GEGENARGUMENTE

"DIE LOHNNEBENKOSTEN – Was sind sie und warum halten sie alle für zu hoch?"

Mit der im März gestarteten Kampagne zur Senkung der Lohnnebenkosten fordern die Interessensvertreter der Wirtschaft diese von der Bundesregierung in ihrem Regierungsprogramm versprochene "Kostenentlastung für Unternehmen" zur "Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich" nun offensiv ein.

Seit Jahrzehnten sieht sich die Wirtschaft bei ihrem Bedürfnis nach Senkung der Lohnnebenkosten von der Politik schlecht bedient. Sie machen den Faktor Arbeit für die Unternehmen zu teuer, lautet der Vorwurf. Nach durchgesetzter Auffassung besteht Beruf und Berufung von Unternehmern darin, den Rest der Menschheit nach bestem Wissen und Gewissen mit Arbeitsplätzen zu versorgen. Entsprechend groß daher die Empörung darüber, wie schwer ihnen dieser Dienst an der Gemeinschaft gemacht wird: "Zuviel Bürokratie und zu hohe Kosten"(Beilage Presse: Report Wirtschaftsbund) klagt der Wirtschaftbund. Statt den Unternehmern - die ob ihres Dienstes auch respektvoll als Arbeitgeber bezeichnet werden - das Leben unnötig schwer zu machen und sie mit allerlei gesetzlichen Auflagen zu belästigen, wäre die Tugend der Dankbarkeit am Platz. Verlogen und leicht absurd ist dieser Standpunkt, weil er völlig davon absieht, was die Unternehmer mit dem Lohn kaufen und mit den bezahlten Arbeitskräften anfangen.

Wir wollen in der heutigen Sendung folgende Fragen klären:

Wofür bezahlen die Unternehmer Lohn?

Arbeitgeber zahlen Arbeitnehmern einen Lohn ausschließlich ihres Gewinns wegen. Mit der Zahlung des Preises der Arbeit erwerben sie das Recht auf die Benutzung des eingekauften Arbeitsvermögens. Unter ihrem Kommando bringen die bezahlten Arbeitnehmer durch geeignete Organisation des Produktionsprozesses ein Produktionsresultat hervor, das durch seinen Verkauf mehr an Erlös einbringt, als die Ingredienzien der Produktion gekostet haben. Der Überschuss des durch den Verkauf des Produktionsresultates erzielten Geldrückflusses über den getätigten Vorschuss bildet den Gewinn, um den sich der Reichtum des Kapitaleigners in einer Produktionsperiode vergrößert und um den sich das ganze Geschäft der Unternehmer einzig dreht.

Weil es nur um diesen Gewinn geht, finden Investitionen, die sich unter Berücksichtigung aller Kosten - auch derjenigen, die von Wirtschaftskammer und Unternehmern unter die Rubrik Nebenkosten eingereiht werden - nicht lohnen, nicht statt. Ein nicht geringer, in den letzten Jahren wachsender Teil der auf einen Arbeitsplatz angewiesenen Bevölkerung ist aus diesem Grund arbeitslos. Das, wie überhaupt der Umstand, dass die Arbeitnehmer von ihrem Lohn leben müssen, geht den Unternehmer aber nichts an. Wieviel Arbeit er nachgefragt und zu welchem Preis, ist Sache eines Bedarfs, der einzig im Unternehmensgewinn sein Maß hat.

Was sind denn Lohnnebenkosten?

Weil der wirtschaftliche Erfolg im Kapitalismus sein Maß im Gewinn hat, ein Erfolg umso größer ausfällt, je größer dieser Gewinn im Verhältnis zum vorgeschossenen Kapital ist, beurteilt das Kapital den Lohn danach, ob und inwieweit die um ihn eingekaufte Arbeitskraft diesen Dienst leistet. Dieser Anspruch führt die Unternehmer auf die Unterteilung der von ihnen in Anschlag gebrachten Lohnkosten in zwei Teile - in einen Teil "Bruttolohn für Anwesenheitszeit" und einen Teil "Nebenkosten". Zitat aus einer Broschüre des WIFI Österreich:

