GEGENARGUMENTE

Gewerkschaft historisch: "Rote" und "gelbe" Arbeitervereine

Unter Linken und besonders unter Linken oder kritischen Gewerkschaftern, die die Politik des ÖGB im Grunde genommen ablehnen, existiert einerseits eine charakteristische Art von Kritikverbot gegenüber dem ÖGB, wonach maximal eine kritische Unterstützung dieses Vereins zulässig sei. Denn der ÖGB sei nun einmal eine bzw. sogar die Organisation der Arbeiter hierzulande, und insofern müsse man sie zumindest schon dafür würdigen oder sogar "verteidigen". Diese Position ist ziemlich unvernünftig, weil sie allein schon die bloße Existenz der Gewerkschaft zu einem positiven Argument für die Gewerkschaft macht, und die naheliegende und entscheidende Frage, was der ÖGB denn so treibt und was die Mitglieder davon haben, ausklammert oder zumindest als nachrangig behandelt.

Es gibt andererseits gerade unter Linken durchaus noch eine Erinnerung daran, daß nicht jede Arbeiterorganisation schon deswegen in Ordnung ist, weil es sie immerhin gibt. Es gibt (bzw. gab) unter Linken schon noch das Gedenken an sogenannte "gelbe" Gewerkschaften – auch das sind oder waren Arbeitervereine, die sich aber der Klassenkollaboration verschrieben haben, und die dementsprechend als ihren ersten Gegner nicht das Kapital oder die Kapitalistenklasse gesehen haben, sondern diejenigen linken Arbeitervereine, die (damals) noch klassenkämpferisch unterwegs waren.

Die unbeabsichtigt tragikomische Synthese von einerseits und andererseits ist ein Buch, das im Verlag des ÖGB erschienen ist. Es trägt den Titel "Die Gelben Gewerkschaften Österreichs in der Zwischenkriegszeit". In diesem Buch findet sich auf Seite 9 eine Definition der "Gelben Gewerkschaften", und diese Definition zeitigt eine bemerkenswerte Nebenwirkung. Wenn man sie gelten läßt, dann stellt sich nämlich heraus, daß der ÖGB, und zwar nach diesen seinen eigenen Kriterien – kritische Gewerkschaftsfreunde, bitte Sicherheitsgurt anlegen –: eine gelbe Gewerkschaft ist. Die Definition im Wortlaut:

"Unter ‘Gelben Gewerkschaften’ versteht man diejenigen Koalitionen von Arbeitnehmern, die auf dem Standpunkt der Interessensharmonie von Kapital und Arbeit stehen und zumindest praktisch auf den Streik als ... gewerkschaftliches Kampfmittel verzichten, da sie moralisch und/oder finanziell vom Arbeitgeber abhängig sind." [Keindl Rudolf, Die gelbe Bewegung in Österreich vor dem 1. Weltkrieg, Diplomarbeit 1975] "Ziele der Gelben sind die Umwandlung des Lohnwesens in der Richtung, daß Arbeit, Kapital und Intelligenz in enger Verknüpfung gleichsam einen einzigen Körper und eine Seele bilden ... Die Gelben betrachten sich als einzige erfolgreiche Bewegung den verbrecherischen und staatsgefährlichen Treiben der Sozialdemokraten ein Paroli zu bieten und ihre Übermacht auch in Österreich zu brechen." [Die Arbeit, Nr. 1004 vom 12.1.1908] "In ihrer grundsätzlichen Einstellung sind sie strikt gegen den Sozialismus und gegen die sozialdemokratisch orientierte Gewerkschaftsbewegung." (Walter Göhring, Die Gelben Gewerkschaften Österreichs in der Zwischenkriegszeit, Verlag des ÖGB 1998, S.9)

Im Einzelnen: Gelbe Gewerkschaften stehen auf dem Standpunkt der Interessensharmonie von Kapital und Arbeit und verzichten auf den Streik als gewerkschaftliches Kampfmittel – das trifft auf den ÖGB zu. Der war immer stolz darauf, daß er nicht streikt, und wenn er streikt, so wie gegen die Pensionsreform, dann ist dieser "Streik" kein Kampfmittel, weil er niemanden schädigen soll, sondern entgleist in eine Demonstration der Ohnmacht der armen Leute, die sich anständig und redlich in ihr Schicksal fügen.

