GEGENARGUMENTE

Nachlese zum Eisenbahnerstreik: Die dümmsten Argumente gegen den Streik und die Anwort auf die Frage, wer den Streik gewonnen hat!

Vom 12. bis 14.November streikten die Eisenbahner gegen die von der Bundesregierung geplante ÖBB-Reform, die eine Aufteilung der Österreichischen Bundesbahnen in vier Aktiengesellschaften und fünf Gesellschaften mit beschränkter Haftung samt dazupassendem neuem Dienstrecht umfasst, mit dem die Einzelverträge der Eisenbahner ausgehebelt werden sollten. Dieses geplante Dienstrecht sieht im Detail

vor. Ergänzend wird das bisher geltende Bahn-Betriebsverfassungsgesetz mit 31.12.2003 außer Kraft gesetzt. Die bisherigen Organe der Belegschaft werden abgeschafft und durch neue ersetzt.

Gegen dieses Vorhaben der Regierung lief die Eisenbahnergewerkschaft unter der Generallosung "Österreich braucht die Bahn" Sturm, unter einer Losung, die - um nur ja kein Missverständnis aufkommen zu lassen, was der Gewerkschaft Sorge bereitet – auch noch in den Formen "Unser Land braucht die Bahn", "Österreichs Städte und Gemeinden brauchen die Bahn" und "Österreichs Wirtschaft braucht die Bahn" dargeboten wurde. Der zentrale Vorwurf der Eisenbahnergewerkschaft an die Regierung lautete damit nicht, sie würde die Existenz tausender Eisenbahner gefährden, sondern sie würde mit der Reform dem Unternehmen ÖBB schaden, dessen Position im europäischen Schienenverkehr nicht verbessern, sondern verschlechtern. Wegen der Uneinsichtigkeit der Regierung, die alle durch und durch konstruktiven Einwände der Gewerkschaft einfach vom Tisch gewischt hatte, sah sich die Eisenbahnergewerkschaft aus Sorge um den Bestand der ÖBB und in Abwägung der Schäden, die ein Streik für die ÖBB und die österreichische Wirtschaft bedeutet, genötigt, einen Streik zu organisieren und die Logistikabteilungen österreichischer Betriebe vor eine bisher nicht gekannte neue Herausforderung zu stellen. Rechtzeitig vor dem Eintreten größerer Schäden für die österreichische Wirtschaft hat sie schließlich ihr Streikziel für erreicht erklärt und den Streik wieder beendet.

Dass dieser Protest wahrlich nicht mit einer Sorge um die Existenz der betroffenen Eisenbahner, um ihre Löhne, ihre Arbeitsbedingungen und noch nicht einmal um ihre Arbeitsplätze zu verwechseln war, hat der Eisenbahnergewerkschaft nichts genützt, nicht bei der Politik und auch nicht in der gesamten Öffentlichkeit. In allen einschlägigen Medien wurde dem interessierten Publikum Material für die Verurteilung des Streiks der Eisenbahner mundgerecht serviert.

Wir möchten in der heutigen Sendung aufzeigen, was von den vorgebrachten "Argumenten" zu halten ist und zugleich damit die Geisteshaltung derjenigen kritisieren, denen diese regierungsamtlichen "Widerlegungen" des Streiks auch noch einleuchten. Im letzten Teil wollen wir die öffentlich gewälzte Frage beantworten, wer Sieger und Verlierer des Streiks ist.

Argument 1: Die Eisenbahner streiken nur für ihre Privilegien

Die Eisenbahner verteidigen nur ihre Privilegien, das war und ist der Generaltotschläger gegen den Streik.

