GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Das Geld

VON DEN VIELGEPRIESENEN LEISTUNGEN DES SCHNÖDEN MAMMONS

Hoch stehen sie im Kurs, die inneren und die höheren Werte. Möglichst statt auf gewöhnliche Genüsse soll man scharf auf sie sein. Der schöngeistige Antimaterialismus geht nach wie vor so, dass ein Dichter beteuert: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!" – was niemand behauptet hat –, worauf ihm gleich ein anderer Denker ins Wort fällt und behauptet: "Geld macht nicht glücklich!"

Recht haben beide nicht. Der eine nicht, weil ja niemand behauptet hat, dass man außer sein Stück trockenes Brot nichts braucht. Der andere nicht, weil ihm bei Armut gleich das Glück einfällt, dabei ging es doch bloß um die Lebensqualität. Handelseinig sind sich die volkstümlichen Sprüchemacher in der tieferen Überzeugung, dass das Leben durch seine ideellen Erträge lebenswert wird und dass sich vor denen der "bloße" Reichtum allemal blamiert.

In dieser radikalen Kritik an den mehr handfesten, irdischen Genüssen und an den Zeitgenossen, die ihrer ordinären Bedürfnisse wegen auf durchaus niedere Dinge aus sind, steckt ein Hinweis. Die freundlichen Herren von dieser Lebensberatung raten ja offensichtlich nur deswegen zu den höheren Werten, weil sie eine Entdeckung gemacht haben: Nicht wenige ihrer lieben Mitmenschen sind schon mit der ganz gewöhnlichen Dutzendware nicht ordentlich versorgt und setzen daher unzufriedene Mienen auf. Das missfällt manchen, weil es so unliebsame Überlegungen nahelegt wie die, was denn da auf dem gut gefüllten Markt mit seinen brauchbaren Reichtümern alles läuft, wenn immerzu Knappheit herauskommt. So etwas finden sie ziemlich abwegig, die Sinnstifter der abendländischen Kultur. Und so verweisen sie das Publikum auf den Markt der höheren Werte, die noch nicht einmal etwas kosten.

Aber da nach allen gesammelten Erfahrungen der Marktwirtschaft das billigste Zeug nichts taugt, soll von der großzügigen Offerte, auf die kostenlosen höheren Werte einzusteigen, hier einmal kein Gebrauch gemacht werden. Es ist festzuhalten, dass vom Brot allein niemand glücklich wird, vergessen darf man aber auch nicht, dass viele nicht vom Geld leben können, die von ihm aber leben müssen. Das kann unmöglich daran liegen, dass sie den Nährwert der höheren Werte vernachlässigen. Er hat wohl eher mit dem Wert des Geldes zu tun, an den man auch nicht zu glauben braucht, weil man sich ohnehin nach ihm richten muss.

Das Maß der Werte

Es ist jedermann bestens vertraut. Außer jenen edlen Dingen, die "mit Geld nicht zu bezahlen" sind, hat alles seinen Preis. Bei den Waren, die zum Verkauf anstehen, sieht man auf dem Preisschild, wie viel Geld sie kosten. Aber auch Gegenstände, an deren Veräußerung niemand denkt, werden in der größten Selbstverständlichkeit andauernd in Geld gemessen. Die Eigenschaften eines Hauses, die es für seine Bewohner brauchbar machen, die Dienste einer Maschine für ihren Benutzer, die Vorzüge einer Stereo-Anlage – all das wird ziemlich gleichgültig, wenn es um die heiße Frage geht: Was tragen diese Dinge zum Reichtum einer Person bei? Ihre jeweilige Brauchbarkeit interessiert dann nur noch als Voraussetzung dafür, dass sie eine gewisse Summe Geldes wert sind. In dieser Eigenschaft addieren sie sich locker zum Geld hinzu, das der Betreffende womöglich auch noch hat. Das Ganze ergibt sein Vermögen, welches in der freien Marktwirtschaft entscheidet, was einer vermag. Es bestimmt den Grad der Freiheit, die man sich in der Welt des Marktes herausnehmen kann.