Ziele der Gelben sind weiters die Umwandlung des Lohnwesens in der Richtung, daß Arbeit, Kapital und Intelligenz in enger Verknüpfung gleichsam einen einzigen Körper und eine Seele bilden – trifft auch auf den ÖGB zu. Wenn man die etwas pathetische Ausdrucksweise einmal vernachlässigt und ebenso, daß die "Intelligenz" damals noch als eigener Stand gehandelt wurde, dann ist die Vorstellung der "engen Verknüpfung" von Arbeit und Kapital eine Vorwegnahme dessen, was heute "Sozialpartnerschaft" heißt. Die "Gelben" waren schon für Sozialpartnerschaft, als es das Wort noch gar nicht gab.

Als dritte Bestimmung der "Gelben" referiert die Definition deren Bestreben, dem verbrecherischen und staatsgefährlichen Treiben der Sozialdemokraten ein Paroli zu bieten und ihre Übermacht auch in Österreich zu brechen. Mit "verbrecherisch und staatsgefährlich" sind die heute überholten historischen sozialdemokratischen Bekenntnisse zum Klassenkampf und zum Sozialismus gemeint – und die Bekämpfung "verbrecherischer und staatsgefährlicher" Manöver dieser Art gehört inzwischen zum Traditionsbestand des ÖGB. Der hat bekanntlich nach 1945 ein einziges Mal ernsthaft gekämpft, und zwar, typisch für eine "Gelbe Gewerkschaft", gegen den Klassenkampf von unten bzw. gegen eine Streikbewegung. Gemeint damit ist natürlich der sogenannte "Putschversuch" der KP, also die Massenstreiks des Jahres 1950 gegen das damals vom ÖGB abgeschlossene "Lohn-Preis-Abkommen" – jene Streikbewegung, die von der Bau-Holz-Gewerkschaft unter dem Freiheitshelden Olah niedergeprügelt wurde. Gegen den Staat oder das Kapital hat der ÖGB jedenfalls nie eine derartige Militanz an den Tag gelegt.

Als letzte Bestimmung erwähnt die Definition die grundsätzliche Einstellung der "Gelben" strikt gegen den Sozialismus und gegen die sozialdemokratisch orientierte Gewerkschaftsbewegung. Nun, nachdem inzwischen auch die sozialdemokratische Gewerkschaftsbewegung in der Frage "Freiheit oder Sozialismus" eine eindeutige Entscheidung getroffen hat, stünde heute also einer Fusion von "Gelben" und Sozialdemokratischen Gewerkschaften – auf antikommunistischer Basis – nichts mehr im Weg.

Um auch noch die in der Definition den Gelben nachgesagte moralische und/oder finanzielle Abhängigkeit vom Arbeitgeber zu erwähnen: Das eine trifft auf den ÖGB nicht zu. Der ÖGB ist finanziell unabhängig und unterhält eine ordentlich dotierte Kasse mit dem unsachlichen und irreführenden Namen "Streikfonds". Eine moralische Abhängigkeit kennt der ÖGB aber schon: Er fühlt sich der Demokratie verpflichtet, auf Kosten seiner Mitglieder. ÖGB-Chef Verzetnitsch hat, nach dem Beschluß der Pensionsreform im Parlament, den Abbruch der gewerkschaftlichen "Aktionen" gegen die Reform damit begründet, daß er demokratische Entscheidungen respektieren müsse, auch wenn sie ihm nicht gefallen. Da kürzt also die Demokratie die Altersbezüge der ÖGB-Mitglieder um anfänglich 10% mit der Vorankündigung weiterer Senkungen, und zwar "von oben herab", also ohne die bisher übliche Beteiligung des ÖGB am Sozialabbau, was der Gewerkschaftsboss in einer empörten Aufwallung als "Pensionsraub" bezeichnet. Er erinnert sich aber rechtzeitig daran, daß die Gewerkschaft ihre Macht nicht gegen die Demokratie – das ist jene Staatsform, die Gewerkschaften zuläßt – und deren "Pensionsraub" einsetzen darf, wo doch in der Demokratie solche Gewerkschaften immerhin zugelassen sind ...