"Die Gewerkschafter müssen sehen, dass sie mit ihren Streiks für überholte Vorrechte in der Öffentlichkeit nichts gewinnen können."(Kurier, 9.11.2003) und "Dieser Streik kommt Gar nicht gut an. Es gibt in Zeiten, in denen viele auf etwas verzichten müssen, wenig Verständnis, wenn um alte Privilegien ("wohlerworbene Rechte") gekämpft wird."(Kronenzeitung, 12.11.2003)

Ein bemerkenswerter Vorwurf an die Adresse der Eisenbahner, der da erhoben wird. Wenn es wahr ist, dass die Eisenbahner Vorrechte genießen, wenn sie also in anderen Worten Rechte genießen, die anderen österreichischen Arbeiternehmern nicht zukommen, dann ließen sich diese Vorrechte doch ganz leicht aus der Welt schaffen. Man bräuchte sie bloß auf alle Arbeitnehmer auszudehnen und schon wären es keine Vorrechte mehr. Schlagartig würde es auch allen anderen Arbeinehmern ebenso gut gehen, wie derzeit angeblich den ÖBBlern. Das wäre dann endlich einmal ein Kampf gegen Privilegien, von dem die Arbeitnehmer, denen der Vorwurf der Privilegienritterei einleuchtet, mehr hätten als bloß die Befriedigung ihres Neides.

Jeder weiß natürlich, dass so die Kritik an den angeblichen Privilegien der Eisenbahner nicht gemeint ist. Wenn deren Privilegien kritisiert werden, dann gerade nicht in der Absicht, sich oder anderen Vorteile verschaffen zu wollen, mit dem Argument, die Eisenbahner würden doch diese Vorteile auch schon seit längerem lukrieren. Genau umgekehrt ist diese Kritik gemeint. Sie will nicht selbst einen Vorteil, den bislang nur andere genießen, sie fordert im Gegenteil, auch anderen all die Schädigungen zuteil werden zu lassen, denen der Kritiker sich selbst ausgesetzt sieht. Wäre der Kritiker nicht mit der eigenen Lage unzufrieden, käme er niemals auf die Idee dermaßen eifersüchtig darüber zu wachen, dass nur ja nicht andere in den Genuss ungerechtfertigter Vorrechte kommen. Angesichts dieses eigenen Schadens, will er aber nicht diesem auf den Grund gehen, um ihn aus der Welt schaffen zu können, sondern fordert, den Schaden durch seine Ausdehnung auf die bisher Privilegierten zu verallgemeinern.

Wie kommen die Privilegienkritiker von Kurier und Krone denn nun zu ihrem Befund, ausgerechnet die Eisenbahner wären privilegiert? Woher wissen sie denn, dass es sich bei den Rechten der Eisenbahner nicht um sachlich gerechtfertigte Sonderrechte einer bestimmten Berufsgruppe sondern um Vorrechte, Privilegien eben, handelt - Sonderregelungen für bestimmte Berufsgruppen, sind ja nun wirklich nichts Eisenbahnerspezifisches. Der Vorwurf, den Krone und Kurier erheben, lautet, diese Rechte wären "alt" bzw. "überholt". Seit wann spricht es aber gegen eine Sache, dass sie alt ist. Das Recht auf Privateigentum ist doch wohl noch viel älter als die Rechte der Eisenbahner. Das wollen die Herren von Krone und Kurier aber mit Garantie nicht abschaffen. Woher wissen sie eigentlich, dass die Rechte der Eisenbahner alt sind? Den Eisenbahnergesetzen können sie das nicht entnommen haben, die sind, was sie sind. Wenn sich was geändert hat, dann sind es nicht diese Gesetze. Geändert hat sich der Anspruch der Politik. Die erklärt Rechte wie einen Kündigungsschutz, eine bessere Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, mehr Krankenstandstage, eigene Pensionsregelungen für Eisenbahner usw. für obsolet. Und weil dieser politische Beschluss für die Schreiberlinge von Kurier und Krone fast sowas wie ein Naturgesetz ist, hängen sie den Sonderrechten der Eisenbahner mit Attributen wie "alt" und "überholt" den Veränderungswillen der Politik gleich als ihre Eigenschaft an.

