GEGENARGUMENTE

Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB) erledigt:
Staatstragende Vorbildgewerkschaft wird vom – eigenen! – Finanzkapital unter kräftiger Mitwirkung einer Staatsgarantie abgewirtschaftet

"Hier geht eine Welt unter. Den ÖGB, wie man ihn kannte, gibt es nicht mehr. Alles ist verspielt: Macht, Ansehen, Vermögen." (profil 19/06)

Das Ansehen

Im Oktober 2005 legt "Refco", eine große US-amerikanische Brokerfirma für Währungsclearing, eine Pleite hin. Der Chef wird unter Betrugsverdacht verhaftet und nach Hinterlegung einer Millionenkaution in den Hausarrest entlassen. Im August zuvor war das Unternehmen an die Börse gegangen und hatte die dabei vorgesehenen Bonitätsprüfungen bestanden; nun sind die Aktien nichts mehr wert. Kurz darauf wird bekannt, dass die dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) gehörende "Bank für Arbeit und Wirtschaft" (Bawag) in einer "Nacht- und Nebelaktion", nämlich unter Umgehung der vorgesehenen internen Abläufe, innerhalb kürzester Zeit und direkt per Vorstandsbeschluß eben dieser "Refco" unmittelbar vor deren Bankrott einen Kredit von 350 Mio. € gewährt hat. Mit der Pleite ist das Geld natürlich weg. Das Bawag-Management erklärt sich zum Opfer eines Betrügers, dem man auf Basis bisheriger Geschäftsbeziehungen vertraut habe, und kündigt eine Klage an. Die Angelegenheit trifft naturgemäß auf höchstes Interesse der Öffentlichkeit und der zuständigen Behörden; die österreichische Nationalbank und die im Finanzministerium angesiedelte Finanzmarktaufsicht beginnen zu ermitteln. Es wird ebenfalls bekannt, dass – vorerst ohne Zusammenhang mit der Refco-Pleite – die Bank über einige u.a. in der Karibik angesiedelte Investment-Firmen Zins- und Währungsspekulationen betrieben und dadurch Ende der 90er Jahre beachtliche Verluste erlitten hatte. Diese bankintern als "Sondergeschäfte" bezeichneten Veranlagungen waren 1994 schon einmal für beendet erklärt worden, weil sich nach der politisch korrekten Meinung aller Beteiligter solche Spekulationen für eine Gewerkschaftsbank nicht gehören, und außerdem die Nationalbank damals Bedenken bezüglich des Risikos und der Bawag-internen Kontrollen äußerte. Infolgedessen wurden diese Geschäfte nach einer kurzen Schamfrist wieder aufgenommen und eher diskret betrieben. Die Gewerkschaft – von der zweiten Funktionärsebene bis hinunter zur Basis – ist über die Spekulationsverluste empört; der Vorstandsvorsitzende der Bank tritt wegen der Verluste aus "Refco" und "Karibik" mit Jahresende ab; sein Nachfolger kündigt eine schonungslose Aufarbeitung sowie "volle Transparenz" an, und macht damit eine im Bankwesen regelrecht geschäftsschädigende Ansage. Fachleute für Nationalökonomie und Bankwesen treten auf und erklären, das Leben allgemein und das Spekulieren speziell sei nun einmal mit Risiken behaftet, weswegen solche Verluste zwar bedauerlich, irgendwie aber auch unvermeidlich seien: "No risk, no fun!" Diese Fachleute finden kaum Gehör, insofern man in Österreich davon überzeugt ist, dass österreichische Banken erfolgreich zu sein haben, wie man an deren Expansion in den ehemaligen Ostblock sehen kann, und es sich also definitiv nicht um eine ganz gewöhnliche Bankenaffäre handeln kann, wie sie öfter einmal vorkommt. Alternative Experten stellen dementsprechend die Vermeidung solcher Verluste als eine Frage des Könnens der verantwortlichen Manager dar, und lösen deren Kompetenz ziemlich umstandslos in die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften auf, sowohl der Richtlinien eines raffiniert ausgetüftelten bankinternen Risikomanagements und erst recht der Vorschriften von Nationalbank, Bankwesengesetz und Aktienrecht.

Die regierende ÖVP setzt schon mal eine Duftmarke und kündigt an, mit Blick auf die Parlamentswahlen im Herbst 2006 die Botschaft "Die Roten können nicht Wirtschaften" "kommunizieren" zu wollen, soll heißen: Wer, wie die der gegnerischen SPÖ personell und ideologisch verbundene Gewerkschaft, sozusagen von Berufs wegen die alleinseligmachende höhere Vernunft der liberalen Marktwirtschaft bezweifelt, verstößt notgedrungen auch in der kommerziellen Praxis gegen deren Prinzipien, die ihm nicht passen oder die er nicht einmal durchschaut, und setzt zwangsläufig Geschäfte in den Sand. Die geplatzten Zins- und Währungsswaps, Optionen und Bonds sind zwar normale Banktransaktionen und haben mit dem üblichen gewerkschaftlichen Lamentieren über "Spekulanten" und den "Kasinokapitalismus" ungefähr soviel zu tun wie das Zinsverbot des Martin Luther mit den Geschäften der Deutschen Bank, aber genau darin liegt die Crux auch nach Meinung einer qualifizierten, durchaus verständnisvollen Öffentlichkeit, die sich plumper ÖVP-Propaganda selbstredend verweigert. Die billige ÖGB-Kritik am Finanzkapital, das lieber spekuliert, statt "Arbeitsplätze zu schaffen" – wodurch ein falscher Maßstab zur Geltung gebracht wird, was Gewerkschaftern bei Gelegenheit auch bekannt ist, wenn sie schweren Herzens dem Abbau von Arbeitsplätzen zustimmen, um die verbliebenen zu "retten", weil halt die Vermehrung des eingesetzten Geldes durch rentable Arbeitsplätze der Zweck ist, und nicht umgekehrt –, oder das sogar wie die inzwischen berühmten "Heuschrecken" über produktives Kapital "herfällt", es ausschlachtet und Arbeitsplätze streicht: Diese Nörgelei mag eine Gewerkschaft vielleicht auch in Zeiten des "Neoliberalismus" noch verbraten, und zwar gerade weil es sich um eine praxisferne, idealistisch-versponnene Weltverbesserungsidee handelt, an die man gern glauben darf, während das Bankgeschäft seinen gewohnten Gang nach seinen immanenten Gesichtspunkten geht. Mehr noch: Solange nur die konkurrierenden Geschäftsbanken mit normalen geldgeilen Eigentümern den gewerkschaftlichen Glauben an eine andere mögliche Welt ohne Spekulanten blamieren, ist die bewährte Arbeitsteilung zwischen der harten Geschäftswelt und dem ohnmächtigen Wunsch nach einem Kapitalismus ohne finanzkapitalistische "Auswüchse" in Ordnung, den man einer ansonsten ohnehin kreuzbraven Gewerkschaft vielleicht noch durchgehen ließe. Aber sobald sogar eine gewerkschaftseigene Bank die Gewerkschaft der haltlosen Phrasendrescherei überführt, liegt hier eine jener Ungereimtheiten vor, mit der Journalisten gut umgehen können, ein Problem, für das etwa der Verkauf der Bank eine mögliche Lösung wäre. Dann könnte der ÖGB wieder so richtig unbelastet und glaubwürdig über das Finanzkapital meckern und das rechtschaffende produktive loben. Die weltkluge Forderung, doch "realistisch" zu sein, das eigene Weltbild der ungemütlichen Praxis anzupassen und das Träumen von der besseren Welt und einem Finanzkapital als Diener des produktiven Kapitals bzw. wenigstens von einem Finanzkapital ohne Spekulationsverluste einzustellen, diese bürgerliche Lebensweisheit gilt für einen Moment lang nicht, wenn die Öffentlichkeit Verständnis für solche modernen Probleme einer Gewerkschaft entwickelt bzw. ihr ein Glaubwürdigkeitsproblem unter die Nase reiben will. So werden sich Presse und ÖVP unterm Strich doch schnell einig in der Sicht, dass es sich bei der Affäre nicht um einen Banken-, sondern um einen Gewerkschafts-Finanz-Skandal handelt. Dessen nähere Aufbereitung besteht darin, sich vom gescheiterten Geschäft konsequent abzuwenden – welcher Medienheini könnte denn auch halbwegs schlüssig erklären, warum die Spekulationen der Bawag auf den Dollar und gegen den Yen oder auch umgekehrt einfach nicht gutgehen konnten? –, und sich den durch das gescheiterte Geschäft hinreichend desavouierten verantwortlichen Figuren zuzuwenden. Prompt tun sich Abgründe auf. Die freie demokratische Öffentlichkeit unterhält ihr Publikum in Form einer längeren Kampagne, durch die der Lebensstil von Bankdirektoren, verwandtschaftliche Beziehungen und die Wohnung des Gewerkschaftsvorsitzenden ausgeschlachtet und zum nationalen Skandal aufgeblasen werden. Diese "Karibik-Geschäfte" der Bawag waren Ende der 80er Jahre vom Sohn des damaligen Generaldirektors eingefädelt bzw. betrieben worden, der in Harvard studiert und bei US-Banken "Finanzinstrumente" wie "Derivate" kennengelernt hatte, die in Österreich damals noch ungewohnt waren; in allen Ehren pensionierte Bawag-Generaldirektoren spielen Golf und logieren doch glatt in – durch Luftaufnahmen aus dem Hubschrauber entlarvten! – Dachwohnungen mit Terrasse, und das in Immobilien, die der Bawag gehören; auch der Gewerkschaftsvorsitzende und Eigentümervertreter Verzetnitsch erfreut sich an so einer Pent-Behausung. Unerhört! Die moralisch hochgebildete Gewerkschaftsbasis bestätigt sich über solche Informationen ihre schlechte Meinung von der Finanzwelt und weiß ganz genau, was "dahinter steckt": Da haben Verantwortliche wieder einmal mehr an sich anstatt an ihre Pflichten gedacht, haben ihre Schäfchen ins Trockene gebracht und dadurch zuerst den Profit und dann auch noch das Image der Bank beschädigt – eine absurde Sicht der Dinge. Gerade wenn und weil ein Bankmanager seinen persönlichen Erfolg sucht, muss er das Vermögen seines Hauses vermehren, das macht schließlich seine Karriere aus – bei der allerdings auch mal etwas schiefgehen kann. Darüber hinaus muss er schon deswegen geradezu nach Geld stinken, weil er als Person seinen und damit den Erfolg seines Instituts beim Geldmachen zu verkörpern hat, die private Protzerei gehört zu seinen beruflichen Pflichten; der Erfolg einer Firma und der ihres Chefs harmonieren hier schließlich, im Unterschied zum gewöhnlichen Arbeitnehmer.

Ende März 2006 – die Behörden ermitteln nach wie vor und durchleuchten ebenso wie das neue Management der Bawag die Geschäfte der letzten Jahre –, tritt der ÖGB-Vorsitzende Verzetnitsch mit einem kleinen Geständnis die als schadensbegrenzend gedachte Flucht nach vorne an: Schon im Jahr 2000 stand die Bank wegen der jetzt bekannt gewordenen Verluste in der "Karibik" auf der Kippe, die externen Wirtschaftsprüfer weigerten sich, die Bilanz der Bank als ordnungsgemäß dargestellt zu beglaubigen und verlangten eine formelle Garantieerklärung ihres gewerkschaftlichen Eigentümers, für die Verbindlichkeiten seiner Bank mit eigenem Vermögen geradezustehen. Verzetnitsch gab namens des ÖGB gemeinsam mit dessen Finanzchef diese Garantie ab, bürgte u.a. mit dem sog. "Streikfonds" des ÖGB und informierte weder den Aufsichtsrat der Bank noch die relevanten Gewerkschaftsgremien, weil – so seine Begründung – die heikle Angelegenheit wegen gewerkschaftsinterner Differenzen an die Öffentlichkeit und die Bank erst recht ins Schleudern gekommen wäre. Die prekäre Lage wurde in aller Diskretion gehandhabt, die Bawag konnte daher im selben Jahr die zur Privatisierung ausgeschriebene Postsparkasse (P.S.K.) von der Republik Österreich kaufen und ihre Verluste über die nächsten Jahre einigermaßen geordnet abschreiben oder weiter vertuschen. Die Haftung des ÖGB wurde nicht schlagend, die Bank ist laut neuer Führung und auch nach Auskunft der Nationalbank – momentan – solide. Natürlich geht der "Bawag-Skandal" augenblicklich verschärft in die nächste Runde, indem alle Dienstgrade ihre diversen Pflichten erfüllen. Journalisten, die das Wort "Streik" nicht in die Tastatur klopfen können, ohne dass vor lauter Abscheu der Geifer in dieselbe tropft, machen sich rührende Sorgen um die Kampfkraft der österreichischen Arbeiterbewegung, mimen kurz den Basis-Gewerkschafter und legen dem ÖGB-Vorsitzenden Verzetnitsch in schlecht gespielter Empörung die Frage vor, "ob er noch ganz bei Trost gewesen ist, die Streikfähigkeit der österreichischen Arbeiterschaft im Alleingang für die Rettung der Bawag aufs Spiel zu setzen." (Die Presse 25.3.06) Was wäre denn auch die Pleite der viertgrößten österreichischen Bank, verglichen mit dem gerade von der "Presse" so geschätzten hohen Gut der "Streikfähigkeit der österreichischen Arbeiterschaft"! Verzetnitsch tritt einige Tage später zurück, ebenso wie der auch als Aufsichtsratsvorsitzender der Bawag amtierende Finanzchef des ÖGB. Der versucht noch, die aufgebrachte Basis ebenso wie die Öffentlichkeit drüber aufzuklären, dass die vorgestellte Alternative – das Gewerkschaftsvermögen (den "Streikfonds") zu schützen anstatt es für die Rettung der Bawag zu verpfänden und damit aufs Spiel zu setzen – gar keine ist, weil das ÖGB-Vermögen längst aus der Bank besteht. Die Bawag ist dieser "Steikfonds", auch wenn es noch ein extra Konto oder Depot geben mag, das gewerkschaftsintern unter dieser Bezeichnung läuft. Er dringt damit nicht durch:

"Bawag-Aufsichtsratspräsident Günter Weninger hat seinen Rücktritt erklärt. ... Im Jahr 2000 verlor die Bawag mit hochspekulativen Investments, die Wolfgang Flöttl auf Rechnung der Bank tätigte, fast eine Milliarde Euro. Günter Weninger: ‘Ich habe mich entschlossen, darüber den Aufsichtsrat nicht zu informieren, weil eine Veröffentlichung dieser Sache die Bank hätte gefährden können. Ich habe aber mit dem ÖGB-Präsidenten gesprochen, und wir haben eine Garantie für diese Verluste abgegeben.’ Warum? Nun, weil die Bawag damals nicht ordentlich bilanzieren hätte können, aber trotzdem in diesem Jahr von der Republik die Postsparkasse um 17 Milliarden Schilling kaufte. Den Vorwurf, dass der ÖGB im Jahr 2000 den Streikfonds riskierte, um Yen-Verluste des Sohnes eines früheren Generaldirektors abzudecken, will Weninger nicht gelten lassen: ‘Die Anteile der Bawag in der ÖGB-Stiftung sind im wesentlichen der Streikfonds. Es geht darum, den Wert dieser Anteile zu erhalten.’" (Kurier 25.3.06)

Die Gewerkschaftsidee hat – für einige Sekunden lang – nur Freunde in Österreich; alle wissen genau, dass so eine Organisation natürlich Kosten hat und Geld braucht, weswegen das ganze Land rechtschaffen empört ist, indem da ein für die ehrenwerte gewerkschaftliche Betätigung, also irgendwie für die Belange der "kleinen Leute" vorgesehenes oder von denen zumindest aufgebrachtes Geld für die Bedeckung von Spekulationsverlusten zweckentfremdet wurde – und niemandem fällt auf, dass diese Zweckentfremdung doch wohl schon durch die Gründung der Bank passiert sein muß: Wenn das Geld in einer Gewerkschaftskasse nicht nur als Reserve zur Verfügung stehen soll, sondern den Auftrag zu seiner eigenen Vermehrung durch die Anwendung kapitalistischer Hebel bekommt, dann ist es je nach Veranlagungsart auch einmal längere Zeit blockiert und erst recht den jeweils damit verbundenen Risiken ausgesetzt. Und dann wäre es durch einen längeren und entsprechend "kostspieligen" Streik womöglich sogar gefährdet – eine Gewerkschaft zieht viel Geld ab und beschert ihrer Bank "Liquiditätsprobleme", um einen Streik zu "finanzieren"? Ein Generalstreik bringt eine Bank in Schwierigkeiten, nicht weil die kapitalistische Geschäftemacherei still steht, sondern weil sie aus ihren Mitteln den Verdienstausfall an die streikende Arbeiterklasse "ausschütten" muß? Anderes als die üblichen "Streiks" des ÖGB, in Sekunden pro Arbeitnehmer und Jahr gemessen, waren da längst nicht mehr vorgesehen. Mit anderen Worten, die Verwandlung einer Streikkassa in Finanzkapital setzt sowohl voraus und zieht erst recht nach sich, dass die Kohle nicht ernstlich als Streikkassa gedacht war, und nie wieder als solche fungieren wird!

Ebenso geht ein wenig unter, was für einen zirkulären Schwindel diese Garantie darstellt: Die Bank kann nicht positiv bilanzieren und müßte einen Verlust ausweisen. Der Eigentümer haftet für die Verbindlichkeiten seiner Bank, die das nicht mehr kann, und erklärt mit seinem Vermögen, das wesentlich aus Anteilen der nämlichen von der Pleite bedrohten Bank besteht, die geplatzten Geschäfte für "werthaltig". So ein Fall von sich-am-eigenen-Zopf-aus-dem-Sumpf-heraushalten funktioniert, aber nur, solange die Sache nicht auffliegt. Das Vertrauen in die Bonität der Bank, also in die Bonität ihrer Schuldner und das Gelingen von deren Geschäften, damals von den Wirtschaftsprüfern nach Vorlage der formellen Haftungserklärung beglaubigt, das ist ihre wesentliche Geschäftsgrundlage – und die ist nun mit dem Bekanntwerden der Haftung und der sie erfordernden Verluste schwerst angeschlagen; die Vertuschung ist aufgeflogen, das Vertrauen ist weg.

Die ÖVP setzt ihre Hetze gegen SPÖ und ÖGB, die hauptsächlich in der Ankündigung besteht, im kommenden Wahlkampf eine solche betreiben zu wollen, mit der neuen Munition fort. Doch wenn es doch nur das wäre, wer nimmt denn schon ein "Wahlkampfthema" für bare Münze! Diese Redeweise von der Bawag als Wahlkampfthema verharmlost insofern die Sachlage, als damit die harte Kundgabe von Seiten der Regierung formuliert ist, dass diese Bank wegen ihres besonderen Eigentümers eben nicht die automatische und nahezu bedingungslose Solidarität der politischen Macht genießt, die jedes Finanzkapital braucht. Hatten nach den Enthüllungen der Spekulationsverluste sowie des Lebensstandards von Bankmanagern in erster Linie einige treue Seelen der Gewerkschaft aus demonstrativer Enttäuschung ihre Ersparnisse von der Bawag abgezogen, so streben nun immer mehr Leute in die Bankfilialen, die aus der Kombination der aufgeflogenen Verluste, der diskreten Garantie durch den "Streikfonds", der fehlenden politischen Rückendeckung der Bawag sowie – last, but not least – aus einer "beruhigenden" Verlautbarung der Nationalbank die entsprechenden Schlüsse ziehen: Durch die gesetzliche "Einlagensicherung" der österreichischen Banken sind Spar- bzw. Kontoguthaben bis zu einer Höhe von sage und schreibe 20.000 € pro Person im Pleitefall garantiert. Vor Bankschaltern bilden sich Schlangen aus Kunden, die vorsichtshalber ihr Geld wiederhaben wollen. Und indem Gewerkschaftsmitglieder ihr Bawag-Konto auflösen und dabei gleich auch den Mitgliedsbeitrag-Dauerauftrag stornieren, vollziehen sie ohne zusätzliche Formalitäten so nebenbei noch den faktischen Austritt aus der Gewerkschaft:

"Kunden, die ihre Konten auflösen wollten, wurden von Filiale zu Filiale geschickt. Immer wieder hieß es: ‘Leider haben wird nicht genug Bargeld, um das Geld von Ihrem Konto auszuzahlen.’ ... Die Mitarbeiter einer Filiale der Erste Bank staunten am Dienstag nicht schlecht: Ein Kunde legte eine Million Euro ein, mitgebracht im Plastiksackerl. Er hatte genug von seiner Hausbank Bawag und zog dort sein Geld ab. ... Angst um ihr Geld brauchen Bawag-Kunden auch tatsächlich nicht zu haben. Die Verluste aus den Karibik-Geschäften von nahezu einer Milliarde Euro aus dem Jahr 2000 sind ‘verdaut’, die Bank ist gesund. Zudem ist sie Mitglied der so genannten Einlagensicherung der Banken. Dieses Sicherungssystem bedeutet, dass Einlagen bis zu einer Höhe von 20.000 Euro jedenfalls ausbezahlt werden, auch wenn eine Bank einmal in eine finanzielle Schieflage gerät. (Kurier 29. und 30.3.06)

Zugetragen haben sich zweifelsohne finanzkapitalistische Standardmanöver. Eine Bank verspekuliert sich bei ihrem vom Eigentümer erteilten Auftrag, aus Geld mehr Geld zu machen; dann vertuscht sie die Verluste und versucht sie durch neue, noch riskantere Spekulationen zu kompensieren, und scheitert wieder. Das Management vertuscht den Schaden erst recht – der Vorstandsvorsitzende vergattert seinerzeit seine Kollegen per Dienstanweisung zur Verschwiegenheit – und versucht, in Kooperation mit dem ÖGB-Finanzchef und unter Benutzung von ÖGB-Briefkastenfirmen, durch ein Hin- und Herschieben von Forderungen und Verbindlichkeiten über ein komplexes Firmen-, Stiftungs- und Fondsgeflecht, später im Zusammenspiel mit dem amerikanischen Wertpapierhändler Refco, der ähnliche Probleme hat, Bilanzkosmetik zu betreiben. Das funktioniert, bis es durch die Pleite der Refco auffliegt, die sich auch durch ihren Gang an die Börse nicht saniert hat – und von den Fällen, bei denen eine Bank durch solche und ähnliche Praktiken Verluste erfolgreich "verdaut", erfährt man ja nichts, weil sie geglückt sind. Die vom Recht des heimischen Finanzkapitals auf Gewinn felsenfest überzeugte und von einigen Akquisitionen im Osten erfolgsverwöhnte Journaille sieht die Sache fundamental anders: Habgierige / skrupellose / kriminelle / inkompetente Manager – das Publikum muß sich zwischen diesen und ähnlichen Attributen nicht entscheiden – hätten grundsätzlich redliche aber doch geschäftlich weit überforderte Gewerkschaftsfunktionäre ausmanövriert, also Leute, die wegen ihrer gewerkschaftlichen Scheuklappen von den Brutalitäten einer "neoliberalen" Wirtschaft gar nichts verstehen können, gegen die sie noch immer ihre biederen, weltfremden, gemeinschaftsmoralischen und von der "Globalisierung" längst überholten Vorstellungen von "Solidarität" und "Arbeitsplatz" hochhalten. Nachdem sich durch das Scheitern der Spekulation etliche übliche Bankpraktiken im nachhinein als gesetzwidrig entpuppen – vom Verstoß gegen Veröffentlichungs- und Berichtspflichten über Bilanzfälschung bis ev. zu Untreue und Betrug –, erhält diese Sicht inzwischen die juristische Unterfütterung. Der verantwortliche Generaldirektor wird vom gesunden Volksempfinden, wie immer repräsentiert von Medien und Politikern, zur Unperson kriminalisiert, von als "inoffizielle Mitarbeiter" der Behörden praktizierenden Journalisten bespitzelt und schlußendlich von einer einfach nicht länger zögern könnenden Justiz per europäischem Haftbefehl festgesetzt.

Zerstört von ihrer eigenen Bank ist die Gewerkschaft also erst einmal als moralische Instanz, als die mahnende Stimme der vielen redlichen, minderbemittelten und hilflos von kapitalistischen "Auswüchsen" betroffenen "sozial Schwachen", an deren Hilflosigkeit sich durch die Existenz der Gewerkschaft gerade nichts geändert hat, denn genau so hat sich dieser Verein aufgeführt – als eine Art Super-NGO für ethisches und soziales Marktwirtschaften mit viel Geld und vergleichsweise beneidenswerter Mobilisierungsfähigkeit. Und dann das: Erstens ins so gern kritisierte finanzkapitalistische "Kasino" gegangen, zweitens dabei viel Geld verloren, drittens die Verluste vertuscht und viertens auch noch mit Geld aus der Gewerkschaftskasse den Spekulanten aus der Patsche geholfen, was fünftens am Ende aufgeflogen ist und damit sechstens nicht einmal erfolgreich war. Das trifft eine Gewerkschaft ideologisch ins Mark, deren Bank sich so überzeugend an den gewerkschaftlichen Idealen vergangen hat, indem sie exakt das versucht hat, was ihr der gewerkschaftliche Eigentümer aufgetragen hat – nämlich erfolgreiche Geldvermehrungsmaschine zu sein. Eine ehrbare Gewerkschaft, die in ihrer Tätigkeit so felsenfest die Vereinbarkeit der Interessen von Kapital und Arbeit praktiziert, dass ihr zur Schädigung ihrer Mitglieder durch Lohnsenkungen, Rationalisierungen, durch neue "prekäre" Beschäftigungsverhältnisse und Betriebsverlagerungen seit Jahren nur der falsche Vorwurf "Mißwirtschaft" oder "Mißmanagement" einfällt, steht im Mittelpunkt eines Wirtschaftsskandals! Nun verhält es sich im richtigen Leben bekanntlich so, dass das Ansehen einer solchen Organisation in letzter Instanz von ihrem Erfolg abhängt, und nicht wirklich von der peniblen Beachtung ihrer eigenen höheren Werte und Prinzipien. Aber wenn der Verstoß gegen die guten Sitten nicht einmal durch den Erfolg der fragwürdigen Machenschaften geheiligt wird, dann ist das Ansehen endgültig perdu.

Das Geld

Der ÖGB faßt nach dem Bekanntwerden der Bawag-Rettung durch die Verpfändung des "Streikfonds" den Beschluß zum Verkauf der Bank. Wenn die Gewerkschaft eine Bank besitzt, muß sie diese mit ihrem Geld auch gemäß den Erfordernissen des Finanzkapitals verfahren lassen. Im Angesicht der drohenden bzw. im Jahr 2000 durch die Bürgschaft verhinderten Pleite ihres Kapitals entdeckt die Gewerkschaft, dass ihr Geld weg ist, sobald die Bawag falliert, und will sich nun von ihr trennen, um es zu retten. Das Bawag-Management unterstützt den Beschluß, weil es vom Standpunkt der Bank einen Konkurrenznachteil ausmacht, bestimmte Geschäfte wegen einer ideologischen Reserviertheit des Eigentümers gar nicht tätigen zu sollen, oder bei Bekanntwerden herunterfahren zu müssen, und bei Verlusten nicht nur diese, sondern auch noch eine üble Nachrede verbuchen zu müssen.

