GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Zyklon über Birma: Der imperialistische Kollateralnutzen einer Katastrophe

Denen werden wir helfen!

Einen "Aufstand von außen" (SZ, 6./7.10.07) gegen die verhassten Generäle in Birma forderte eine aufgeregte Öffentlichkeit im Herbst 2007. Der Anlass war das Scheitern einer Mönchsrevolte in Rangun und der öffentliche Aufruf legte den Verantwortungsträgern der freien Weltordnung die Beseitigung des Regimes im ideellen Auftrag der geknechteten birmanischen Massen nahe. Damals fand sich keine Menschenrechtsmacht mit Mumm für den Job, so dass die Militärs einfach weiterregieren konnten. Die Jahrzehnte alten Wirtschaftssanktionen gegen das Land halfen auch nicht weiter: Sie sind leider "nicht mehr verschärfbar" (ZDF-heute, 13.5.08).

Die handelte sich die birmanische Führung durch die unverzeihliche Weigerung ein, die Geschäftsträger der imperialistischen Welt samt den von diesen empfohlenen Wirtschafts- und Regierungsformen in ihr Land hinein und an dessen beträchtlichen Reichtümer an Öl, Gas, Tropenholz und Edelsteinen heran zu lassen. Das Zeug wird dann auch noch an die chinesisch-indische Konkurrenz verkauft, was dem Land, "dem die Sanktionen enorm schaden" (tagesspiegel.de, 9.5.), das Überleben unter dem Sanktionsregime erlaubt. Dass das die Lage der armen Bevölkerung nicht verbessert, ist durchaus erwünscht, da die Veranstalter der Strafmaßnahmen darauf setzen, dass die Birmanen ihre Analyse teilen und ihre bescheidenen Lebensumstände ganz allein den regierenden Generälen anlasten. Schlimmer noch als die materielle Lage des Volkes ist die der Menschenrechte in Birma: Die Birmanen, denen es verboten ist, ihre Armut im Dienst des Weltmarktes nützlich zu machen und – zum Beispiel – zusammen mit westlichen Kapitalisten billige Adidas-Schuhe zu nähen, werden statt dessen von ihrer Junta damit beschäftigt, Birma zu einem der größten Reisproduzenten der Welt zu machen. Und die Regierung, die all diese Zustände verwaltet, dürfen sie nicht einmal richtig frei wählen, wie dies in anderen ebenfalls nachhaltig "armen Ländern" doch auch geht. Stattdessen achtet sie seit Jahrzehnten mit gern zitierter "eiserner Faust" darauf, dass die Birmanen nur so ausgenützt und regierungsseitig drangsaliert werden, wie sie das für richtig hält; und schottet dabei Birma angeblich so gründlich vom Rest der Welt ab, dass man gar nicht mehr unterscheiden kann, ob die Sanktionen das Land isolieren oder es sich selbst.

Dass die Militärregierung gerade über eine Verfassungsreform abstimmen lassen will und verspricht, "im Jahr 2010 demokratische Mehrparteienwahlen abzuhalten", nützt ihr nichts mehr. Dass sie mit der neuen Verfassung jene demokratischen Formen der Gewaltausübung einführen will, auf die die Westler so viel Wert legen, und unter der institutionell gesicherten Aufsicht des Militärs eine richtig schöne "Disziplin-Demokratie" (tagesspiegel.de, ebd.) aufmachen will, wie man sie sich in westlichen Hauptstädten für manch chaotische Negerrepublik nur wünschen würde, ist nur ein Beweis mehr für die Verstocktheit des Regimes. Das wird die Feindschaft der demokratischen Weltordnungsmächte nicht mehr los, die das, was sie mit Birma, seinem wichtigen Reichtum und seiner strategischen Lage anfangen könnten, nicht davon abhängig machen wollen, ob das den "überalterten, weltfremden Generälen" (SZ, 6.5.) einleuchtet, auch wenn die sich inzwischen noch so sehr "die Aufhebung der Sanktionen" wünschen und "nicht länger international geächtet" (tagesspiegel.de, ebd.) sein wollen.