Einerseits scheint ein eigenartiger Idealismus am Werk, wenn alles irgendwie brauchbare Zeug einen Geldnamen verpasst kriegt. Der materielle Reichtum, der Gebrauchswert wird einem Geldquantum gleichgesetzt und gilt dabei als "Stellvertreter" des Stoffs, der getrennt von den vielfältigen Gebrauchswerten den "eigentlichen" Reichtum darstellt. In dieser Operation, die jedem geläufig ist, den es in die freie Marktwirtschaft verschlagen hat, braucht der abstrakte Reichtum noch nicht einmal greifbar zu sein, wenn er als Maß aller Dinge gewürdigt wird. Solange man nur wissen will, was eine Sache wert ist, tut es ein vorgestellter Geldbetrag durchaus. Sobald es jedoch darum geht, etwas zu haben, sich den Gebrauchswert einer Sache zu sichern, braucht man das Geld, das sie kostet.

Andererseits ist also überhaupt kein Idealismus vorhanden, wo alles in Geld geschätzt wird. Groß und Klein sehen sich da mit dem Materialismus des Privateigentums konfrontiert. Was immer jemand genießen und zu seiner Verfügung haben will – er muss es mit Geld bezahlen, weil es jemand anderem gehört. Und damit keiner auf die Idee verfällt, er könne sich die ihm als Geld vertrauten Zettel nach Bedarf selber kopieren oder anders zurechtkleben, folgt nach der Fälschung der kunstvoll aus diversen Materialien zusammengedruckten Scheinchen eine Freiheitsstrafe dieser oder jener Länge, sofern man erwischt wird. Damit weiß der Mensch zumindest schon etwas wichtiges über seine Heimat, in der durch die staatliche Gewalt die Gültigkeit des Geldes gesichert wird, so dass es sein Werk als Maß des Reichtums ordentlich verrichten kann: Von allem Nützlichen und Angenehmen, dass er zu Gesicht kriegt und gebrauchen will, steht jedem das zur Verfügung, was er in sein Privateigentum verwandelt. Das Geld stellt den einen Privatmann mit allen anderen gleich – und in einen gesellschaftlichen Zwangszusammenhang. Dieser abstrakte Reichtum ist der Schlüssel zur Teilhabe an den Sorten des konkreten Reichtums, des vielfältigen Zeugs, das an allen Ecken der freien Marktwirtschaft arbeitsteilig produziert wird, um verkauft zu werden. Der Zwang zum Tausch macht sich als "Bedürfnis" nach Geld bemerkbar. Obgleich selbst ungenießbar, will es jeder haben, da dieses Maß der Werte mit seiner unmittelbaren Austauschbarkeit seinen Besitzer zum Herrn über die Warenwelt macht. Vorausgesetzt, er hat genug davon.

Das Zirkulationsmittel

Ist die Sache mit dem Privateigentum geregelt und Gott und die Welt hinter dem Geld her, damit sie auf dem Markt etwas ausrichten, dann zirkulieren nicht nur Waren, sondern auch Gemeinsprüche der begriffslosesten Sorte. "Das Geld ermöglicht den Tausch" – heißt es da in den VWL-Büchern wie im kleinen Brockhaus und im großen Meyer. Und um einen guten Eindruck zu machen und den wissenschaftlichen Schein zu wahren, zu dem ein Quentchen Notwendigkeit gehört, wird der Hinweis auf die Arbeitsteilung bemüht, welche im "Tauschmittel Geld" die Verteilung der weit und breit verstreuten Güter glücklich herbeiführe.

An solchen Weisheiten, die freudig vermelden, dass das Geld "Zugang zu" und "Verteilung von Gütern" ermögliche, muss eine kleine Korrektur vermeldet werden. Das Geld, das Maß des Reichtums, stellt den Zugang zu ihm und seine Verteilung auch ein wenig in Frage. Es verun-möglicht zuerst das, was es "möglich macht", auch: Schließlich trennt das gewaltsam in Kraft gesetzte Tauschmittel erst einmal sämtliche Bedürfnisse von den ihnen entsprechenden Gegenständen. Es lässt sie nur unter der Bedingung zum Zug kommen, dass der geforderte Preis an den entrichtet wird, dem die Dinge gehören. Wenn ein Staat mit seiner Gewalt das Geld als Mittel der Bedürfnisse vorschreibt, dann erhebt er ganz bestimmt nicht die Bedürfnisse zum Zweck des Wirtschaftslebens. Er unterwirft vielmehr ihre Befriedigung der Zahlungsfähigkeit derer, die sie verspüren. Vom Quantum des öffentlich-rechtlich beaufsichtigten Stoffes, das einer besitzt, hängt seine Betätigung in der Welt der Genüsse ab. Anders ausgedrückt: Die "Güter" finden den Weg zu ihren Liebhabern nur, wenn diese zahlen. Als Waren bevölkern sie dann den Markt, sie sind Geschäftsartikel – und ihre Eigentümer stellen sie äußerst ungern zur Verfügung, sofern sie sich nicht versilbern, um daran zu verdienen.