Ende April 2006 läßt ein Konkursgericht in New York eine Klage von pleitegeschädigten Gläubigern des Brokerhauses Refco gegen die Bawag zu. Die Kläger interpretieren die Geschäftsverbindungen zwischen Bawag und Refco samt einer dazwischengeschalteten ÖGB-Stiftung als Beteiligung der Bawag an dem der Refco zur Last gelegten Betrug, und sie sind mit ihrer Darstellung zumindest so weit erfolgreich, als ihre Klage vom amerikanischen Gericht angenommen und das in den USA liegende Bawag-Vermögen bis zu einer Höhe von max. 1,3 Milliarden $ per einstweiliger Verfügung zur Sicherstellung allfälliger später erklagter Entschädigungen eingefroren wird. Die Bawag ist von einem Moment zum anderen auf dem größten Finanzplatz der Welt nicht mehr geschäftsfähig, die 1,1 Milliarden $, die sie tatsächlich in den USA veranlagt hat, sind blockiert, und die Bank ist mit einem sowohl von der Verfahrensdauer als auch von der Schadensumme her völlig unkalkulierbaren Risiko konfrontiert. Die Bawag ist damit so gut wie erledigt, auch der geplante Verkauf ist unter diesen Umständen nicht durchführbar. Spätestens jetzt, wo nicht nur die Gewerkschaft in moralischen und finanziellen, sondern die viertgrößte österreichische Bank in existentiellen Schwierigkeiten steckt und damit der Wiener "Finanzplatz" beachtliche Aufmerksamkeit auf sich zieht, sieht sich die Wiener Regierung herausgefordert, und sie packt es energisch an. Der von der neuen Wendung der Affäre schwer begeisterte österreichische Kanzler wird dermaßen verhaltensauffällig, dass ihn sogar die Sittenwächter aus den Reihen der ihm kritisch ergebenen Medien zur Ordnung rufen. Er behandelt nämlich die Bawag erst einmal wegen ihres gewerkschaftlichen Eigentümers als Teil des gegnerischen sozialdemokratischen politischen "Lagers", quasi als dessen Vorfeldorganisation. Völlig konträr zu dem Benehmen, das von Regierungen normalerweise gepflegt wird, die das Finanzkapital als den substantiellen Reichtum der Nation wissen – Schwierigkeiten kleinreden, Verluste bagatellisieren, und ebenso diskret wie unmißverständlich der Geschäftswelt die eindeutige politische Unterstützung der Problembank signalisieren –, heizt er die Bawag-Kalamitäten an, redet die Bank höchstpersönlich schlecht und erklärt sie öffentlich zum Katastrophengebiet: "Der Bawag steht das Wasser sehr, sehr hoch. Wie hoch, wissen nur die Verantwortlichen selbst." (profil 19/2006) Diese Regierung will das Desaster der Bawag ausnutzen, und braucht dafür nicht einmal besonders aktiv zu werden; darüber reden reicht schon. Sogar die Chefetagen der Wiener Konkurrenzbanken intervenieren schließlich bei ÖVP und Regierung mit dem Ersuchen um Mäßigung, weil sonst der "Finanzplatz Wien" im Ausland noch mehr ins Gerede kommt – die Herren wissen aus dem eigenen Gebaren, wie sensibel die Finanzwelt ist und woran man sich da orientiert. Die Wiener Bankenszene kritisiert den Kanzler härter für seine Anti-Bawag-Kampagne als der radikal fassungslose ÖGB:

"Die ÖVP wird das Verhalten von SPÖ und ÖGB in Zusammenhang mit der Bawag-Affäre zum Wahlkampfthema machen. ... Auch wenn Schüssel nachschickte, dass ihm natürlich am Fortbestand des Instituts gelegen sei und man die Bawag nicht durch Spekulationen gefährden solle, sorgt das ‘Wahlkampfthema Bawag’ in der heimischen Bankenszene für helle Empörung. Denn auch wenn sie Konkurrenten der Bawag sind und nun von Bawag-Umsteigern profitieren, sind die Banken Teil des Finanzplatzes Österreich und deswegen daran interessiert, dass sich die Wogen rasch glätten. ‘Wenn die Bawag-Affäre politisch verstärkt wird, ist das ein politisches Armutszeugnis. Genau das schadet nämlich dem Finanzplatz Wien’, heißt es aus einer großen Bank." (Kurier 28.4.06)

Das schadet erst recht, wenn nicht nur eine Bank am Finanzplatz durch Verluste von sich reden macht. Im Zuge der Bawag-Kalamitäten war auch die Kärntner Landesbank – "Hypo Alpe-Adria-Bank", "Landesaufsicht Landeshauptmann Dr. Jörg Haider" – in die Schlagzeilen geraten: Aufgeschreckt von der unvermeidlichen Frage nach der Verantwortung der Wirtschaftsprüfer bei der Beglaubigung der ziemlich kreativ erstellten Bawag-Bilanzen hatten die Prüfer besagter "Hypo" ihr Testat für das Jahr 2004 zurückgezogen und von der Bank eine modifizierte Bilanz verlangt, in welcher erkleckliche Spekulationsverluste – gemessen am Eigenkapital höhere als die der Bawag – anders zu bewerten und schneller abzuschreiben seien, was der Kärntner Hypo, über die sich weder ÖVP noch Kanzler öffentlich äußerten, dann auch bald gelungen ist, weil ihr die politische Hetze erspart und die kernige Unterstützung des Landes Kärnten erhalten blieb. Derweil kümmert sich die Nationalbank darum, dass die anderen österreichischen Banken ihr Interesse am soliden Finanzplatz Wien auch praktisch betätigen und ihre Kreditlinien gegenüber der Bawag offen halten, was dem Nationalbank-Chef einige Überzeugungskunst und der Bawag entsprechende Zinsen abverlangt – schließlich ist der früher verstaatlichte Teil der österreichischen Bankenlandschaft nach dem Verkauf der Bank Austria an die bayerische Hypovereinsbank bzw. nach deren Fusion mit der italienischen Unicredit erfolgreich ans Ausland privatisiert worden. Im Notfall werde die Nationalbank jedenfalls "Liquidität zur Verfügung stellen", wird verlautbart, und das ist bitter nötig. Ein "Run" der Kundschaft auf die Bawag setzt ein:

"Menschenschlangen vor den Schaltern in den Bawag-Filialen und Bank-Mitarbeiter, die um Fassung bemüht sind, wenn sie zum x-ten Mal die selbe Frage hören: Wie sicher sind meine Spareinlagen bei der Bank ? Die drohende Milliarden-Klage aus den USA gegen die Bawag/PSK hat einen Ansturm besorgter Kunden auf die Filialen der Bank ausgelöst. In der ehemaligen Zentrale der P.S.K. am Georg Coch-Platz standen die wartenden Kunden bis auf die Straße hinaus. Zuhauf wurden Sparbücher aufgelöst und in andere Banken transferiert. In einigen Filialen wurde Bargeld sogar knapp. ‘Wir rinnen aus’, sagte eine Mitarbeiterin einer Filiale. Die Bawag-Filialen werden von der Zentrale ununterbrochen mit Barem versorgt, die Geld-Transporter sind dauernd unterwegs. Insgesamt hatte die Bawag fast 19 Milliarden Euro an Spareinlagen, knapp eine Milliarde Euro wurden seit Bekanntwerden der Refco-Sache abgezogen." (Kurier 29.4.06)

Natürlich nicht nur die kleinen Sparer, erst recht die gewichtigen Anleger ziehen Geld ab. Kein Ende der Kapitalflucht aus der Bank ist abzusehen, und wie das im Bankgeschäft ist, führen die um ihre Einlagen besorgten Investoren und Kunden durch den Abzug ihrer Gelder die Zahlungsunfähigkeit herbei, vor der sie davonlaufen – sofern der Abfluss nicht schleunigst gestoppt wird. Viel schlimmer ist aber und sozusagen den drohenden gewerkschaftlichen Super-GAU macht folgende Aussicht aus: Als Eigentümer der Bank und dann noch zusätzlich über eine als Refco-Kreditgeber einschlägig verwobene ÖGB-Stiftung sitzt nicht nur die Bawag, sondern der ÖGB höchstselbst auf der US-Anklagebank, in einem Fall von schwerer Wirtschaftskriminalität – eine für die Gewerkschaft schlicht und einfach unannehmbare und unter allen Umständen und mit allen Mitteln abzuwehrende Zuspitzung. Nicht nur durch geduldete "Mißwirtschaft" ein paar hundert Millionen verspekuliert zu haben, sondern auch noch monate- oder jahrelang als mutmaßlicher Wirtschaftsverbrecher im Gericht vorgeführt zu werden, das kann und will der ÖGB nicht in Kauf nehmen, egal wie so ein Prozeß auch enden könnte; noch dazu, wo auch zu dieser Internationalisierung der Affäre die österreichische Politik kein "Ohrwaschel rührt", wie man so sagt, also nicht die geringsten Anstalten macht, der österreichischen Bank gegen die klagenden Wall-Street-Finanzhaie beizuspringen. Die Bank beschließt also, sich mit den in den USA klagenden Schuldnern der Refco um jeden Preis per Vergleich und ohne Gerichtsverhandlung zu einigen, sie zu entschädigen und ihnen die Klagen "abzukaufen", und das so schnell wie möglich, um die Bank wieder manövrierfähig zu machen. – Und die Bawag kommt gemeinsam mit ihrem Eigentümer ÖGB zum Ergebnis, dass sich die Bank diesen Vergleich in den USA nicht mehr wird leisten können, sofern sie nicht schon vorher durch das vom drohenden Prozeß provozierte geldmäßige "Ausrinnen" kaputtgeht: Sie ist nicht mehr kreditwürdig. Mit der Gewerkschaftsbank ist es vorbei, auch wenn das manchen Beteiligten erst etwas später klar wird. Erledigt von ihrer Bank ist die Gewerkschaft als ökonomisch potenter Eigentümer, dessen Vermögen sich mit des Staates Hilfe in Luft auflöst:

"Staatshaftung für Bawag rettet die Bank ... Die Haftung der Republik Österreich wird 900 Millionen Euro ausmachen. ... Der ÖGB unter der neuen Führung von Rudolf Hundstorfer gab gegenüber Aufsichtsbehörden, Finanzministerium und Bilanzprüfern eine schriftliche und unbegrenzte Garantie für die Bawag ab. Im Klartext bedeutet dies, dass der ÖGB im Ernstfall Kapital in die Bawag einschießt. Ob der ÖGB über solche Mittel verfügt, ist völlig offen. Der neue ÖGB-Finanzchef Foglar hatte jedenfalls erst Freitag erklärt, mit der ÖGB-Bilanz in die roten Zahlen zu rutschen. ... Mit dieser Garantie ist die Bawag als Bank vorerst aus dem Schneider, das Risiko aus Klagen von Refco-Geschädigten hat damit der ÖGB übernommen. Eigentlich macht die neue ÖGB-Führung nichts anderes als Ex-ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch im Jahr 2000, als der Milliardenverlust aus den ‘Karibik-Geschäften’ auftauchte. Verzetnitsch sagte aber damals aber niemandem etwas davon und musste im März gehen." (Kurier 2.5.2006)

Die Solidarität der Republik Österreich gilt nur der Bank bzw. dem Finanzplatz, aber nicht dem ÖGB. Der muß sich erst recht verpflichten, mit eigenen Mitteln für die Bawag-Verluste geradezustehen; sofern ihm das mangels Masse nicht mehr gelingt, springt der Staat ein. Ein Schuldner wird normalerweise von den Gläubigern enteignet; im vorliegenden Fall von seinem Bürgen im Zuge der Rettung "seiner" Bank dazu gezwungen, auch noch seine sonstigen Vermögenswerte dranzugeben, und zu diesem Enteignungsverfahren gehört der Offenbarungseid. Der ÖGB muss seine gesamten Finanzen offenlegen, darunter den Teil seiner Mittel, der von ihm unter dem irreführenden Titel "Streikfonds" geführt wurde – nachdem der ÖGB nicht streikt, ist damit bestenfalls Geld gemeint, das im weitesten Sinn für un-ökonomische, gewerkschaftliche Aktivitäten verfügbar gewesen wäre. Eine Bedingung der Haftungsübernahme der Republik besteht laut "BAWAG P.S.K.-Sicherungsgesetz" darin, dass "sich alle direkten und indirekten Eigentümer des Kreditinstituts bereit erklären, ihren Vermögensstatus der Oesterreichischen Nationalbank bis zum 31. Mai 2006 offen zu legen; die Oesterreichische Nationalbank ist ermächtigt, diesen Vermögensstatus auch vor Ort zu überprüfen." (Bundesgesetz betreffend die Haftungsübernahme zur Zukunftssicherung der BAWAG P.S.K. Bank für Arbeit und Wirtschaft und Österreichische Postsparkasse AG) Diese Offenlegung wurde von ihm und Teilen des Publikums als "Schwächung" interpretiert, indem es nun einem "Klassenfeind" – einen solchen kennt der ÖGB nicht! – möglich werde, via Einblick in den "Fonds" das Durchhaltevermögen einer Streikbewegung – die Beteiligung des ÖGB an der größten Streikbewegung in Österreich nach dem Krieg im Jahr 1950 bestand in deren Niederschlagung! – bis auf den letzten Cent abzuschätzen. Die Sachlage ist demgegenüber banaler: Die Republik haftet erst, wenn "alle direkten und indirekten Eigentümer des Kreditinstituts die Bürge- und Zahlerhaftung (§ 1357 ABGB) bedingungslos, ausgenommen jedoch Bedingungen zur Abwehr der Insolvenz der direkten und indirekten Eigentümer des Kreditinstituts, und ohne jede weitere Einschränkung übernommen haben; Zweigvereine eines Eigentümers sind diesem zuzurechnen". (BAWAG P.S.K.-Sicherungsgesetz) Alle direkten und indirekten Eigentümer haften, auch die Finanzen der Teilgewerkschaften, die sonstigen ÖGB-Firmen, Immobilien und Stiftungen sind nun – als Bedingung für die Staatshaftung – Teil der ÖGB-Masse, die bis auf ein letztlich von der Regierung zu definierendes gewerkschaftliches Existenzminimum an die Gläubiger geht. Die Regierung als Vertreter des Steuerzahlers kann schließlich nicht zulassen, dass der über die Staatshaftung für die Verbindlichkeiten von Bawag und ÖGB geradesteht, und diese sich dadurch aus ihrer finanziellen Verantwortung stehlen! Der Verkauf der Bawag, bisher eine – revidierbare – Entscheidung der Gewerkschaft, ist nun Teil der Vereinbarung mit der Regierung, und der Erlös ist schon zur Schuldentilgung und zur Bedienung des Vergleichs mit den Refco-Klägern verplant. Weiters haben ÖGB und Bawag ihre Anteile an der österreichischen Zentralbank ("Nationalbank"), die als Aktiengesellschaft organisiert ist, an die Regierung zu verkaufen, was die Gleichung von Enteignung und Entmachtung des ÖGB besonders symbolträchtig zur Anschauung bringt. Der ÖGB war bisher direkt und indirekt über die Bawag an der österreichischen Nationalbank beteiligt, Gewerkschafter hatten daher Sitz und Stimme im Verwaltungsrat – eine typische Errungenschaft des ÖGB in seiner Eigenschaft als quasi-Gründungsmitglied und staatstragende Säule der Zweiten Republik, die ihm einigen Einfluß gebracht und seinen Mitgliedern nichts genützt hat:

"Heute Nacht wurde vereinbart, alle Anteile der Gewerkschaftsbank Bawag und des Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) an der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) ... an die Republik Österreich zu übertragen, teilte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bei einer Pressekonferenz in der Bawag mit. ... Bawag und ÖGB waren mit zusammen rund 20 Prozent bisher zweitgrößter Aktionär der Nationalbank nach dem Bund selbst. Zurzeit hält laut Finanzminister Karl-Heinz Grasser die Bawag P.S.K. 11,3 Prozent der OeNB-Aktien und der ÖGB 8,7 Prozent." (Die Presse 2.5.06)

Weiters "nötigt" die Regierung die tragenden Säulen des Wiener Finanzplatzes, sich praktisch als dieser eine "Finanzplatz" zu betätigen, nämlich zu einer über die normalen Interbank-Finanzierungen hinausgehenden, demonstrativen Kapitalbeteiligung an der Bawag. Die Bank braucht frisches Geld, und die dominierenden Banken und Versicherungen sollen ihren Konkurrenzstandpunkt gegenüber der Bawag so handhaben, dass sie über einen 450 Millionen Euro betragenden Kapitalzuschuß von deren mit ihrer und der Republik Hilfe wieder zu gewinnender Solidität profitieren, und sich außerdem eine bessere Ausgangsposition beim anstehenden Notverkauf der Bank verschaffen. Nach einigem Nörgeln und etwas Feilschen bezüglich der Konditionen – ein erfolgreicher Bankdirektor ist schließlich nicht Befehlsempfänger des Bundeskanzlers – lassen die sich auch dazu drängen. Die Rettungsaktion der Regierung findet ihren krönenden Abschluß mit einem prominenten Besuch in einer Bawag-Filiale:

"Cash für die rote Bawag – und das vom schwarzen Kanzler. Was am späten Abend des 1.Mai zwischen Regierung und ÖGB in einer staatlichen Rettungsaktion ausverhandelt wurde, fand gestern um halb elf am Vormittag einen symbolträchtigen Höhepunkt. Im Blitzlichtgewitter der Fotografen eröffnete Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in der Bawag-Filiale am Wiener Kohlmarkt ein Konto bei der angeschlagenen Bank. Der Kanzler, bisher nur Kunde von Erste Bank und Raiffeisen, zahlte als ‘Geste, dass die Bawag jetzt eine sichere Bank ist’, 2000Euro ein. Im Schlepptau Schüssels reihten sich Finanzminister Karl-Heinz Grasser, Vizekanzler Hubert Gorbach und Nationalratspräsident Andreas Khol als neue Bawag-Sparer ein. Kärntens Landeschef Jörg Haider war auch dabei. ... Bawag-Generaldirektor Ewald Nowotny bedankte sich gestern artig bei der Bundesregierung für ihr ‘verantwortungsvolles Handeln’ und ihre maßgebliche Unterstützung bei der Rettung der Bank. Als Eigentümervertreter musste auch ÖGB-Chef Hundstorfer ein ‘Dankeschön’ an Regierung, Banken und Versicherungen aussprechen. Der ÖGB hätte seine Bank nicht mehr retten können: ‘Wir können diese zusätzlichen Haftungen nicht in diesem Ausmaß übernehmen’, gab Hundstorfer zu." (Kurier 3.5.2006)

Die Haftung der Republik wirkt wie beabsichtigt: Der Abzug der Guthaben aus der Bank wird gestoppt bzw. zumindest radikal gebremst, die staatliche Garantie der Zahlungsfähigkeit genügt, um die tatsächlichen Zahlungen zu stoppen. Die Bank ist wieder einigermaßen vertrauenswürdig.

Die Macht

Der interimistische ÖGB-Chef Hundstorfer hat offenbar ursprünglich geglaubt, die Vereinbarung mit der Regierung sei eine Rettungsaktion für die Bank im guten alten sozialpartnerschaftlichen Sinn, durch die der Staat auch der Gewerkschaft irgendwie entgegenkommt. Er hat einige Tage gebraucht, um zu realisieren, dass zumindest die Regierung die "unbegrenzte Garantie" des ÖGB für seine Bank bitter ernst nimmt und er sich also gerade durch die Staatsgarantie dazu hat nötigen lassen, die von ihm erwähnten für den ÖGB eigentlich untragbaren "zusätzlichen Haftungen" aus dem Vergleich mit den Refco-Gläubigern dennoch zu übernehmen. Der Vorsitzende hat eine unbegrenzte und bedingungslose "Bürge- und Zahlerhaftung" unterschrieben, und darf nun mit dem Finanzminister darüber verhandeln, wo denn nun genau die finanzielle Grenze zur "Abwehr der Insolvenz" des ÖGB liegt, die das BAWAG P.S.K.-Sicherungsgesetz der Gewerkschaft einräumt: Was ist das "Existenzminimum" einer Gewerkschaft? Die Alternative besteht mithin darin, durch den Verkauf vorhandener Vermögenswerte und ein brutales, vor allem personelles Gesundschrumpfen der Gewerkschaftsorganisation samt Lohn- und Pensionskürzungen doch noch genug Geld zusammenzukratzen, um selber für die Schulden der Bawag aufzukommen, oder mit der Regierung über die Mittel verhandeln zu müssen, die der Gewerkschaft noch als bilanzwirksames Vermögen zur Konkursvermeidung zugestanden werden – oder beides gleichzeitig, nachdem gerade die Untauglichkeit der ersten Variante der Ausgangspunkt des gewerkschaftlichen Bittganges zum Kanzler war. Der ÖGB-Chef gelangt zu der für ihn schmerzlich Erkenntnis, dass diese Staatshaftung dem ÖGB nichts erspart, und von den Wirkungen auf die ÖGB-Finanzen her von einem Konkurs schwer zu unterscheiden sein wird:

"Wir verhandeln mit dem Finanzminister, wieweit die Haftung des ÖGB für die Bawag-Verluste gehen kann. Wir müssen bilanzierungsfähig bleiben. Das heißt, wir können nicht alles verkaufen, sondern müssen Vermögen behalten. ... Wofür wir sicher nicht haften, das sind die Verluste der Bank aus den USA. Diese können wir nicht übernehmen. ... Erstens, weil wir damit nichts zu tun haben. Und zweitens, weil wir dann gleich in den Konkurs hätten gehen können. Wozu bitte hätten wir dann eine Haftung von der Regierung gebraucht? Das hätten wir uns ersparen können. ... Im Prinzip steht es im Bawag-Gesetz, dass der ÖGB nicht insolvent werden darf. Das ist gut und richtig so und hat der Bank sehr geholfen. Aber in einer Haftungserklärung muss jetzt genau geregelt werden, wofür wir konkret haften. Wenn jetzt im Nachhinein so getan wird, als ob die Gewerkschaft für den ganzen Schaden bis zum Existenzminimum aufkommen muss, dann war's das. Die Regierung kennt unsere Grenzen. Wir sind dabei, das aufzuarbeiten. Ich bin optimistisch, dass das so kommt. Ohne Optimismus geht's nicht.
[Kurier:] Haben Sie sich von Kanzler Schüssel über den Tisch ziehen lassen?
Überhaupt nicht. Der Kanzler hat gewusst, dass die Bawag-Pleite den Staat neun Milliarden Euro kostet – Minimum. Das ist eine einfache Rechnung: 5,5 Milliarden Euro an Bundeshaftung für die PSK und vier Milliarden Euro für die Einlagensicherungen. Schüssel hat nicht anders handeln können." (Kurier 13.5.06)

Der ÖGB hätte die Verluste der Bawag "aus den USA" also lieber nicht übernehmen wollen, weil er dann "gleich" Konkurs hätte anmelden können – und um dessen Verhinderung zugunsten einer finanziell schlagkräftigen Gewerkschaft hätte es der Staatsaktion doch auf irgendeine Weise auch gehen müssen, oder etwa nicht? Zuerst eine unbegrenzte Haftung übernehmen und anschließend darüber reden wollen, wie weit sie geht? Der vorläufige Vorsitzende muss zur Kenntnis nehmen, dass diese Rettung der Bawag die Abwicklung seiner Organisation ist, die selbstredend auch für die erwähnten Verluste in den USA geradestehen muß. Die Regierung kündigt mit ihrer generösen Haftungsübernahme – zum wievielten mal eigentlich? – schon wieder die Sozialpartnerschaft auf, und der ÖGB antwortet ideologisch mit hartnäckiger Ignoranz – "ich bin optimistisch" –, und praktisch mit dem Entwurf einiger worst-case-Szenarios. Aus der Vorstellung der formellen ÖGB-Bilanz für das Jahr 2005 (Defizit 38 Mio. €) konnte eine Illustrierte folgende gewerkschaftliche Perspektive ableiten:

"Die rund 1.800 Mitarbeiter des ÖGB müssen Solidarität beweisen. Und das ist wohl der heikelste Punkt für die Gewerkschaft. Denn jene Institution, deren Existenzberechtigung auf der Verteidigung und dem Ausbau der Rechte aller Arbeiter und Angestellten basiert, muß bei den eigenen Mitarbeitern sparen. Denn ohne deren Verzicht kann der Gewerkschaftsbund in Zukunft nicht positiv bilanzieren. Dass der ÖGB ohne Verlust aus dieser Zwickmühle herauskommt, ist mehr als unwahrscheinlich: Fällt der Einschnitt zu hart aus, wäre dies ein Tabubruch und Präzedenzfall. Lässt Hundstorfer Milde walten, wird er als Verteidiger von Privilegien an den Pranger gestellt. ... Die hohen laufenden Kosten für Personal, Pensionsrückstellungen, Spesen und Material wurden in der unrühmlich zu Ende gegangenen Ära des Langzeit-ÖGB-Präsidenten Verzetnitsch nie in Angriff genommen." (news 41/06)

Ein Fressen für die Geier: Gewerkschaftsangestellte und -pensionisten bräuchten dringend eine Gewerkschaft, die ihre Rechte verteidigt! Zum posting dieser Hinterfotzigkeit muss das Blatt allerdings schon ein wenig die Gewerkschaftsideologie mit der Praxis verwechseln und obendrein ein etwas illusionäres Verständnis von den großartigen "Rechten aller Arbeiter und Angestellten" pflegen: Seit wann schützen die vor Entlassungen oder Lohn- und Pensionssenkungen? Und wann hätte denn der ÖGB jemals das "Sparen" eines Unternehmens auf Kosten der Beschäftigten nicht nur bejammert, sondern ernstlich bekämpft oder gar zu verhindern versucht?! Insofern ist der traditionelle Umgang des ÖGB mit betrieblichen Sanierungs- und Kostensenkungsprogrammen der längst gelaufene Präzedenzfall für die fälligen "Einschnitte" bei seinen Angestellten.

