GEGENARGUMENTE

Fortschritte des US-Antiterrorkriegs im Nahen Osten:

1) Israels Rückzug aus dem Gazastreifen

Auch nach dem Abzug der Siedler und der Armee aus dem Gazastreifen demonstriert Israel, dass es nach wie vor die Kontrolle über dieses selbstverwaltete Internierungslager für 1,5 Millionen Palästinenser behält: Letzte Woche gab es wieder die präventiven Hinrichtungen mutmaßlicher Terroristen und vor einer Wiedereröffnung des Flughafens muss die Abbas-Administration erst den Beweis erbringen, dass sie mindestens ebenso rücksichtslos gegen militanten Widerstand vorgeht, wie Armee und Polizei der Besatzungsmacht. Es zeigt sich jetzt, dass der von den USA Scharon im April 2004 abgehandelte einseitige Rückzug aus dem Gazastreifen von Israel als diplomatischer Schachzug zur endgültigen Abwicklung "road map" konzipiert wurde. Weil Israel "keinen Partner auf palästinensischer Seite" habe, mit dem es über einen Frieden verhandeln kann, sind alle international abgesegneten Verhandlungspläne illusorisch, ergo null und nichtig. Israel entscheidet ab sofort einseitig – natürlich in Absprache mit den USA -, wie es mit den Palästinensern verfährt.

Da die Bush-Regierung die militärische Eliminierung der Palästinensischen Autonomiebehörde samt Abschiebung der Palästinenser in die arabischen Nachbarstaaten immer noch nicht zulässt, setzte Scharon das Palästinenser-Ghetto in und um Gaza durch. Dieses Zugeständnis haben die USA verlangt, die zwar weiterhin strikt parteilich für Israel sind, aber den anti-palästinensischen Kampf Israels nicht mehr mit "Kampf gegen den Terror" gleichsetzen und bedingungslos unterstützen. Bush will nun auch den neuen Palästinenser-Präsidenten Abbas für seinen "Krieg gegen den Terrorismus" benutzen und gibt ihm die großartige Chance, sich in diesem Kampf praktisch zu bewähren, indem er innerhalb seines Kommandobereichs mit "terroristischen Bestrebungen" aufräumt – woran er dann ständig seine Zuverlässigkeit unter Beweis stellen muss. Die USA haben deswegen Israel aufgetragen, durch den Rückzug aus 365 idyllisch am Mittelmeer gelegenen Quadratkilometern Sand und Dünen die "Vision eines palästinensischen Staates" irgendwie am Leben zu erhalten. Das widerspricht zwar dem zionistischen Staatsgründungsprogramm Israels und behindert seinen Willen, Palästinensergebiete zur Wiederherstellung von Erez Israel in seinen alttestamentlichen Grenzen zu annektieren. Aber Scharon, der sich seinem Schutzherrn weder verweigern kann noch will, weiß, welche Vorteile in diesem Zugeständnis enthalten sind und wie er sie für seine Sache einsetzen wird.

Für Palästina wesentliche Staatsgründungs-Fragen – Grenzen, Rückkehr der Flüchtlinge und palästinensische Hoheitsrechte – sind damit vorentschieden, und zwar zugunsten Israels. Die USA gestehen Israel nämlich als Lohn für die freiwillige Räumung eines Stücks eroberten Gebietes ein wesentlich größeres Territorium zu, als in den einschlägigen UNO-Resolutionen beschlossen:

"Im Lichte der neuen Realitäten im Lande, insbesondere bereits existierender großer Zentren mit israelischer Bevölkerung, ist es unrealistisch zu erwarten, dass sich bei den Endstatus-Verhandlungen eine vollständige Rückkehr zu den Waffenstillstandslinien von 1949 ergeben wird... Es ist realistisch anzunehmen, dass ein Endstatus-Vertrag nur auf Basis beidseitig akzeptierter Veränderungen, die die Realitäten berücksichtigen, erreicht werden kann." (Bush in einem Brief an Scharon)

Die USA akzeptieren damit den Fortbestand der großen israelischen Siedlungsblöcke im Westjordanland mit der Einschränkung, dass Israel sie nicht ausweitet. Die von Israel seit 1967 geschaffenen Fakten werden damit von der Weltaufsichtsmacht ratifiziert. Bush segnet auch die zum großen Teil auf palästinensischem Boden errichtete Mauer als eine "Sicherheits-Grenze" zum "Schutz der jüdischen Bevölkerung" ab.

