Aus unserer Dauerserie „Gegen Illusionen über Arbeit
und Reichtum im Kapitalismus!“
„Es ist genug für alle da!“, verkündet attac – und warum gibt’s dann so viele Arme?
„Noch nie gab es so viel Überfluß in unserer
Gesellschaft wie heute. Noch nie gab es weltweit so viel Reichtum wie heute.
Kein Mensch müßte hungern, niemand an behandelbaren
Krankheiten sterben – es gibt genug für alle!“ (attac-Aufruf
vom 19.12.03)
1. Regelmäßig beglückt die „globalisierungskritische Bewegung“ attac die Menschheit mit solchen Auskünften, die Mut machen
und Hoffnung verbreiten sollen. Auf den ersten Blick erscheinen sie
einleuchtend, einerseits wenigstens: Irgendwie mangelt es wirklich nicht an
Reichtum. Anderseits belegt diese seit mehr als einem Jahrhundert regelmäßig wiederholte Weissagung – attac
hatte da schon einige Vorläufer –, immer nur eines: Vom Hunger gänzlich
unbeeindruckt wächst der „Überfluß“ weiter, und ungerührt vom gewaltigen medizinischen Fortschritt raffen
in der Tat „behandelbare
Krankheiten“ weiterhin
Menschen massenhaft dahin. Da blamiert sich so eine Verheißung im Konjunktiv –
„kein Mensch müßte“ – schnell: Wenn es Armut, Hunger,
Seuchen und andere Formen des Elends erstens weltweit und zweitens nicht erst
seit gestern und drittens trotz des jahrzehntelangen Ausbaus des Sozialstaats,
trotz Entwicklungshilfe, Caritas und Aidshilfe weiterhin in ziemlichen
Zuwachsraten gibt, dann scheint es sich um eine Weltordnung zu handeln, in der
der Reichtum Weniger mit dem Elend Vieler eine gar nicht so einfach
aufzulösende Liaison eingegangen sind.
Grund genug, der Frage genauer nachzugehen, warum denn der „weltweite Reichtum“ die Hungersnöte nicht
behebt; warum er attac einfach nicht den
Gefallen tut, sich über die Armen und Elenden zu ergießen.
2. Zunächst einmal: Das Deuten auf Überfluß und
massenhaften Reichtum trifft etwas. Da gibt es die Agrarprodukte, die verfaulen
oder ins Meer gekippt werden, wenn sie keine Käufer finden; da gibt es die
Milch-, Butter- und Rindfleischberge, die die EU auftürmt, weil sie verhindern
will, dass ihre Bauern an diesem ihrem Überfluß zugrunde gehen; da gibt es Warenlager, die aus allen
Nähten platzen, weil es wieder einmal an der Kaufkraft fehlt. Zu tun hat dies
ziemlich viel mit einer anderen Sorte von Reichtum: Die Mittel der Produktion
haben einen Produktivitätsstand in der industriellen Fertigung erreicht, der es
erlaubt, mit immer weniger Arbeitseinsatz in immer kürzerer Zeit gewaltige
Gütermengen herzustellen; alte Naturabhängigkeiten sind durch die Erfindung
quasi „künstlicher“ Rohstoffe und Materialien überwunden, es ist dafür gesorgt,
dass die Produktion von Nahrungsmitteln nicht mehr an regionalem Wassermangel
und schlechtem Boden scheitern muss. Usw.