Denn indem die Republik durch ihre Haftung "einspringt", gibt sie dem ÖGB bloß die Möglichkeit, seine bzw. die ihm verbleibenden Schulden der Bawag über einen längeren Zeitraum abzustottern, die vereinbarte Haftung des ÖGB für den Fall, dass die Haftung der Republik schlagend wird, dauert 14 Jahre: "Der ÖGB hat sich verpflichtet, 14 Jahre lang gegenüber der Republik für eventuelle Zahlungen an die Bawag zu haften." (Kurier 12.6.2006) Der von der Regierung grosszügig beschlossene Schutz des ÖGB vor der Insolvenz bedeutet, dass der ÖGB nur noch zu den Bedingungen der Regierung solvent ist. Wieviel Geld der ÖGB für die Weiterführung seines "Betriebes" verbrauchen darf, dabei wird ab jetzt der Finanzminister maßgeblich mitreden, und nach dem elementaren Zusammenhang von Ausgaben und Aufgaben verfügt die Regierung über ein Recht auf Mitbestimmung, welche seiner vielen Kompetenzen und Zuständigkeiten der ÖGB in Zukunft aus finanziellen Gründen noch wird wahrnehmen können: Die, die ihm von der Regierung zugebilligt werden, weil sich der ÖGB sich selber – als Organisation und Apparat – finanziell nicht mehr leisten kann. Die laufenden Einnahmen durch die Mitgliedsbeiträge deckten schon vorher nicht die laufenden Kosten der Gewerkschaft; etwa 25% des ÖGB-Budgets kamen zuletzt als Dividende von der Bawag, die nun entfällt; dazu kommt die Haftung für die Bank in für den ÖGB unkalkulierbarer, letztlich von der Regierung zu beschließender Höhe; und die für die Schuldenbedienung schon in Beschlag genommenen künftigen Mitgliedsbeiträge sinken durch eine Austrittswelle. Ein "schwarzer" Gewerkschafter bilanziert zerknirscht, und der ÖVP-Fraktionschef kalmiert, weil die Alternative "starker ÖGB oder Konkurs" bei ihm und seinen Kollegen ohnehin in besten Händen ist:

"Die Bawag ist gerettet, der ÖGB entmachtet. Das bestätigen selbst schwarze Gewerkschafter. ‘Zerknirscht müssen wir das Gängelband der Regierung in Kauf nehmen. Sonst ist kein Neustart des ÖGB möglich’, erklärt dessen Vizepräsident Karl Klein ... Der Chef der Christgewerkschafter macht keinen Hehl daraus, dass mit der Bundeshaftung der Regierung für die Bawag schwer verdauliche Bedingungen für den ÖGB verknüpft sind. Aber, so Klein: ‘Das müssen wir fressen.’ Den Konkurs anzumelden, wäre der Tod. ‘Dann wieder Tritt zu fassen, ist unmöglich. Weil unser Vermögen weg wäre.’ ... ‘Konkret heißt das, die Regierung bestimmt, wie stark der ÖGB sein darf’, kritisiert der Grüne Werner Kogler. Die Regierung versuchte zu kalmieren: ‘Wir wollten einen starken ÖGB und keinen Konkurs’, meinte ÖVP-Klubchef Wilhelm Molterer." (Kurier 6.5.2006)

Noch während sie vom Staat fertiggemacht wird – der Vergleich von Margaret Thatchers Behandlung der Bergarbeitergewerkschaft drängt sich zeitgeschichtlich versierten Journalisten vom Resultat her auf –, mit dem marktwirtschaftlichen Mittel eines Schuldenregimes, benimmt sich die Gewerkschaft als die gewohnt verantwortungsvolle staatstragende Säule; jedenfalls nicht als ordinärer Eigentümer eines Bankinstituts, der seinen Verlust halt abschreibt, wenn es sein muß. Denn dass die Eigentümer einer Bank mit ihrem sonstigen Vermögen für deren Verluste haften, ist unternehmensrechtlich keineswegs vorgesehen, schon gleich nicht bei einer Aktiengesellschaft. Da sind im Konkursfall die Aktien entwertet, das sonstige Vermögen der Aktionäre – im Fall des ÖGB dessen andere Firmen und Immobilien – bleibt davon unberührt. Durch die von ihm akzeptierte Staatsgarantie hat sich der ÖGB zu einer Haftung nötigen lassen, die ihn auch noch seinen Besitz neben und jenseits der Bawag kostet, und die ihn vor allem seiner Freiheit beraubt, im Interesse der Erhaltung einer funktionierenden Gewerkschaftsorganisation und nach eigenem Ermessen mit dem Nachschießen von Geld auch wieder Schluß zu machen. Dieses gewaltige Entgegenkommen läßt sich der "Kurier" von einem leicht erstaunt wirkenden Professor für Unternehmensrecht erklären, wundert sich selbst ein wenig und schiebt es dann gelehrig auf die von Schüssel so überzeugend breitgetretene gewerkschaftliche Inkompetenz:

"Markus Dellinger, Professor für Unternehmensrecht an der Uni Wien, erklärt die Rechtslage so: ‘Man kann den ÖGB aktienrechtlich nicht zwingen, sein Vermögen für die Bank herzugeben. Aber die Republik stellt in ihrem Haftungsgesetz als Bedingung, dass der ÖGB zahlen muss. Der ÖGB könnte sagen, ich erfülle die Bedingung nicht. Dann gibt es aber keine Republikshaftung.’ Erpressung? Dellinger: ‘Ich würde sagen: Ein Druckmittel.’" ... "Schüssel hat den völlig überforderten ÖGB-Chef Rudolf Hundstorfer am Abend des für die Gewerkschaft so symbolträchtigen 1. Mai politisch ausgetrickst. Egal was der ÖGB getan oder unterlassen hätte: Die Regierung Schüssel hätte es sich nie leisten können, die Bawag in Konkurs gehen zu lassen. Der Imageschaden und der Verlust an Kreditwürdigkeit ganz Österreichs wäre nicht zu verantworten gewesen, hätte zudem auch der Regierung politisch schwerstens geschadet. Ein Verhandlungskaliber wie Schüssel hätte diese Interessenlage an Hundstorfers Stelle voll zu eigenen Gunsten ausgespielt. Aber Hundstorfer ist eben kein großes Kaliber. So ließ sich der Präsident zur totalen und demütigenden Kapitulation zwingen." (Kurier 6. und 7.5.2006)

Das ist einerseits ein wenig übertrieben und schon gar keine Frage der Persönlichkeit des Präsidenten. Wenn der ÖGB die Refco-Gläubiger auszahlen will, weil er sich nicht damit abfinden kann, als Wirtschaftsverbrecher vor Gericht zu stehen, aber dafür nicht mehr genug Geld hat, indem schon durch die Möglichkeit dieses Gerichtsverfahrens seiner Bank die Pleite droht, dann ist er ziemlich radikal erpressbar. Es macht aber doch einen Unterschied aus, ob so ein Verein registriert, dass er Feinde hat, die seine Notlage verschärfen und ausnutzen, und dementsprechend um sein Geld kämpft – oder ob ein ÖGB gleich auf dem Standpunkt steht, dass er durch die Duldung "fragwürdiger" Bankmachenschaften nun gerechterweise in Schwierigkeiten steckt, und die Folgen, die seine Gegner beschließen, über sich ergehen lassen muss. Das vom "Kurier" angesprochene ein wenig drohende Ausspielen des Schadens eines Bawag-Konkurses für den Finanzplatz Wien zugunsten von Bank und ÖGB ist offenbar weit jenseits des Vorstellungsvermögens demoralisierter Gewerkschafter, die sich anscheinend trotz der gehässigen ÖVP-Kampagne noch immer darauf verlassen wollten, dass ihnen die Regierung wegen der Bedeutung der gewerkschaftlichen Säule für den Standort schlußendlich doch einigermaßen amikal entgegenkommen würde. Also liefern Hundstorfer und Kollegen sich und ihren Verein an eine Regierung aus, deren Feindseligkeit ihre Probleme beträchtlich verschärft hat, und merken erst nachher, dass diese gerade dabei ist, wieder ein Stück österreichischer Konsenskultur zu beerdigen. Was aussieht, als würde der ÖGB das Diktum von den "Roten, die nicht Wirtschaften können", verifizieren wollen, trifft nicht, weil diese Roten gar nicht "Wirtschaften" wollen! Die definieren die Sache, um die es ihnen geht, von vornherein so, dass der – nicht kaufmännisch, das hieße "Pleite"! – moralisch korrekte Bankbetrieb für die Gewerkschaft mindestens so wichtig ist wie die nächste Kollektivvertragsrunde. Der ÖGB spielt seine Rolle als Sozial-Partner bis zum Ende, getreu den seit je her gültigen Prämissen dieser Partnerschaft: Die Gewerkschaft darf die Arbeiterschaft in ein mit Staat und Kapital gemeinsam betriebenes Projekt einbringen, darf sie im Rahmen einer Partnerschaft repräsentieren, die einer von allen Beteiligten einträchtig verfochtenen Sache gilt, dem Erfolg der österreichischen Wirtschaft. Sie darf bzw. durfte mitreden, weil sie ohnehin die Sicht ihrer "Partner" bezüglich "Arbeit und Wirtschaft" teilt. Dass es sie für das Gedeihen der Wirtschaft unbedingt braucht und dass sie von Staat und Wirtschaft als ebenso unentbehrlich geschätzt wird wie umgekehrt, diese Lebenslüge läßt sich eine österreichische Gewerkschaft nicht einmal durch das unmißverständliche ruinöse Dementi der Regierung nehmen. Sich der Erpressung Schüssels und gegen die Regierung zu stellen, sich als – ausgerechnet um eine Bank! – kämpfende Partei zu benehmen, hätte vom Standpunkt des ÖGB bedeutet, seine Existenzberechtigung, nämlich diese Rolle als Partner von Staat und Wirtschaft in Frage zu stellen. Da macht er lieber ein letztes mal gemeinsam mit der Regierung den Krisenmanager einer Wirtschaftsaffäre, auch wenn dieses Krisenmanagement ihn Ansehen, Geld und Macht kostet, ihn also aller Mittel und Voraussetzungen seiner bisherigen Stellung als Sozialpartner beraubt.

Ein ÖGB, der sich so vorführen läßt, setzt Maßstäbe für den Umgang mit ihm; insofern ist schon etwas dran am medial gern kolportierten Bild von den beschränkten Gewerkschaftern, die sich von ein paar skrupellosen Typen haben aufs Kreuz legen lassen. Eine Öffentlichkeit, die schon länger vor den intriganten Leistungen des Kanzlers auf dem Bauch liegt, feiert ihn als Retter der Bawag, als Bezwinger und Demütiger von ÖGB und SPÖ, und kriegt sich vor Begeisterung nicht mehr ein über den einzig möglichen kommenden Wahlsieger – ein wenig voreilig, wie sich herausstellen sollte. Die Gewerkschaft war – das ist nebenbei zu lernen – eben doch immer nur der "Sozialpartner", der notgedrungen in Kauf genommen wurde:

"An Schüssels ausgefuchster Taktik und kaltschnäuzigem Verhandlungsgeschick sind schon viele gescheitert. Doch nie war sein Erfolg bedeutender als bei der Sanierung der Bawag. Mit geringstem Einsatz von Mitteln für die Bank – faktisch kostet die 900-Millionen-Haftung die Republik keinen Euro – zwang er den Bankeigner ÖGB nach dem moralischen auch noch zum finanziellen Offenbarungseid. ... Der ÖGB muss seine gesamten finanziellen Verhältnisse einschließlich des ebenso geheimnisumwitterten wie wohl im Ausmaß weit überschätzten Streikfonds offen legen und verliert damit weitestgehend sein Konflikt- und Drohpotenzial. Als weitere Demütigung zwangen Schüssel und sein Finanzminister den ÖGB zum Billigverkauf seiner 20 Prozent Anteile an der Nationalbank. Und damit zum Verzicht auf eine zumindest optisch sehr wichtige wirtschaftspolitische Machtbeteiligung. Der bisher mächtigste Gegner der Regierung Schüssel und ihrer neoliberalen Politik ist seit diesem 1.Mai zumindest auf lange Zeit zusammengestaucht. In der unvermeidlichen politischen Mithaftung mit dem siamesischen Zwilling Gewerkschaft ist auch das Image der SPÖ schwer angeschlagen, zudem fallen die sozialistischen Gewerkschafter als finanzielle und organisatorische Basis der Partei weit gehend aus. Es ist ein historischer politischer Erfolg des Kanzlers, der damit endgültig neben Bruno Kreisky zum wirkungsvollsten Bundeskanzler der 2. Republik aufsteigt. Seine Chancen, bei der Nationalratswahl wieder Erster zu werden, sind deutlich gestiegen und damit die Aussicht auf die Fortsetzung seiner Politik, wohl in anderer Koalition aber unter seiner Führung." (Kurier 7.5.2006)

Mit dem Hinweis auf den "mächtigsten Gegner der Regierung Schüssel und ihrer neoliberalen Politik" wird an die ÖGB-Proteste gegen die Pensionssenkungsreform im Jahr 2003 erinnert, als der ÖGB ähnlich energisch agierte wie in den Verhandlungen mit der Regierung über die Bawag. Die Gewerkschaft ließ nicht geschädigte Proletarier streiken, sondern betroffene Bürger zu ohnmächtigen Bittprozessionen mit beachtlicher Beteiligung antreten, um die Regierung moralisch ins Unrecht zu setzen – nicht wegen der zügig herbeireformierten Altersarmut, sondern um den für den ÖGB typischen Vorwurf zu beglaubigen, die Vertreibung der Gewerkschaft aus der Sozialpolitik durch die schwarz-blaue Regierung von ÖVP und FPÖ sei der eigentliche Schadensfall. Diese Rentensenkung war nämlich von der österreichischen "Wende"-Regierung demonstrativ an den "Sozialpartnern" vorbei, also unter Mißachtung des Gewohnheitsrechts des ÖGB auf Mitwirkung beschlossen worden. Weil der ÖGB das "Pensionsproblem" im Prinzip genau so sieht wie die Regierung, meinte er auch im Namen der Betroffenen seine traditionelle Befugnis auf konstruktive Mitwirkung geltend machen zu können, und deswegen waren die ÖGB-Spitzen ehrlich empört über die Regierung, die wieder die traditionellen sozialpartnerschaftlichen Sitten mißachtete. In seinem Anspruch, die Regierung möge "gemeinsam mit den Sozialpartnern eine echte Pensionsreform ausarbeiten", hatte sich der damalige ÖGB-Chef öffentlich die Selbstverpflichtung auferlegt, sich mit der in der Pensionsfrage völlig auf Regierungslinie befindlichen Unternehmerseite zu einigen; er hat dieser also faktisch ein Vetorecht gegenüber allen gewerkschaftlichen Einsprüchen und Vorschlägen eingeräumt; und er hat ebenso öffentlich für den Fall einer Nicht-Einigung mit der "Wirtschaft" verkündet, seine Kritik am Regierungsentwurf zurückzuziehen: Verzetnitsch hat "Kanzler Schüssel die Chance geboten(!), den Regierungsentwurf zurückzustellen und mit Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl gemeinsam ein Gegenkonzept aus einem Guss zu erarbeiten, das keinen Tag später in Kraft treten werde als ohnehin geplant: ‘Wenn wir [gemeint: ÖGB plus Wirtschaftskammer] nichts zusammenbringen, dann ist sein [Schüssels] Entwurf wieder am Tisch.’" (Verzetnitsch auf einem "Runden Tisch" im TV, profil 20/03) Wenn es der Gewerkschaft nicht gelingt, sich mit den Pensionsreformfanatikern aus der "Wirtschaft" über die Pensionen zu einigen, dann freie Bahn für den "Pensionsraub" der Regierung!? Das war dann auch die Richtschnur des "Widerstandes" gegen die Regierung. Der ÖGB hätte für die Erlaubnis zum Mitreden alle seine Einwände, sofern überhaupt vorhanden, geopfert; das Angebot wurde bloß nicht angenommen. Behindert oder gestört wurde von den anschließenden Demonstrationen gar nichts, dennoch wurden sie dem ÖGB von Schüssel nie verziehen.