Israel weitet mit der Integration von Siedlungen ins israelische Kernland nicht nur sein Staatsgebiet aus, sondern präjudiziert für jeden irgendwie dennoch einmal entstehenden palästinensischen Staat, dass dessen Ökonomie und Administration unter der Kontrolle der israelischen Regierung steht und von deren Lizenzen abhängt. Ostjerusalem, de facto ohnehin schon annektiert, wird vom palästinensischen Territorium abgeschnitten. Durch die Erweiterung israelischen Hoheitsgebiets wird jeder künftige Palästinenserstaat in zwei voneinander getrennte Gebiete zerstückelt.

Wenn schon ein "palästinensischer Staat" wegen der amerikanischen Nahost-Politik langfristig nicht verhindert werden kann, dann soll er sich auf den Gazastreifen beschränken. Das hat erstens harte Konsequenzen für die Flüchtlingsfrage, derentwegen die palästinensische Staatsgründungsbewegung nicht zuletzt entstanden ist. Präsident Bush hat Scharon in dem bereits zitierten Brief zugesichert, dass

"die USA fest der Sicherheit Israels und seinem Wohlergehen als jüdischer Staat verpflichtet sind. Es scheint klar, dass eine einmütige, gerechte, faire und realistische Lösung für das Problem der palästinensischen Flüchtlinge als Teil des Endstatusvertrags nur durch die Gründung eines palästinensischen Staates und die Ansiedlung der Flüchtlinge in ihm – nicht in Israel – gefunden werden kann."

Washington erkennt das völkische Staatsprogramm Israels an und akzeptiert, dass dessen Regierung die Rückkehr volksfremder Elemente ablehnt. Das "Recht auf Heimat" der Palästinenser kann "realistischer"weise bestenfalls als Unterbringung in einem noch zu schaffenden Palästinenser-Ghetto durchgesetzt werden. Zweitens gesteht der US-Präsident Israel auch ausdrücklich das Recht zu, die Außengrenzen des Gazastreifens nach der Räumung weiter zu kontrollieren, gewährt der Autonomiebehörde also keinen von ihr gesicherten Weg – eine so genannte "gesicherte Passage" – zwischen Gaza und der Außenwelt:

"Die Vereinigten Staaten gehen davon aus, dass nach dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen – vorbehaltlich neuer Vereinbarungen – die existierenden Regelungen über die Kontrolle des Luftraums, der Territorialgewässer und der Land-Passagen zwischen Gaza und der Westbank in Kraft bleiben." (ebd.)

Diese Regelung, die mit dem legitimen Sicherheitsbedürfnis des jüdischen Staates begründet wird, gestattet Israel auch ohne militärische Okkupation die wirtschaftliche und politische Kontrolle der Palästinenserautonomie. Deren Forderungen, wenigstens Ägypten oder der UNO die Kontrolle der Land- und Seegrenzen sowie des Luftraums zu übertragen, wenn ihr dieses Souveränitätsrecht verweigert wird, um damit die Abhängigkeit von Israel zu reduzieren, stoßen auf massive Vorbehalte. Israel will sich die Oberaufsicht über die palästinensische Selbstverwaltung nicht nehmen lassen und besteht auf seinem Recht, jederzeit im Gazastreifen einzumarschieren, wenn es seine Sicherheitsinteressen erfordern.

Die USA interpretieren wegen des "mutigen Schritts", den Scharon mit dem Abzug aus Gaza angeblich "vorgeleistet" hat, die "road map" weitgehend in der Auslegung der israelischen Regierung. Bush in seinem Brief:

"Nach der road map müssen die Palästinenser unmittelbar und überall den Stopp von bewaffneten Aktivitäten und gewalttätigen Handlungen gegen Israelis herbeiführen; alle offiziellen palästinensischen Institutionen müssen die Hetze gegen Israel einstellen. Die palästinensische Führung muss entschlossen gegen den Terror vorgehen; dazu gehören dauerhafte, gezielte und effektive Operationen zur Beendigung des Terrorismus und die Zerstörung terroristischer Potentiale und Infrastruktur. Die Palästinenser müssen eine umfassende und grundlegende politische Reform durchführen, dazu gehören eine starke parlamentarische Demokratie und ein mit Macht ausgestatteter Ministerpräsident." (ebd.)