"Als Nebenkost wird - auch im internationalen Begriffssystem - jener Teil der Personalkosten bezeichnet, der über das Bruttoentgelt für die Anwesenheitszeit hinaus vom Arbeitgeber zu tragen ist. Sie wird in Prozent des Entgeltes für die Anwesenheitszeit ausgedrückt."(WIFI Österreich, Broschüre "Nebenkosten")

Als Basis ihrer prozentmäßigen Berechnung der Lohnnebenkosten legt die Wirtschaftkammer nur einen Teil des tatsächlich gezahlten Bruttolohns zugrunde. Ensprechend ihrem Interesse am Einsatz der Arbeitskraft für den Gewinn, ist für sie jede zeitliche Beschränkung dieses Einsatzes durch Krankheit, Urlaub, Feiertage usw. dem verfolgten Zweck abträglich, weshalb sie diese Rücksichtnahme aus dem gezahlten Lohn herausrechnet und den Bruttolohn rechnerisch in einen Bruttolohn für Arbeit und einen Rest unterteilt, den sie als Lohn für Nichtanwesenheit verstanden wissen will. Zeiten der Nichtanwesenheit haben die Unternehmer aber noch nie bezahlt.

In dieser Rechnung schmarotzt die Wirtschaftkammer an der gesetzlich - etwa in §15 des Angestelltengesetzes - normierten Zahlungsform des Lohns in monatlich gleichen Beträgen. Durch diese Festlegung der Unternehmer auf periodische Zahlung eines Durchschnittslohns stellt der Gesetzgeber die Kontinuität der Erhaltung der Arbeitskraft sicher. Das, was eigens auf diese Geschäftssphären spezialisierte Kapitalisten für Wohnung, Strom, Heizung, Nahrungsmittel und die Fahrt von und zum Arbeitsplatz usw. verlangen, wird nicht allein schon deshalb weniger, weil in einem Monat weniger Arbeitstage anfallen als in einem anderen. Die knappen Mittel, über die Arbeitnehmerhaushalte dank der Erpressung durch das Kapital verfügen, müssen eingeteilt werden, sollen die monatlichen Zahlungen dann getätigt werden können, wann sie fällig sind. Eine solche Einteilung ist ohne regelmäßige Lohnzahlung nicht mit der nötigen Verlässlichkeit möglich.

Die Wirtschaftskammer nimmt nun - gemäß der unternehmerischen Kalkulation, für die der Lohn nicht das Lebensmittel der Beschäftigten, sondern eine notwendige Kost des Gewinns ist - diesen durchschnittlichen Monatslohn als Lohn eines Monats ohne jede Beschränkung des Einsatzes der Arbeitskraft, um dann in jedem Monat mit einer geringeren Zahl an Arbeitstagen eine Überzahlung in Form von "Kosten für Nichtanweisenheitszeiten" als Nebenkosten herauszurechnen.

Zu diesen in Anschlag gebrachten rechnerischen Kosten werden von der Wirtschaftskammer die Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld), Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung und zum Familienlastenausgleichsfonds, Abfertigungen und auch Kosten, die den Unternehmern durch den Zwang zur Einhaltung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen entstehen, addiert.

Unabhängig davon, dass alle Kosten für den Sozialstaat als Prozentanteile des Bruttolohns definiert sind, daher untrennbar mit jedem Kauf von Arbeitskraft anfallen, will die Wirtschaftkammer nichts davon wissen, dass es sich bei diesen Zahlungen um Lohnteile handelt: "Lohnnebenkostensenkung heißt Rückgabe von Unternehmergeldern" schreibt etwa der Wirschaftbund auf seiner Hompage. Tatsächlich handelt es sich um Lohnteile, bloß eben um solche, die nicht direkt an die Arbeitnehmer ausbezahlt, sondern bereits zuvor vom Staat eingezogen und den diversen gesetzlich eingerichteten Sozialkassen zugeführt werden. Durch diesen Akt der Verstaatlichung von Lohnteilen verschafft der Gesetzgeber den Sozialkassen die Mittel, die sie brauchen, um den Erhalt der Arbeiterklasse fürs Kapital dort zu finanzieren, wo deren Brauchbarkeit durch das unternehmerischen Handeln gerade in Frage gestellt wird.