Die ständigen Ermahnungen der ÖVP ans Wählervolk, den Umgang der Regierung mit dem gewerkschaftlichen Sozialpartner als dessen angemessene Demontage zu würdigen, finden durchaus Resonanz; diese neuen, von ÖGB und Regierung gemeinsam eingeführten Gesichtspunkte der ÖGB-Behandlung werden schnell wirksam, auch in der SPÖ. Wenn es denn schon in einem Wahlkampf auf nichts so sehr ankommt wie auf die Demonstration von Führungsstärke und Durchsetzungsvermögen, von Schüssel mit dem ÖGB als Watschenmann exemplarisch vorgeführt, dann zieht auch die SPÖ mit einem "Gewerkschafter-bashing" nach bzw. aus ihren ganz speziellen Gründen mit. Traditionelle innerparteiliche Auseinandersetzungen, die schon früher den in der Demokratie so bedeutsamen Eindruck der Geschlossenheit der Partei und das Image des jeweiligen entschlossen führenden Vorsitzenden beschädigt haben, sind reif für eine Entscheidung:

"Mit der Besetzung von etwa einem Drittel der Mandatare hing jeder Regierungsbeschluss, als die SPÖ noch am Ruder war, im Parlament vom Placet der Gewerkschaft ab. Sie blockierten Pensionsreformen oder die Zusammenlegung der Sozialversicherungsanstalten. So musste Kanzler Franz Vranitzky 1990 zur Gewerkschaft pilgern, damit sie an Heinz Fischer gnädigerweise das Amt des Parlamentspräsidenten abtrat." (Kurier 25.6.2006)

Ob es denn gar so schlimm war mit den "Blockaden", sei dahingestellt; die SPÖ will jedenfalls den neuen Umgangsformen mit diesen Verlierern gerecht werden und den bisher anerkannten gewerkschaftlichen Block innerhalb der Partei zurechtstutzen. Sie beschließt die Trennung von ÖGB-Spitze und Parlamentsmandat; die Vorsitzenden von ÖGB und Einzelgewerkschaften sollen nicht mehr gleichzeitig auf einem SPÖ-Mandat im Parlament sitzen. Der SP-Vorsitzende Gusenbauer verweigert dem provisorischen ÖGB-Chef demonstrativ eine Geste zur Gesichtswahrung, indem dieser einen ihm zu diesem Zweck angebotenen Listenplatz wenigstens noch selber hätte ablehnen dürfen sollen; auf solche diplomatischen Feinheiten im Verhältnis von Partei und Gewerkschaft versteht man sich dort schon lange. Die Partei gedenkt ihre Verbundenheit mit den arbeitenden Österreichern ab jetzt eher durch "engagierte Betriebsräte" zum Ausdruck zu bringen, die besser als glaubwürdige Vertreter des Arbeitsvolkes durchgehen mögen als die von Schüssel abgewirtschafteten Gewerkschaftspolitiker. Bewährte Techniken des arbeitsteiligen Einseifens der Wähler durch die "siamesischen Zwillinge" Partei und Gewerkschaft gelten ab sofort als für die Partei unzumutbar: "Das war teilweise schon unerträglich, als die Gewerkschaft gegen Maßnahmen der seinerzeitigen [SPÖ-geführten] Regierung demonstriert hat und gleichzeitig im Parlament diese Maßnahmen mitbeschlossen hat." (SPÖ-Chef-Gusenbauer im Interview, Kurier 25.6.2006) So setzt sich die Entmachtung des ÖGB nach dem Verlust der gewohnten sozialpartnerschaftlichen Stellung und nach dem Zerbröseln der bisher vorhandenen Finanzen fort, in der Degradierung der sozialistischen Gewerkschafter zur zurückgestuften Hilfstruppe der SPÖ ohne nennenswerten Einfluß in Partei und Parlament – zumal auch die bisher üblichen üppigen Spenden der sozialistischen Gewerkschafter an die Wahlkampfkasse der Partei durch das Desaster nun ausfallen bzw. im günstigsten Fall drastisch schrumpfen werden. Zumindest als eine de-facto-Fraktion innerhalb des SPÖ-Parlamentsklubs war der ÖGB bzw. dessen sozialistische Funktionäre auch jenseits der sozialpartnerschaftlichen Instanzen noch immer eine politische Größe, mit der zu rechnen war; damit ist es nun vorbei. Die anfänglich harsche Reaktion der "Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter" (FSG) im ÖGB belegt noch einmal, wie sehr sich der österreichische Gewerkschafter als politischer Repräsentant einer – dank der bisher gewohnheitsrechtlich garantierten SPÖ-Mandate – von Wahlergebnissen relativ unabhängigen Partei der österreichischen Arbeit mit umfassender Befugnis zum Politik-Machen verstand, und wie sehr er die nun durchgezogene "Reduktion" seiner Betätigung auf Kollektivvertragsverhandlungen und Betriebsratstätigkeit als die pure Demütigung erlebt:

"Die FSG erhebt weiter den ‘Anspruch, in allen gesetzgebenden Körperschaften mit Sitz und Stimme vertreten zu sein’. ... Sie läßt sich aber auch ‘von niemandem ... auf Teilbereiche wie KV-Politik oder betriebliche Vertretung der Arbeitnehmer reduzieren’" (Kurier 25.6.2006) "Die FSG bestehe darauf, ‘ihre Positionen im Parlament selbst zu bestimmen’, sagte Fraktionschef Wilhelm Beck. Das werde man auch Alfred Gusenbauer klar machen." (profil 26/2006)

Kollege Beck kündigte damals an, die Gewerkschaft wolle gegen die SPÖ härter um ihre Positionen kämpfen als gegen Schüssel; das ist inzwischen geklärt, der Fraktionschef ist zurückgetreten, die Querelen köchelten auf niedrigem Niveau weiter und beschädigten so immerhin den in der Demokratie so bedeutsamen Eindruck der Geschlossenheit der Partei und das Image des jeweiligen entschlossen führenden Vorsitzenden – bis durch den Wahlsieg von SP-Chef Gusenbauer auch diese Frage entschieden wurde.

Noch während des laufenden Skandals beteuern die Unternehmervertretungen, die Regierung und sämtliche anderen Gewerkschaftsfeinde der Republik unisono ihr Interesse an einem "starken ÖGB". Natürlich nicht "stark" ihnen gegenüber, sondern stark gegenüber den von ihm Vertretenen, also verläßlich, was die mit ihm paktierten Kollektivverträge und die allgemeine Ordnung des Arbeitslebens betrifft, weil da der Schaden der Arbeitnehmer immer mit inbegriffen ist. Ein Politologe erläutert in der Gewerkschaftszeitung:

"Kann man sich die Zweite Republik ohne den Österreichischen Gewerkschaftsbund vorstellen? Die Stabilisierung der Demokratie, die ökonomischen Erfolge – wäre das alles möglich gewesen ohne einen Gewerkschaftsbund, der sicherstellte, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich mit dieser Republik identifizieren konnten? Die Antwort ist eindeutig Nein: Die zweite Republik ist auch das Werk des ÖGB. Das wird kaum jemand bezweifeln." (A. Pelinka in "Solidarität", Mai 2006)

Einen Gewerkschaftsbund, der nicht die anständigen Einkommen seiner Mitglieder, sondern – um einen in anderem Zusammenhang einschlägigen Terminus zu gebrauchen – die Integration der Arbeiterschaft trotz des für diese Leute einschlägigen "Eignungstests" namens "Arbeitsplatz" oder Arbeitslosigkeit in die Nation "sicherstellt", so einen wollen sie alle, auch wenn sie sich – Demokratie stabil, Ökonomie erfolgreich – inzwischen die in Europa aufgegangene Republik wohl auch ohne ÖGB vorstellen können. Ansprüche an die nächsten Lohnverhandlungen mit einer "leider" geschwächten Gewerkschaft und an die Kriterien der "Lohnfindung" werden jedenfalls angemeldet, die Verhandler der Gewerkschaft vorweg als welche diffamiert, die aus Schwäche und Verunsicherung unberechenbar werden:

"Der Präsident der Industriellenvereinigung, Veit Sorger, bedauert die Entwicklung im ÖGB, denn die Sozialpartnerschaft sei ein ‘Erfolgsgeheimnis’ Österreichs. ‘Mit Sorge blicken wir jetzt auf die Lohnverhandlungen. Bei den Chemie-Arbeitern und in der Elektroindustrie habe ich den Eindruck, dass die Unberechenbarkeit steigt und überhöhte Lohnforderungen durchgeboxt werden sollen.’ So wie Böhler-Uddeholm-Boss Claus Raidl sieht Sorger die Chance, Lohnverhandlungen stärker auf Betriebsebene zu verlagern. Raidl: ‘Das Vertrauen in die Zentralen der Gewerkschaft ist weg. Bei der Lohnfindung sollte nur eine Basis-Lohnerhöhung auf Bundesebene beschlossen werden. Dann sollte die Gewinn-Situation in den Betrieben berücksichtigt werden.’ Siemens-Österreich-Chefin Brigitte Ederer meint, die Schwäche des ÖGB könnte ‘vordergründig’ bei Lohnverhandlungen bequemer sein. Sie ist jedoch überzeugt, dass es ‘ein Riesen-Vorteil ist, wenn Sie jemanden gegenüber haben, der stark ist. Denn das heißt, dass er paktfähig ist.’ ... Christoph Leitl ist gerade in Paris ... ‘Ich werde hier beneidet, dass bei uns Konflikte am Verhandlungstisch bereinigt werden und nicht auf der Straße.’" (Kurier 30.4.2006)

Im Rahmen der traditionell im Herbst stattfindenden Lohnverhandlungen der Metallarbeiter und Industrieangestellten mit ebenso traditioneller "Signalwirkung" für die anderen Branchen will die Industrie prompt über ein "neues Lohnmodell" verhandeln, das die Entmachtung des ÖGB ein ordentliches Stück vorantreiben würde – zwar nicht allein wegen der Lage der Gewerkschaft, aber doch hervorragend dazu passend: "Die Arbeitgeber drängen auf eine bloße Abgeltung der Inflation, dazu sollen abhängig vom Ergebnis nach oben begrenzte Einmalzahlungen auf betrieblicher Ebene kommen. Die Gewerkschaften lehnen diese ‘Automatik’ vehement ab ..." (Kurier 14.10.2006) Diese "Abgeltung der Inflation" per "Automatik" ist kein fürsorglicher Versuch der Unternehmer, die Einkommen ihrer Beschäftigten gegen die laufende Geldentwertung zu sichern, sondern zielt auf die Abschaffung der bisherigen flächendeckenden Kollektivvertragsverhandlungen und damit auf die Aushebelung der für die Unternehmer gar so unglaubwürdigen "Zentralen der Gewerkschaft" aus der Lohnfrage, um die bisherige "Lohnfindung" zu streichen und auf von der betrieblichen Konjunktur abhängige einmalige Prämien umzustellen. Der derzeitige Reallohn würde per Inflationsabgeltung auf unbegrenzte Dauer eingefroren und um ertragsabhängige betriebliche "Einmalzahlungen" ergänzt, auf die kein Anspruch besteht, die also auch entfallen können, und die vor allem nicht in den Lohn und damit auch nicht in die Bemessungsgrundlage dieser Inflationsabgeltung eingehen! Diese versuchte Ausmischung der Gewerkschaft aus dem Lohn findet sinnigerweise in einer Situation statt, in der sich diese auf ihre "Kernkompetenz", die Kollektivverträge, zurückgeworfen sieht. Darüber hinaus wünschen sich die Unternehmer noch eine kleine Lohnsenkung durch die Ausdehnung der Normalarbeitszeit zu lasten der Überstunden: " ... längere Höchstarbeitszeiten ohne Überstundenzuschläge und längere Durchrechnungszeiträume" (Kurier 20.10.2006), und in den Zeitungen liest man etwa gleichzeitig von der offenbar längst zur lieben Gewohnheit gewordenen Frechheit vieler Unternehmen, Überstunden gar nicht oder nur teilweise abzugelten – ein Phänomen, das natürlich in keiner Weise das Zeug zum nationalen Skandal hat, es werden doch bloß Arbeitnehmer beschissen. Die Verhandler der Unternehmer werten das "nach harten Verhandlungen" schließlich erzielte Ergebnis – 2,6% mehr Lohn und 100 Euro gewinnabhängige einmalige Zahlung – als "Einstieg" in ihr "neues Lohnmodell":

