“Staatshaftung für Bawag rettet die Bank ... Die Haftung der Republik Österreich wird 900 Millionen Euro ausmachen. ... Der ÖGB unter der neuen Führung von Rudolf Hundstorfer gab gegenüber Aufsichtsbehörden, Finanzministerium und Bilanzprüfern eine schriftliche und unbegrenzte Garantie für die Bawag ab. Im Klartext bedeutet dies, dass der ÖGB im Ernstfall Kapital in die Bawag einschießt. Ob der ÖGB über solche Mittel verfügt, ist völlig offen. Der neue ÖGB-Finanzchef Foglar hatte jedenfalls erst Freitag erklärt, mit der ÖGB-Bilanz in die roten Zahlen zu rutschen. ... Mit dieser Garantie ist die Bawag als Bank vorerst aus dem Schneider, das Risiko aus Klagen von Refco-Geschädigten hat damit der ÖGB übernommen. Eigentlich macht die neue ÖGB-Führung nichts anderes als Ex-ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch im Jahr 2000, als der Milliardenverlust aus den ‘Karibik-Geschäften’ auftauchte. Verzetnitsch sagte aber damals aber niemandem etwas davon und musste im März gehen.” (Kurier 2.5.2006)
Die Solidarität des Staates per Haftung gilt der Bank bzw. dem Finanzplatz, aber nicht dem ÖGB. Der muß sich als Bedingung förmlich verpflichten, “unbegrenzt” mit eigenen Mitteln für die Bawag-Verluste geradezustehen; nur sofern ihm das mangels Masse nicht mehr möglich ist, springt der Staat ein. Der Schuldner wird vom Gläubiger bzw. in diesem Fall von seinem Bürgen im Zuge seiner “Rettung” enteignet, und zu diesem Enteignungsverfahren gehört auch der Offenbarungseid. Der ÖGB muss seine gesamten Finanzen offenlegen, auch den Teil seiner Mittel, der von ihm unter dem irreführenden Titel “Streikfonds” geführt wurden. Das wurde von ihm und Teilen des sympathisierenden Publikums als “Schwächung” interpretiert, als es nun dem Klassenfeind – einen solchen kennt der ÖGB nicht! – möglich werde, via Einblick in den “Fonds” das Durchhaltevermögen einer Streikbewegung – die Beteiligung des ÖGB an der größten Streikbewegung in Österreich nach dem Krieg (im Jahr 1950) bestand in deren Niederschlagung! – bis auf den letzten Cent genau abzuschätzen. Die Sachlage ist demgegenüber viel banaler; diese Offenlegung ist Voraussetzung der Enteignung des ÖGB: “Die Haftung der Republik ist nämlich an die Bedingung geknüpft, dass vorher alle direkten und indirekten Bawag-Eigentümer ihrer ‘Bürge- und Zahlerhaftung’ nachkämen.” (profil 19/2006) Direkte und indirekte Eigentümer: Nicht nur der Gewerkschaftsbund als Dachverband, auch die Finanzen der Teilgewerkschaften, die sonstigen ÖGB-Firmen und seine Stiftungen sind also Teil der ÖGB-Masse, über die in letzter Instanz die Regierung im Zuge der Abwendung eines formellen Konkurses disponiert. Die Regierung kann schließlich schon als Vertreter des Steuerzahlers nicht zulassen, dass der über die Staatshaftung für die Verbindlichkeiten von Bawag und ÖGB geradesteht, und diese stehlen sich dadurch womöglich aus ihrer finanziellen Verantwortung! Zu den von der Regierung gestellten Bedingungen gehört die Veräußerung seiner Vermögenswerte, damit der ÖGB seine Verpflichtungen erfüllt: Der Verkauf der Bawag, bisher eine – revidierbare – Entscheidung der Gewerkschaft, ist nun Teil der Vereinbarung mit der Regierung, und der Erlös ist schon zur Schuldentilgung und zur Bedienung des Vergleichs mit den Refco-Klägern weg. Weiters haben ÖGB und Bawag ihre Anteile an der österreichischen Nationalbank, die als Aktiengesellschaft organisiert ist, an die Regierung zu verkaufen, was die Gleichung von Enteignung und Entmachtung des ÖGB besonders symbolträchtig zur Anschauung bringt. Der ÖGB war bisher direkt und indirekt über die Bawag an der österreichischen “Nationalbank” beteiligt, Gewerkschafter hatten daher Sitz und Stimme im Verwaltungsrat – eine typische Errungenschaft des ÖGB in seiner Eigenschaft als quasi-Gründungsmitglied und staatstragende Säule der Zweiten Republik, die ihm einigen Einfluß gebracht, der seinen Mitgliedern nichts genützt hat:
“Teil des Rettungspaketes für die Bawag ist auch die Übertragung von deren Aktienpaket an der Nationalbank an die Republik Österreich. Dies wird ‘jetzt’ passieren, erklärte die Regierungsspitze am Dienstag. Heute Nacht wurde vereinbart, alle Anteile der Gewerkschaftsbank Bawag und des Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) an der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) ... an die Republik Österreich zu übertragen, teilte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bei einer Pressekonferenz in der Bawag mit. ... Bawag und ÖGB waren mit zusammen rund 20 Prozent bisher zweitgrößter Aktionär der Nationalbank nach dem Bund selbst. Zurzeit hält laut Finanzminister Karl-Heinz Grasser die Bawag P.S.K. 11,3 Prozent der OeNB-Aktien und der ÖGB 8,7 Prozent.” (Die Presse 2.5.06)
Weiters “nötigt” die Regierung die tragenden Säulen des Wiener Finanzplatzes, die dominierenden Banken und Versicherungen, zu einer über die normalen Interbank-Finanzierungen hinausgehenden, demonstrativen Kapitalbeteiligung an der Bawag. Die sollen ihren Konkurrenzstandpunkt gegenüber der Bawag im gemeinsamen Interesse des Finanzplatzes so betätigen, dass sie via Kapitalzuschuß von deren mit ihrer und der Republik Hilfe wiedergewonnener Solidität profitieren, und sich außerdem eine bessere Ausgangsposition beim anstehenden Notverkauf der Bank verschaffen. Nach einigem Nörgeln und etwas Feilschen bezüglich der Konditionen – ein erfolgreicher Bankdirektor ist schließlich nicht Befehlsempfänger des Bundeskanzlers – lassen die sich auch zu ihrem Glück zwingen. Die Rettungsaktion der Regierung findet ihren krönenden Abschluß mit einem prominenten Besuch in einer Bawag-Filiale:
“Cash für die rote Bawag – und das vom schwarzen Kanzler. Was am späten Abend des 1.Mai zwischen Regierung und ÖGB in einer staatlichen Rettungsaktion ausverhandelt wurde, fand gestern um halb elf am Vormittag einen symbolträchtigen Höhepunkt. Im Blitzlichtgewitter der Fotografen eröffnete Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in der Bawag-Filiale am Wiener Kohlmarkt ein Konto bei der angeschlagenen Bank. Der Kanzler, bisher nur Kunde von Erste Bank und Raiffeisen, zahlte als ‘Geste, dass die Bawag jetzt eine sichere Bank ist’, 2000Euro ein. Im Schlepptau Schüssels reihten sich Finanzminister Karl-Heinz Grasser, Vizekanzler Hubert Gorbach und Nationalratspräsident Andreas Khol als neue Bawag-Sparer ein. Kärntens Landeschef Jörg Haider war auch dabei. ... Bawag-Generaldirektor Ewald Nowotny bedankte sich gestern artig bei der Bundesregierung für ihr ‘verantwortungsvolles Handeln’ und ihre maßgebliche Unterstützung bei der Rettung der Bank. Als Eigentümervertreter musste auch ÖGB-Chef Hundstorfer ein ‘Dankeschön’ an Regierung, Banken und Versicherungen aussprechen. Der ÖGB hätte seine Bank nicht mehr retten können: ‘Wir können diese zusätzlichen Haftungen nicht in diesem Ausmaß übernehmen’, gab Hundstorfer zu.” (Kurier 3.5.2006) Der Sozialdemokratie nahestehende Beobachter der Szene berichten von ihrem Problem, “gar nicht so viel fressen zu können, wie man kotzen möchte”.
