GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Streit mit Russland um Gas, Öl, Pipelines, Förderrechte usw.

Erpressen darf nur einer – wer wohl?!

Zu Jahresbeginn werden die Gas- und Öllieferungen zwischen Russland und Weißrussland unterbrochen. Die Medien schlagen unter Berufung auf den letztjährigen Streit zwischen Russland und der Ukraine und andere aktuelle Konflikte zwischen Russland und seinen Nachbarstaaten Alarm. Und die Politik setzt die Katastrophenfilm-geschulten Szenarien in eine Anklage um, nach der ein unzumutbarer, nämlich politischer Gebrauch des Energiegeschäfts durch Russland vorliegt. Der Europarat verabschiedet im Januar eine Resolution über die "Gefahr, die Energieversorgung als politisches Druckmittel einzusetzen", ein Vorwurf, der nunmehr bei jeder Gelegenheit erschallt, bei der ein Russe greifbar ist, zuletzt auf der Münchener Sicherheitskonferenz. Bei dem, was da alles im Ton der Entrüstung Russland gegenüber aufgetischt wird, fragt sich allerdings, gegen welche guten Sitten Russland eigentlich verstoßen haben soll.

Es geht damit los, dass Preise enorm erhöht worden seien. Dabei besteht auch hierzulande die allernatürlichste Eigenschaft solcher Preise darin, dass sie steigen. Im Falle Russlands soll das aber nicht selbstverständlich sein – hier wird sofort auf einen namentlich bekannten Schuldigen gedeutet: "Auch im Westen müssen die Kunden wissen, dass Gasprom seine Preisvorstellungen notfalls mit großer Brutalität durchzusetzen gewillt ist." (SZ 2.1.07) Sind das dieselben Kunden, die von E.ON und RWE oder von ihren Stadtwerken immer erst gefragt werden, ob ihnen Preissteigerungen recht sind, die einen Umgang gewöhnt sind, bei dem über Strom- und Gaspreise verständnisvoll mit ihnen verhandelt wird? Und wenn der Kunde schlecht bei Kasse ist, hat der Stromversorger dann ein Einsehen und gewährt einen Nachlass?

Die Anklage gegen die Handhabung der Energiepreise durch Russland verfährt darüber hinaus sehr wählerisch:

Die Sensibilität gegenüber Preisen und ihrer Neigung zu steigen, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wenn russische Unternehmen im Ausland "verlangen, was der Markt hergibt", dann folgen sie nicht etwa der goldenen Regel der Marktwirtschaft, zu nehmen, was man kriegen kann. Einer Regel, die unsere Mineralölkonzerne jeweils zu Urlaubsbeginn durchexerzieren oder die deutschen Stromriesen, wenn sie die ihnen geschenkten Emissions-Zertifikate umgehend "einpreisen".

Aber im Fall der russischen Gasprom ist die marktübliche Beutelschneiderei auch noch deswegen eine Schweinerei, weil sich der Konzern zu Hause wiederum gar nicht daran hält: In deren Inland gelten doch glatt Preise, die sich an nationalen Gesichtspunkten orientieren! Da gibt es eine Sozialpolitik und auch noch eine Wirtschaftspolitik! Die benützen die eigenen Rohstoffe glatt zur Förderung der eigenen Wirtschaft! Wo "wir" uns doch viel besser vorstellen könnten, dass sie mit "brutalen Preisvorstellungen" erstmal ihr Volk schädigen, ihr Wachstum abwürgen und anschließend "uns" zum ‚Sozialtarif‘ versorgen. Das ist einmal eine schöne Kritik am Preis: ‚Zu verlangen, was der Markt hergibt‘, grenzt dann an Ausbeutung, wenn ein fremder Konzern das bei uns tut und seiner häuslichen Regierung damit die Handlungsfreiheit verschafft, ihre Wirtschaft auf Vordermann zu bringen.