Dass durch das Geld eine Verteilung stattfindet, soll damit gar nicht bestritten werden. In Frage steht jedoch, ob es sich beim Geld um eine glückliche Erfindung aus fernen Tagen handelt, durch die ein mit der "Arbeitsteilung" auf die Welt gekommenes Problem einvernehmlich gelöst wurde: Güter von dem Ort, wo sie nicht gebraucht werden, dorthin zu verfrachten, wo sie jemand haben will! Dagegen spricht schon jeder Werbespot mit seiner Botschaft von der "preiswerten Ware" und auch jener mit dem Geiz, der nicht eher traurig, sondern "geil" ist. Dergleichen beweist nichts anderes als das Bemühen um eine beschränkte Zahlungsfähigkeit, und an den Mann gebracht werden soll die eine Ware statt der anderen, was auch gleich die Behauptung widerlegt, das Geld sei, wenn schon keine Lösung des Verteilungsproblems, dann dessen Not-Lösung, angesichts der "Knappheit von Gütern" – auch das eine Deutung, die einen Hinweis auf die unübersehbaren Gegensätze des Marktes, auf dem Waren und Geld die Hände wechseln.

Anders gesagt: Zunächst einmal vermittelt das Geld tatsächlich den Austausch von Waren beliebiger Herkunft untereinander. Zeitliche und örtliche Schranken, wie sie sich neben den Zufällen individueller Bedürfnisse immer als Manko des "Naturaltausches" ausgemalt werden (Der eine hat das (nicht), was sein gerade hereingeschneiter Tauschpartner (nicht) braucht...") sind mit dem Geld beseitigt – ob dieses glücklich gelöste Problem außerhalb einer Geldwirtschaft, aus der man sich das Geld absichtlich weggedacht hat, überhaupt eine Rolle spielen würde, sei mal dahingestellt. Deswegen ist das Geld aber noch lang keine "Recheneinheit" und kein "Steuerungsinstrument", das garantiert, dass Güter ihren Benützer finden. Immerhin macht es sich selbst zur Bedingung dafür, dass die Waren in Bewegung geraten und von ihrem ursprünglichen Besitzer zu ihrem Benützer gelangen. Vor dem allseits beliebten Resultat, dem gelungenen Austausch von Waren hier gegen Waren dort und anderswo, hat immerhin noch jede Ware ihre Verkäuflichkeit zu beweisen. Und das heißt: Sie muss sich eben nicht nur als Gebrauchswert bewähren, sondern auch an der Zahlungsfähigkeit der Interessenten. Insofern verrichtet das Geld die ihm so hoch angerechnete Wohltat, den Gütern und Menschen als Verteilungsinstrument zu dienen, nur sehr bedingt. Unerfüllte Bedürfnisse zeugen ebenso deutlich wie unverkäufliche Waren davon, dass die Trennung in Kauf und Verkauf – jene "Technik", die die Möglichkeit des Austauschs jeder beliebigen Ware gegen jede andere eröffnet – einen handfesten Gegensatz stiftet. Unterwegs kommt es offenbar so sehr aufs Geld an, dass manche Ware gar nicht erst zu anderer Ware findet...