Jetzt hat Israel nach Auffassung seiner Regierung mit dem einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen bereits das ihm zumutbare Maß an Gegenleistung erfüllt, weshalb Scharon von den Palästinensern eine vollständige Erfüllung aller Forderungen verlangt, noch bevor Israel in substantielle Verhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde eintritt. Scharon setzt darauf, dass Abbas das Kunststück nicht fertig bringt, sein Volk einschließlich der bewaffneten Milizen dazu zu bringen, den Widerstand gegen die Besatzungsmacht aufzugeben; also daran scheitert, Menschen in unerträglichen Lebensbedingungen von der Chance auf eine entscheidende Verbesserung zu überzeugen, ohne die geringsten Anzeichen eines israelischen Entgegenkommens vorweisen zu können. Das Scheitern von Abbas würde dann das Argument liefern, mit dem die USA endlich zur Übernahme der israelischen Position zu bewegen wären, dass eine Demokratisierung der Palästinenser nicht machbar ist. Wenn die USA schon darauf bestehen, dass die Palästinenser eine Heimstatt neben Israel erhalten, dann soll die keinesfalls mehr werden als ein vom jüdischen Staat total kontrolliertes und abhängiges Homeland in möglichst engen Grenzen.

Obwohl die Disengagement-Politik Scharons also mitnichten ein "Verzichtsprogramm" ist, wirft ihm eine sehr starke Minderheit der Israelis gerade das vor. Wegen des Rückzugs ist Dauerkrise im Kabinett, und der Likud-Partei droht die Spaltung. Hunderttausende demonstrierten und schmähten ihren Ministerpräsidenten als "Verräter" und "Nazi". Scharons Schritt spaltet die Nation, weil er im Widerspruch zur jahrzehntelang gepflegten Staatsräson Israels steht, nach der es ein Sakrileg ist, jüdischen Boden aufzugeben. Auch wenn Scharon persönlich sein "tiefstes Bedauern" ausdrückt und auf die "Veränderung der Realität" hinweist – gegen die Ideologie vom "auserwählten Volk" und "dem Land der Väter" ist damit nicht anzukommen. Sein Pragmatismus, sich dem Druck der USA erst einmal zu beugen, um sich ihre Unterstützung zu erhalten, Erfolge sicherzustellen, um damit günstigere Voraussetzungen für die Erreichung des eigentlichen Ziels zu schaffen, ist für zionistische Fundamentalisten einfach unerträglich.

Die massive Opposition gegen den Rückzug ist für Scharon allerdings auch sehr funktional. Sie liefert der Weltöffentlichkeit und insbesondere den USA den anschaulichen Beweis, dass die israelische Regierung mit der Aufgabe des Gazastreifens an die äußerste Grenze dessen gegangen ist, was Israel mit seinen auf Bibel und Holocaust gegründeten, also moralisch unwidersprechlichen territorialen Besitzansprüchen, zuzumuten ist.

 

2) Wie die palästinensische Autonomiebehörde durch mehr Demokratie unter Anleitung der USA und durch die gewaltsame Durchsetzung eines Gewaltverzichts gegen Hamas und andere radikale Gruppen Israel dazu bringen will, doch noch einen palästinensischen Staat zuzulassen.

Die palästinensische Politik hat seit der Wahl von Abbas zum Präsidenten im Januar die bewaffnete Intifada gegen die israelische Besatzung für beendet erklärt:

"… jeder Krieg hat ein Ende ... jetzt ist die Zeit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen." (Abbas im Interview, NYT, 14.2.)

Mit seiner freiwilligen Unterordnung unter die globale "Bekämpfung des Terrors" und der Einführung demokratischer Strukturen setzt Abbas darauf, dass die USA die Gründung eines palästinensischen Staats, der sich im Sinne der amerikanischen Anforderungen reformiert, bei der Regierung in Jerusalem durchsetzen. Abbas wird dafür nach Washington eingeladen und mit viel Lob bedacht:

"Die Wahl von Präsident Abbas vor vier Monaten ist ein Zeichen für die Anerkennung der Attraktivität und der Stärke der Demokratie [...] in der ganzen Region. Die Palästinenser stimmten gegen die Gewalt und für die Souveränität, weil nur der Sieg über die Gewalt zur Souveränität führt. [...] Wir werden Ihnen zur Seite stehen, Herr Präsident, wenn Sie die Korruption bekämpfen, den palästinensischen Sicherheitsapparat und das Justizsystem reformieren und Ihre Wirtschaft wieder beleben." (Ansprache Bushs beim Besuch von Abbas, Jordan Times, 27.5.)