Wer solche Attribute für ein Argument gegen die Sonderrechte der Eisenbahner hält, wem diese Kritik einleuchtet, der braucht wirklich kein Argument mehr. So jemand kann oder will gar nicht mehr zwischen dem Beschluss der Politik, die Sonderechte der Eisenbahner abzuschaffen, und einer Begründung für die Notwendigkeit dieser Maßnahmen unterscheiden. Alt und überholt – so kritisiert in anderen Worten nur ein selbstbewußter Knecht. Knecht, weil er von der Politik genau das erwartet, was die ohnehin zu tun vorhat und selbstbewusst, weil er bei all dem die Einbildung hochhält, er wäre - wenigstens ideell - der Auftraggeber der Politik.

Wo ist eine Bevölkerung geistig gelandet, die einen längeren Krankenstand, Entgeltfortzahlung im Kranheitsfall, Kündigungsschutz, Zulagen für diverse Extradienste usw. ernsthaft als für Staat und Wirtschaft unzumutbare Privilegien ansieht? Zum Thema Krankenstand und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall heißt es auf der Homepage der Ritter des Kampfes gegen Privilegien www.esreicht.at "Wusten Sie, dass ASVG-Angestellte im Schnitt 13,4 Tage pro Jahr im Krankenstand sind, ÖBB Bedienstete jedoch 26,1 Tage?". Nur jemand der schon vorab weiß, was er sich zu denken hat, denkt angesichts dieser Auskunft auch das Richtige. Nein, nicht die ASVGler werden mit ihrer Abhängigkeit vom Lohn dazu erpresst, am Arbeitsplatz zu erscheinen, ohne ihre Krankheit ordentlich auskuriert zu haben, sondern die Eisenbahner haben Vorrechte, die man einfach nicht einsehen kann. Bravo! Krankenstand als Privileg. Das sollte man als Aussage über die Bekömmlichkeit unserer Wirtschaftsweise ernst nehmen und nicht all jenen, die das gar nicht wissen wollen und sich in ihrem Fanatismus schon längst von Fakten unabhängig gemacht haben, vorrechnen, dass die Statistik täuscht und diese Zahlen nur einem Rechenfehler geschuldet sind.

Die Regierung plant sich von 12.000 ÖBBler zu trennen bzw. dort, wo dies aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht möglich ist, die nicht mehr benötigten ÖBBler in einer Personalmanagementgesellschaft zwischenzuparken, um sie dann, mit den schon bei der Post erprobten Methoden, nach und nach los zu werden. Und ausgerechnet das soll gegen den Kündigungsschutz sprechen! Noch einmal ein entschiedenes Bravo!

Diese Liste ließe sich ohne weiteres fortsetzen. Kein Sonderrecht, das nicht, weil es gerade von der Regierung abgeschafft wird, von der Öffentlichkeit der Überholtheit und der Überalterung überführt würde. Und niemand, noch nicht einmal die Eisenbahner selbst legen dagegen ernstlich Widerspruch ein. Das ist eine Bevölkerung, wie die Politik sie braucht, eine Bevölkerung, die nie fragt, was sie von der Politik hat und stattdessen darüber wacht, ob der Schaden auch wirklich alle trifft.

Argument 2: Die Bevölkerung hat kein Verständnis für den Streik.

Nur um sicherzugehen, dass es auch alle wissen, hat die Kronenzeitung es ihren Lesern auch noch extra mitgeteilt: "Kaum Verständnis für den ÖBB-Streik" (Kronenzeitung 12.11.2003) lautete die Schlagzeile der Kronenzeitung bereits am 1. Streiktag. Und im Blattinneren: "Unterm Strich bleibt die Frage, ob die (in Teilen sicher berechtigte) Kritik an der Bahn-Reform einen unbefristeten Streik zum Schaden des Landes und der Unternehmen rechtfertigt."(Kronenzeitung 12.11.2003) – eben! Statt zu streiken, sollten die Eisenbahner sich lieber an all den anderen österreichischen Arbeitnehmern, die sich doch ihre laufende Verarmung durch Staat und Kapital auch widerspruchslos gefallen lassen, ein Vorbild nehmen.

