GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Linke Kritiker fordern angesichts der Finanzkrise –
ein besseres Management des Kapitalismus

Wenn die Marktwirtschaft in der Finanzkrise Billionen-Summen verbrennt mit unabsehbaren Folgen auch für Leute, die nicht Geld, sondern ihre Arbeitskraft auf den Markt tragen, dann ist das für die deutsche Linke auf jeden Fall eins nicht: ein Argument zur Abschaffung des Kapitalismus mit Klassenkampf. Das Gegenteil ist der Fall: Demokratische Sozialisten rehabilitieren das System. Das tun sie, indem sie gierige Manager, also Menschen mit schlechtem Charakter, verantwortlich machen, und sie tun es, indem sie die Politik wegen mangelhafter Regulierung anklagen; denn das unterstellt, das Problem liege in der Inkompetenz der Regierung und mit richtiger Regulierung wäre alles in Butter. Konsequenterweise rufen Oskar Lafontaine und seine Fans im Deutschen Bundestag zu nichts Geringerem auf, als "endlich wieder Ordnung in das System zu bringen".

Keine Frage, wen die Linke damit beauftragt: Die mal zwischendrin als geschädigt bedauerte Klientel der Lohnempfänger, Sparer und Steuerzahler hat sich da herauszuhalten. Denn das ist Aufgabe ihrer dazu besonders berufenen politischen Vertreter aus den Reihen der parlamentarischen und universitären Linken, z. B. Professor Rudolf Hickel von der Uni Bremen, der früher mal als staats- und kapitalismuskritischer Wissenschaftler auftrat:

"Wir brauchen eine strenge Regulierung... wir brauchen einen TÜV. Warum werden Nahrungsmittel kontrolliert, marode Finanztitel aber nicht?"

Ohne den nationalen Plural geht gar nichts. Natürlich brauchen "ich und du" eine von der Produktion getrennte Finanzindustrie, mit allem Drum und Dran einschließlich Hypotheken, Wertpapieren und sonstigen "Finanzprodukten", ebenso deren Freiheit, "uns" ständig mit neuen "Finanzinnovationen" zu beglücken. Dann aber tritt der Staat streng auf, mit Maßnahmen, die ökonomisch ein Witz sind. Für ein aufgelegtes Wertpapier echtes Geld zu erlösen, oder besser gesagt, erlöst zu haben, ist der erstklassige und einzige Beweis der Güte dieses Papiers. Das weiß man aber leider erst nach der Marktplatzierung – und ob sich dieser Wert eines Tages in Luft auflöst, weiß man immer erst hinterher... Also braucht es den Staat als echt unabhängige und vertrauenswürdige Stiftung Finanztest – mit der wundersamen prophetischen Gabe, heute schon zu wissen, welche Papiere morgen "faul" sind. Ob der Mann überhaupt weiß, was ein garantiert sicheres Spekulationspapier für ein theoretischer Unsinn ist, auch wenn genau das jeder Anleger gerne hätte?

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Die Linkspartei fordert den Dienst des Finanzsektors für ihre Lieblingskapitalisten und sieht in den heutigen Sparkassen das Ideal von einem total sicheren Finanzmarkt in etwa verwirklicht. Der Parteivorstand fordert per Beschluss vom 29. September eine

"Gewährleistung ausreichender und zinsgünstiger Kreditversorgung … speziell für kleine und mittelständische Unternehmen; weitgehende Beschränkung der Aktivität von Banken auf das Einlagen und Kreditgeschäft; harte Spielregeln; dauerhaftes Verbot von Leerverkäufen; Zurückdrängung und strenge Kontrolle des Investmentbankings, öffentliche Aufsicht von Ratingagenturen" und Prof. Hickels "Finanz-TÜV".

Was sagt die Linke dazu, wenn die Schlagzeile mittlerweile lautet: "Sparkassen verzocken sich", wenn also zu erfahren ist, dass die auch nicht viel anders sind als die anderen? Aber egal – für diese Politikberater wäre das mal ein feiner staatlicher Dienst: Nur diejenigen Kredite und Investments sichern, die sicher ausgehen, und die anderen, die platzen, gleich schon vorher verbieten – oder zumindest zurückdrängen – man will ja nicht unrealistisch erscheinen. Damit ist die Linke dann nicht mehr weit entfernt von den Regulierungsvorschlägen der liberalen und konservativen Konkurrenz, von der sie sich hauptsächlich durch den regen Gebrauch der Steigerungsform unterscheidet. Sie würden viel "härter, dauerhafter, radikaler regulieren".

Letztlich besteht der linke Standpunkt in gar nichts anderem als in dem sorgenvollen Zweifel: Muss man den Finanzkapitalisten nicht mehr Vorschriften machen, damit das größtmögliche Gute beim Kapitalismus rauskommt? Und umgekehrt: Wenn der linke Wunsch nach – nein, nicht nach Krisenkritik, sondern – Krisenbewältigung nicht aufgeht, dann waren die staatlichen Vorschriften viel zu lasch.