*

Doch wo der Chronist schon resignierend feststellt, dass "die Politik der Isolierung als weitgehend gescheitert angesehen werden muss" (Fischer Weltalmanach 2008), da kommt plötzlich Hilfe aus einer unerwarteten Ecke: Um genau zu sein, kommt sie aus dem Golf von Bengalen. Für Meteorologen, die es nicht besser wissen, handelt es sich dabei um den Zyklon "Nargis". Für aufgeweckte Journalisten, die von Berufs wegen einen Sinn dafür haben, woher der Wind weht, ist da möglicherweise eine "Wende" in der Birma-Frage unterwegs:

"Manchmal ändern sich die Dinge, wenn schon keiner mehr damit rechnet. Manchmal kommt die Wende verkleidet als Katastrophe." (SZ, 6.5.)

Diese Wende hat es in sich, das ist der umfänglichen Berichterstattung zu entnehmen: Der Sturm fegt über das tief gelegene Delta des Irrawaddy-Stroms weg, mit einer Heftigkeit, wie sie nach sachkundiger Beurteilung alle vierzig Jahre einmal vorkommen soll. In der weder von Mangrovenwäldern – die wurden zugunsten des Ackerbaus gerodet – noch von Deichen geschützten Gegend lebt etwa die Hälfte der Landesbevölkerung von gut fünfzig Millionen und erzeugt da ca. 65 % (SZ, 17./18.5.) der nationalen Reisproduktion. Der Zyklon ersäuft ungezählte Zehntausende, vielleicht mehr als Hunderttausend, macht Millionen obdachlos, zerstört sämtliche Verkehrswege und Kommunikationseinrichtungen einschließlich der Trinkwasserversorgung, der Produktionsanlagen und dazu die zum Einbringen anstehende Ernte auf einer Fläche von etwa der Größe Österreichs (SZ, ebd.). Er hinterlässt nach einer riesigen Flutwelle weite Teile des Deltagebietes als überschwemmte Flächen und auch die Millionenmetropole Rangun, die der Zyklon in abgeschwächter Form trifft, erleidet schwere Zerstörungen. Die Überlebenden sind bedroht von Malaria-, Dengue- und Cholera-Epidemien, und sind ohne sauberes Wasser, medizinische Hilfe, Nahrung und Obdach dem heftigen Monsunregen ausgesetzt. "Die Vereinten Nationen schätzen, dass 24 Millionen Menschen mittelbar und mindestens 1,5 Millionen direkt betroffen sind." (netzeitung.de, 7.5.) Sie sind auf organisierte Hilfe angewiesen, die – soviel ist schon durch das Ausmaß der Zerstörung und die Millionenanzahl der Sturmopfer von Anfang an klar – für viele der Überlebenden zu spät kommen wird.

*

Dass von einem Tag auf den anderen an die Hunderttausend Leute sterben und die Hälfte der Bevölkerung dieses im Westen geächteten Staates zu Hilfsbedürftigen wird; dass dessen Ernährungsbasis bedroht ist und die staatlichen Instanzen durch den Umfang des Desasters materiell, technisch und organisatorisch so geschwächt sein könnten, dass sie ihre grundfalsche Ordnung im Land vielleicht nicht länger aufrecht halten könnten: Das alles ermuntert die Beobachter der Lage zu den schönsten Hoffnungen.

"Birma ist politisch in einer Sackgasse, denn aller ziviler, von buddhistischen Mönchen getragener Protest führte nicht zum Befreiungsschlag ... Dann kam der Zyklon. Die internationale Hilfe, die nun kommen darf, wird den Boden lockern. Das können auch die Militärherrscher nicht verhindern ... Am Ende hat die Wucht der Natur den Militärs den größten Schlag versetzt." (Die Welt, 8.5.)