Man sieht, ein öffentliches Medium berichtet nicht bloß, es übernimmt Verantwortung. Eine Klärung der Gründe der Kontrahenten des Streiks - auf der einen Seite die Regierung mit ihren die ÖBB betreffenden Gesetzesvorhaben und auf der anderen Seite die Eisenbahnergewerkschaft mit ihrer Kritik daran - ist da dann keinesfalls das Richtige. Zu erklären, was Sache ist - das könnte doch glatt noch als Verständnis für die Eisenbahner missdeutet werden. Ein ordentliches Massenblatt wie die Kronenzeitung verbreitet stattdessen die viel wichtigere Botschaft, wie Herr und Frau Österreicher diesen Streik zu sehen haben. Welch ein Wunder – sie lehnen ihn ab. Ja dann! Wenn das nicht für den Verzicht der Eisenbahner und gegen ihren Streik spricht!

Diese Tour, sich zum Richter über die Zulässigkeit des Streiks aufzuschwingen, ist eine parteiliche Anmaßung. Eine Anmaßung, weil von den Streikenden verlangt wird, ihre Anliegen vom Verständnis der Bevölkerung abhängig zu machen. Parteilich ist diese Anmaßung, weil diese Kritiker wie selbstverständlich wissen, wen sie kritisieren müssen. Eine Aufforderung an die Adresse der Regierung, sie möge doch endlich der Stimmungslage der sich durch den Streik gestört fühlenden Bevölkerung Rechnung tragen und den Streikenden nachgeben, war jedenfalls nicht zu hören.

Argument 3: Der Streik trifft die Falschen!

Durch den Streik würde die Bevölkerung Schaden erleiden, und damit würden doch die Falschen getroffen, lautete ein weiterer Einwand gegen den Streik.... Urlauber, Schüler, Pendler usw. hatten zweifellos Probleme, ihre Reise fortzusetzen und die vom Wohnort weiter entfernte Schule oder die Dank zunehmender Flexibilität oft kilometerweit vom Wohnwort entfernte Arbeitsstelle zu erreichen. Die Abwicklung der tagtäglichen Verrichtungen wurde erschwert und das ist unangenehm. Eine andere Sache ist es, die Unannehmlichkeiten, die man dabei hat, zu einem Kriterium für die Zulässigkeit des Streiks zu machen. Nachdem das Mitleid mit Urlaubern sich auch wieder in Grenzen hält, man von Schülern weiß, dass sie es nicht unbedingt als Schaden ansehen, nicht in die Schule zu müssen, erfreuten sich in dieser Liste der durch den Streik geschädigten Bevölkerung vor allem die Pendler, die entweder gar nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen an die Arbeitsstelle oder wieder nach Hause kommen konnten, besonderer Aufmerksamkeit. Noch nie haben Pendler so viel Anteilnahme erfahren wie an diesen drei Streiktagen. Keinem der vor den Vorhang gezerrten Pendler kamen Zweifel an dem auf einmal vorhandenen öffentlichen Interesse an seinen alltäglichen Problemen.

Ausgerechnet diese trostlosen Figuren – Pendler - Arbeitnehmer, die lange Anfahrtszeiten in Kauf nehmen müssen, um in den Genuss des Gutes Arbeitsplatz zu kommen, deren Beförderungsnotwendigkeiten noch nie Anlass für besondere Rücksicht in Fragen des Lohns, der Preise von Eisenbahnkarten bzw. Autobahnvignetten oder der Arbeitszeit gewesen sind, jetzt dürfen sie endlich einmal Rücksicht verlangen. Was ist da los?

"Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll platzte am Donnerstag angesichts Hunderter verzweifelter Pendler-Anrufer der Kragen: "Wir haben in Niederösterreich 250.000 Pendler. Der Streik kostet diese Menschen Zeit, Nerven und auch viel Geld." Das Land unterstützt daher eine Sammelklage gegen die Bundesbahnen......Um den verärgerten ÖBB-Kunden die Angst vor Prozesskosten zu nehmen, garantiert Pröll, dass das Land alle Kosten übernehmen wird."(Kurier 14.11.2003)

Was empört den niederösterreichischen Schutzpatron von 250.000 Pendlern? Dass die Pendler Zeit, Nerven und Geld aufwenden müssen, kann es nicht ernsthaft sein. Dass die Pendler neben der reinen Arbeitszeit noch eine gehörige Portion Fahrzeit trifft, ist ein auch dem niederösterreichischen Landeshauptmann bekannter und von ihm anerkannter Umstand. Und dass es auch an den Arbeitsplätzen nicht gerade um die Schonung von Nerven geht, zeigt nicht zuletzt die Notwendigkeit sich an den arbeitsfreien Wochenenden und Urlauben zu erholen. Und schließlich, Nerven hin oder her, gilt es auch Pröll als fraglose Selbstverständlichkeit, dass Beförderungsschwierigkeiten kein hinreichender Entschuldigungsgrund dafür sind, nicht am Arbeitsplatz anzutreten. So nahmen daher Arbeitnehmer teilweise sogar die Übernachtungskosten in einem Hotel auf sich. Nicht diesen Zwang, selbst unter widrigsten Umständen am Arbeitsplatz erscheinen zu müssen, betrachtet der niederösterreichische Landesvater als den Pendlern unzumutbar. Das ist für ihn ein Naturgesetz im Interesse unserer Wirtschaft. Aber dass die Eisenbahner mit ihrem Streik andere Arbeitnehmer darin behindert haben, diesem Zwang zu gehorchen, das kann den Pendlern nicht zugemutet werden. Dies auch noch gerichtlich feststellen zu lassen, ist ihm sogar Geld wert.

Diese Sichtweise, den eigenen Schaden nicht am tagtäglichen Zwang, sich als Arbeitnehmer für die Gewinnerzielung in einem Unternehmen dienstbar machen zu müssen, festzumachen sondern in der Behinderung dieser Pflicht nachkommen zu können, beherrschen auch viele Pendler:

"Viele der 1,2 Millionen Pendler fürchten, dass sie wegen dieses Arbeitskampfes der Eisenbahner sogar ihren Job verlieren könnten."(Kronenzeitung 12.11.2003)

Man könnte fast meinen, diese dienstbaren Geister wüssten nicht, dass es noch immer die Arbeitgeber sind, die Kündigungen aussprechen und nicht die Eisenbahner. Verantwortungsbewusst und dienstbeflissen wie sie sind, sind ihnen die Interessen ihrer Arbeitgeber offenbar so sehr zur zweiten Natur geworden, dass ihnen jede noch so kleine Schädigung dieser Interessen ihrer Arbeitgeber wie selbstverständlich als unbestreitbarer Grund der Beschädigung ihrer Existenz einleuchtet.

Argument 4. Der Streik schädigt die ÖBB

"ÖBB-Generaldirektor Rüdiger vorm Walde rief zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf: "Ein Streik schadet allen Beteiligten. Die ÖBB sind ein Dienstleistungsunternehmen. Alles, was diese Dienstleistung stört, schadet den Kunden und dem Unternehmen, in weiterer Folge auch den Mitarbeitern, da die Marktposition des Unternehmens geschwächt wird.""(Standard vom 12.11.2003)