Die Gewerkschaft hat kein Geld mehr, und der interimistische Vorsitzende, der noch immer den stolzen Titel “Präsident” führt, jammert im Interview – nach einem absurd-skurrilen, Karl Valentin paraphrasierenden Vorspann: “Rudolf Hundstorfer zeigt Muskeln” – über die neue materielle Abhängigkeit von der Regierung, und das mit viel “Optimismus”, weil es anders “nicht geht”:
“Wir verhandeln mit dem Finanzminister, wieweit die Haftung des ÖGB für die Bawag-Verluste gehen kann. Wir müssen bilanzierungsfähig bleiben. Das heißt, wir können nicht alles verkaufen, sondern müssen Vermögen behalten. ... Wofür wir sicher nicht haften, das sind die Verluste der Bank aus den USA. Diese können wir nicht übernehmen. ... Erstens, weil wir damit nichts zu tun haben. Und zweitens, weil wir dann gleich in den Konkurs hätten gehen können. Wozu bitte hätten wir dann eine Haftung von der Regierung gebraucht? Das hätten wir uns ersparen können. ... Im Prinzip steht es im Bawag-Gesetz, dass der ÖGB nicht insolvent werden darf. Das ist gut und richtig so und hat der Bank sehr geholfen. Aber in einer Haftungserklärung muss jetzt genau geregelt werden, wofür wir konkret haften. Wenn jetzt im Nachhinein so getan wird, als ob die Gewerkschaft für den ganzen Schaden bis zum Existenzminimum aufkommen muss, dann war's das. Die Regierung kennt unsere Grenzen. Wir sind dabei, das aufzuarbeiten. Ich bin optimistisch, dass das so kommt. Ohne Optimismus geht's nicht.” (Kurier 13.5.06)
Der ÖGB möchte die Verluste der Bawag nicht übernehmen, weil er dann “gleich” Konkurs anmelden müsse, und so etwas könne eine Regierung doch nicht wollen, insofern es sich bei ihm um eine Gewerkschaft handelt? Oder was? Zuerst eine “unbegrenzte” Haftungserklärung unterschreiben und dann darüber verhandeln wollen, wieweit sie geht? Ein Bankrotteur, der sich sehenden Auges in den Würgegriff des Staates begeben hat, will nachträglich Bedingungen stellen? Da hat der neue Vorsitzende offenbar einige Tage gebraucht, um zu begreifen, dass diese Rettung der Bawag ihre Abwicklung ist, und dass die Haftung nur der Bank, nicht aber der Gewerkschaft gilt, die natürlich auch für die Verluste in den USA geradestehen muß. Der von der Regierung grosszügig beschlossene Schutz des ÖGB vor der Insolvenz(!) bedeutet nichts anderes, dass der ÖGB nur noch zu den Bedingungen der Regierung solvent ist. Über wieviel Geld der ÖGB noch verfügt, das entscheidet ab jetzt der Finanzminister, und nach dem elementaren Zusammenhang von Ausgaben und Aufgaben entscheidet die Regierung damit, welche seiner vielen Kompetenzen und Zuständigkeiten der ÖGB in Zukunft aus finanziellen Gründen noch wird wahrnehmen können: Genau die, die ihm von der Regierung zugebilligt werden, weil sich der ÖGB sich selber – die Gewerkschaft als Organisation und Apparat – nicht mehr leisten kann. Die laufenden Einnahmen durch die Mitgliedsbeiträge decken schon jetzt nicht mehr die laufenden Personal- und sonstigen Kosten der Gewerkschaft; etwa 25% des ÖGB-Budgets kamen zuletzt als Dividende von der Bawag, die nun entfällt; dazu kommt die gewerkschaftliche Haftung für die Bank in für den ÖGB unkalkulierbarer, letztlich von der Regierung zu beschließender Höhe; und die auch schon zur Schuldenbedienung verpfändeten künftigen Mitgliedsbeiträge – wenn die Republik “einspringt”, gibt sie dem ÖGB bloß die Möglichkeit, seine Verbindlichkeiten über einen längeren Zeitraum abzustottern, die Haftung des ÖGB dauert 14 Jahre! – sinken durch eine Austrittswelle.