Wenig Trost bietet da auch die angesichts von Störungen des Marktes erhobene Klage, das Geld würde mengenmäßig verkehrt gehandhabt und Störungen deshalb hervorrufen. Den Idealismus, das Geld der Marktwirtschaft, in der es auf die ausschließliche Verfügung von Privateigentümern über Ware und Geld ankommt, zu einer Gesamtmenge zu addieren , mit der, wenn richtig bemessen, der Markt geräumt und jedes Bedürfnis befriedigt würde, treibt ja doch keinen der Experten bis zu dem Vorschlag, für den guten Zweck der Warenverteilung und Menschenversorgung einfach mehr Geld unter die Leute zu bringen, damit ein fröhlich Kaufen und Verkaufen anhebt: Das geht auf keinen Fall, weil die Kaufkraft, die so geschaffen würde, durch höhere Preise ausgenützt und nur dazu führen würde, dass das Geld nichts mehr taugt …

Auf die Anzahl der Geldeinheiten kommt es demzufolge also an: Nicht im Hinblick auf den Dienst als Zirkulationsmittel, den das Geld angeblich so zweckmäßig versieht und bisweilen dann doch versagt, sondern weil es auf die Einheit ankommt, von deren Inhalt kein marktwirtschaftlicher Kopf etwas wissen will. Immerhin geben insofern selbst die Freunde der "quantitätstheoretischen" Deutung der Inflation (deren Geheimnisse im Übrigen im Kredit und nicht in den Güterbergen und Geldmengen liegen!) noch zu, dass der Markt für den Nutzen des Geldes geradezustehen hat und nicht umgekehrt. Dass die Beschaffung von Geld, jener Privatmacht über den gesellschaftlichen Reichtum in "schlagfertiger Form" den Zweck des Marktes ausmacht, lässt sich freilich leichter bemerken als über falsche Theorien, die sich dann am Interesse ihrer Urheber blamieren. Darauf sind vor allen Marxisten schon ganz andere Leute gekommen.

Das Geld bringt's

Dass man nicht viel zu bestellen hat, wenn man in der Marktwirtschaft, einmal in den Besitz einiger Kreuzer gelangt, sein Geld ausgibt und die erstandene Ware verbraucht, ist schon dem Geizkragen eingefallen, der als Charakter die schöne Literatur bevölkert. Der Schatzbildner zieht jene Form des Sparens vor, die im Verkaufen und im Behalten des Geldes besteht. Dass er auf die in der Warenwelt gebotenen Genüsse verzichtet, weil er mit dem Geld die Macht über sämtliche Bedürfnisse an Land zieht, macht ihn komisch. Freilich belacht niemand das verständliche Ansinnen, Geld anzuhäufen: Wegen der Entsagung wird sein Bedürfnis nach dem universellen Kaufmittel schiere "Habgier", der arme Reiche eine lächerliche Figur.

Vernünftiger sieht der Hang zum Geld schon dann aus, wenn geborgt wird. Wo es um die Versilberung von Waren geht, wird oft geliefert, ohne dass gezahlt werden kann. Momentane Zahlungsunfähigkeit darf kein Hindernis sein für Kauf und Verkauf - lautet der Beschluss. Und wenn es sich nicht gerade um einen Akt des Pumpes handelt, in dem arme Leute ein gegenwärtiges Bedürfnis befriedigen, um es mit künftigem Verzicht zu bezahlen, ist jedem klar, dass Kredit eine seriöse und unerlässliche Geschäftstechnik darstellt. Er beruht nämlich darauf, dass "der Markt" Überschüsse hergibt. Wer Zahlungsaufschub gewährt, gesteht ja ein, dass für die Fortführung seiner Marktbeteiligung genug Geld da ist – und für die fällige Begleichung der Schuld nach vereinbarter Frist steht der Staat, als Wächter über alle Verträge, zur Verfügung. Wo Schuldenkonten zur Regel werden und die Guthaben wie Geld behandelt werden und funktionieren, hat die Akkumulation von abstraktem Reichtum eben schon ihre Fortschritte gemacht. Irgendwie hat der Tausch da zur Anhäufung von Geld geführt...

Dasselbe gilt für den Staat, der über sein Bankwesen den Austausch seines lokal begrenzten Marktes bzw. seiner Geschäftsbürger mit dem Ausland saldiert – und Geldguthaben genauso schätzt wie einen Schatz aus Gold. Den Weltmarkt sehen Staaten von vornherein als Mittel für die gute Ausgestaltung ihrer Bilanzen an, und das "Hungerproblem" erübrigt jeden Verdacht, dass es beim internationalen Austausch um die allseitige Versorgung mit Gütern ginge. Der Markt ist da von vornherein ein Mittel zur Gewinnung von ökonomischer Macht, und die beziffert sich in Geld, der Form universellen Reichtums...