Gerade weil jede Rücksicht auf die angewandte Arbeitskraft sich in den Bilanzen kapitalistischer Unternehmen als Kost darstellt, die ihrem geschäftlichen Erfolg abträglich ist, sieht sich der Staat gezwungen, sozialpolitisch tätig zu werden. Mit einer Sorge um das Wohlergehen der derart betreuten Arbeitsmannschaft hat das nichts zu tun. Schließlich schafft das staatlich geschützte Recht auf Privateigentum für die Mehrheit der Bevölkerung überhaupt erst den Zwang, sich in den Dienst der unternehmerischen Kalkulation stellen zu müssen. Worum sich der Staat mit seinen sozialpolitischen Gesetzen annimmt, ist die Erhaltung der Brauchbarkeit der Arbeiterklasse fürs Kapital, wissend um die Maßlosigkeit des Anspruchs des Kapitals auf die Ausnutzung der vollen Arbeitskraft ohne jede Rücksicht auf die elemtarsten Notwendigkeiten ihrer Erhaltung. Dafür, dass das Kapital die Arbeiterklasse als Springquelle seines Reichtums nicht zerstört - dafür und für sonst nichts hat der Staat ein Sozialkassenwesen eingerichtet.

Wenn diese sozialstaatlichen Kosten von den Unternehmern als Nebenkosten behandelt werden, dann geben die Unternehmer einmal mehr darüber Auskunft, dass sie nur ein Kriterium kennen und zwar wieviel Arbeit sie für den bezahlten Lohn bekommen. Jeder Tag - egal ob Feiertag, Krankenstand oder Urlaub - an dem die Arbeitnehmer ein Auskommen haben, ohne in ihren Diensten und damit für ihren Gewinn zu arbeiten, jede Kost, die ihnen entsteht, ohne sich unmittelbar aus dem Dienst der Arbeitnehmer abzuleiten, ist ihnen der Beweis einer ungerechtfertigten Überzahlung, einer Nebenkost. Kosten bloß zur Erhaltung der Arbeitskraft stellen, als nicht dem eigentlichen Zweck der Gewinnerzielung dienend, Zusatzkosten dar und müssen sich von daher einer ständigen Überprüfung unterziehen lassen, ob sie nicht gesenkt werden können. Wirtschaftlicher Erfolg und Rücksicht auf die angewandte Arbeitskraft vertragen sich eben nicht miteinander.

Wenn die Wirtschaft den Staat auffordert, just diese Nebenkosten zu senken: "Es sind nicht so sehr die Nettolöhne das Problem, sondern der "Sozialaufschlag", den sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber zu leisten haben."(Pressebeilage: Report 5.11.1999 - Wirtschaftbundes) schreibt der Wirtschaftbund, fordert sie vom Staat mit dem Verweis auf die internationale Konkurrenz, seine Verstaatlichung von großen Teilen des Lohns dafür einzusetzen, den Preis der Arbeitskraft zu senken. Erhaltung der Arbeiterklasse auf dem bisherigen Niveau soll nicht mehr sein.

Was hat die Politik an den Lohnnebenkosten auszusetzen?

Diese Dauerbeschwerde der Unternehmer über zu hohe Lohnkosten wird von der Politik hochoffiziell zum maßgeblichen Standpunkt der ganzen Nation erklärt. Sollte man früher der hiesigen Politik zugute halten, dass sie durch die von Staats wegen geschaffenen und betreuten Sozialkassen und diverse arbeitsrechtliche Regelungen das freie Geschäftemachen "gezähmt" und so für eine soziale Marktwirtschaft gesorgt hatte, betrachtet nun der Staat die von ihm gesetzten arbeits- und sozialrechtlichen Standards als Bremsklotz der österreichischen Wirtschaft inmitten einer globalisierten Welt. So heißt es in der Rede Finanzministers Grasser vom März 2001:

"Die Welt um uns hat sich dramatisch gewandelt und dieser Wandel hält an. Die Globalisierung und Internet-Technologie schaffen mehr Wettbewerb, d.h. mehr Druck auf die Produzenten, niedrigere Preise und ein transparentes und weltweites zugängliches Angebot für die Konsumenten. So wie unsere Unternehmen und deren Mitarbeiter sich Tag für Tag gegenüber weltweit agierender Konkurrenz behaupten müssen, steht das gesamte Wirtschafts- und Sozialsystem unseres Landes auf dem internationalen Prüfstand und muss mit dem anderer Länder in Bezug auf Kosten und Qualität der Leistung konkurrieren." (Budgetrede Grasser März 2001)

Inzwischen gehört es zum Standardreportoire aller Regierungsmannschaften der kapitalistischen Nationen dieser Welt - auch der österreichischen -, sich als Getriebene der sogenannten "Globalisierung" darzustellen. Dabei sind es genau die Politiker, die ihre Nation durch die Globalsisierung herausgefordert sehen, die durch die Öffnung ihrer Märkte erst für den praktischen Vergleich der Standorte sorgen. In dieser zum Prüfstand erklärten "weltweit agierenden Konkurrenz" sollen sich die österreichischen Unternehmen bewähren können, woraus Grasser dringenden Reformbedarf ableitet. Wieder aus seiner Budgetrede:

"Die Menschen und deren hohe Arbeitsqualität sind das wertvollste Kapital in diesem Lande. Wir dürfen diesen Standortfaktor nicht zu teuer machen, wenn wir international wettbewerbsfähig bleiben und Vollbeschäftigung sichern wollen." (Budgetrede Grasser März 2001)

Die Botschaft ist einfach. Weil ein zu hoher Lohn die profitschaffende Qualität der Arbeit und damit den künftigen Erfolg des hiesigen Standortes beeinträchtigen könnte, verspricht der Finanzminister seinen Zugriff auf die verstaatlichten Lohnteile dafür zu nutzen, die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft durch die Senkung des österreichische Lohnniveaus zu erhöhen. Auf dass die Gewinne sprudeln, die Staatseinnahmen Dank unternehmerischer Initiative wachsen und so den Finanzminister bei seinem Programm der Budgetsanierung unterstützen.

Bei all dem soll der Sozialstaat - entgegen anderlautenden Gerüchten - nicht abgeschafft, sondern den geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Gemäß dessen Zweck, dafür zu sorgen, dass das Kapital ein qualitiativ und quantitativ ausreichendes Arbeitskräftepotential zur Verfügung hat, erweist sich so manche sozialpolitische Leistung als nicht mehr notwendig und daher zu teuer.

Weil kein Politiker, heute mehr einsehen möchte, wozu ein Arbeitnehmer bei Selbstkündigung einen eigens bezahlten Postensuchtag braucht, wurde er abgeschafft. Wer kündigt, ohne sich schon zuvor um die eigene Brauchbarkeit fürs Kapital gekümmert zu haben, ist selber schuld. Schließlich sollte doch endlich wirklich jeder Arbeitnehmer um die totale Abhängigkeit der eigenen Lebensplanung von den Kalkulationen des Kapitals Bescheid wissen. Und im übrigen bleibt da ja noch der Urlaubsanspruch, der sich, wenn der Chef das zulässt, bei einiger Planung dafür verwenden lässt.

Diesen Urlaubsanspruch hat die jetzige Regierung schließlich nicht abgeschafft sondern nur für alle jene, deren Arbeitsvehältnis aufgelöst wird, für das Jahr dieser Auflösung gekürzt - pardon sie hat den Urlaubsanspruch alliquotiert. Diejenigen, denen es nicht gelungen ist, ihren Urlaub auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen, dürfen sich über die Alliquotierung, sprich Verringerung der finanziellen Ersatzleitungen freuen, die jetzt - im Unterschied zu früher - auch voll zu versteuern sind. Davon profitieren alle, auf die es ankommt: die Unternehmer sparen sich Unkosten und der Staat lukriert zusätzliche Einnahmen.