Hier spricht die Begeisterung über die unwiderstehliche Einheitsfront von demokratischem Wirbelsturm und zyklonischer Demokratie, die vermittels der im Gefolge daherkommenden internationalen Hilfe den Generälen den finalen Schlag versetzen werden, gleich im Indikativ, als wäre der auch weiterhin glückliche Verlauf der Angelegenheit nur mehr eine Formsache. Aber auch bei den vorsichtiger urteilenden Kollegen von der Frontberichterstattung ist unstrittig, was nach den Verwüstungen des Unwetters und für den durchschlagenden Erfolg der humanitären Hilfe jedenfalls fällig wäre:

"Hier ist eine echte Revolution gefordert. Nötig wäre eine Öffnung des Landes, die es in dem Ausmaß hier noch nie gegeben hat." (Ein ungenannter Diplomat in Rangun, Leipziger Volksstimme, 7.5.). Und auch das liberale Frankreich erwartet von den "leidgeprüften Menschen in Birma", sie "könnten (doch endlich gefälligst einmal?) die Gelegenheit ergreifen, ihre Unzufriedenheit laut und deutlich hinauszuschreien. So könnte Zyklon Nargis ein politisches Erdbeben nach sich ziehen." (Liberation, 8.5.)

*

Als Ideal-Szenario scheint den schon allzu lang auf einen Regimewechsel hinarbeitenden Staaten der antibirmanischen Koalition mit Hilfe ihrer ganz-, halb- oder nichtstaatlichen internationalen Hilfsbrigaden eine Art humanitärer Feldzug vorzuschweben, bei dem die Militärregierung wegen der nationalen Notlage und ihrer eigenen Inkompetenz gar nicht anders kann, als den Feind mit seinen hochkompetenten, technisch hochgerüsteten Helfertruppen, gern auch mit militärischen Kräften, bei sich einmarschieren zu lassen. Um die Lage zugunsten der leidenden Menschen schnell in den Griff zu bekommen, müsste die Regierung einfach an die Wand gedrückt werden oder freiwillig beiseite treten und ihr mittels Katastrophenhilfe die Organisation und Kontrolle (zumindest) in den betroffenen Gebieten in jeder technischen Hinsicht aus der Hand genommen werden. Die Invasion der wohlmeinenden, hocheffektiven und hilfreichen Regimefeinde zusammen mit den Agenten des bekannt grellen Lichts der Öffentlichkeit würde das Regime noch mehr als ohnehin schon national und weltöffentlich blamieren, ihm endgültig das Volk abspenstig machen, vielleicht sogar auch noch Teile des Militärs, sodass es dann irgendwie und unbedingt zu einer neuen Obrigkeit im Geist von Freiheit und guten Geschäften kommen würde und zu einem überzeugenden Sieg abendländischer Humanität sowieso.

An der Verwirklichung eines solch traumhaften Erfolges beginnen die Interessenten umgehend mit praxisnahen Mitteln zu arbeiten.

Angesichts des Umstandes, dass die Militärregierung von Anfang an Hilfe aus nicht verfeindeten Staaten wie Indien, China, Thailand, Russland, Bangladesch und anderen schnell und umstandslos ins Land lässt (SZ, 8.5.08), erheben die imperialistischen Weststaaten lauthals und im Namen der Sturmopfer sowie der von ihnen hauptseitig verwalteten Menschlichkeit den Anspruch, ebenfalls schnellstens ins Katastrophengebiet zu dürfen, und zwar nicht nur mit Lieferungen, sondern auch mit Personal und Technik, da ohne ihre überlegene Kompetenz jede Hilfe von Haus aus zu langsam und zu wenig wäre, was unzählige weitere Menschenleben kosten würde. Ob mit westlicher Hilfe wirklich weniger Flutopfer sterben würden, oder ob das birmanische Regime durch sein Misstrauen gegen die angekündigten freiheitsfördernden Effekte der Hilfsaktionen seiner Feinde eher "einen Wildwuchs" der Hilfe verhindert hat, "wie nach dem Tsunami in Aceh", wo sich die Helfer "gegenseitig auf den Füssen standen" (SZ, 19.5.08), wird man nie erfahren, da mit und ohne westliche Helfer im Katastrophengebiet unzählige Betroffene ihr Leben verlieren.

Für den Einsatz von USA, UNO und EU wird jedenfalls versucht, mit allen Mitteln Druck auf das Regime zu machen. Weil den westlichen Helferstaaten nicht die beantragte Freiheit eingeräumt wird, schreien Öffentlichkeit und Politik jeden Tag die Inkompetenz und den Zynismus der birmanischen Despoten in die Welt hinaus, um am selben Tag bei eben diesen wiederum diplomatisch um Visa für ihre THWs und Roten Kreuze zu werben. So zeigen sie weltöffentlich auf allen Kanälen vor, dass sie wirklich alles tun – sogar mit diesen Gangstern zivilisiert reden und "sich an ihnen die Hände schmutzig machen" (ein ungenannter Diplomat, t-online-nachrichten, 17.5.) – um den Leidenden zu helfen, gegen den völlig unverständlichen Widerstand der Junta, den sie dann doch wieder kopfschüttelnd verstehen: Es geht denen eben nur um die Macht!

