GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Die FAZ erklärt: Warum brauchen wir das Geld? (Teil 2)

Ideologien - und was sie uns über die Gesellschaft verraten

In einer Reihe „Erklär' mir die Welt“ macht(e) sich die FAZ die Mühe, neben ihrer alltäglichen Berichterstattung über die neusten Winkelzüge von Politik, Wirtschaft und Finanzmärkte einmal ganz grundsätzlich zu werden und ihre Leser darüber aufzuklären, warum die Welt so ist, wie sie ist – was man gestandenen FAZ-Lesern eigentlich immer schon unterstellen kann. Aber man weiß ja nie – die Redaktion jedenfalls hat die Anstrengung nicht gescheut und mit der Frage aufgewartet:

WARUM BRAUCHEN WIR DAS GELD?

In einem zweiten Radiovortrag sollen weitere Funktionen des Geldes, die uns der FAZ-Autor warm ans Herz legt, geprüft werden. Geleitet von seinem praktischen Verstand („Wozu brauchen wir das Geld?“) beschreitet er den weiteren Weg in seiner Theorie.

„Doch die Funktion des Geldes beschränkt sich nicht auf die eines Zahlungsmittels. Anders als die schnell verderblichen Runkelrüben oder Kichererbsen ermöglicht Geld, Werte zu speichern, zu bewahren und damit auch zu akkumulieren und zu verleihen. Die Bildung erheblicher Vermögen und die Finanzierung großer Investitionen waren erst in der Geldwirtschaft möglich.“

Man höre und staune! Mit Produkten eines (mittelalterlichen?) Bauernhofes, wohin uns unser Theoretiker immer wieder entführt, lassen sich die vielen schönen Dinge, die uns das Geld „ermöglichen“, nicht machen. Das muss einem ja mal gesagt werden: mit Runkelrüben einen Schatz bilden, mit Kichererbsen einen Luftfahrtkonzern oder eine Bank gründen? Na eben! Das geht nicht! Weil ‚uns’ diese Dinge jedoch so sehr am Herzen liegen, sind wir froh, dass es das Geld gibt. Oder etwa nicht? Jedenfalls auch ein schöner Übergang, den der FAZ-Experte seinen Lesern da unterjubeln will: Sein kindgemäßes Einführungsbeispiel, wo Brot- und Rüben- KäuferVerkäufer auf dem Wochenmarkt am Marktplatz vorm Rathaus zueinander finden wollen und ohne Geld nicht finden können, war überhaupt bloß ausgedacht, um ‚uns’ noch ganz andere Verhältnisse, nämlich Geld-Verhältnisse/, schmackhaft zu machen – als wären die ganz genau so im Interesse von Wochenmarktbesuchern, wie wenn der Bauer aus der Wetterau und sein Kunde mit Appetit auf Rübensirup bei 2,18 Euro handelseinig werden. Dabei geht es jetzt plötzlich um ganz andere Sachen als den Konsum von Brot und Brotaufstrich.

Da geht es erstens darum, mit Geld „Werte zu speichern“. Gebrauchswerte können damit unmöglich gemeint sein: Um die zu speichern, braucht’s Lager und Kühltruhen. Das Ziel beim Wert-Speichern mittels Geld ist also nicht der konsumierbare Reichtum, sondern abstrakter Reichtum, der gegen den Konsum festzuhalten ist. Und dessen Ziel sagt der Geld-Rechtfertiger von der FAZ zweitens auch gleich auf, nämlich mit einem „und“ ganz locker so dahin: „Akkumulieren“ soll der Geldreichtum - das ist der Hauptwitz an ihm: Aus Geld soll mehr Geld werden. Von wegen, das Schöne am Geld wäre ‚Brot trifft Runkelrübe’ – Geld kann noch viel, viel mehr!. Unser Weltaufklärer von der Zeitung für die klugen Köpfe jedenfalls ist von den tollen Möglichkeiten, die das Geld eröffnet, so besoffen, dass er sich glatt erspart, darüber ein Wort zu verlieren, warum bzw. wie man „erhebliche Vermögen bilden“, gar aus Geld mehr Geld machen („akkumulieren“) kann.