"Ziel der Arbeitgeber war ein Umbruch beim Lohnmodell: Die Inflation sollte fix abgegolten werden und eine gewinnabhängige Einmalzahlung geleistet werden. Das hätte den Vorteil für die Wirtschaft, dass die Lohnkurve deutlich langsamer steigt und die Lohnkosten kumulativ – verglichen mit dem bisherigen System – zurückgehen würden. Das nunmehrige Modell einer – vom EBIT (Betriebsergebnis) abhängigen – Einmalzahlung ist der Einstieg in dieses System. ... Haslauer erklärte: ‘Die Tür zu neuen Lohnmodellen ist damit aufgemacht worden. Für den Standort wird das eine entscheidende Verbesserung sein.’" (www.orf.at 4.11.2006)

Die gerade angelaufene nächste Etappe im Niedergang des ÖGB besteht angesichts der prekären Finanzlage im Streit der Einzelgewerkschaften untereinander und gegen den Dachverband um das knappe Geld. Bisher hat der ÖGB de jure die Finanz- und Personalhoheit, die Funktionäre der Einzelgewerkschaften sind bei ihm angestellt und werden von ihm bezahlt. Nun will die "schwarze" Beamtengewerkschaft die "rechtliche Selbständigkeit" beantragen, ein eigener Verein werden und eine eigene "haftungsrechtlich verbindliche Bilanz legen", was der Kurier zurecht als die beginnende "Filetierung des ÖGB" interpretiert, so dass in Zukunft allein schon die Formulierung eines einheitlichen Standpunktes der österreichischen Arbeitnehmerschaft die Hürde der verschärften gewerkschaftsinternen Auseinandersetzung nehmen muss, oder gleich daran scheitert:

"Heute beantragen die Beamten ihre Eigenständigkeit im ÖGB. Weitere Teilgewerkschaften wollen folgen. ... Die Gewerkschaft der Privatangestellten will das Gegenteil. Sollten die Beamten auf Autonomie pochen, werde die GPA weniger Geld an die Zentrale leiten ... Auch die Post-Gewerkschaft stellt einen Antrag auf mehr Autonomie. Weitere Gewerkschaften werden folgen. Damit droht der Zerfall des ÖGB in starke Blöcke, die von den Privatangestellten, Metallern und Beamten dominiert werden." (Kurier 25.10.2006)

Das alles fügt sich vorzüglich in einen Trend, der woanders herkommt: Schon seit einigen Jahren des Kampfes um den Standort und um die Bewältigung der "Herausforderungen der Globalisierung" wird dem ÖGB seine sozialpartnerschaftliche Mitbestimmungs-Kompetenz bestritten, und werden die flächendeckenden Kollektivverträge in Frage gestellt. Selbstredend nicht, weil die Gewerkschaft ihr berühmtes Verantwortungsbewußtsein zugunsten einseitiger und radikaler Interessenvertretung aufgegeben hätte. Die Arbeitnehmervertreter haben sich vielmehr den sehr charakteristischen Vorwurf erarbeitet, als "Bremser" unterwegs zu sein; die Umsetzung mancher "Reform" dauert – angeblich – ein wenig länger, sobald sich eine Regierung entschließt, der Gewerkschaft wie bisher quasi eine "Parteienstellung" einzuräumen, und ihr gestattet, sich von ihrer anfänglichen Ablehnung zu einem als "Kompromiß" darstellbaren Nachgeben vorzuarbeiten. Seit die ÖVP-dominierte Regierung der Wendekoalition mit der FPÖ ab 2000 umgekehrt viel Wert auf die Demonstration von Rücksichtslosigkeit legt, beim Klassenkampf von oben gegen bisherige soziale Arrangements, und seit einer standortfanatischen Öffentlichkeit alles, was ein Gewerkschafter gerade noch und zähneknirschend akzeptieren könnte, definitionsgemäß als gar keine richtige "Reform" gilt – "speed kills" heißt das Bekenntnis zum schonungslosen "Durchregieren", eben dazu, dass auf den bisher berühmten sozialpartnerschaftlichen Konsens nun geschissen ist –, war die Gewerkschaft genötigt, sich störrisch zu gebärden, um ihre Position als "Sozialpartner" zu erhalten; ohne viel Erfolg. Der zukünftige "starke ÖGB" neuen Typs ist demgegenüber einer, der seine Stärke im Verhältnis zu seinen Mitgliedern daraus bezieht, dass Staat und Kapital ein positives Interesse an dieser seiner Stärke haben und ihn deswegen als proletarischen Verhandlungsführer akzeptieren, soweit es ihnen opportun erscheint; eine Gewerkschaft von Gnaden und auf Basis einer Lizenz der Bourgeoisie also. An dieser Weiterentwicklung des Gewerkschaftswesens ändert auch die risikolose Prognose nichts, wonach kein normales Mitglied während der Arbeit oder der Arbeitslosigkeit einen großartigen Unterschied zum status quo ante bemerken wird, zumindest nicht dort, wo es drauf ankommt, nämlich beim Einkommen und der Lebensqualität. Das, was wahlweise dem "neoliberalen Zeitgeist" oder realitätsnäher der Standortkonkurrenz der europäischen Demokratien geschuldet ist, nämlich die mit der Abwrackung sozialstaatlicher Betreuung einhergehende Zurückstufung von deren gewerkschaftlichem Anwalt, in Österreich vorangetrieben von der "neoliberalen" "schwarz-blauen" Regierung mit Pensionsreform und Sozialstaatsumbau, das vollendet sich als Desaster des per Finanzskandal demontierten ÖGB.

Anhang: Den ÖGB, wie man ihn kannte, gibt es nicht mehr

Der ÖGB ist nach dem Krieg gar nicht erst mit dem Anspruch in das Arbeiterinteressenvertretungsgeschäft eingestiegen, die Lohnabhängigen zu organisieren, um durch kollektiven Druck den Lohn und die Arbeitsbedingungen zugunsten der Beschäftigten zu modifizieren. Schon dem ersten Vorsitzenden gelang es, "gegen Widerstand führender Gewerkschafter" eine ganz andere Betrachtungsweise des Lohns praktisch durchzusetzen, unter der die Arbeitnehmer als Manövriermasse nicht nur des Kapitals, sondern auch noch einer Gewerkschaft vorkommen, die den Lohn als Instrument einer gesamtwirtschaftlich ausgerichteten Lohnpolitik behandelt und dafür den Anspruch auf ihr umfassendes Mit-Regieren in Staat und Wirtschaft stellt, was ihr notwendig erscheint, indem der Arbeiter nicht nur vom Lohn, sondern auch noch von den Preisen und überhaupt ganz umfassend von der Sozial- und Wirtschaftspolitik negativ betroffen ist:

"Johann Böhm gelang es, gegen den Widerstand mancher führender Gewerkschafter eine koordinierte und solidarische Lohnpolitik durchzusetzen, die sich an der wirtschaftlichen Gesamtlage orientiert. Vom Prinzip der solidarischen Lohnpolitik wurde bisher nicht abgerückt, wenn es auch je nach der Situation in den einzelnen Wirtschaftszweigen differenzierte Lohn- und Gehaltsforderungen gibt. Eine koordinierte und solidarische Lohnpolitik, die sich an der wirtschaftlichen Gesamtlage orientiert, bedeutet: Eine Lohnpolitik, die durch übereinstimmende Zusammenfassung der gewerkschaftlichen Forderungen verhindert, dass für ein Vorprellen wirtschaftlich oder gewerkschaftlich starker Berufsgruppen, die ganze Bevölkerung die Zeche zu bezahlen hat; eine Lohnpolitik, die davon ausgeht, dass der gewerkschaftliche Kampf nicht nur um höhere Löhne, sondern auch um möglichst stabile Preise geführt werden muss, und deshalb die wirtschaftliche Realität berücksichtigt." (Fritz Klenner: Die Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung in der Zweiten Republik, Teil I: Der ÖGB 1945 - 1955. Skriptum für die Verwendung im Rahmen der Bildungsarbeit des ÖGB, Oktober 2002 S. 23)

Hier wird etwas verzinkt und mit viel Gewerkschaftsgeschwurbel der bedingungslose Entschluß verkündet, Österreich als Billiglohnland zu "positionieren", vor allem im Verhältnis zu Deutschland: Für den ÖGB stellt sich der Lohn als volkswirtschaftliche Größe und insofern als ein Problem dar – als ein Problem für die Unternehmen, die ihn zahlen. Das ist die unantastbare wirtschaftliche "Grundlage", der Lohn ist eine Kost, die sich lohnen muß. Bei der Bewältigung dieses Problems sind Unternehmer auf eine starke Gewerkschaft angewiesen, die verhindert, dass "gewerkschaftlich starke Berufsgruppen" diese ihre gewerkschaftliche Stärke ausnutzen, nämlich sie für ein "Vorprellen" in Sachen Lohnforderungen mißbrauchen! Der Prolet ist mitsamt seinem Lohn das Anhängsel des Kapitals, dessen abhängige Variable, das muß eine Gewerkschaft als die ihrer Betätigung vorausgesetzte "Realität" anerkennen – gerade wenn es durch einigen gewerkschaftlichen Druck auch anders ginge! Diese Haltung ist nun keineswegs ein Moment gewerkschaftlicher Resignation, denn durch aktiven, solidarischen und koordinierten Lohnverzicht kann eine Gewerkschaft viel erreichen – sie kann damit einen Kampf um "stabile Preise" führen und verhindern, dass letztlich die "ganze Bevölkerung" draufzahlt! Ebenso "sichert" der Lohnverzicht viele Arbeitsplätze, indem die "gewerkschaftlich starken Berufsgruppen" auf das Ausnutzen ihrer Stärke und auf durchaus mögliche Lohnsteigerungen verzichten, und dadurch den Lohndruck auf andere Branchen mildern, wodurch deren Unternehmen die Lohnkonkurrenz erspart bleibt, und deren Beschäftigte dann nicht einmal durch Abwandern in andere Industrien mehr verdienen können! Die Niedriglohnbranchen sind das Leitbild der gewerkschaftlichen Tarifpolitik. Das hat seinerzeit bezeichnende Wirkungen hervorgebracht, indem unsolidarische Ausländer die koordinierte Lohnpolitik des ÖGB unterlaufen haben. In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatten österreichische Proleten zwischen Amstetten und Reutte nämlich eine Alternative zu den vom ÖGB abgeschlossenen Kollektivverträgen, etliche gingen deswegen nach Bayern zu Siemens oder BMW, worauf der ÖGB wiederum von österreichischen Unternehmern im Interesse von homogenen heimischen Konkurrenzbedingungen kritisiert wurde:

"Durch den Sog, den die Region München vor allem auf Arbeitskräfte in den westösterreichischen Gebieten, aber bisweilen auch bis Niederösterreich ausübt, sind die Unternehmen zur Lohnkonkurrenz mit den bayrischen Firmen gezwungen. In Branchen, in denen die Kollektivverträge noch weitgehend den Istlöhnen entsprechen, wie im Lebens- und Genußmittelsektor, ist es deshalb schon vorgekommen, dass die Unternehmerseite auf die Gewerkschaft Druck zur Lohnerhöhung ausübte, die diese aus preispolitischen Gründen nicht für opportun hielt. Als Lobbyisten der Unternehmen dienen dabei oft die Betriebsräte." (Egon Matzner: Funktionen der Sozialpartnerschaft, in: Das politische System Österreichs. Hrsg. Heinz Fischer, 2. Auflage 1977 S. 441)

Weil der Arbeiter nun einmal der Wirtschaft ausgeliefert ist, kann sich eine Gewerkschaft nur für deren Erfolg stark machen und muß im Namen der Arbeiterschaft darauf dringen, dass die Unternehmer auf Basis einer für sie maßgeschneiderten Lohnpolitik alles für den Gewinn notwendige unternehmen. Die vom ÖGB anvisierte institutionalisierte politische Mitbestimmung im Rahmen einer "Wirtschaftspartnerschaft" mit Staat und Kapital wurde ihm aber nicht schon wegen dieser solidarischen Lohnpolitik gewährt, die mußte er sich noch extra erkämpfen. In Form von insgesamt fünf "Preis- und Lohnabkommen", abgeschlossen von 1947 bis 1951 zwischen "ÖGB, Arbeiterkammer, Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Landwirtschaftskammer und Industriellenvereinigung" wurde richtiggehend planwirtschaftlich der Wiederaufbau der österreichischen Marktwirtschaft durch die gesamtstaatliche Administration ihrer wichtigsten Kennziffern angegangen. Gegen das vierte dieser Abkommen über Löhne und Preise wehrte sich im Herbst 1950 eine massive, von der KPÖ initiierte bzw. unterstützte Streikbewegung: "Unbestritten die Zahlen, mit denen die KPÖ Propaganda machte: Danach stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel zwischen 30 und 60 Prozent – die Löhne nur um zehn Prozent." (Kurier 27.9.2000, zum fünfzigsten Jahrestag)

"Kurz darauf wurde zum zweiten Mal die Generalstreikparole ausgegeben, nachdem die Forderung einer durch die KP-Fraktion im ÖGB einberufenen Betriebsrätekonferenz nach Änderung des Preis- und Lohnabkommens – wie zu erwarten – nicht erfüllt worden war. Die Parole wurde allerdings fast ausschließlich nur mehr in der russischen Zone befolgt, und auch dort wehrte sich die Mehrheit der Arbeitnehmer gegen die von den Kommunisten organisierten Versuche, die Betriebe stillzulegen; bei diesen Auseinandersetzungen gab es Verletzte. Die Polizei durfte ohne Genehmigung der russischen Kommandantur nicht eingreifen, sodass nur in Selbsthilfe Widerstand geleistet werden konnte; der ÖGB forderte daher die Arbeitnehmer auf, ‘der Gewalt die Gewalt entgegenzusetzen’. Die Regierung appellierte in einer Note an alle vier Alliierten, und nun trat der Umschwung ein: Die Sowjets erklärten, dass sie sich strikte an das Viermächteabkommen von 1946 hielten, was bedeutete, dass sie die Aktionen der österreichischen Kommunisten nicht aktiv unterstützen würden. Der ÖGB und die beiden Regierungsparteien organisierten Räumtrupps, die Straßensperren und andere Hindernisse beseitigten. Die Kommunisten gaben den Streik auf ..." (Klenner ebd. S.42)