Gewarnt werden muss aber noch vor ganz anderen russischen Machenschaften und der ominösen Macht eines expandierenden Konzerns:

"Die Krake breitet die Tentakel aus". (FTD, 2.1.) "Zielstrebig baut der Gasprom-Konzern seine Macht in Europa aus."(SZ, 3.1.)

Gasprom will bei uns Marktanteile erobern, Gewinn maximieren, expandieren. Und das ist noch nicht alles: Es geht um "eine Monopolstellung Gasproms" und darum, "wie jetzt im Falle Weißrusslands, auch die Kontrolle über die Transitleitungen zu gewinnen." (FAZ, 10.1.)

Interessant, was sich alles an Verstößen gegen angebliche Regeln auf dem Markt entdecken lässt, wenn man nur will: In der Konkurrenz gewinnen wollen, eine marktbeherrschende Stellung anstreben und dafür möglichst alle Momente des Geschäfts monopolisieren – das gilt jetzt neuerdings als unsittlich? Sollte den Wirtschafts- und anderen Journalisten noch nicht aufgefallen sein, dass sich auf dem Markt nur solche Kraken bewegen? Seit wann ist denn Größe ein Argument gegen einen Konzern, zumal in Zeiten der Globalisierung und vor allem in der Energiesphäre?! Auch für den deutschen Außenminister sprechen für Größe gute Gründe, wenn er im Handelsblatt die Marktmacht der deutschen Energiekonzerne verteidigt, wie in diesem Beispiel gegen überzogene Wettbewerbsideen der Brüsseler Kommission:

"Außenminister Steinmeier wandte sich zudem gegen eine Zerschlagung der Energiekonzerne, weil Deutschland finanzstarke internationale Akteure zur Sicherung seiner Energieversorgung brauche." (HB, 15.1.)

Unsere Energie-Konzerne agieren eben im Dienst an unserer Versorgung, bei ihnen ist Durchsetzung auf dem Markt, Finanzstärke und das Format eines Global Player folglich Pflicht. Das Schlimme an Gasprom besteht darin, dass es dasselbe vorhat, deswegen in "unseren" Markt einbricht und sich darüber den Vorwurf zuzieht, das von ihm verdiente Geld komme in die falschen Hände. Marktwirtschaftlicher Erfolg steht also unseren Konzernen zu, russischen aber nicht – so einfach geht die Logik.

Die Entrüstung darüber, dass sich Russland und seine Konzerne nun mit den Mitteln und Methoden der Marktwirtschaft breitmachen, ist aber noch lange nicht am Ende. Hinter den brutalen Preisen und dem krakenhaften Benehmen, steckt nämlich noch ein "Regelverstoß" höherer Art:

"Russland setzt seinen Rohstoffreichtum und besonders die marktbeherrschende Position des Staatsunternehmens Gasprom in zunehmendem Maße als politisches Instrument ein. Vorerst [!] beschränkt man sich auf Nachbarn wie die Ukraine, Weißrussland oder Georgien, die Moskau als seinen traditionellen Einflußbereich ansieht. Aber …" (FAZ, 10.1.)

Dass sie an uns Geld verdienen, würde man den Russen– "in vernünftigen Maßen" – vielleicht gerade noch zugestehen, aber Geschäfte als "politisches Instrument" einzusetzen – das steht ihnen eindeutig nicht zu. Als ob es die Russen gewesen wären, die den Übergang von ökonomischer Abhängigkeit zur Forderung nach politischem Wohlverhalten erfunden hätten. Als wüssten solche Leitartikler nicht genau, dass auf dem Weltmarkt eine Hierarchie gilt, dass dort "Führungsnationen" unterwegs sind und andere, die geführt werden, wobei es sich von selbst versteht, wer der Hinterhof ist! In ihren politischen Kommentaren bestehen sie doch auch regelmäßig darauf, dass sich kapitalistische Erfolge ihrer eigenen Nation in "politische Instrumente" gegen andere umsetzen und Anspruch auf Respekt begründen.