Aber immerhin hat sich der FAZ-Autor so weit vorgearbeitet, dass wir nun ‚wissen’, dass ‚wir’ uns nicht bloß auf Wochenmärkten für Brot und Kichererbsen herumtreiben – sondern Insassen einer Geldwirtschaft sind. Und in dieser gibt es ja in der Tat Leute mit erheblichem Vermögen, riesige Fabriken und nicht zuletzt Banken – lauter Institutionen, die ohne Geld nicht möglich wären. Aber was bedeutet das denn nun?

a) Z.B. eine „große Investition“. Es ist anzunehmen, dass es auch dem Schreiberling der FAZ kein Geheimnis ist, dass dazu ein bisschen mehr Geld nötig ist als die Menge, die als Zahlungsmittel für den Erwerb von Lebensmitteln immerzu auch wieder verschwindet. Daher ist es für ihn wohl auch ebenso selbstverständlich wie begrüßenswert, dass eine über diese beschränkte Funktion hinausgehende größere Menge Geld die Macht verleiht, eine „Investition“ zu tätigen: sprich eine Fabrik zu eröffnen mit Maschinen, Arbeitsmaterial und nicht zu vergessen – Arbeitskräften. Natürlich um mehr Geld zu erlösen als man „investiert“ – deshalb heißt das ja so.

b) Wovon der Mann kein Sterbenswörtchen erwähnt, aber so fest ausgeht, ist der Umstand, dass diese schöne „Möglichkeit“ (Macht) des Geldes darauf beruht, in ausreichendem Maß Arbeitskräfte vorzufinden, die als käufliches Gut zu erwerben sind. Und siehe da: in der Geldwirtschaft laufen jede Menge Leute herum, die – wie gesehen – Geld brauchen, um an Notwendiges wie Brot etc. heranzukommen, aber nie soviel für ihre Arbeit erhalten, um es anders zu verwenden denn in seiner Funktion als Zahlungsmittel, das mit dem Kauf des Notwendigen auch schon wieder weg ist.

c) Die „Akkumulation (zu deutsch: Anhäufung, Vermehrung) von Werten, die „Bildung großer Vermögen“ lebt – im buchstäblichen Sinn – von einer Menge armer Leute, die davon leben, mit ihrer Arbeit fremdes Eigentum zu vermehren. Und aus diesem Status nie herauskommen. Aber da kennt sich das eingefleischte FAZ-Publikum ja sowieso gut aus: Löhne – davon müssen die Leute samt ihrem Anhang zwar leben, das sind jedoch zugleich Kosten, die – für den „Investor“ – nie niedrig genug sein können. Dumm wie die Nacht und die parteilich bis auf die Knochen – wie unser Schreiberling gehen alle mit der praktischen Gewissheit zu Werke, dass man sich mit einer ausreichenden Menge von Geld (Wert) die Quelle von Geld, und zwar von mehr Geld, einkauft. Kosten und Gewinn – das sind die Kategorien, in denen Investoren und ihre Lobhudler denken; die aufgewandten Kosten sind nur durch den Gewinn zu rechtfertigen (schließlich leben ‚wir’ ja in einer „Geldwirtschaft“); und der Gewinn steigt umgekehrt proportional dazu, mit immer geringeren Kosten immer mehr Arbeit zur Anwendung zu bringen ... Das könnte man übrigens jeden Tag in der FAZ nachlesen ...

d) Arbeit macht also reich – nicht etwa diejenigen, die sie verrichten, sondern diejenigen, die sie sich kaufen. Und denen deshalb mit Recht und Gesetz deren Produkte gehören, die sie dann versilbern. Diesem Zweck ist die Arbeit mit allem Drum und Dran untergeordnet, und wo bzw. wenn sie diesen Zweck nicht erfüllt, findet sie auch nicht statt. Örtlich und zeitlich in unterschiedlichem Maß laufen dann also auch noch viele Leute herum, die außer ihrem „Vermögen“, arbeiten zu können, nichts an Vermögenswerten aufzuweisen haben, aber – wie es auf neudeutsch heißt – keinen „Arbeitsplatz“ bekommen. So dass es mitten in der Geldwirtschaft mit ihren vielen tollen Möglichkeiten eine beträchtliche Anzahl von Menschen gibt, die bloß Kosten verursachen, ohne sich für die Eigentümer von Geldvermögen krummlegen zu dürfen (Hartz IV); Kosten, die sich – vom Standpunkt des Wachstums von Geldvermögen, um das sich in der Geldwirtschaft alles dreht – nicht lohnen und deswegen immer schon „unerträglich“ hoch sind. Das kann übrigens ebenfalls jeden Tag in der FAZ nachlesen ...