*

Weil es aber den Gegnern der Militärs auch um die Macht in Birma geht, die sie dem Regime ja gerade entwinden wollen, und alle Beteiligten wissen, dass

"die USA und die EU ihre Vorposten im Land nutzen (könnten), um gegen das Regime und für die Demokratie Stimmung zu machen" (spiegel.de, 8.5.),

belauern sie das Regime, wie es sich des "schnellen Einmarsches der internationalen Helfer" (spiegel.de, ebd.) erwehrt, wie man es damit in Verlegenheit bringen könnte und ob es dabei entscheidende Schwächen zeigt:

"Sieben Monate nach den blutig niedergeschlagenen Mönchs-Demonstrationen dürften sich viele Demokraten im In- und Ausland wünschen, dass beim Sturmnachspiel in Birma aus Wut Protest wird und dieses Mal der Sturz der Diktatur folgt. Birmas Generäle dürften derzeit rätseln, worum sie sich zuerst kümmern sollen. Um das Verfassungsreferendum, das ihnen so lieb ist? Um eigene Katastrophenhilfe? Um die Frage, welche Auslandshilfe angenommen und wie sie kontrolliert wird? Die Junta und ihre Sicherheitskräfte sind ziemlich beschäftigt. Deshalb ist die Diktatur im Moment viel schwächer, als während der September-Proteste. Doch schwächer heißt nicht schwach ..." (FR, 8.5.)

Um mit dem unverhofften imperialistischen windfall-profit erfolgreich zu wirtschaften, bemühen sich die von der birmanischen Regierung schlecht behandelten Staaten – jeder für sich und alle zusammen – nach Kräften, diese möglichst weiterhin noch schwächer zu machen, damit sie bald wirklich schwach genug für einen Umsturz ist:

- Die USA bieten umgehend Hilfslieferungen mit Helikoptern an, die – was das Regime sicher schon immer sehr beruhigt hat – auf Kriegsschiffen, nur eine halbe Flugstunde vor der birmanischen Küste stationiert sind. Auch mit Frachtflugzeugen, Kriegsschiffen und Schnellbooten würden sie gerne in Birma landen und mit Zivil-, aber auch mit Militärkräften, das Zeug zu den armen Menschen bringen.

Selbstverständlich wissen die Zuständigen, dass "amerikanische Militärmaschinen auf birmanischem Boden" zu den "unvorstellbarsten Bildern der Weltpolitik gehören" und "eine solche Entscheidung vielleicht eine der bittersten überhaupt seit 1962, seit der Übernahme der Macht durch das Militär," (SZ, 9.5.) wäre. Deswegen machen sie ja das Angebot, mit dem der Feind praktisch und moralisch in die Enge getrieben werden und seine prekäre Situation ausgenützt werden soll. Kurzzeitig erwägt der Krisenstab einen Abwurf von Hilfsgütern aus der Luft, auch gegen den Willen der Regierung, lässt aber von dem Plan wieder ab. Der US-Kongress verleiht zwischendurch der unter Hausarrest stehenden Oppositionsführerin einen hohen Orden und ansonsten wirbt man mit überzeugenden Argumenten um birmanisches Vertrauen in die lauteren Motive der Helfer in Uniform.

"Der panischen Angst der Militärs um ihre Macht begegnet der US-Botschafter in Bangkok mit einer fast pädagogischen Geste. ... er bittet die Mitglieder des Krisenstabs plötzlich zu sich nach vorne. An die Regierung in Burma appelliert er, sich diese Männer und Frauen genau anzusehen. `Diese Menschen hier wollen helfen΄, so der Botschafter, `sie wollen kein Regime stürzen oder für den Umschwung werben.΄ (spiegel.de, 8.5.)