Dafür setzt Bush allerdings Bedingungen: Abbas soll die militanten Palästinenser entwaffnen und hinter Gitter bringen, obwohl er noch nicht einmal über einen dafür geeigneten Sicherheits- und Justizapparat verfügt. Dennoch soll er das sorgfältig austarierte System von Polizeikräften, Milizen und Geheimdiensten – unter Arafat eine relativ verlässliche Stütze der Autonomiebehörde – abschaffen, um es durch ein aus Sicht Washingtons übersichtlicheres und vertrauenswürdigeres zu ersetzen. Die USA verlangen neue Figuren in der politischen Führung, denen sie größere Kooperationsbereitschaft zutrauen, und "vollständige Transparenz" in der Verwaltung der Gelder, über die die Autonomiebehörde verfügt. Zudem soll die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) eine "Wiederbelebung der Wirtschaft" schaffen, obwohl das Gros der Palästinenser entweder von Tagelöhnerei bei israelischen Arbeitgebern oder von Zuwendungen des UNO-Flüchtlingshilfswerks (über)lebt.

Als Gegenleistung ist Bush zu mehr als einer Empfehlung an Scharon, ein lebensfähiges Staatswesen für die Palästinenser nicht schon im Vorfeld zu verbauen, nicht bereit. Die US-Regierung hat kein positives Interesse an der Gründung eines souveränen palästinensischen Staates, schon gar nicht in den Dimensionen, die die Palästinenser fordern. Sie ziehen bestenfalls die Gründung eines palästinensischen Homelands in Betracht, das sich bloß deshalb "Staat" nennen darf, weil es von den USA und ihren Verbündeten, vor allem aber von Israel kontrolliert wird. Entscheidend ist für Bush, die Stellung Israels als verlässliche Kontrollmacht in der Region zu festigen. Darum sollen zur Beilegung des Nahost-Konflikts auch in erster Linie die arabischen Nachbarn ihre Haltung zu Israel und der amerikanischen Aufsichtsmacht ändern. Bevor Israel in die Pflicht genommen wird, sind erst einmal die arabischen Staaten gefordert:

"Die arabischen Staaten müssen konkrete Maßnahmen treffen, um ein dem Frieden förderliches regionales Umfeld zu schaffen. Sie müssen finanzielle Hilfe anbieten, um die Friedensbemühungen von Präsident Abbas zu unterstützen. Und sie müssen sich weigern, Terroristen zu helfen oder Unterschlupf zu gewähren." (ebd.)

Wie der Lohn dafür ausfallen wird, lässt die Bush-Regierung ganz bewusst im Ungewissen. Der einzige Fortschritt, den Abbas für sich verbuchen kann, ist, dass ihm die Feindschaft Amerikas vorerst erspart bleibt – solange die USA auf ihn als "Hoffnungsträger" setzen. Um sich diese Position zu erhalten, kommt Abbas den Forderungen der USA nach. Er handelt mit den militanten palästinensischen Gruppen einen Waffenstillstand aus. Israel verspricht ihm dafür, dass es die Liquidierungsaktionen gegen Hamas und Dschihad einstellt und nur noch "Attentäter auf dem Wege zur Tat" vorbeugend hinrichtet. Er wechselt die Führung der Sicherheitsdienste aus. Das Finanzwesen wird neu geordnet, Kommunalwahlen werden durchgeführt und Parlamentswahlen angesetzt.

Abbas will die radikalen Kräfte in die PA integrieren, um den USA zu beweisen, dass ein friedlicher Palästinenserstaat möglich ist, wenn Israel seinerseits den Krieg beendet und ihn zulässt. Dafür braucht er die Unterstützung der radikalen Gruppen, die Kooperation Israels und schließlich vor allem die Hilfe der USA.

Deswegen setzt sich Abbas seitdem mit Israel nur noch über die Bedingungen auseinander, unter denen es überhaupt bereit ist, einen "Prozess vertrauensbildender Maßnahmen" einzuleiten. Israels offensive "Sicherheitspolitik" sabotiert nämlich alle Bemühungen der PA um die Befriedung ihres Gemeinwesens und ein einvernehmliches Stillhalteabkommen mit den Radikalen. Gleichzeitig verhindert die israelische Regierung, dass die palästinensische Polizei mit längst bereitgestellten Waffen ausgerüstet wird, um ihrer Aufgabe, Anschläge gegen Israel zu unterbinden, gerecht werden zu können.