Diese sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Definition der "Gelben" hat also durchaus etwas Peinliches an sich, indem da der heutige ÖGB selber darunter fällt, was dem Autor und dem Lektorat aus einem sehr schlichten Grund nicht auffallen konnte: Das stolze Selbstbewußtsein, das Erbe der damaligen Roten "Freien Gewerkschaften", des historischen Gegners der "Gelben", angetreten zu haben, macht offenbar immun gegen die sorgfältige Lektüre der eigenen Forschungsergebnisse.

Die "Gelben": Feinde des "Marxismus

Die Definition selbst ist allerdings insofern mangelhaft, als sie den Grund der Frontstellung der "Gelben" gegen die "Roten" Gewerkschaften einfach unterschlägt, und ebenso eine nicht ganz unwichtige Weiterentwicklung der Sozialdemokratie. In dem Büchlein aus dem ÖGB-Verlag finden sich dazu einige Hinweise aus der Agitation der damaligen "Gelben":

"Worauf arbeiten die Roten hin?
Auf Zerstörung und Vernichtung des Privateigentums.
Worauf arbeiten die Gelben hin?
Auf Erhaltung und Erwerb von Eigentum und Besitz für die Arbeiter." (aus "Arbeit und Wirtschaft", 1.10.1929, dokumentiert in "Die Gelben ...")

Nun, daß die "Roten" auf die "Zerstörung und Vernichtung des Privateigentums" hinarbeiten, das muß man wohl als haltlose Verleumdung abbuchen. Da heben die "Gelben" die früheren sozialdemokratischen Phrasen vom Sozialismus als einem irgendwie doch anzustrebenden "Fernziel" wesentlich ernster genommen als die Sozialdemokratie selber.

"Glaubensbekenntnis der Gelben Gewerkschaften 1933

Fort mit dem Namen ‘Proletariat’!
...
Er wurde dem Arbeiterstande aufgestempelt, um ihn aufzustacheln zum Klassenkampf!
Er ist eine hysterische Übertreibung zum Zwecke der Aufreizung!
Wir wollen keine Diktatur des Proletariats, wir wollen, daß das Proletariat verschwindet!
Daß der mit seinen Händen arbeitende Volksgenosse aufgenommen wird in die Gesamtheit der Volksgenossen wie der höchste geistige Arbeiter!
Daß er dazugehört! Der Name Proletariat ist eine Beschimpfung! Fort mit ihm!" (Glaubensbekenntnis der Gelben Gewerkschaften 1933, dokumentiert in "Die Gelben ...")

Kurz, auf ihre Weise waren auch die "Gelben" für die "Aufhebung des Proletariats"; und zwar dadurch, daß das Proletariat jede Frontstellung gegen die kapitalistischen Verhältnisse aufgibt, und sich dadurch zur Aufnahme in die Reihen der ordentlichen Bürger qualifiziert.

"Fort mit dem Klassenkampf!
Es gibt keine Arbeitgeber und Arbeitnehmer!
Der Arbeitgeber ist auch nur ein Arbeitnehmer – bei denjenigen, die ihm Aufträge geben!
Wenn er keinen Auftrag bekommt, kann er auch keine Arbeit geben!
Das haben die Arbeiterkameraden am eigenen Leib erfahren!
Wir wollen keinen Klassenkampf, wir wollen Arbeit! Der Klassenkampf vernichtet die Arbeit! Fort mit ihm!" (Glaubensbekenntnis ...)