Der ÖGB, vor allem die Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter, hat nicht nur stellvertretend für die sowjetisch behinderte Polizei die Streikbewegung auseinander geprügelt, der ÖGB hat auf diese Weise endgültig sein Monopol auf die Vertretung der österreichischen Arbeiterklasse etabliert und Österreich als seinen "closed shop" gesichert. Die kommunistischen Aktivisten in den Betrieben wurden teilweise entlassen und aus der Gewerkschaft ausgeschlossen. Dieser "Oktoberstreik" des Jahres 1950 wird seither anläßlich runder Jahrestage in Gestalt einer falschen Alternative diskutiert. Entweder sei es der Streikbewegung damals bloß um den Lohn gegangen, wie wahrheitsgemäß die KPÖ und die an den Fakten orientierten Historiker berichten – oder es habe sich eben nicht um einen "Lohnstreik", sondern um einen "politischen Umsturz" gehandelt, wie seinerzeit Regierung und ÖGB agitierten, was heute allerdings nicht einmal mehr die offizielle ÖGB-Geschichtsschreibung behauptet. Dieser Gegensatz ist falsch; die Lohnarbeit ist eine Staatsaffäre und der Lohn ist seiner Natur nach ein Politikum. Ein alter Fehler der sozialistischen Arbeiterbewegung ist die Trennung von politischem und ökonomischem Kampf: Im ökonomischen Kampf gehe es "bloß" um mehr Lohn, um ökonomische Verbesserungen, höchstens der politische Kampf widme sich dem Sozialismus. Diese "defensive" Vorstellung vom Lohnkampf hat die Regierung 1950 nicht gelten und von einer "gelben" ÖGB-Gewerkschaft niederknüppeln lassen. Sie hat den Lohnkampf als Angriff auf ihr zentrales Projekt und damit als Angriff auf sich genommen und bekämpft. Ein kapitalistischer Wiederaufbau geht nur mit billigster Arbeitskraft; die Lohnsenkung des Jahres 1950 ist ein staatliches Anliegen; den Arbeiter geht sein eigener Lohn nichts an, weil es für dessen Regelung eine Gewerkschaft gibt, die ihn mit gesamtkapitalistischer Verantwortung behandelt: diesen Standpunkt haben Regierung und ÖGB als das nationale Interesse definiert und durchgesetzt. Die Regierung hat den Lohnkampf zum Umsturz erklärt, sie hat eindeutig klargestellt: Wer den "Preistreiberpakt" aushebeln will, der muß die Regierung kippen, der muß auch den Umsturz wollen. Sie hat klargestellt, daß der Kapitalismus und der Lohn ein politisches Projekt ist, ein Staatsziel ersten Ranges. Die KPÖ war damals – und daran hat sich bis heute nichts geändert – nicht in der Lage, die Streikbewegung darauf aufmerksam zu machen, daß ein Lohnkampf spätestens dann ein "Putschversuch" ist, wenn er von einer Regierung so beurteilt und behandelt wird; dass die Streikbewegung sich also dem Zusammenhang zwischen Lohnkampf und Umsturz zu stellen hätte, den ihr die Regierung aufgezwungen hat.

Damit hatte sich der ÖGB jedenfalls als "Partner" qualifiziert, auch wenn die formelle Einführung der Sozialpartnerschaft in Form der "Paritätischen Kommission für Löhne und Preise" und durch den ebenso paritätischen "Wirtschafts- und Sozialbeirat" erst später geschah. Das hat dem österreichischen Arbeiter nichts erspart, nicht den gesundheitlichen Verschleiß, keine Kündigungen, keine Lohnsenkungen und keine "atypischen Beschäftigungsverhältnisse". In der Hochblüte der ÖGB-Mitbestimmung konnte sich der Arbeitnehmer aber darauf verlassen, dass bei allem, was eine Firma mit einer Arbeitskraft unternimmt oder unterläßt, und bei jeder Novelle zum Arbeits- und Sozialrecht Arbeitnehmervertreter einbezogen waren, alles geprüft – und erst dann zugestimmt haben. Dass Lohnarbeiter von der Hand in den Mund leben und deswegen vor dem Nichts stehen, wenn sie nicht arbeiten können, also bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und sobald sie endgültig verbraucht sind – von der Gewerkschaft abgehakt. Dass die einzige Perspektive die des Sozialstaates ist, dass also nur durch Umverteilung des Lohns innerhalb der Klasse der "Unselbständigen" die ständig drohende Existenzgefährdung hintangehalten werden kann – akzeptiert. Dass die Gesundheit der Staatsfinanzen im Zeichen der "Globalisierung" manches "Sparpaket" auf Kosten der arbeitenden Menschheit erfordert – oft genug hingenommen. Offenherzig wird von ÖGB-Funktionären das wirklich wichtige Resultat gewerkschaftlicher Mitbestimmung erläutert: Der soziale Friede als nationaler Standortvorteil. Die Erfolge für die Gewerkschaft waren zweifellos gegeben. Wenn es je einen "Gewerkschaftsstaat" gegeben hat, dann die Republik Österreich im vorigen Jahrhundert. Die Sozialpartnerschaft aus Gewerkschaft und Wirtschaftskammer galt als "Nebenregierung", die die komplette Wirtschafts- und Sozialpolitik vorformulierte. Die Literatur sprach von einer "Residualfunktion" der Regierung in Bezug auf diese Staatstätigkeiten, "wenn die Regierung erst nach Konsens der ‘Sozialpartner’ tätig wird oder vorher mit der Begründung nicht tätig wurde, dass die Sozialpartner sich zuerst einigen müssten". (Matzner ebd. S.439) Die Institutionen des Sozialstaates wie die Pensionsversicherung und die Krankenkasse wurden im Rahmen von deren "Selbstverwaltung" paritätisch von Gewerkschaftern mitverwaltet; der ÖGB hatte ein Gewohnheitsrecht auf die Besetzung der Position des Sozialministers; der Präsident des ÖGB war personalidentisch mit dem Präsidenten des Parlaments; nicht nur in der Nationalbank, auch in den Aufsichtsgremien des Staatsfunks ORF saßen bzw. sitzen Arbeitervertreter; wer früher als Drückeberger vor der zuständigen Kommission für Wehrdienstverweigerer sein Gewissen offenlegen mußte, traf dort nicht nur auf Beamte und einen Richter, sondern auch auf einen Vertreter der Gewerkschaftsjugend und einen der Wirtschaftskammer; einen ihrer größten und sicher den populärsten, unter dem Kürzel "Cordoba!" bekannten Erfolg feierte die Fußball-Nationalmannschaft in der Ära eines als "durchschlagskräftig" geltenden Chefs der Metallarbeitergewerkschaft, der es als typischer "Multifunktionär" u.a. zum Präsidenten des Österreichischen Fußballbundes (ÖFB) gebracht hatte; und der österreichische Kulturstaat wäre ohne das teilweise dem ÖGB gehörende bzw. von ÖGB und Bawag gesponserte Wiener "Volkstheater" bis gestern irgendwie unvollständig gewesen. Noch im Zuge der Verhandlungen über den österreichischen Beitritt zur EU Anfang der 90er Jahre wurde als Besonderheit registriert, dass den österreichischen Delegationen nicht nur Politiker und Beamte, sondern auch Vertreter von Wirtschaftskammer und Gewerkschaft angehörten. Mit einem Wort: Viel Verantwortung und Glanz und Ehre für den ÖGB, was seinen Mitgliedern nichts eingebracht hat.

Der Betrieb einer Bank gehört insofern allemal zum Leben einer so erfolgreichen Gewerkschaft wie der österreichischen, als dieses dauerhafte Einrichten mitten im Kapitalismus, dieses Aufstellen als Partner der "Wirtschaft" ohne einen ordentlichen Apparat, ohne Geldeinsammeln und Buchhaltung, ohne Einnahmen und Ausgaben und ohne die Aufschatzung von Reserven nicht zu haben ist. Überschüssige Liquidität will veranlagt, aktueller Mangel durch Kredit überbrückt werden; der Gewerkschaft drängt sich die Frage auf, ob sie den Banken gestatten soll, mit dem Gewerkschaftsgeld deren Geschäftsbasis zu erweitern, oder ob sie das in eigener Regie betreibt. Die österreichische Sozialdemokratie hatte es vor allem im "Roten Wien" der Zwischenkriegszeit zu einer dominierenden "Parallelgesellschaft" gebracht, die von der Partei und der Gewerkschaft über die Konsumgenossenschaften und den kommunalen Wohnbau bis zu diversen Sozial-, Bildungs-, Kultur- und Sporteinrichtungen alle wesentlichen und unwesentlichen Momente des proletarischen Lebens betreute. Die ursprüngliche "Arbeiterbank" wurde als die Hausbank einer Arbeiterbewegung gegründet, die damals zumindest in ihrer Rhetorik noch einen "Klassenfeind" kannte, und vor der Frage stand, ob sie ihre wachsenden Finanzen diesem als sein Geschäftsmittel überantwortet, oder ob sie selber eine Bank aufmacht – um, wie es Karl Renner so unnachahmlich formulierte, "den Organisationen und Instituten der Arbeiterklasse" die "Benützung kapitalistischer Institutionen" zu ersparen:

"Die Bank wurde 1922 vom vormaligen Staatskanzler, dem Sozialdemokraten Karl Renner als Arbeiterbank gegründet, weniger mit dem Ziel, den ‘kleinen’ Arbeitern günstige Kredite zu verschaffen, ‘sondern um den Organisationen und Instituten der Arbeiterklasse ein Hilfsinstitut zu schaffen, das ihnen die Benützung kapitalistischer Institutionen erspart’ (Zitat Karl Renner). Sie löste damit den seit 1913 bestehenden Kreditverband österreichischer Arbeitervereinigungen ab. An der ‘Arbeiterbank AG’, besaßen die sozialistischen Gewerkschaften und die Großeinkaufsgesellschaft für österreichische Consumvereine (GÖC) je 40% Anteile. 1934 wurde sie vom austrofaschistischen Ständestaat aufgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1947 wiedergegründet, erreichte die im Jahre 1963 in Bank für Arbeit und Wirtschaft bzw. abgekürzt BAWAG umbenannte Bank ab den Siebziger Jahren einen großen Kundenkreis. Dabei wurde das Zweigstellennetz stark ausgebaut. Populäre Produkte der Bank waren und sind das Kapitalsparbuch (Fixzinssparbuch mit verschiedenen vorgegebenen Laufzeiten) und der Betriebsratskredit (ein über die Betriebsräte österreichischer Unternehmungen für die Mitarbeiter vermittelter Privatkredit)." (Wikipedia)

Nach 1947 und nach Überwindung der Frontstellung der Zwischenkriegszeit, ausgedrückt durch die Umbenennung in Bank "für Arbeit und Wirtschaft", blieben vom Ethos der früheren "Arbeiterbank" einige Konkurrenzvorteile, wie die Bindung mancher Sparer an "ihre" Bank, was ihr zu einem vergleichsweise hohen Marktanteil an Spareinlagen und zu einem entsprechenden Anteil günstig erworbener "Primärmittel" verhalf; sowie eine einmalige "Vertriebsschiene" für ihre Sparbücher und Kredite über die Betriebsräte von Großunternehmen – noch heute gibt es Unternehmen mit einer Bawag-Zweigstelle unmittelbar neben oder sogar auf dem Betriebsgelände. Dazu kommen die gewerkschaftlichen Mitgliedsbeiträge, ein kontinuierlicher Zufluß an Mitteln, um den die Bank nicht konkurrieren muß, und früher der Zahlungsverkehr und die Überschüsse der Konsumgenossenschaften. Allerdings verändert sich mit der Verwandlung eines gewerkschaftlichen Schatzes – der Name "Streikfonds" mag beim ÖGB deplatziert sein, der Sache nach ist es eben ein Fonds zur Finanzierung der Gewerkschaft und ihrer Aktionen –, in Bankkapital die Handhabung dieses Schatzes. Wenn die Gewerkschaftsfinanzen zu Kapital werden, dann wird die Finanzlage der Gewerkschaft zum "Derivat" des Erfolgs der Bank. Wer sein Geld als Kapital veranlagt und vermehren möchte, muß sich auch dessen Notwendigkeiten unterwerfen, und insofern ist die schlußendlich erfolgte Unterordnung des gewerkschaftlichen Finanzwesens unter die Probleme des gewerkschaftseigenen Bankwesens zumindest konsequent: Die im Jahr 2000 von der Bawag gekaufte Postsparkasse (P.S.K.) wurde 2005 gesellschaftsrechtlich mit der Bawag zur Bawag-P.S.K. verschmolzen. Im Zuge dessen übernahm der ÖGB Verbindlichkeiten der Bawag von 1,5 Mrd. Euro, um die Bank durch diese Entschuldung für einen schon damals angedachten Verkauf oder einen Gang an die Börse aufzuwerten, durch den wieder diese Schulden hätten beglichen werden sollen, was durch den Abgang der Bawag via "Karibik", "Refco" und "Staatsgarantie" hinfällig wurde. Der neue Bankdirektor Nowotny irrt also, wenn er in anderem Zusammenhang meint: "Nicht der ÖGB hat die Bawag geführt, sondern die Bawag den ÖGB. Es war skandalös." (Kurier 14.6.2006) Nicht doch; der ÖGB hat sich eine Bank als Cashcow gehalten und sie von stinknormalen Bankmanagern wie eine stinknormale Bank führen lassen. Das war alles.