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Für Jürgen Elsässer im "Neuen Deutschland" zeigt

"das US-Beispiel, warum die Billionenhilfe vergebens war: Die Banken nutzen die Staatszuschüsse zum Stopfen ihrer Bilanzlöcher, anstatt damit Kredite an Privatleute und Unternehmen zu vergeben."

Kredit für Unternehmen gut, zum Bilanzlöcher stopfen schlecht? Und was pflegen die Unternehmen mit den Krediten zu machen? Sie investieren sie in neue Produktionsanlagen, um mit der erhöhten Produktivität von weniger (!) Arbeitskräften ihre Konkurrenten niederzumachen, so dass die entweder dasselbe hinkriegen müssen oder vom Markt verschwinden – und mit ihnen der Lebensunterhalt der Arbeiter, die sie weniger effektiv ausgebeutet haben als die Konkurrenzsieger.

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Sarah Wagenknecht gibt sich zusammen mit ihrer "Kommunistischen Plattform" mit Theorien über das Finanzkapital nicht allzu lange ab. Für sie

"ist die aktuelle Finanzkrise letztlich nichts anderes als das Resultat neoliberaler Umverteilung: Durch die Senkung von Unternehmens-, Vermögens- und Spitzensteuersätzen sowie einer Politik des Lohn- und Sozialdumpings sind jene Rekordgewinne entstanden, die anschließend auf den Finanzmärkten auf der Suche nach immer höheren Renditen verspekuliert wurden."

"Umverteilung von unten nach oben" – das ist der Leib- und Magen-Spruch der Linken, der Skandal, über den sie sich immer neu erregen können, und der jetzt sogar noch die Ursache für die Finanzkrise sein soll. Dagegen drei Einwände:

1. Die Armut der Leute entsteht nicht dadurch, dass man ihnen von ihrem ehrlich Erarbeiteten etwas wegnimmt und es den Reichen zuschiebt. Arm sind die Leute, weil sie wenig verdienen, und das verdankt sich einem Diktat des Kapitalismus: Arbeit muss rentabel sein, d. h. die Produktion von Profit verlangt äußerste "Kosteneffizienz" beim Einsatz der bezahlten Arbeit, also niedrige und zu senkende Löhne bei maximaler Leistungsanforderung.

2. Soll man denn wirklich glauben, der Reichtum im "Finanzsektor" speise sich aus dem Geldbeutel der kleinen Leute, dazu noch aus einer Spende des Staates, der immer nur den "kleinen Leuten" das Geld wegnimmt, den Reichen aber die Steuern senkt? Dem widersprechen schon die Zahlen: Allein der sogenannte "Kreditderivatemarkt" hat ein Volumen von 52 Billionen Dollar. Aber auch getrennt von den Zahlen: Wer allen Ernstes behauptet, dieser Reichtum der Finanzmenschen sei durch Wegnehmen entstanden, der muss die gewöhnlichen Menschen schon für ziemlich gut situiert halten. Der muss der Auffassung sein, dass ohne dieses Wegnehmen die Arbeiterklasse sich eigentlich nicht beschweren kann. Dass das nicht stimmen kann, sagen die Linken übrigens selber, wenn sie dauernd vom Staat verlangen, dass mehr vom gesellschaftlichen Reichtum für "das Soziale" verwendet, also von Reich zu Arm umverteilt werden solle – und dass endlich ein Mindestlohn fällig wäre.

3. ist merkwürdig, was mit dem "nach oben umverteilten" Geld passiert sein soll: Angeblich wurde es "verbrannt". Wenn es tatsächlich so wäre, dass sich die Finanzmenschen die Taschen mit dem Geld der Unteren gefüllt haben, und wenn dieselben Finanzmenschen, also die Banken, nun riesige Verluste verbuchen müssen, dann kann dieses Geld nicht einfach verschwunden sein – dann hätte bei denen dort oben eine "Umverteilung" stattgefunden haben müssen. Gerne wird auch gesagt: Sie haben das Geld "verzockt – und an wen, bitteschön, haben sie es "verzockt"? Soll man sich das so vorstellen, dass es ganz viele Milliardäre gibt, die mit den Banken nichts zu tun haben, die jetzt aber noch reicher sind, weil der Abfluss bei den Banken ihnen zugeflossen ist? Und die das Geld jetzt unter der Matratze aufheben?

Vielleicht sollte man sich doch mal mit der Frage beschäftigen, wie das Finanzkapital die Zahlungsfähigkeit vermehrt, inwieweit es dafür wirkliches Geld braucht oder eben nicht, ob das Finanzkapital vielleicht nicht vorhandenes Geld, sondern Kreditpapiere auf den Markt wirft, die dann wie Geld funktionieren usw. usf. – Das ist dann aber nicht so griffig ist wie "Umverteilung von unten nach oben" und gibt auch keinen rechten Stoff für die Anklage "UNGERECHT!" her.