Daß der Klassenkampf eine Erfindung der Marxisten ist, wohingegen in Wahrheit alle in einem Boot sitzen, das habe die "Gelben" also auch schon gewußt, und gegen den "Neoliberalismus" wären sie auch gewesen, so wie der ÖGB heute – zumindest waren sie damals gegen den damaligen "Liberalismus" und kämpften um ein "Arbeitsrecht":

"Fort mit der falschen Freiheit!
...
Aber in der Wirtschaft darf jeder tun, was er will! Wer sagt das? – Der Liberalismus!
In der Wirtschaft ist der Mensch frei! Die Folge davon ist Ausbeutung auf der einen Seite, Klassenkampf auf der anderen!
Wir wollen diese falsche Freiheit nicht, wir wollen ein Arbeitsrecht! Das bestimmt, was jedem Arbeiter zukommt!
...
Wenn es ein Strafrecht gibt, warum nicht auch ein Arbeitsrecht? Die Wirtschaftsfreiheit ruiniert die Wirtschaft! Fort mit ihr!" (Glaubensbekenntnis ...)

Und selbstverständlich waren die "Gelben" auch für Gewerkschaften, für die richtigen halt, weil nur durch eine vernünftige Gewerkschaft die Interessenharmonie von Kapital und Arbeit praktisch zustande kommt:

"Fort mit den falschen Gewerkschaften!
Sie bauen Häuser auf morschen Gründen! ... Mit Ziegelsteinen marxistischer Irrlehren!
Arbeitnehmer gegen Arbeitgeber! Dieser Grundsatz ist marxistisch ... Die Grundlage ist ein Stück Klassenkampf!
Wir wollen diese Gewerkschaften nicht, wir wollen eine Gewerkschaft des Ständestaates! Die Unabhängige Gewerkschaft sammelt die Arbeitnehmer!" (Glaubensbekenntnis ...)

Fazit: Die "Gelben Gewerkschaften" waren bloß ihrer Zeit voraus. Die waren schon damals genau so offensiv antikommunistisch und für den Kapitalismus wie der ÖGB seit 1945, und sie waren schon damals für eine "Sozialpartnerschaft". Die "klassische" Sozialdemokratie hat nämlich – nicht in ihrer Praxis, in ihrer Rhetorik aber schon – so getan, als würde sie mit einer anderen Gesellschaft namens "Sozialismus" kokettieren; und um das, was dem ÖGB nach 1945 in den Schoß gefallen ist, nämlich die Anerkennung als staatstragender Arbeiterverein samt den damit verbundenen Mitspracherechten und Macht-Beteiligungen, darum mußte die Gewerkschaftsbewegung vor dem Krieg noch kämpfen. Genau das haben die seinerzeitigen "Gelben" übelgenommen. Die haben schon damals den Gemeinplatz vertreten, daß gegen die Abhängigkeit vom Kapital ohnehin nichts zu machen ist, und den "Roten" vorgeworfen, daß die mit ihren Bekenntnissen zum Klassenkampf und zum Klassengegensatz die durchaus mögliche Harmonie mit den Unternehmern stören, sowie daß der Klassenkampf die Arbeitsplätze noch mehr gefährdet, als das der Konkurrenzkampf zwischen den Unternehmen ohnehin schon tut.

Damit stellt sich allerdings eine Frage: Wieso erhält heutzutage sogar ein kreuzbraver ÖGB, gegen den kein ehrlicher "Gelber" etwas haben könnte, seine Degradierung? Wieso werden ihm sozialpolitische Kompetenzen entzogen, wieso wurde ihm die Teilnahme bei der Pensionssenkungsreform verweigert, wieso soll er aus der Sozialstaatsverwaltung hinausgedrängt werden, wieso verzichtet heute die Politik auf die bisher bewährte gewerkschaftliche Mitverantwortung beim Sozialabbau?