In einer wesentlichen Hinsicht können “die Roten” vom ÖGB nämlich wirklich “nicht wirtschaften”: Dass die Eigentümer einer Bank mit ihrem sonstigen Vermögen für deren Verluste haften, ist unternehmensrechtlich keineswegs zwingend, schon gleich nicht bei einer Aktiengesellschaft. Da wären eben im Konkursfall die Aktien entwertet, das sonstige Vermögen der Aktionäre – im Fall des ÖGB dessen andere Firmen und Immobilien – bleibt davon unberührt. Durch die von ihm akzeptierte “Staatsgarantie” hat sich der ÖGB zu einer Haftung zwingen lassen, die ihn auch noch seinen Besitz neben und jenseits der Bawag kostet. Es macht schon einen kleinen Unterschied aus, ob so ein Verein registriert, dass er Gegner hat, die seine Notlage verschärfen und ausnutzen, und dementsprechend um seine Sache kämpft – oder ob ein handzahmer ÖGB gleich auf dem Standpunkt steht, dass man durch die Duldung stinknormaler Bankmachenschaften nun gerechterweise in Schwierigkeiten steckt, und die Folgen, die andere beschließen, fatalistisch über sich ergehen lassen muß. Das Kalkulieren mit der Pleite als einer Form der Entschuldung von Bank und / oder wenigstens der Gewerkschaft, das ein wenig erpresserische Ausspielen des Schadens eines Bawag-Konkurses für die Gläubiger bzw. für den Finanzplatz Wien zugunsten von Bank und ÖGB, das ist offenbar weit jenseits des Vorstellungsvermögens anständiger und demoralisierter Gewerkschafter. Da liefern sie sich und ihren Verein lieber endgültig an eine Regierung aus, deren Feindseligkeit ihre Probleme gerade verschärft hat. Die immer praktizierte Solidarität des ÖGB mit der Republik Österreich hat in der Gewerkschaft anscheinend den Irrglauben gefördert, sie beruhe auf Gegenseitigkeit. Wenigstens den ÖGB als Konkursfall dann halt zum Teufel gehen lassen, die Mitglieder zum Austritt auffordern und eine neue Gewerkschaft gründen, das wiederum wagt kein ÖGB-Funktionär, weil noch die optimistischsten Annahmen unterstellen, dass nicht einmal die Hälfte der bisherigen beitragszahlenden Karteileichen diesen Schritt für irgendwie sinnvoll erachten und mitmachen würde. Ein ÖGB, der sich so vorführen läßt, setzt Maßstäbe für den künftigen Umgang mit ihm. Es ist also schon etwas dran am kolportierten Bild von den unbedarften Gewerkschaftern, die sich von ein paar skrupellosen Typen haben aufs Kreuz legen lassen. Eine Öffentlichkeit, die schon länger vor den intriganten Leistungen des Kanzlers auf dem Bauch liegt, feiert ihn als Retter der Bawag, als Bezwinger und Demütiger von ÖGB und SPÖ, und kriegt sich vor Begeisterung nicht mehr ein über den einzig möglichen kommenden Wahlsieger:
“An Schüssels ausgefuchster Taktik und kaltschnäuzigem Verhandlungsgeschick sind schon viele gescheitert. Doch nie war sein Erfolg bedeutender als bei der Sanierung der Bawag. Mit geringstem Einsatz von Mitteln für die Bank – faktisch kostet die 900-Millionen-Haftung die Republik keinen Euro – zwang er den Bankeigner ÖGB nach dem moralischen auch noch zum finanziellen Offenbarungseid. Schüssel hat den völlig überforderten ÖGB-Chef Rudolf Hundstorfer am Abend des für die Gewerkschaft so symbolträchtigen 1. Mai politisch ausgetrickst. Egal was der ÖGB getan oder unterlassen hätte: Die Regierung Schüssel hätte es sich nie leisten können, die Bawag in Konkurs gehen zu lassen. Der Imageschaden und der Verlust an Kreditwürdigkeit ganz Österreichs wäre nicht zu verantworten gewesen, hätte zudem auch der Regierung politisch schwerstens geschadet. Ein Verhandlungskaliber wie Schüssel hätte diese Interessenlage an Hundstorfers Stelle voll zu eigenen Gunsten ausgespielt. Aber Hundstorfer ist eben kein großes Kaliber. So ließ sich der Präsident zur totalen und demütigenden Kapitulation zwingen. Der ÖGB muss seine gesamten finanziellen Verhältnisse einschließlich des ebenso geheimnisumwitterten wie wohl im Ausmaß weit überschätzten Streikfonds offen legen und verliert damit weitestgehend sein Konflikt- und Drohpotenzial. Als weitere Demütigung zwangen Schüssel und sein Finanzminister den ÖGB zum Billigverkauf seiner 20 Prozent Anteile an der Nationalbank. Und damit zum Verzicht auf eine zumindest optisch sehr wichtige wirtschaftspolitische Machtbeteiligung. Der bisher mächtigste Gegner der Regierung Schüssel und ihrer neoliberalen Politik ist seit diesem 1.Mai zumindest auf lange Zeit zusammengestaucht. In der unvermeidlichen politischen Mithaftung mit dem siamesischen Zwilling Gewerkschaft ist auch das Image der SPÖ schwer angeschlagen, zudem fallen die sozialistischen Gewerkschafter als finanzielle und organisatorische Basis der Partei weit gehend aus. Es ist ein historischer politischer Erfolg des Kanzlers, der damit endgültig neben Bruno Kreisky zum wirkungsvollsten Bundeskanzler der 2. Republik aufsteigt. Seine Chancen, bei der Nationalratswahl wieder Erster zu werden, sind deutlich gestiegen und damit die Aussicht auf die Fortsetzung seiner Politik, wohl in anderer Koalition aber unter seiner Führung.” (Kurier 7.5.2006)
Erledigt von ihrer Bank und durch deren staatliche Rettung ist die Gewerkschaft als eigenständige, unabhängige Arbeitnehmervertretung. “Hier geht eine Welt unter. Den ÖGB, wie man ihn kannte, gibt es nicht mehr. Alles ist verspielt: Macht, Ansehen, Vermögen.” (profil 19/06)
“Der Gewerkschaftsbund ist in der Verfolgung seines Zwecks zu einem kraftvollen Mitwirken am Aufbau Österreichs, zur Wahrung der Unabhängigkeit und Neutralität unseres Landes, zur Bekämpfung des Faschismus, jeder Reaktion und aller totalitären Bestrebungen, zur Mitarbeit an der Sicherung des Weltfriedens sowie zum unentwegten Kampf zur Hebung des Lebensstandards der Arbeitnehmer Österreichs berufen.” (Aus den ÖGB-Statuten)