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Den Linken scheint es eben zu reichen, wenn sie die Rollen von gut und böse klar verteilt haben. Staat, Konzerne und Banken auf der einen Seite nehmen der Bevölkerung auf der anderen Seite etwas weg und veranstalten damit Blasen, die dann auch noch kaputtgehen. Eine weitere Erklärung der Sache scheint sich zu erübrigen, weil der Kapitalismus sich ja selbst an die Wand fährt. Das beweist schon ausreichend die Ungerechtigkeit des Systems, die diese Sorte Linke ja schon immer gewusst hat. Und die rächt sich jetzt am System, gibt ihnen also recht. Jörn Schulz in "Jungle World":

"Weil es seit Mitte der achtziger Jahre kaum noch offensive Klassenkämpfe gab, konnten die Konzerne sich einen immer größeren Teil des Mehrwerts aneignen, wussten aber nicht, was sie mit dem vielen Geld anfangen sollten… Mittlerweile ist der Finanzmarkt so komplex, dass viele Banker zugeben, selbst nicht mehr durchzublicken."

Das ist mal klar und durchsichtig argumentiert! Grund der Krise ist für Schulz das, was er vermisst, der Klassenkampf. Ohne den machen die Kapitalisten doch nur Unsinn, wissen mit Geldüberfluss nichts Gescheites anzufangen und machen aus lauter Verlegenheit einen Finanzmarkt auf, den sie selber nicht verstehen.

Es ist schon absurd – den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung mal ganz weggelassen –, den Klassenkampf deswegen zu vermissen, weil dann die Kapitalisten eine Finanzkrise hinlegen. Die Auskunft, dass die Leute immer weniger Geld haben und dass sich das geändert gehört, ist diesem Mann viel zu billig. Erst wenn er der Gegenseite einen Schaden für sie selbst vorrechnen kann, meint er, ein unschlagbares Argument zu haben. Wenn die Kapitalisten das Geld verspekulieren und abstürzen, zeigt sich, wie berechtigt der Klassenkampf gewesen wäre. Und wie wertvoll für alle!

So machen sich dann "offensive Klassenkämpfer" wie Schulz die merkwürdigsten Sorgen um das große Ganze, das Funktionieren des Kapitalismus:

"Wird den Kapitalisten zu viel Freiheit gelassen, untergraben sie die Grundlagen ihres Wirtschaftssystems. Sie verhalten sich wie kleine Kinder vor einem Eisstand… Das Kind mault, wenn es nicht genug bekommt, insgeheim aber ist es sogar dankbar, denn es ahnt, dass es sich selbst nicht vor den Bauchschmerzen bewahren könnte… Die Kapitalisten würden maulen, wären aber insgeheim sogar ein bisschen dankbar, denn sie ahnen, dass sie als Klasse mit unbeschränkten Freiheiten unfähig sind, die Wirtschaft zu stabilisieren."

Die Linke muss sich also als Erziehungsinstanz für kindische Kapitalisten verstehen und wird dann – zwar "insgeheim", aber trotzdem – am Schluss von denen Dank ernten. Conrad Schuler von der DKP führt vor, wie man dafür sorgt, dass sich die Kapitalisten nicht den Magen verderben:

"Maßnahme Nr. 1 für diese notwendige Umkehr ist der Kampf der Gewerkschaften für eine kräftige Steigerung der Löhne und Gehälter. Auch weitere Forderungen zur Hebung des Einkommensniveaus vor allem der armen Schichten ... und zur höheren steuerlichen Belastung von Profiten, hohen Einkommen und Vermögen berühren stets auch die Frage der monetären Verfügensmasse von Kapital und Reichen und sind geeignet, einen Teil der überschüssigen Geldfluten trocken zu legen." (isw-report Nr. 75, September 2008)

Es ist also das Anliegen des DKP-Mannes, "überschüssige Geldfluten trocken zu legen". Dafür (!) erscheinen ihm Lohnerhöhungen und höhere Steuern für hohe Einkommen und Vermögen gleichermaßen gute Mittel. Einfach höhere Löhne zu fordern, weil die heutigen Einkommen nicht zum Leben reichen, kommt nicht in Frage. Ebenso wenig der Gedanke: Warum die Löhne nie reichen? Dass das mit dem Zweck der ganzen Veranstaltung zu tun haben könnte, den Bankkapital und "Realwirtschaft" gleichermaßen haben: aus einer Geldsumme immer mehr Geld zu machen. Stattdessen schließen diese Kämpfer gegen die kapitalistische Pleite auf ein dem System zugrunde liegendes "monetäres" Missverhältnis. Dieses wollen sie durch Lohnkampf der Gewerkschaften wieder ins richtige Gleichgewicht gebracht sehen. So wollen Linke den Kapitalismus vor der "Raffgier" der Finanzkapitalisten retten.