Gewerkschaft heute: Vom Gegner zum Partner

Die Gewerkschaft, egal ob rot oder gelb, ist Vertragspartner in Sachen Lohnarbeit. Sie übernimmt für die "Arbeitnehmer" die Aushandlung von Arbeitsbedingungen und Löhnen. Die Kollektivverträge gelten ähnlich einer Rechtsnorm in den jeweiligen Branchen. Der kollektive Vertragsabschluß per Gewerkschaft ist aufgekommen als Korrektur der Erfahrung, daß die so viel gepriesene Freiheit des Arbeiters als "Partner" eines "Arbeitgebers" nicht dafür reicht, das Lohnarbeitsverhältnis überhaupt durchzuhalten. Arbeiter haben ja nichts weiter geltend zu machen als ihre Bereitschaft, dem Geschäft eines Unternehmens zu dienen. Ihr einziges Mittel, sich einen Lebensunterhalt zu sichern, ist das paradoxe, für jede verlangte Leistung zu dem dafür gebotenen Lohn zur Verfügung zu stehen – noch bereitwilliger, fleißiger und billiger womöglich als andere Lohnarbeiter; und ob solche Bereitschaft überhaupt ausgenutzt wird, liegt ganz bei der anderen Seite. Dieser Freiheit setzen Arbeiter mit ihrer Vereinigung zur Gewerkschaft, die insofern ihre Konkurrenz gegeneinander unterbricht, das Druckmittel der Geschäftsschädigung durch kollektive Arbeitsverweigerung entgegen, bzw. die Drohung damit.

Die Macht eines gewerkschaftlichen Zusammenschlusses richtet sich also weder gegen das kapitalistisch fungierende Eigentum und dessen Zweck, Arbeitskräfte als Mittel seiner Vermehrung zu verwenden, noch gegen die Eigentumslosigkeit der benutzten oder auch nicht benutzten Lohnarbeiter, die den Status einer Manövriermasse des Kapitals haben. Wenn "Gewerkschaft" angesagt ist, geht es nicht – nicht insgeheim, nicht "eigentlich" oder "objektiv" in der Form eines "ersten Schritts", wie Linke es gern sehen wollen – darum, daß Lohnarbeiter das Verhältnis des Benutzt- und Entlohnt-Werdens kündigen, um sich selbst zum Subjekt und Nutznießer der gesellschaftlichen Arbeit zu machen. Das Lohnsystem ist unterstellt, akzeptiert und bleibender Anlaß zu seiner Verbesserung. In der Überzeugung, bei gerechter Gewichtung der gegensätzlichen Interessen von Lohnarbeitern und "Arbeitgebern" müßte Lohnarbeit doch beide Seiten zufriedenstellen, werden gewisse "negative" Auswirkungen der kapitalistischen Praxis so genommen, als wären sie lediglich die Folgen einer zu schwachen Verhandlungsposition der Lohnarbeiter. Und das ist falsch.

Der Gesichtspunkt der gewerkschaftlichen Macht ist also der des ungerechtfertigten Vorteils der anderen Seite, der aus der Natur der Lohnarbeit gar nicht zwingend folgen müßte. Aus den Konsequenzen der Lohnarbeit werden einige herausgehoben, die der gewerkschaftlichen Gegenmacht als zu weitgehende Ausnutzung der unternehmerischen Freiheit, als übertriebener "Liberalismus" erscheinen. Um einen Einspruch erheben zu dürfen und von den Unternehmern anerkannt zu werden, hatten die Gewerkschaften in ihrer Gründungsphase im vorigen Jahrhundert einige von oben eröffnete Kämpfe durchzustehen. Von seiten der Gewerkschaft jedenfalls war ihre Gegenwehr stets als Kampf um das Recht aufs Verhandeln im Namen der Arbeiter gemeint.