Kapital - die Kunst der Geldvermehrung

Das Geld ist nicht der Knecht der "Güter" und schon gar kein Hilfsmittel für ihre termingerechte Verteilung. Mit Geld macht man sich den Markt dienstbar, wenn man es versteht, es so auszugeben, dass man es behält und immer mehr übrig hat. Die alten Techniken, aus dem Kaufen und Verkaufen einen Beruf zu machen oder das Geld zu verleihen, gegen einen Preis natürlich, haben sich da als wegweisend erwiesen. Diese frühen Erfindungen, welche sich bis heute gehalten haben, beruhen auf dem Prinzip, dass andere für die Erhaltung und Vermehrung des eigenen Vermögens mit aufkommen. Und sie haben im verein mit staatlichen Verpflichtungen aller Art den Blick für die Not freigemacht, welche die Situation der gewöhnlichen Statisten des Marktes bestimmt. Diese Menschen müssen beständig darauf sinnen, an Geld zu kommen, um sich auf dem Markt wieder einzudecken. Da sie zwar bereit sind, ihrerseits etwas Verkäufliches herzustellen, aber die dafür notwendigen Mittel nicht finanzieren können, lag es für potente Geldgeber nahe, ihnen die Gelegenheit zur Arbeit zu verschaffen. So wäscht eine Hand die andere, ein Zug von Humanität streift die kalte Welt des berechnenden Tausches und der Nachschub an Waren für den Markt ist auch sichergestellt.

Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist mit anderen Worten der einzig senkrechte Umgang mit Geld. Oder andersherum: Das Geld diktiert ein ganzes Produktionsverhältnis. Allen, die über so wenig Mittel verfügen, dass sie das Geld einfach für ihren Lebensunterhalt ausgeben und nach dem Verzehr der erstandenen Sachen wieder an Geld kommen müssen, wird mit der segensreichen Einrichtung einer "abhängigen Beschäftigung" die Möglichkeit eröffnet, mit den Tücken des Zirkulationsmittels zurechtzukommen. Vorausgesetzt, ihre Arbeit ist rentabel für das Eigentum, das die kostspieligen Arbeitsplätze bereitstellt und die Produkte preiswert an den Mann bringt, kriegen sie einen Lohn, den sie sich einteilen können. Dabei hilft ihnen der Staat, dessen Gewalt die Scheidung der Arbeit vom Eigentum bewerkstelligt und überwacht, mit seiner Abteilung "Soziales". Zwangssparen für Notfälle ist u. a. schon deshalb angezeigt, weil aufgrund der Kalkulation mit den Arbeitsplätzen der Lebensunterhalt von Lohnabhängigen bisweilen gar nicht lohnend ist und neben der gewöhnlichen Armut derer, die sich als Mittel der Vermehrung fremden Eigentums bewähren dürfen und da mit dauernden Veränderungen von Lohn und Leistung konfrontiert sind, immer auch einiges an Verelendung fällig ist. Entscheidend in all diesen Fragen bleibt das Wachstum – wessen, das ist keine Frage –, ohne das gleich alle aufgeschmissen sind, weil sie von ihm abhängen.

Insofern ist das Geld, von dem niemand genau sagen kann, wer es erfunden hat, eine sehr fortschrittliche Sache. Es bildet gewissermaßen das einigende Band zwischen denen, die es haben und als ihr Mittel verwenden, und denen, die ihm dienen, wenn sie die Produktionsmittel anderer bedienen. Beide Seiten verdienen Geld mit Arbeit. Die einen soviel Geld, wie sie rentabel arbeiten lassen. Die anderen können – zumindest wenn es ihnen gelingt, sich auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu kaufen –, frei und gleich die kleine Zirkulation in Schwung halten: Arbeitskraft verkaufen, Arbeit abliefern, das Verdiente auf den Markt werfen. Ihre Behandlung als "Kostenfaktor", noch so ein Sachzwang des Geldes, garantiert, dass sie nicht übermütig werden – und öfter mal arbeitslos dazu.