Auch Condi Rice beteuert noch einmal, "es gehe nicht um Umsturz, nur um Hilfe" (SZ, 7.5.08) und findet einmal mehr das Zögern der Junta "unverständlich"; wären die Amis doch gewiss die ersten gewesen, die kubanisches oder venezolanisches Militär als Helfer auf amerikanischem Boden auch ohne Einladung mit offenen Armen begrüßt hätten, damals in New Orleans, als sie nach einem eigenen Wirbelsturm mit ihrer "ausgefeilten und erprobten Katastrophen-Choreographie" (spiegel.de, ebd. über die heutige Helferkompetenz der US-Kräfte ) bei sich zu Hause einmal nicht so gut zurecht kamen.

- Frankreich ist von Anfang an sehr streng mit den birmanischen Generälen. Der Außenminister Kouchner lässt erkennen, dass er auch als Außenminister keine frontières kennt, jedenfalls wenn sie, wie die birmanischen, der Ausbreitung französischer fraternité entgegenstehen. Er beschwert sich schon drei Tage nach dem Zyklon, da noch Abertausende von Toten im Wasser der riesigen Überschwemmungsflächen schwimmen, barsch darüber, dass man von der birmanischen Regierung keine exakte Aufstellung über die Opferzahlen vorliegen habe, und beschäftigt schon zu diesem Zeitpunkt den Weltsicherheitsrat mit Überlegungen der Art, dass man die Regierung gegen ihren Willen per Ratsbeschluss gewaltsam zu der Hilfe für ihr Volk zwingen müsse, die Frankreich im Namen der freien Welt für angemessen hält. Auch Frankreich bietet Lieferungen von seiner Kriegsflotte vor der Küste an, die – wie die der Amerikaner – ebenfalls schwer mit den rettenden Schätzen des Abendlands beladen sein soll. Da die Militärs in Birma wie erwartet nicht spuren, erhalten sie erst einmal gar nichts und statt dessen die Ankündigung, dass sie möglicherweise demnächst mit einer Vorladung vor einen Menschenrechtsgerichtshof zu rechnen hätten, wegen Verletzung der völkerrechtlichen Pflicht zur Hilfe für ihr Volk, die im vorliegenden Fall – auch nach französischer Auffassung – als unterlassen gilt, wenn sie nicht unter der freiheitlichen Regie der westlichen Demokratien stattfindet.

- Auch Deutschland "ruft die birmanische Regierung zur Zusammenarbeit auf", unter seiner Anleitung selbstredend, und findet, als das nicht gleich läuft, die "Behinderung der Hilfe" von der man sich soviel Wende, politisches Erdbeben, politischen Befreiungsschlag und echte Revolution erhoffen durfte, einfach "unerträglich" (Merkel, Steinmeier, für alle). Steinmeier bestellt den birmanischen Botschafter ein, staucht ihn ordentlich zusammen und telefoniert mit dem Kollegen in Birma, was gemeinhin als "wuchtige diplomatische Geste" (t-online-nachrichten, ebd.) gilt. Weil alles nichts hilft werden zunächst als Hilfsgelder nicht mehr als die 500 000 Euro, am nächsten Tag dann doch eine ganze Million versprochen, die neulich in der Kaffeekasse des Kanzleramts übrig waren, während aber fortwährend starke Kräfte des THW, des Roten Kreuzes, der Malteser/Johanniter/etc. angedient werden, die aber unbedingt alle selber ins Überschwemmungsgebiet müssten: Einmal weil deutsche Wasseraufbereitungsgeräte für birmanische Helfer zu kompliziert und die örtlichen Soldaten zu blöde zum Päckchenverteilen sind – "die verteilen die Kartons einfach in der Menge" (ein NGO-Helfer in der ARD-Tagesschau, 6.5.) -, andererseits, weil man einer Diktatur ungern Hilfsgüter in die Hand gibt, weil man bei denen nie weiß, was die damit anstellen und sie am Ende vielleicht "damit ihre Herrschaft stabilisieren" (taz, 8.5.08). Nach der zweiten Woche wird ein Sonderbeauftragter nach Birma geschickt, der vor Ort "den Helfern Zugang zum Katastrophengebiet verschaffen soll." (SZ, 17./18.5.)