Dieser Zweck macht aus der anerkannten Existenz einer Gewerkschaft bereits ihren ersten, dauerhaften und entscheidenden Erfolg. Damit ist im Prinzip und ohne eine Korrektur an der Lohnarbeit schon ein Rechtszustand hergestellt, dessen Fehlen angeblich der Grund für das ist, was den anständigen "kleinen Mann" an der Lohnarbeit stören darf: Die Lohnarbeiter sind nicht länger ohnmächtig der "Willkür" ihrer "Arbeitgeber" ausgeliefert. Die Arbeiter verfügen über eine Gegenmacht, mit der sich die "Arbeitgeber" systematisch auseinandersetzen müssen. An der dauernden Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit unternehmerischen "Übergriffen" zeigt sich zwar, daß Arbeiter es keineswegs mit den Launen von Vertretern des Kapitals zu tun haben. Es gehört zum ordentlichen Konkurrenzkampf kapitalistischer Unternehmen, daß Lohnsenkungen, Leistungserhöhungen, Einsparungen bei den Arbeitsbedingungen usw. als Mittel zur Erwirtschaftung von Profit eingesetzt werden. Dazu gehört auch, daß der "technische Fortschritt" immer wieder die vertraglich geregelten Arbeitsleistungen und Löhne überflüssig macht, was zur Verringerung und Durchsortierung der Mannschaft, zu Entlassungen und Abgruppierungen führt. Diesen notwendigen Maßnahmen des kapitalistischen Geschäftsgangs will die Gewerkschaft das in ihren Augen Irreguläre, das "Willkürliche" nehmen. Dadurch gibt sie dem betrieblich Notwendigen ihre Zustimmung, und der Betrieb kann darauf hinweisen, daß die Arbeitervertretung alles geprüft und als – leider – unvermeidlich akzeptiert hat.

Die Firmen bemerken jedenfalls, daß sie "Willkür" gar nicht nötig haben. Generationen von Betriebsräten haben die Grundrechnungsarten des Kapitals kennengelernt und erfahren, daß Unternehmer gar nicht aus Böswilligkeit an Löhnen, Leistungen und Arbeitsplätzen zum Schaden der "Arbeitnehmer" hantieren, sondern daß sie wirklich sachliche Erfordernisse der Produktion – der Produktion von Gewinn nämlich – durchsetzen. Gegen betrieblich wirklich notwendige Schädigungen der Belegschaft fällt einer wachsamen Arbeitervertretung einfach nichts ein. Die "Schmerzgrenze" der Gewerkschaft, der Punkt, wo sie sich wirklich gefordert sieht, der liegt woanders. Dieser Knackpunkt ist weder ein Mindestlohn noch ein sozialer Mindeststandard, kein Normalarbeitstag oder die Höhe der Mindestpension – die "Schmerzgrenze" ist sie selbst und ihre anerkannte Rolle als Partner. Unrecht beginnt dort, wo der Gewerkschaft die Mitsprache verweigert wird, wo sie gar nicht erst einbezogen wird, um z.B. eine Pensionsreform zu entwerfen.

Das Ideal des ÖGB: Die Behörde

Seit seiner Neugründung 1945 ist der ÖGB eine staatstragende Säule. Jedenfalls ist – oder war – der ÖGB durch seine Verankerung im Staat und in dessen Institutionen am Ziel seines Wirkens. Er brauchte nicht als Organisation gegen die Unternehmerschaft oder gar gegen den Staat Stellung zu beziehen, er war eingebunden in die Gestaltung von Recht und Gerechtigkeit in der Arbeitswelt. Die eigenartigen Bilanzen des ÖGB, in denen er viele Jahre lang stolz darauf hingewiesen hat, daß er nicht streikt und daß er das für einen Erfolg hält, die verdanken sich diesen Machtpositionen, derentwegen er ein ruppiges, "kämpferisches" Auftreten – bislang – nicht nötig hatte. Diese Anerkennung vom und im Staat hat sich die Gewerkschaft seit Beginn der 2. Republik durch ihre berühmte "Verantwortung" verdient, also dadurch, daß sie sich nie als bloße Interessenvertretung verstanden und benommen hat, die Forderungen im Interesse der von ihr Vertretenen erhebt und sich dann mit der Gegenseite anlegt.