Der Aufbau Österreichs, die Unabhängigkeit und Neutralität des Landes, die Bekämpfung des Faschismus und Kommunismus (“aller totalitären Bestrebungen”), der Weltfrieden, und auch noch der Lebensstandard der Arbeitnehmer Österreichs – in dieser Reihenfolge. Praktisch wahrgenommen der ÖGB seine Ansprüche auf politische Mitbestimmung seit 1945 als quasi-Fraktion innerhalb der SPÖ, als eine in der SPÖ fest verankerte Partei der Arbeit. Der ÖGB – genauer: die bestimmende FSG (Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter im ÖGB) – hatte ein Gewohnheitsrecht auf einen Anteil der Mandate, die von der SPÖ als Wahlverein errungen wurden, und stellte im Gegenzug Funktionäre und Geld zur Verfügung. Beliebt ist die vom Parteigründer Viktor Adler stammende Redeweise von Partei und Gewerkschaft als “siamesische Zwillinge” im Dienst der Arbeitnehmer: “Mit der Besetzung von etwa einem Drittel der Mandatare hing jeder Regierungsbeschluss, als die SPÖ noch am Ruder war, im Parlament vom Placet der Gewerkschaft ab. Sie blockierten Pensionsreformen oder die Zusammenlegung der Sozialversicherungsanstalten. So musste Kanzler Franz Vranitzky 1990 zur Gewerkschaft pilgern, damit sie an Heinz Fischer gnädigerweise das Amt des Parlamentspräsidenten abtrat.” (Kurier 25.6.2006) Darüber hinaus war diese Partei innerhalb der Partei als anerkannter “Sozialpartner” auch unabhängig von der jeweiligen Stellung der SPÖ im demokratischen Getriebe – Regierung oder Opposition – ein innenpolitischer Faktor.
Die Meinungsforscher der Nation sind sich einig, dass die Bawag-ÖGB-Krise der SPÖ den wahrscheinlichen Sieg bei den Wahlen im Herbst gekostet hat. Die wenig ambitionierte Krisenbewältigung der Spitzen-Gewerkschafter hat die SPÖ nun selbst auf Distanz gehen lassen. Nicht einmal das billige Manöver, das in jeder Partei auf der Tagesordnung stünde, hatten die solidarischen lahmen Enten vom ÖGB hingekriegt: Ein ehrgeiziger Jungtürke ernennt sich zum Retter der Bewegung, erklärt die aktuelle Führung zu verbrauchten / erfolglosen / inkompetenten / kriminellen Versagern gegenüber dem Bankmanagement und der Regierung sowie zu Totengräbern der Gewerkschaftsidee, stellt sich an die Spitze eines Aufstandes, der durch die “personelle Erneuerung” einen “Kurswechsel” oder gleich einen “Neubeginn” signalisiert, und beweist seine Tatkraft und Kompetenz durch die Säuberung der Organisation von ihrer kompromittierten Spitze – nicht einmal das hat sich eine der Führungsfiguren zugetraut oder für nötig erachtet. Und erst recht keine Kampagne gegen Schüssel und die ÖVP wegen gewerkschafts- und finanzplatzschädigenden Verhaltens. Die SPÖ beschließt jetzt von sich aus die Trennung von ÖGB-Spitze und Parlamentsmandat; Spitzengewerkschafter können nunmehr nicht gleichzeitig auf einem SPÖ-Mandat im Parlament sitzen. Der SP-Vorsitzende Gusenbauer verweigert dem provisorischen ÖGB-Chef sogar extra eine Geste zur Gesichtswahrung, indem dieser einen ihm zu diesem Zweck angebotenen Listenplatz wenigstens selber ablehnen hätte dürfen sollen. Die Partei gedenkt ihre traditionelle und bleibende Verbundenheit mit den arbeitenden Österreichern ab jetzt eher durch “engagierte Betriebsräte” zum Ausdruck zu bringen, die mehr als glaubwürdige Vertreter des Arbeitsvolkes durchgehen mögen als die abgehobenen Gewerkschaftspolitiker.