e) Last not least. Auch die schöne „Möglichkeit” des Geldverleihens ist auf der geschilderten Grundlage so normal wie einträglich: Wo die Macht des Geldes über alles Arbeiten und Leben in der Gesellschaft etabliert ist, kann man – wenn man genug davon hat – diese Macht anderen leihen, natürlich unter der Bedingung, dass das verliehene Geld mit einem feinen Plus (auch Zins genannt) zurückkehrt. Und was wäre die Geldwirtschaft ohne die Banken, die Fachleute für den Umgang mit Geld und Geldvermehrung? ‚Wir’ wüssten ja gar nicht, wohin ‚wir’ ‚unser’ Geld tragen sollten ... Aber die Sorge haben wir ja gar nicht; unser Monatsgehalt und unser bisschen davon Erspartes wandern ja gleich auf Gehalts- und Sparkonten bei unserer Bank oder Sparkasse. Und diese Experten wissen schließlich, wie man „Geld arbeiten“ lässt. Wie man z.B. aus Einlagen und sogar noch aus Schulden lauter Instrumente der Geldvermehrung macht - und manchmal noch „innovative Finanzprodukte“, deren Erfinder versprechen, die Kunst, aus Geld mehr Geld zu machen, zu vervollkommnen. Das hilft dem Wachstum voran – nicht bloß dem der Geldkapitalisten, sondern auch dem der Fabrikeigentümer, die für ihren Erfolg beim Geldmachen immerzu auf die Angebote der Kreditwirtschaft zurückgreifen. So wächst es, das Wachstum - bis dann die Spekulation auf immer mehr Wachstum wieder einmal scheitert; und zwar an keiner Naturkatastrophe und an keinem Klassenkampf, sondern an nichts anderem als an ihren eigenen Rechnungsweisen.

Nun wissen wir also alle, wozu wir das Geld „brauchen“. Denn soviel ist ja immerhin klar geworden: Ohne Geld wären wir um eine komplette Klassengesellschaft ärmer. Und eine Finanzkrise hätte es ebenfalls nicht gegeben. Das wäre doch wirklich schade!

Es gibt dazu noch eine Anekdote. Es scheint eine wirklich beliebte Denkfigur der Volkswirtschaftslehre zu sein, sich unsinniges Zeug auszudenken, um von dort messerscharf darauf zu schließen, dass die Welt so am besten und zu aller Zufriedenheit funktioniert, wie sie nun einmal eingerichtet ist. Unser Ökonomiefachmann von der FAZ bemüht dafür noch den berühmten Ökonomen und Nobelpreisträger Milton Friedman, der sich mit der Frage der richtigen Menge Geldes als Umlaufmittel beschäftigt und sich dazu ein Geschichtchen ausgedacht hat.

„Was passiert, fragte Friedman, wenn ein Hubschrauber so viele Banknoten abwirft, dass sich das umlaufende Geld verdoppelt? Viele Menschen mögen glauben, der unverhoffte Geldsegen würde sie reicher machen. Weit gefehlt, sagt Friedman. Denn die Produzenten würden die Gelegenheit nutzen, um ihre Preise deutlich zu erhöhen. Am Ende hätten die Menschen zwar mehr Geld in der Tasche, könnten aber nicht mehr Güter kaufen.“

Fast hätte man es sich gedacht, aber jetzt wissen ‚wir‘ natürlich endgültig, warum keine Hubschrauber herumfliegen, die Banknoten abwerfen: Es würde uns gar nichts nutzen. Weil – auch hier hangelt sich die Phantasie streng an den ökonomischen Fakten der real existierenden Marktwirtschaft entlang – die Produzenten unter dieser Bedingung ihre Preise für die schönen Güter schlicht erhöhen. Das leuchtet ein, weil es so ist; weil die Produzenten immer versuchen die Preise zu erhöhen, also auch dann, wenn keine Geldhubschrauber kreisen.