Mit diesem Zweifel schlägt sich auch das deutsche Spendergewissen herum. Weil "das Gewissen Gewissheit sucht", hat es den Deutschen die Spendenfreude zu Gunsten der Birmanen verschlagen. Die Hetze gegen das Regime hat an unerwarteter Stelle Wirkung gezeigt: Es werden "kaum Spenden" (SZ, 15.5.) registriert. Der Spender hält den Geldbeutel zu, weil: "Das geht ja nicht, dass man in dieser Situation diese Regierung unterstützt" (SZ, ebd.). Bevor Mildtätige riskieren, dass ihr Almosen den Falschen zu Gute kommt, geben sie lieber gar nichts. Pech, wenn man als Katastrophenopfer eine Regierung mit schlechtem Leumund in den Geberländern hat. Und erschwerend kommt hinzu: "In Birma sind keine deutschen Touristen gestorben, wie beim Tsunami in Thailand. Die Betroffenheit hierzulande ist also(!) geringer". (SZ, 9.5.). Also: Ein paar Landsleute möchten bei hunderttausend Toten schon untergemischt sein, damit einem ein Unglück schön nahe geht, sonst spürt man als Spender mit seinem nationalem Sensorium für weltweite Katastrophen einfach zu wenig.

- Mit Erstaunen nimmt man als Medienkonsument zur Kenntnis, welche Unmenge von Hilfsorganisationen in diesem völlig abgeschotteten Land schon immer unterwegs ist. Die wollen nun, wie man dem Stimmengewirr der Wortmeldungen entnehmen kann, alle eifrig Kräfte und Lieferungen nachführen und in das Krisengebiet ausrücken. Dass das die Regierung nicht zulässt, sondern auf eigener Kontrolle und Organisation der Hilfeleistung besteht, führt zu allgemeinen Klagen über die Behinderungen, die die jeweilige eigene und viel hilfreichere Hilfe unterbinde. Manche halten Lieferungen eine Zeit lang vollständig zurück, wenn sie nicht selbst verteilen dürfen (World Vision), andere machen kleine Testlieferungen (Rotes Kreuz), um zu sehen, was die Regierung damit macht, und alle zusammen beklagen das Misstrauen des Regimes, das sie, in konsequenter Abstraktion von der Machtfrage, die in Birma anlässlich der Katastrophe von ihrer heimatlichen Öffentlichkeit und Politik offen aufgeworfen ist, wieder einmal für völlig unbegreiflich halten. So leisten sie jedenfalls ihren moralischen Beitrag im Kampf gegen die Diktatur mit der auch von staatlichen Stellen schon vorgebrachten Beschwörung, das Mauern und die Behinderungen durch die Regierung kosteten jede Menge vermeidbare Opfer, die man mit eigenen und kompetenteren Bemühungen zweifellos retten würde. Damit liegen jedenfalls die tatsächlich anfallenden unabweisbar in der Verantwortung des Regimes.

- Die UNO als Speerspitze der gesamtimperialistischen Einmischungsansprüche fordert von Anfang an die Generalorganisation des örtlichen Elends und pocht auf Zuständigkeit und Kompetenz ihrer unzähligen Suborganisationen mit Spezialzuständigkeiten für die Katastrophen und Flüchtlinge, die so zuverlässig in dieser schönen Welt anfallen, für Gesundheit, Kinder und Ernährung: Die seien berufen, der Landesregierung als unparteiische Chefagenten der Menschlichkeit im Weltmaßstab das Heft aus der Hand zu nehmen. Der Forderung Nachdruck zu verleihen durch das völkerrechtliche und militärische Drohpotenzial des Sicherheitsrates bleibt der Führung der UN verwehrt. Russen und Chinesen verweigern entsprechende Befassung, weil derzeit desinteressiert an der Beseitigung der birmanischen Regierung durch einen humanitären Handstreich des Westens unter dem Dach der UNO. Als die Junta ihre Dankbarkeit für die Hilfe kundtut, aber auch die UNO-Kräfte nicht einfach ohne Visa und Kontrolle ins Delta des Irrawaddy lässt und weiterhin auf der Verteilung auch der UN-Lieferungen durch die eigenen Streitkräfte besteht, fühlen sich die UN ausdrücklich brüskiert. Ein weltöffentlicher Skandal wird daraus, dass die Regierung einfach schon in Birma befindliche Hilfsgüter der UN beschlagnahmt und verteilt – "nach UN-Angaben ein noch nie da gewesener Vorgang in der Geschichte der humanitären Arbeit." (SZ, 7.8.) Das World Food Program der UN stellt daraufhin die Hilfslieferungen zunächst ein, "will sie aber ... wieder aufnehmen." (SZ, ebd.) Während die Weltbank kühl mitteilt, von ihr seien keine Wiederaufbaugelder zu erwarten. Birma solle erst einmal rückständige Raten bei dem Institut begleichen. (El Pais, 20.5.)