Als schwieriger, ein Einvernehmen zwischen Regierung und Wirtschaft herzustellen, erweisen sich da schon die von der Regierung ebenfalls geplanten, aber noch nicht umgesetzten Lohnnebenkostensenkungen durch Senkung der Beiträge zur Unfallversicherung, zum Insolvenzfond, und zur Arbeitslosenversicherung. Schließlich gilt es da, erst noch die richtige Aufteilung der zu enteignenden Lohnteile zwischen Unternehmern und Budget zu finden, um beiden anerkannten politischen Zielsetzungen - Budgetsanierung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gerecht - zu werden.

Den Standpunkt der Bundesregierung zur Arbeitslosenversicherung formuliert der Finanzminister in seiner Budgetrede vom März 2001:

"Für mich heißt Zukunftssicherung, Wandel und Veränderung über Anreize herbeizuführen. Leistung muss sich wieder lohnen! Der Abstand zwischen Einkommen aus Arbeit und den Absicherungen bei Arbeitslosigkeit muss größer werden, ohne den Schutzcharakter der Arbeitslosenversicherung einzuschränken."(Budgetrede Grasser März 2001)

Es ist nicht die Kassenlage, die dem Finanzminister den Befund aufdrängt, dass die Arbeitslosenunterstützung zu hoch ausfällt. Dank der Sozialpolitik auch schon früherer Regierungen weist die Arbeitslosenversicherung nämlich Überschüsse auf und das trotz steigender Arbeitslosenzahlen und sinkender Beitragszahlungen. Um dieses Ergebnis zu erzielen, wurden Zumutbarkeitsbestimmungen verschärft, Anwartschaftszeiten für den Bezug von Arbeitslosen- und Notstandshilfe verlängert, familienbezogene Leistungen beschränkt usw. Bisher wurden diese Überschüsse vom Staat dafür verwendet, den im Rahmen seiner Ausfallshaftung fälligen Bundesbeitrag zur Abdeckung von Defiziten der Pensionsversicherung zu senken.

Der jetzige Finanzminister hat entdeckt, dass es einen erklecklichen Teil der Arbeitsbevölkerung gibt, der konstant beschäftigungslos ist und es trotzdem schafft am Ende glatt noch von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe zu leben. Für ihn kein Grund zur Freude über das gute Sozialsystem Österreichs, sondern Anlass zur Sorge darüber, ob das Arbeitslosengeld durch seine Höhe die Arbeitnehmer nicht viel zu sehr davon abhält, noch jede Arbeit an- und jeden sozialen Abstieg hinzunehmen. So ist es am Ende für Finanzminister Grasser nicht die Profitmacherei der Unternehmen, die laufend für Arbeitslose sorgt, sondern der geringe Unterschied zwischen Arbeitseinkommen und Arbeitslosengeld, der die Leute vom Arbeiten im Dienste des Kapitals abhält.

Grasser ist natürlich nicht das österreichische Lohnniveau zu nieder, sondern die Arbeitlosenunterstützung noch immer zu hoch für den mit ihr verfolgten Zweck, dem Kapital brauchbare und vor allem hinreichend billige Arbeitskräften zuzuführen. Im Namen der Regierung meldet er daher den Bedarf nach Reformen an, die endlich dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer in Hinkunft wieder wissen, dass sich Leistung lohnt, auch und gerade dann, wenn sie sich von ihrem Lohn immer weniger leisten können.