[1] Die ablehnende Forderung der FSG – “Die FSG erhebt weiter den ‘Anspruch, in allen gesetzgebenden Körperschaften mit Sitz und Stimme vertreten zu sein’. ... Sie läßt sich aber auch ‘von niemandem ... auf Teilbereiche wie KV-Politik oder betriebliche Vertretung der Arbeitnehmer reduzieren’” (Kurier 25.6.2006) “Die FSG bestehe darauf, ‘ihre Positionen im Parlament selbst zu bestimmen’, sagte Fraktionschef Wilhelm Beck. Das werde man auch Alfred Gusenbauer klar machen.” (profil 26/2006) – stellt zumindest verbal darauf ab, dass die Gewerkschaft ausgerechnet jetzt etwas vorhat, was bislang nicht zur Krisenbewältigung gehörte, nämlich um ihre Stellung zu kämpfen. Und das muss angesichts der Durchdringung der Parteigremien aller Ebenen mit Gewerkschaftern keine leere Ankündigung sein. Geschädigt von ihrer Bank und von ihrem Krisenmanagement ist die Gewerkschaft also auch noch als institutionalisierte Kraft innerhalb der SPÖ.
Derweilen beteuern die Unternehmervertretungen, die Regierung und sämtliche anderen Gewerkschaftsfeinde der Republik unisono ihr Interesse an einem “starken ÖGB”. Natürlich nicht “stark” ihnen gegenüber, sondern stark gegenüber den von ihm Vertretenen, also verläßlich, was die mit ihm paktierten Kollektivverträge und die allgemeine Ordnung des Arbeitslebens betrifft. Warum das so ist, erläutert ein Politologe in der Gewerkschaftszeitung “Solidarität”:
“Kann man sich die Zweite Republik ohne den Österreichischen Gewerkschaftsbund vorstellen? Die Stabilisierung der Demokratie, die ökonomischen Erfolge – wäre das alles möglich gewesen ohne einen Gewerkschaftsbund, der sicherstellte, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich mit dieser Republik identifizieren konnten? Die Antwort ist eindeutig Nein: Die zweite Republik ist auch das Werk des ÖGB. Das wird kaum jemand bezweifeln.” (A. Pelinka in “Solidarität”, Mai 2006)
Einen Gewerkschaftsbund, der nicht die anständigen Einkommen seiner Mitglieder, sondern – um einen in anderem Zusammenhang einschlägigen Terminus zu gebrauchen – die Integration der Arbeiterschaft trotz des für diese Leute einschlägigen “Eignungstests” namens “Arbeitsplatz” – oder Arbeitslosigkeit – in die Nation “sicherstellt”, so einen wollen sie alle; selbst diejenigen, die sich die “Identifikation” der “Arbeitnehmer mit dieser Republik” heutzutage wohl auch ohne den ÖGB vorstellen könnten. Ansprüche an die nächsten Lohnverhandlungen und an die Kriterien der “Lohnfindung” überhaupt werden jedenfalls schon angemeldet, die Verhandler der Gewerkschaft vorweg als welche diffamiert, die aus Verunsicherung unberechenbar werden:
“Der Präsident der Industriellenvereinigung, Veit Sorger, bedauert die Entwicklung im ÖGB, denn die Sozialpartnerschaft sei ein ‘Erfolgsgeheimnis’ Österreichs. ‘Mit Sorge blicken wir jetzt auf die Lohnverhandlungen. Bei den Chemie-Arbeitern und in der Elektroindustrie habe ich den Eindruck, dass die Unberechenbarkeit steigt und überhöhte Lohnforderungen durchgeboxt werden sollen.’ So wie Böhler-Uddeholm-Boss Claus Raidl sieht Sorger die Chance, Lohnverhandlungen stärker auf Betriebsebene zu verlagern. Raidl: ‘Das Vertrauen in die Zentralen der Gewerkschaft ist weg. Bei der Lohnfindung sollte nur eine Basis-Lohnerhöhung auf Bundesebene beschlossen werden. Dann sollte die Gewinn-Situation in den Betrieben berücksichtigt werden.’ Siemens-Österreich-Chefin Brigitte Ederer meint, die Schwäche des ÖGB könnte ‘vordergründig’ bei Lohnverhandlungen bequemer sein. Sie ist jedoch überzeugt, dass es ‘ein Riesen-Vorteil ist, wenn Sie jemanden gegenüber haben, der stark ist. Denn das heißt, dass er paktfähig ist.’ ... Christoph Leitl ist gerade in Paris ... ‘Ich werde hier beneidet, dass bei uns Konflikte am Verhandlungstisch bereinigt werden und nicht auf der Straße.’” (Kurier 30.4.2006)
Nun, da wird er nicht nur um die Örtlichkeit der “Konfliktaustragung” beneidet, sondern vor allem darum, dass der ÖGB über alles, was die “Flexibilisierung” und die “Prekarisierung” der Arbeiterexistenz betrifft, seit je prinzipiell gesprächsbereit ist. Der neue starke ÖGB ist jedenfalls einer, der die Stärke gegenüber seinen Mitglieder daraus bezieht, dass andere Instanzen, Staat und Kapital nämlich, ein positives Interesse an dieser Stärke haben; eine Gewerkschaft von Gnaden und auf Basis einer Lizenz der Bourgeoisie also:
“Vereinsrechtsexperte Thomas Höhne im Gespräch mit der APA ... Welches Vermögen dem ÖGB bleiben würde, sollte die Staatshaftung für die BAWAG schlagend werden, das müsste laut Höhne wohl vor Gericht geklärt werden. Nach Angaben der Regierung müsste die Gewerkschaft in diesem Fall ihr nicht betriebsnotwendiges Vermögen veräußern. Auf jeden Fall ‘betriebsnotwendig’ wären laut Höhne beispielsweise die Gewerkschaftszentralen. Weniger klar sei die Lage aber bei den Gewerkschaftserholungsheimen oder bei Anteilen an Verlagen und Druckereien. Und auch inwiefern ein Streikfonds zum betriebsnotwendigen Vermögen einer Gewerkschaft zählt, ist für Höhne unklar.” (www.orf.at 16.6.2006)
Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung sind solche Vereine als “gelbe” Gewerkschaften bekannt. An dieser Transformation des ÖGB ändert auch die risikolose Prognose nichts, dass kein normales ÖGB-Mitglied während der Arbeit oder der Arbeitslosigkeit einen großartigen Unterschied zum status quo ante bemerken wird, schon gar nicht dort, wo es drauf ankommt, nämlich beim Einkommen. Das, was wahlweise dem “neoliberalen Zeitgeist” oder, realitätsnäher, der Standortkonkurrenz der europäischen Demokratien geschuldet ist, nämlich die strukturelle Abwrackung sozialstaatlicher Betreuung und die damit einhergehende Zurückstufung von deren gewerkschaftlichem Anwalt, in Österreich vorangetrieben von der ÖVP-FPÖ-Regierung mit Pensionsreform und Sozialstaatsumbau, das vollendet sich als umfassendes Desaster des ÖGB.
[1] Bewährte Techniken des arbeitsteiligen Einseifens der “Zwillinge” werden aus diesem Anlaß und im nachhinein als Beschiß entlarvt: “Das war teilweise schon unerträglich, als die Gewerkschaft gegen Maßnahmen der seinerzeitigen – SPÖ-geführten, Anm. – Regierung demonstriert hat und gleichzeitig im Parlament diese Maßnahmen mitbeschlossen hat.” (Gusenbauer im Interview, Kurier 25.6.2006)