*

Die Militärregierung nimmt "in dieser heiklen Phase ihrer Macht" (SZ, 8.5.) ihre Lage zur Kenntnis ebenso wie die mit Hilfsangeboten garnierten Umsturzansagen des Westens, lässt moralischen und diplomatischen Druck zunächst weitgehend abprallen und organisiert ihr Überleben.

- Ganz entsprechend den Ankündigungen ihrer Feinde, die Regierung mit organisierter Katastrophenhilfe politisch, technisch und moralisch in Bedrängnis zu bringen, konterkariert sie deren Anstrengungen, indem sie westliches Militär generell von Hilfsaktionen aussperrt und dessen Flugzeuge nur Hilfsgüter nach Rangun einfliegen lässt. Den Zugang für ausländische Helfer beschränkt sie mit wenigen Ausnahmen auf solche aus verbündeten Ländern und schließt die Medien so gut möglich aus. Hilfslieferungen werden angenommen, die Verteilung mit beschränkten Mitteln entweder selber organisiert oder zumindest mit der Auflage birmanischer Begleitung verbunden. Zwei Wochen nach dem Sturm berichten hiesige Zeitungen darüber, dass deutsche und andere Hilfsorganisationen "am Rande der Legalität" ganze Lastwagenkolonnen – "sie fragen nicht lange, sondern fahren einfach los" (SZ, 19.5.) – in das Flussdelta bringen, sei es von der Regierung geduldet, sei es weil die Kontrolle Lücken hat. Zum gleichen Zeitpunkt organisiert die Regierung eine Geberkonferenz im Rahmen der ASEAN, die sich bisher mit "Kritik an Birma sehr zurückgehalten hat" (t-online-nachrichten, 20.5.), und stellt in Aussicht, einem von der ASEAN bestellten Stab die Koordination der Hilfsaktionen zu überlassen.

- Dass von den geschundenen Massen im Delta, die ums Überleben kämpfen, keine Aufstände zu erwarten sind, ist den Militärs offenbar klarer als den umsturzbegeisterten demokratischen Schreibtischrevolutionären in westlichen Zeitungsredaktionen, die sich so viel Freiheitsdurst von deren Leiden erwartet hatten. Um so mehr sind sie vom Insistieren der Regierung frustriert, die den Betroffenen mit eigenen Kräften helfen will, weil sie befürchten, die Aktivitäten des Regimes könnten auch den langfristigen moralischen Ertrag, den sie sich von westlichen Hilfsaktionen erhofft hatten, schmälern:

"Die Bevölkerung dürfte sich noch lange daran erinnern, wer ihr nach der Katastrophe geholfen hat – und wer nicht. ... Helfern aus dem Ausland Einfluss einzuräumen birgt politische Risiken für die Junta ... würden diese Helfer dann – und nicht die Regierung in Erinnerung bleiben." (AP-yahoo.de, 8.5.)

- Die Sturmschäden in der Millionenstadt Rangun sind bereits nach einer Woche wieder soweit behoben – "langsam kommt es hier zurück zum normalen Leben ... scheint zumindest das Gröbste überstanden." (sueddeutsche.de, 8.5.) – und die Versorgung trotz steigender Reispreise soweit gesichert, dass hartgesottene westliche Touristiker schon wieder vermelden können:

"...Flugverkehr inzwischen normalisiert. Touristische Programme in der Fünf-Millionen-Metropole sind weiterhin möglich, auch wenn ... die Stadt durch den Verlust unzähliger, stattlicher Straßenbäume etwas `gerupft΄ wirkt." (fliegen-sparen.de, 8.5.)