Bei einem Streik legen Arbeitnehmer die Arbeit nieder in der ausdrücklichen Absicht, den Arbeitgeber zu schädigen, um so ihren Forderungen den Nachdruck zu verleihen, den sie ohne den Einsatz dieses Kampfmittels offenbar nicht haben. Dass ein Streik das Unternehmen schädigt, ist daher kein Versehen, sondern das hat ein Streik, der den Namen Streik verdient, so an sich. Dass der ÖBB-Generaldirektor bei der Aussage, die Eisenbahner würden mit diesem Streik auch sich selbst schädigen, keine Angst zu haben braucht, von allen ausgelacht zu werden, liegt daran, dass er darauf bauen kann, dass auch für die Eisenbahnergewerkschaft, der Erfolg der ÖBB im Wettbewerb der europäischen Eisenbahnen, wegen ihrer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Österreich, oberste Priorität genießt. Genau das ist doch der Inhalt von Streiklosungen wie "Österreich braucht eine starke ÖBB für die Menschen, für die Wirtschaft, für die Umwelt, für das Land. Wir streiken für eine wirtschaftliche und leistungsfähige Bahn".

Wie geheuchelt die von allen Seiten vorgetragene Sorge um die Bediensteten ist, wie geheuchelt es von vorm Walde ist, wenn er die Eisenbahner davor warnt, sich doch nicht durch den Streik selbst zu schädigen und wie wenig sich ihn Wahrheit der Nutzen der bei den ÖBB Beschäftigten mit dem Erfolg "ihres" Unternehmens verträgt, das könnte man dem in all den vergangenen Jahren im Namen der Stärkung des Unternehmens durchgezogenen Personalabbau ebenso entnehmen, wie den nun schon wieder im Namen der Wettbewerbsfähigkeit der ÖBB geplanten Einsparungen weiterer 12.000 Eisenbahnern, den Lohnkürzungen und allen in Aussicht genommenen sonstigen arbeits- und sozialrechtlichen Verschlechterungen für die Eisenbahner.

Aber auch die Eisenbahner haben unter tatkräftiger Anleitung ihrer Gewerkschaft ihre Lektion gelernt. Statt der Losung von Vorstand und Regierung "der Streik schädigt die ÖBB" entgegenzuhalten, "den Erfolg der ÖBB können wir uns nicht leisten", wissen sie, dass Personalabbau einfach sein muss für die Sicherheit von Arbeitsplätzen, dass der Lohn nur auf eine Art gerettet werden kann, durch Lohnverzicht, dass Krankheit ein Luxus ist, der Arbeitnehmern nur in kleinen Dosen zusteht - kurz, dass des Arbeitsplatzes wegen all das aufzugeben ist, weshalb man ihn überhaupt braucht.

Zwei Sieger und ein Verlierer des Streiks!

Nach drei Tagen hat die Gewerkschaft der Eisenbahner den längsten Streik der jüngeren Geschichte Österreichs für beendet erklärt, siegreich wie sie selbst sagt. Aber auch die Regierung spricht von einem Sieg. Für die Öffentlichkeit ein Unding. Tagelang hat sie darüber gerätselt, wer denn nun der wirkliche Sieger ist und wer klein beigeben musste – die Regierung, weil die Gewerkschaft ihr Streikziel, die Strukturreform zu verhindern, aufgegeben hat oder doch eher die Gewerkschaft, weil das Dienstrecht aus dem Gesetzesantrag ans Parlamant herausgenommen wurde. Dass es tatsächlich zwei Sieger – Regierung und Eisenbahnergewerkschaft – geben soll, das wollte sie einfach nicht glauben. Darin irrt sie sich. Warum die Gewerkschaft zufrieden ist, begründet sie folgendermaßen:

"Die Eisenbahnergewerkschaft habe den Streik am Freitag aus ihrem Verantwortungsbewusstsein für die ÖsterreicherInnen und den Wirtschaftsstandort Österreich beendet, weil eines ihrer wesentlichen Streikziel, die Rücknahme der dienstrechtlichen Gesetzesvorlage und die Verlagerung auf die sozialpartnerschaftliche Ebene erreicht war."(Wilhelm Haberzettl, http://www.eisenbahner.at)