Und: Was sollen wir daraus lernen? Das ist schon ulkig: Angefangen hat der studierte FAZ-Schreiber damit, dass er ‚uns’ den Nutzen des Geldes für unseren Konsum vor Augen führen wollte (wenn auch mit sehr fragwürdigen Argumenten). Und dann landet er bei seiner Expertise über ‚Warum brauchen wir das Geld?’ bei einem Nobelpreisträger für Wirtschaftwissenschaft, der den Nutzen von mehr Geld für eben diese Figur des gemeinen Endverbrauchers lauthals dementiert - und zwar mit dem Hinweis darauf, dass Geld und Preise allein das Mittel der großen Geldeigentümer sind. Man soll sich nur nichts über einen allzu großen Nutzen des Geldes vormachen – diese Fortsetzung ihrer Botschaft vom fraglosen Nutzen des Geldes für ‚uns alle’ ist den Herrschaften von der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft ein echtes Anliegen. (Im Falle des Mr.Friedman kommt das daher, dass er die konkurrierende wirtschaftspolitische Schule des Keynsianismus bekämpfen wollte, die aus einer Ausweitung der Geldmenge Wachstumsimpulse erwartet.) Dann nehmen wir uns halt einmal die Freiheit, den Ideologien der bürgerlichen WiWis zur Abwechslung mal ein Stück sachdienliche Mitteilung zu entnehmen: Machen uns die Herren Volkswirtschaftler nicht eigentlich darauf aufmerksam, dass ‚wir‘ als Konsumenten so oder so (mit ein paar mehr oder weniger Banknoten) die trostlosen Figuren der Marktwirtschaft sind, deren Konsum nichts anderes ist als ein bloßes Anhängsel im Kreislauf kapitalistischen Produzierens? Dass das Geld sowieso nicht dazu da ist, dass Konsumenten sich in ausreichendem Maß das zulegen, was sie brauchen und was ihnen gefällt? Dass also derjenige, der sein Geld – selbst bei unverhofftem Umfang – nur für Güter seiner Notwendigkeiten und Bedürfnisse ausgibt bzw. ausgeben muss‚ ein armer Wicht ist und bleibt?

Ist euch auch aufgefallen, dass Mr.Friedmans Hubschrauber-Beispiel wieder öffentliche Aktualität genießt? Kürzlich haben die Kollegen von der FR damit einen ganzen Leitartikel bestritten und sich schon in der Überschrift gefragt, wo bloß der Geldhubschrauber bleibt. Die sind bekanntlich mehr keynsianistisch gewickelt und wünschen sich daher in der momentanen Krisenlage eine ganze Flotte Staats-Hubschrauber, die Geld regnen lassen, um das kapitalistische Wachstum anzukurbeln. Ihre Begründung: Derzeit sei das Problem, das uns allen auf den Nägeln brennt, nicht die von Friedman beschworene Inflation – wo die Leute also dadurch angeschmiert sind, dass das Geld immer weniger wert wird und die Preise steigen, sondern das Gegenteil: die Deflation soll drohen oder schon da sein. Und laut Wirtschaftsexperten von der FR ist Deflation das Gegenteil eines Paradieses für Verbraucher. Denn dass da die Preise stabil sind oder sogar sinken, das bezahlen dieselben Verbraucher damit, dass das Wachstum ausbleibt und sie deshalb – das ist dem FR-Auskenner das selbstverständlichste von der Welt - immer weniger Lohn kriegen und immer massenhafter arbeitslos werden und gar kein Geld mehr kriegen.

Nehmen wir also mal die Botschaften beider wirtschaftspolitischen Schulen über Geld und Geldwirtschaft zusammen und lesen sie gegen den Strich: Dann kommt glasklar heraus, dass die arbeitende und ihr Arbeitsentgelt aufbrauchende Menschheit in jedem der Zustände am Arsch gepackt ist, in die die Geldwirtschaft sie abwechselnd hineintunkt. Man sollte also besser nicht mit bangem Blick auf die Krise und ihre längst angekündigten ungemütlichen Folgen den momentanen Rettungstaten der politischen Gewalt für das Geldsystem und zu dessen Restaurierung gutes Gelingen wünschen. Vielleicht sind in Hinsicht auf Geld und Geldsystem vom Standpunkt der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung aus mal andere Konsequenzen angezeigt: mehr so in Richtung (um mal wieder eine heute aus der Mode gekommene Losung der Anti-Atomkraft-Bewegung zu zitieren) „Hau weg den Scheiß“.