Der ÖGB hat je schon die Interessen seiner Mitglieder von einer höheren Warte aus betrachtet. Er hat nicht gefragt, was die von ihm Vertretenen brauchen, sondern was die nationale Wirtschaft verträgt, damit sie auf Erfolgskurs kommt und bleibt. Der ÖGB sieht sich als eine Mit-Macht in Österreich, der es deswegen erspart bleibt, als Gegen-Macht auftreten zu müssen. Das Ideal des ÖGB ist nicht die kämpfende Klassenorganisation, sondern die Behörde, die Kraft des Gesetzes an der Administration von Löhnen, Arbeitsbedingungen und dem sozialen Frieden mitwirkt. Als Verwaltung stellt er sich auch zu den Lohnarbeitern, die mit den gültigen Vorschriften bezüglich dessen bekannt gemacht werden, was ein Unternehmen nach geltender Rechtslage alles darf. Und genau diese so bewährten gewerkschaftlichen Machtpositionen sind in letzter Zeit umstritten. Nicht, weil die schwarz-blaue Regierung böswillig gewerkschaftsfeindlich wäre. Sie ist bloß damit befaßt, im Interesse der Konkurrenzfähigkeit des Standorts den Lebensstandard des österreichischen Proletariats zu senken, und reformiert dafür permanent den Sozialstaat: Die Pensionssenkungsreform wurde beschlossen, die nächste Senkung ist unter dem Titel "Harmonisierung" angekündigt, im Gesundheitswesen steht Ähnliches bevor. Die Gewerkschaft stört dabei nicht durch entschlossenen Widerstand, sondern durch zwei ihrer Errungenschaften, die von der Regierung umgestaltet werden:

Erstens hat der ÖGB bzw. seine Repräsentanten im Sozialstaat, genauer gesagt in der "Selbstverwaltung" der Sozialversicherung tatsächlich behördliche oder behörden-ähnliche Kompetenzen. Das hat zwar auf die Sozialgesetzgebung selbst keinen Einfluß, die Regierung war aber der Meinung, daß sie in diesem komplexen Apparat, der den Sozialabbau im täglichen Kontakt mit der Kundschaft abwickeln soll, diensteifrige Handlanger und vertrauenswürdige Parteigänger haben will, und nicht Drückeberger oder Bedenkenträger, die mit der Autorität ihrer Ämter und mit ihrem Insiderwissen als Miesmacher unterwegs sind. Die Umstrukturierung des "Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger" samt Rauswurf des Präsidenten Sallmutter war der Versuch, die Gewerkschaft auszuhebeln, und der Versuch ist nicht am Widerstand des ÖGB gescheitert, sondern am durch den Verfassungsgerichtshof. Das Gericht hat die schwarz-blaue Koalition vor die Alternative gestellt, die Prinzipien der "Selbstverwaltung" in der Sozialversicherung entweder vollständig abzuschaffen, oder sie aber zu respektieren. Die Gewerkschaft hält dieses Urteil interessanterweise für ihren Erfolg.

Zweitens verkörpert der ÖGB allein durch seine Existenz den moralischen Standpunkt, erst durch die gewerkschaftliche Mitwirkung werde ein "Interessenausgleich" hergestellt, der die soziale Lage der Arbeiterschaft erträglich mache; es werde dem ordinären ausbeuterischen "neoliberalen" Kapitalismus ein sozialer Aspekt hinzugefügt, der das Proletariat mit der Marktwirtschaft versöhne, auf welchen Gesichtspunkt der Arbeiterstand aber auch ein Recht habe. Wenn aber alle Ansprüche auf ein anständiges Auskommen während und nach dem Arbeitsleben als "Investitionshindernis" am Standort, als untragbare "Lohnnebenkost", als unerträgliche Belastung der öffentlichen Haushalte behandelt und reformiert werden – wenn also die "soziale Rücksichtnahme" sukzessive als Maßstab für gutes Regieren und als Recht der Regierten aus dem Verkehr gezogen wird, dann fällt eine anerkannte Organisation schon dadurch als "Bremser" auf, daß sie daran erinnert, das dergleichen früher als berechtigte Forderung gehandelt wurde, damals, als die Marktwirtschaft noch als "sozial" gelten wollte.