Worin besteht er denn der Erfolg der Gewerkschaft? Was ist es, das Haberzettl zufrieden stimmt? Ist die Kündigung von tausenden ÖBBler verhindert worden? Gibt es künftig keine Änderungen bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall? Bleibt den ÖBBler wenigstens die Personalmanagementgesellschaft erspart? Keine Rede davon. Für die Gewerkschaft offenbar trotzdem kein Grund sich als Verlierer zu fühlen. Dann ist es ihr darum wohl nie gegangen. Nie hat ihre Losung "Kein Eingriff ins Dienstrecht" gelautet, ihre Losung war "Kein gesetzlicher Eingriff ins Dienstrecht". Nicht zu überhören, möchte man meinen, der feine aber gemeine Unterschied. Die Gefahr der Verwechslung beider Aussagen war natürlich beabsichtigt, sie tatsächlich zu verwechseln bleibt aber schon die ganz und gar originäre Leistung der von ihrer Gewerkschaft überzeugten Eisenbahner. Und die kriegen jetzt für diesen Fehler ihre Rechung präsentiert, jährliche Kürzungen ihrer Gesamtlohnsumme von 100.Mill.Euro sind mit ihrem Verkehrminister bereits akkordiert, Kündigungen wie von der Regierung geplant, jetzt aber eben von der Gewerkschaft mitbeschlossen – damit garantiert nur die Richtigen fliegen, weil Faulheit mag auch die Gewerkschaft nicht. Und noch eines kriegen sie, ein nigelnagelneues Dienstrecht, dass mit Garantie für die richtigen Rahmenbedingungen für die Zukunft der ÖBB sorgen wird, das aber, ganz wie in der Losung der Gewerkschaft versprochen, ohne gesetzlichen Eingriff.

Man sieht die Gewerkschaft kann sich zurecht als Sieger fühlen. Sie wird gehört und kann ihre Kompetenz in puncto sachgerechtem Umgang mit der österreichischen Arbeiterklasse einbringen. Und genau darum und um sonst nichts ist es ihr eben gegangen. Dafür ist dann eben, wenn es sein muss, auch einmal ein Streik das Mittel der Wahl - mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein für den Wirtschaftsstandort Österreich natürlich.

Aber auch die Regierung gehört zu den Siegern. Sie hat ihre ÖBB-neu und sie hat ihr neues Dienstrecht. Zugegeben darauf muss sie jetzt noch bis in den kommenden Arpil warten. Das ist der Preis des Kompromisses. Wenn sich bis dann – wider Erwarten – keine Einigung ergeben sollte, bleibt der Weg der gesetzlichen Lösung ja noch offen – und bis dann ist sie sicher besser auf eventuelle Konflikte vorbereitet.

Zur Beruhigung der Damen und Herren von der Presse, von Funk und Fernsehen, es gibt sie die Verlierer, die Eisenbahner, die sich wieder einmal vor den Karren der Gewerkschaft haben spannen lassen. Aber das, seien wir uns doch ehrlich, bereitet ihnen doch sicher keine schlaflosen Nächte. Schließlich, wer weiß, vielleicht ergibt sich daraus sogar die Gelegenheit, im Rahmen eines der nächsten Weihnachtsfeste über die zunehmende soziale Kälte in unserem Lande zu berichten.

Den Eisenbahnern – und nicht nur ihnen – kann man an dieser Stelle nur eines sagen: Es wäre für sie hoch an der Zeit zur Kenntnis zur nehmen, dass eine Gewerkschaft, die sich für die Wirtschaft Österreichs stark macht, ihnen nicht nützt sondern schadet, auch dann wenn sie dies in ihrem Namen tut. Ist es wirklich so schwer einzusehen, dass die Probleme "ihres" Unternehmens, derer sie sich laut Gewerkschaft annehmen sollen, immer die Probleme sind, die das Unternehmen mit ihnen hat, dass es daher ein Fehler ist, sich nicht die eigenen sondern die Sorgen des Unternehmens zu machen.