- Die Reisversorgung, die durch die Überflutung des wichtigsten Anbaugebietes schwer angeschlagen ist – Birma war bisher nicht nur Selbstversorger, sondern darüber hinaus Exporteur von Reis – soll nach Zusagen aus China, Indien und Thailand "auf unbestimmte Zeit" sichergestellt werden (SZ, 13.5.). Die übrigen Geschäfte des Landes mit Energieträgern, Holz und Edelsteinen gehen ohnehin ungestört weiter.

- Sein Verfassungsreferendum zieht das Regime, die Normalität des politischen Lebens und die Festigkeit seiner Machtstellung demonstrierend, durch und sorgt für den gewünschten überwältigenden Erfolg. Im Delta soll die Abstimmung, für die, die dann dort noch leben, um zwei Wochen verschoben werden.

Das macht auf manche Beobachter durchaus Eindruck, die langsam am revolutionären Geist des birmanischen Volkes und am Nutzen von "Nargis" zu zweifeln beginnen:

"Dabei hatten sich viele im Westen direkt nach `Nargis΄ noch die Hoffnung gemacht, der Sturm könne quasi nebenbei auch das Militärregime hinwegfegen. Frustriert, ausgehungert und verärgert, müsse sich Birmas Volk doch erheben und dem Spuk der Militärjunta ein Ende bereiten – damit die Katastrophe wenigstens ein Gutes gehabt hätte. Doch die Junta blieb starr und stark." (spiegel-online, t-online-nachrichten, 19.5.)

*

Die bösen Generäle lassen sich mit der gleichen Kaltblütigkeit wie ihre Feinde von der Achse des Guten auf ein Erpressungsspiel ein, dessen Endstand noch längst nicht feststeht, wohl aber seine Verlierer: Die abgesoffenen Birmanen. Die Guten bieten Hilfe an, aber nur um den Preis, dass die Regierung die Kontrolle über Land und Leute zumindest teilweise aufgibt und damit geschwächt, wenn nicht gestürzt wird. Anderenfalls wird verzögert oder gar nicht geliefert, jedenfalls nicht unter der Regie und Aufsicht des Regimes. Das kostet nach eigenen Auskünften der westlichen Helfer, die die Bedingungen der Regierung "natürlich nicht akzeptieren können" (SZ, 19.5.08), möglicherweise viele Birmanen das Leben. Auch die Kalkulation der Junta, das Angebot der Guten anzunehmen, sie aber nur ins Land zu lassen unter möglichst vollständiger eigene Kontrolle, kostet vielleicht physisch viel Volk, das die Regierung aber politisch ganz zu verlieren fürchtet, wenn es seinen humanitär gesinnten Feinden freie Hand ließe, die dem Volk dringend zu einer neuen Obrigkeit verhelfen wollen. So sind die Westler bereit, die einheimische Bevölkerung für das Ziel einer besseren, westlich orientierten Regierung bluten zu lassen. Und die Militärregierung kann man – sowenig wie jede andere Regierung auf dem Globus – nicht mit dem Leiden seines Volkes erpressen, solange diese Leiden vom Volk genug übriglassen für die Vorhaben der Führung. So zieht sich der Westen zunächst einmal auf seinen haushohen moralischen Sieg zurück - "es lässt sich schlecht dealen, wenn man nur gute Absichten hat und die Verpflichtung fühlt, Leben zu retten" (t-online-nachrichten, 19.5.) - da nach aktuellem Stand der Erwägungen, obwohl "alles da wäre für ein Eingreifen: Ein französisches und vier amerikanische Kriegsschiffe ...", eine rein militärische Invasion anstelle einer gemischt-humanitären "schnell in einem Desaster enden könnte, siehe Irak." (ein Washingtoner Center of New American Security, Spiegel, 21/08).

Die Verhandlungen zwischen der Junta und den UN, über eine Einreiseerlaubnis für alle ausländischen Hilfskräfte ohne Einschränkungen läuft noch. Doch egal wie die ausgehen, eine Hoffnung bleibt: Der nächste Aufstand der tapferen Birmanen kommt bestimmt. Und wenn es einer von außen ist.