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Geld muss man haben, nicht erklären; das versteht sich von selbst für lebenskluge Zeitgenossen. Wenn es am Geld etwas zu erklären gibt, dann, wie man am besten an möglichst viel davon herankommt; damit hat die praktische Vernunft des aufgeklärten Erwerbsbürgers auf alle Fälle schon genug zu tun. Das ist fatal. Denn wer dem unausweichlichen Zwang, Geld zu verdienen, nur die Ermunterung entnimmt, ihm erfolgreich nachzukommen, der bleibt nicht nur in ein Zwangssystem der gesellschaftlichen Arbeitsteilung verstrickt, das mit hochprozentiger Sicherheit auf seine Kosten geht. Der macht außerdem den gar nicht so unvermeidlichen Fehler, sich dazu kritik- und begriffslos affirmativ zu stellen. Da helfen dann auch kein Ärger und keine Beschwerden mehr über die unausbleiblichen Konsequenzen: über Stress beim Geldverdienen, über spärliche Verdienste, über hohe Preise und überhaupt über Mangel hier und obszönen Reichtum dort. Wer sich das Geld nicht erklären will, soll über dessen ungleiche Verteilung nicht jammern.

Wer sich das Ding erklären will, das auf die bekannte totalitäre Weise und durchaus nicht zum Nutzen der großen Mehrheit das Handeln, Trachten und Denken der Insassen des globalen marktwirtschaftlichen Irrenhauses beherrscht, der wird von der einschlägigen Wissenschaft schlecht bedient. Die steht so entschieden auf dem Standpunkt, der Geldwirtschaft sei ihr quasi selbsttätiges Funktionieren hoch anzurechnen, dass sie dem Geld die Funktion des universellen Vermittlers aller funktionalen Bestandteile der Geldwirtschaft attestiert und überhaupt nicht versteht, was es außer dieser Tautologie noch zu erklären geben könnte an einer Wirtschaftsweise, die alles Produzieren und Konsumieren, den Lebensprozess der Gesellschaft insgesamt, dem Sachzwang des Geldverdienens unterwirft. Weiterhelfen kann hier, ungeachtet ihres ehrwürdigen Alters von bald anderthalb Jahrhunderten, Marx’ Kritik der politischen Ökonomie. Der Mann hat nicht bestritten, dass die kapitalistische Wirtschaft funktioniert; er hat das bloß nicht für einen Grund gehalten, sich die Überlegung zu ersparen, was da funktioniert. Dass ihm dann der Begriff des allgemeinen Äquivalents, das den Warenaustausch vermittelt, zur Kritik dieses ökonomischen Gegenstands geraten ist, liegt am Gegenstand: daran, dass das Geld ein gesellschaftliches Gewaltverhältnis vergegenständlicht und quantifiziert, dem die gesellschaftliche Arbeit unterworfen ist. Marx kommt das Verdienst zu, dass er sich weder durch verantwortungsvolle Voreingenommenheit für seinen Gegenstand noch durch methodische Vorüberlegungen von der Analyse des Geldes hat abhalten lassen – und schon gar nicht durch erkenntnistheoretische Bedenklichkeiten, ob die Enträtselung dieses Fetischs der bürgerlichen Welt überhaupt geht und wie sie allenfalls gelingen könnte.

Mit der letzteren geistigen Übung haben sich, sehr zum Nachteil ihres Wissens über die kapitalistische Ökonomie, viele Linke beschäftigt, die bei Marx Aufklärung über den gesellschaftlichen Zwangszusammenhang des Geldes gesucht haben, an dem die marktwirtschaftlich hergerichtete Menschheit laboriert. Sie haben die ersten drei Kapitel des 1. Bandes des Kapital studiert und glatt aus den Augen verloren oder gar nicht erst gemerkt, dass es der allgemein bekannte Alltag des kapitalistischen Betriebs ist, von dem diese Kapitel handeln, und dass an dem kein gutes Haar bleibt, wenn man ihn begreift und nicht wohlwollend danach beurteilt, dass man sich wunderbare Sachen kaufen kann, wenn das Geld reicht.

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Buchpräsentation: Das Geld
Von den vielgepriesenen Leistungen des schnöden Mammons

Ort: Universität Wien Hauptgebäude HS 28
Zeit: 18.10.2007 um 19:00
Referent: Dr. Theo Wentzke

"Das Geld"
Wolfgang Möhl / Theo Wentzke
Gegenstandpunkt Verlag München
162 Seiten
15.– €
ISBN 978-3-929211-11-5