Während im Bereich der Arbeitslosenversicherung die Entscheidung darüber, wie die Senkung der Lohnnebenkosten erfolgen soll, noch aussteht, ist die Regierung im Bereich der Krankenversicherung schon tätig geworden und das ganz ohne diesbezügliche Forderung der Unternehmer. Protestiert haben sie deshalb aber auch nicht. Durch Selbstbehalte, Ambulanzgebühren und eine neuerliche Erhöhung der Tabaksteuer sollen die Leistungsbezieher dahin gelenkt werden, endlich mehr "Eigenverantwortung" bei der Beantwortung der Frage, wieviel Gesundheit sie wirklich brauchen, an den Tag zu legen, anstatt es wie bisher für selbstverständlich zu halten, dass wer krank ist auch unbedingt einer Behandlung bedarf. Trotz der Kostenexplosion im Gesundheitsbereich war es so im vorigen Jahr im Bereich der Krankenversicherung möglich endlich einmal von der Gleichheit von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen wegzukommen und den Beitrag der Unternehmer um etwas mehr als 8% zu senken.

So lässt sich abschließend festhalten:

Die soziale Lage, die in so gar keiner Hinsicht das Werk des Lohnempfängers ist - Arbeitgeber kalkulieren seinen Lohn, richten seinen krankheitserregenden Arbeitsplatz ein, entscheiden über seine Beschäftigung wie über seine Entlassung und legen die Preise von der Miete bis zu den Grundnahrungsmittel fest - wird jetzt mehr und mehr ihm angelastet. Dass der Lohn und seine "Nebenkosten" das Lebensmittel der nach ihm benannten Lohnabhängigen ist, verdient keine Rücksicht; sie müssen einfach mit weniger auskommen.

Die Rentabilitätssteigerung der Arbeit beschränkt sich dabei nicht auf das von der Wirtschaft nun eingeforderte Programm der Bundesregierung unter dem Titel "Lohnnebenkostensenkung". Flexible Arbeitszeiten, Teilzeitjobs, Beschäftigung auf Abruf, Dienstverträge ohne arbeits- und sozialrechtliche Verpflichtungen für Unternehmen, Lohndumping durch Sonderregelungen für Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland - all das ist im Programm zur Verbilligung und gleichzeitigen Steigerung der Dienstbarkeit der überhaupt noch verwendbaren Massen enthalten. Es ist, als hätten sie den alten Marx studiert: Jede Unzufriedenheit mit dem Gang der Geschäfte oder mit den Einnahmen-Ausgaben-Verhältnissen des Staatshaushaltes so gut wie jeder Reformbedarf überhaupt macht mit nachtwandlerischer Sicherheit die Klasse, die nach der Mehrwerttheorie allein für die Produktion des Reichtums zuständig ist, haftbar.

Weil der Lebensunterhalt der lieben Mitarbeiter in der Gewinnkalkulation ihrer Firmen als Kostenfaktor Lohn verbucht wird, steht seine Verringerung, also die Verarmung der Arbeitsmannschaft immer dann auf dem Programm, wenn Unzufriedenheit mit der Produktion des Reichtums aufkommt. Es erscheint als pure Sachnotwendigkeit, dass sich das Auskommen der arbeitenden Mitbürger so wenig mit dem Florieren der immer produktiver werdenden Wirtschaft verträgt.

Und die Betroffenen haben offenbar genug kapitalistische Bildung, dies einzusehen. Nicht wenige österreichische Arbeiter, die in das Jammern ihrer Arbeitgeber über zu hohe Lohnnebenkosten einstimmen. Jenseits aller Nörgelei um die gerechte Verteilung der Opfer bringen sie für ihre eigene Verarmung nicht wenig Verständnis auf. Die Gefahr, dass sie die jetzige Reformtätigkeit als Effektivierung der stinknormalen Ausbeutung indentifizieren, besteht nicht. Solange sie - angeleitet durch den ÖGB - ihre Abhängigkeit vom Lohn und den Sozialkassen in eine Parteinahme für das Gelingen des Geschäfts und der Nation übersetzen, solange sie dem ÖGB nicht die Gefolgschaft aufkündigen, einer Gewerkschaft, die die Forderung der Wirtschaft nach einer Lohnnebenkostensenkung mit dem Verweis auf die im internationalen Vergleich niedrigen österreichischen Lohnstückkosten kontert, also damit angibt, wie gering der von ihr erstrittene Anteil der österreichischen Arbeitnehmer am produzierten Reichtum ist, solange ist Ausbeutung als Notwendigkeit und Armut als Schicksal akzeptiert.