Versager anderswo? Was hat man von fremden Regierungen alles an Gewaltakten gegen die dortigen Völker im Namen unserer Krisenbewältigung zu verlangen? Das ist ja wohl selbstverständlich, dass beim Blick in die Welt das Wohl und Wehe der eigenen Nation den geistigen Maßstab abgibt, denn ohne deutsches Wachstum und deutsche Weltpolitik steht ja wohl auch der Rest der Welt ziemlich blöd da.

Was müssen wir da aber hören aus Ländern wie Indien und China, die "Deutschlands Unternehmen" schon fest verplant hatten? "Indien – Land der großen Erwartungen [...] Deutschlands Unternehmen sollen vom Wachstumsmarkt Indien profitieren, und die deutsche Regierung möchte den neuen ‚global player‘, wie sie sagt, stabilisieren. Das alles geht indes nur, wenn die Wachstumsraten der vergangenen Jahre sich fortsetzen". Wenn schon hier Krise ist, können die uns doch nicht auch noch ihr Wachstum vorenthalten! Stattdessen vermehren sie aber die ohnehin notorische "Armut" und das gefährdet nicht die Armen, sondern ein höheres Gut: "Kein Mensch weiß, wie lange das Land deshalb noch stabil bleibt." (SZ)

Auch die FAZ"Asien im Abwärtssog" – macht sich vor allem die Sorge, ob sich die dortige Armut nicht etwa wg. der Krise an der politischen Stabilität unserer Wachstumsmärkte vergreift, sieht darin aber auch eine gute Gelegenheit, der chinesischen Führung wieder einmal Versäumnisse in Sachen Demokratie vorzuhalten. Denn ihr Modell hat kein "Ventil". Dort ist wachsender Wohlstand "Kernstück eines sozialen Paktes mit der Regierung. Letztere sorgt für Stabilität und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse, dafür begehren die im relativen Wohlstand Geborenen nicht auf. Wird dieser Pakt einseitig aufgelöst, vermag niemand die Folgen vorherzusagen. Abschwung und Aufruhr sind hässliche Brüder. In Indien wird sich dies auf dem Wahlzettel niederschlagen. In China gibt es keine Wahlen als Ventil." Ein Kompliment für die Demokratie als beste Herrschaftstechnik, um unzufriedene Massen niederzuhalten – alle Achtung, was Demokraten sich so trauen, zu Papier zu bringen!

Dann kümmert sich die "Süddeutsche" um die neuen EU-Mitglieder im Osten. "Wir" waren doch so gut zu denen und haben ihnen ihr Wachstum praktisch geschenkt: "Westliche Investoren finanzierten die hohen Wachstumsraten." Nicht etwa, dass diese Investoren an den Ländern nicht gut verdient hätten. Aber jetzt, wo die Investoren befinden, dass ihr Geld und ihr Kredit im Osten nicht mehr so gut aufgehoben sind, was müssen "wir" da entdecken? "Ein ganzes Volk hat auf Kredit gelebt. Estland und Lettland, lange Zeit Vorbilder für den Umbau in Marktwirtschaften, aber eben auch abhängig von ausländischem Geld." Man mag gar nicht fragen, wer denn eigentlich diese jetzt plötzlich windigen Staatsprojekte bis neulich noch zu Vorbildern erklärt hat; wer bis neulich noch deren Herrichten zur Anlagesphäre für Euro-Kapitale, Import von ausländischem Geld zu dem nationalen Erfolgsweg erklärt hat. Spätestens jetzt soll klar sein, wie ungesund das dortige Wachstum gewesen sei. Große Enttäuschung über diese verantwortungslosen Brüder macht sich breit, immerhin hätten sie uns ja auch irgendwie all die Jahre hinters Licht geführt: Erst "galt die Entwicklung Mittelosteuropas als Erfolgsgeschichte, nun erweist sich, dass sie auf Sand gebaut war – ein Leben auf Pump mit Hilfe fauler Kredite".

Dann wird Brasilien durchgenommen. Von dem hat der Kommentator eine gute Meinung, weil sich dessen Regierung während der letzten Jahre die größte Mühe gegeben hat, es den "Finanzmärkten" recht zu machen Er bescheinigt Brasilien ein "ausgezeichnetes Exportpotenzial mit einer konkurrenzlos breiten Palette von Rohstoffen, die sich aller Erfahrung nach auch in konjunkturell schwierigen Zeiten recht robuster internationaler Nachfrage erfreuen". Umso schlimmer jetzt die "beispiellosen Kursverluste auf Brasiliens Aktienmarkt" – den Spekulanten müssen in diesem Fall also ernsthafte Vorwürfe gemacht werden. Und dabei hat sich der Ex-Arbeiterführer Lula doch so angestrengt, für international agierende Investoren die Schwellen in sein Land möglichst niedrig und deren Gewinnaussichten möglichst groß zu machen. Anders im Fall Russland. Für dieses Land ließe sich zwar, analog zu Brasilien, auch eine letztlich robuste internationale Nachfrage für dessen Rohstoff diagnostizieren, aber der Eigentümer fällt nun mal bei uns immer wieder unangenehm auf, so dass man dem Preisverfall beim Öl einiges abgewinnen kann: "Der Anstieg des Ölpreises hatte das ressourcenreiche Russland einst gemästet, nun trifft es der schnelle Fall besonders hart." Außerdem macht die Regierung schon wieder alles verkehrt: "Mit Zusagen und Krediten in Milliardenhöhe füttert die staatliche Entwicklungsbank die angeschlagene Industrie und weckt bei manchen – wer mögen die "manchen" bloß sein?! – "die Sorge, der Kreml nutze die Krise, um eine Welle der Verstaatlichung auszulösen." Was woanders ein Konjunkturpaket wäre, heißt in Putins Reich: "Rückkehr zum Staatsdirigismus"; wo hier "der Mittelstand" gerettet wird, heißt es dort: "Russland stützt seine Oligarchen."

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Schließlich noch ein Nachtrag der FAZ zur Gerechtigkeit der Krise:

"Der scharfe Rückgang der Preise für Rohstoffe und Agrarprodukte bringt vor allem Länder wie Venezuela, Ecuador und Bolivien in Schwierigkeiten, die am meisten von der Hausse profitierten – und deren Regierungen gleichzeitig am lautesten gegen den Kapitalismus hetzten."

Was soll jetzt eigentlich gesagt sein? Hätten sie nicht so gehetzt, hätte der Kapitalismus sie nicht in die Krise gestürzt? Oder geschieht ihnen gleich recht, dass der Kapitalismus sich genauso ruinös aufführt, wie sie schon immer gehetzt haben? – Egal, es trifft die Richtigen.

Wenn die Verhältnisse global aufgemischt werden, hält es die professionellen Politikberater jedenfalls kaum noch auf ihrem Sessel, sie spekulieren ungerührt auf neue Chancen und mögliche Krisengewinne, auf eine neue Aufteilung der Welt. Das ökonomische Desaster kann gar nicht groß genug sein, die Folgen für die Statisten in aller Welt nicht schlimm genug – der imperialistische Verstand dieser Politikberater bleibt immer obenauf.