Die PA ist dabei in jeder Hinsicht auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen: aus Ländern, die auf politischem Wohlverhalten als Vorbedingung für Hilfeleistung bestehen und bei den Kriterien für solches Wohlverhalten weitgehend der Lesart Israels folgen. Allen seinen Unterstützern muss Abbas daher beständig Gutwilligkeit und Erfolge bei der Gleichschaltung seines Gemeinwesens vorweisen. Ägypten nimmt den "Friedensprozess" z. B. als Gelegenheit wahr, sich als regionale Ordnungsmacht ins Spiel zu bringen; die EU-Staaten und Russland bieten Abbas finanzielle Unterstützung an, um ihren Einfluss in der Region zu wahren, wollen aber auch Konflikte mit den USA vermeiden. Die haben nämlich die Oberaufsicht: General Ward überwacht den Umbau der Sicherheitsapparate, der ehemalige Weltbank-Präsident Wolfensohn überprüft die Vorschläge der Palästinensischen Autonomiebehörde, die diese zur Linderung der unerträglichen Lebensverhältnisse infolge des Mauerbaus macht und koordiniert die Pläne für die Nutzung der frei gewordenen Gebiete im Gazastreifen. Nach den Erfolgen der Hamas bei den Kommunalwahlen drängt Washington, das der PA jahrelang manipulierte Wahlen vorgeworfen hat, Abbas, die Parlamentswahlen um ein halbes Jahr zu verschieben. Bis dahin soll er die Entwaffnung der militanten Gruppierungen vorantreiben und den Sieg gemäßigter Kräfte bei dem anstehenden Urnengang sicherstellen. In seiner eigenen Fraktion, der Fatah, hat Präsident Abbas es mit alten Kadern zu tun, die im Verzicht auf den bewaffneten Kampf nicht einen neuen Weg zu einem palästinensischen Staat, sondern die Preisgabe der "palästinensischen Sache" überhaupt sehen: eine Unterwerfung unter israelisches Diktat und die Anerkennung der Pflicht, als verlängerter Arm israelischer Sicherheitsinteressen zu fungieren. Alle Palästinenserfraktionen haben zwar im März die "Kairoer Erklärung" unterschrieben, in der ein Waffenstillstand festgelegt wurde. Gleichzeitig verpflichten sich die Unterzeichner aber auf das Ziel "eines souveränen palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt" und das "Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre Heimat zu ihren Besitztümern". Sie unterstreichen das "Recht auf Widerstand" und fordern die "Freilassung aller palästinensischen Gefangenen". Je mehr sich Israel weigert, seine Versprechen einzuhalten, desto brüchiger wird der Waffenstillstand, desto schärfer wird gleichzeitig die Kritik an Abbas als "Handlanger der USA" und desto offensiver wird die Autorität der palästinensischen Regierung in Frage gestellt.

Die Bemühungen des palästinensischen Autonomiepräsidenten, Hamas und Dschihad in eine "Regierung der nationalen Einheit" einzubinden, sind folgerichtig gescheitert. Hamas will nicht bei einer Politik kollaborieren, mit der der Gazastreifen in ein "großes Gefängnis" für Palästinenser verwandelt würde. Sie wäre bereit "das Existenzrecht Israels anzuerkennen", aber nur, wenn die Palästinenser dafür "einen souveränen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt" erhalten, mit weniger will sie sich nicht zufrieden geben. Vor der Wahl kommt eine Unterordnung unter die amtierende Regierung schon gleich nicht in Betracht. Dass Hamas sich im Falle einer Niederlage der auf Amerika ausgerichteten Politik unterordnen würden, verspricht sie nicht und ihre Waffen will sie auch nicht abgeben, bevor "Israel alle besetzten Gebiete geräumt hat". Der Waffenstillstand während des Abzugs der Israelis aus dem Gazastreifen wurde nur deshalb eingehalten, weil Hamas keine "nationale Katastrophe" wolle. Noch während des Rückzugs feiert die Hamas mit martialischen Aufzügen ihrer "Volksarmee" den Rückzug Israels als Sieg ihres Widerstandes und droht damit, die frei gewordenen Gebiete zu besetzen, damit nicht die PA im Alleingang entscheidet, was aus ihnen wird.

In dieser Lage versichert Präsident Abbas: "Es kommt keineswegs zu einem Bürgerkrieg." Nur – woraus speist sich eigentlich seine Zuversicht? Die Gegensätze zwischen den Parteien produzieren doch fortlaufend Gründe & Anlässe für Bürgerkrieg. Die Abbas-Leute setzen ganz offen auf machtvolle äußere Kräfte im arabischen Lager, die die Radikalen zügeln. Deshalb hofft Abbas, dass die radikalen Gruppen aus Furcht vor einer "nationalen Katastrophe" vor einem Bürgerkrieg zurückschrecken, den sie ohnehin nicht gewinnen können und der nur Israel in die Hände spielen würde.