Unter dem Titel "Great Game" berichten dieselben Medien im Ton der gespannten Begeisterung von genau dem Stoff, den sie Russland gerade zum Vorwurf machen. Den Zugriff auf die Energieressourcen der Welt und auf die Staatsgebilde, unter deren Boden diese zufällig herumliegen, würdigen sie verständnisinnig unter dem höheren von den USA ausgegebenen Rechtstitel, nach dem es darum geht, die Region der ehemaligen Sowjetrepubliken und jetzigen selbstständigen Staaten "russischen Großmachtbestrebungen" zu entreißen. Seit der Auflösung der Sowjetunion arbeiten auf der einen Seite die USA, auf der anderen Europa als Juniorpartner und Konkurrent daran, die Energiequellen der ölreichen Kaukasusstaaten in ihre Zuständigkeit zu überführen. Und zwar nicht nur durch Einkauf, Kredit oder andere ökonomische Hilfsmittel – die Weltmacht Amerika und ihre verbündeten Konkurrenten langen da gleich ganz anders hin: Unterhalb des Anspruchs, die dortigen Herrschaften, die über die Energiequellen regieren, in die eigene Zuständigkeit zu übernehmen, zur eigenen Einflusssphäre umzufunktionieren, will man gar nicht anfangen. Und das heißt, ihnen vorzuschreiben, an wen sie zu verkaufen haben – nicht an Russland! – und wie sie ihre Exportrouten zu bauen haben – an Russland vorbei!

"Die USA drängen die Länder Zentralasiens, neue Exportrouten für Öl und Gas aufzubauen, statt ihre Ressourcen wie bisher an Russland oder über russische Pipelines zu verkaufen. Unterstützung findet diese Forderung Washingtons auch aus der EU […] Bei ihrem gestrigen Treffen mit dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, man sei an einer engen Kooperation im Energiebereich interessiert – um unabhängiger von einzelnen Lieferländern zu werden. Zwar betonte [der für die Region zuständige US-Außenstaatssekretär Richard] Boucher, der Wunsch nach neuen Exportpipelines sei nicht gegen Russland gerichtet. Unter vier Augen bestätigen US-Vertreter jedoch, dass Washington sehr wohl Moskau treffen wolle. ‚Unsere Politik ist, Russland künftig bei Energieexportrouten zu umgehen, vor allem in Zentralasien‘, sagte ein Diplomat. […] ‚Wir werden darauf hinarbeiten, dass ein so großer Teil der weltweiten Energievorkommen wie möglich an Russland vorbeifließt.‘" (FTD, 31.1.)

Merke: Die Abhängigkeit von Energielieferungen politisch zur Erpressung fremder Nationen auszunützen – so etwas steht nur den etablierten imperialistischen Nationen zu! Im Fall von Russland belieben die westlichen Staaten und ihre journalistischen Sprachrohre, die russische Konkurrenz als Regelverstoß zu definieren. Da pochen sie auf ihre Macht als ein Recht, das die andere Seite zu respektieren hätte. Weil "unsere" Interessen schon weltweit verankert sind, trägt dieses schöne Ensemble von Geschäft und Politik ja schließlich auch den Namen "Ordnung". Die verträgt es nicht, wenn sich neue Teilnehmer bemerkbar machen, denn die stören die etablierten. Russland wird zum Vorwurf gemacht, dass es als imperialistische Nation Neueinsteiger ist, dessen Anspruch auf die Eroberung einer Machtposition mittels Energie, auf eine an diesem Programm ausgerichtete Einflusssphäre, von den Veranstaltern dieser Weltordnung bestritten wird, und der russische Regelverstoß besteht darin dagegenzuhalten. Auf so einen Teilnehmer könnten die westlichen Führungsmächte mit ihrem Weltmarkt und bei ihrem Weltordnen gut verzichten. Der Vorwurf "Missbrauch von Energie als politische Waffe" ist nur ein etwas umständlicher Ausdruck für ein Konkurrenzverbot für Russland – das hätte man jedenfalls gerne.

*) Am 19.02. wurde in Radio Lora München keine GegenStandpunkt-Analyse gesendet.