3. Gänzlich an der Sache vorbei geht diese Aufzählung, wenn sie sich an den Möglichkeiten berauscht, die im Reichtum an Nahrungs- und
Produktionsmitteln stecken, ohne dabei zur Kenntnis zu nehmen, dass sich
solcher Überfluß kapitalistisch
gerade umgekehrt, nämlich als Mangel bemerkbar macht:
als Mangel an Zahlungskraft, sprich als
Geldmangel bei den Käufern, damit die all diese schönen Sachen ihrem in dieser
Produktionsweise einzigen Zweck zuführen – sie nämlich zu Geld zu machen. Deswegen fällt Geschäftsleuten
an Hungersnöten auch nicht der Mangel der Menschen an Nahrungsmitteln, sondern allein ihr Mangel an Bargeld auf! Hätten die Leute das nötige
Kleingeld, müßten sie nicht hungern. Die Unternehmerschaft würde sie sofort satt machen, wenn sie
Trockenmilch und Reissäcke kaufen würden, und zwar zu einem Preis, mit dem der Unternehmer seinen Gewinn macht. Wenn nicht, gibt’s eben
nichts zu Spachteln. Verschenkt wird nichts – wo käme der Kapitalismus denn da
hin! All der schöne, im Übermaß hergestellte Reichtum könnte schon das Elend weltweit beseitigen
– wenn, ja wenn er denn mit dem Zweck produziert würde,
als Mittel zur
Befriedigung von Bedürfnissen zu dienen. Wird er aber nicht! Der ganze stoffliche Reichtum wird unter
Einsatz lohnabhängiger Nichteigentümer im Interesse von kapitalistischen Privateigentümern als deren Privateigentum erarbeitet. Und seine einzige Existenzberechtigung hat er darin, sich in
der Form von Reichtum zu bewähren, die kapitalistisch allein als Reichtum gilt
– als Geld.
4. Das gilt auch für das Geld selbst. Der Überfluß
an Geld ist gleichfalls mit Händen zu greifen:
In allen „guten Sparkassen und Banken“ ist er zu besichtigen, in staatlichen
Haushalten ebenso wie auch bei Anlageberatern, die ihrer Klientel sagen, wie
sie aus ihren Geldüberschüssen noch mehr machen können. An den Börsen wird es
über den Globus hin und her geschoben, vermehrt sich scheinbar aus dem Nichts
heraus ungeheuer, bringt den Geldbesitzern und Spekulanten ihre Gewinne,
gelegentlich auch harte Verluste, die dann in der Regel den nächsten Börsenboom
mit neuen „Gewinnerwartungen“ einleiten. Auch bei diesem Überfluß
handelt es sich nicht um einen großen Haufen Geld, der nur darauf wartet, von Gerechtigkeitsaposteln
unter arme Menschen verteilt zu werden, die sich dann mit dem Geld alles
kaufen, was satt, warm, und gesund macht. Das ist eher eine ziemlich doofe
Micky-Maus-Perspektive: Dem Onkel Dagobert, der auf seinem Goldhaufen sitzt,
keinen roten Heller freiwillig herausrückt, muss man die Dukaten nur abknöpfen
und an alle Bedürftigen verteilen. Genau so wenig wie die hübschen Waren, die in den Schaufenstern zu besichtigen sind,
ihren Zweck im Verbrauch haben, erfüllt sich im Kapitalismus die Bestimmung des Geldes darin, mit ihm Turnschuhe, Semmeln
oder Aspirin zu kaufen, und damit irgendwelche Konsumwünsche erfüllen. Mit
jedem Verkauf soll Geld locker gemacht werden, das sich dann in Unternehmerhand
als Kapital bewährt. Nichts sonst! Da geht es dem Geld wie den Waren: Allein
für die weitere Geldvermehrung ist es da! Stellt
sich diese „Verwertung“ nicht ein, taugt auch das Geld nichts, und es findet
eine krisenhafte „Entwertung“ statt. Unternehmen schreiben „rote Zahlen“ und
setzen Leute massenhaft auf die Straße, die dann schauen müssen, wie sie
zurecht kommen.
5. Genau das macht den Kapitalismus aus: Es taugt für den Unternehmer die
neueste und produktivste Maschine nichts, wenn sich die damit produzierten Güter nicht als Waren auf dem Markt bewähren, d.h. ihm Geldreichtum
einbringen. Fabrikbesitzer, die keine Geschäfte mehr machen, schließen ihre
Fabriken und lassen ihren Maschinenpark eher verkommen, als dass sie eine
Produktion zulassen würden, die sich dem schlichten Zweck der Herstellung von Gütern für die
Bedürfnisbefriedigung verschreibt. Lieber lassen sie dann die Waren, die nicht zur
Geldvermehrung taugen, in ihren Lagern verfaulen oder verstauben, als dass
diese dem kostenlosen Konsum zugeführt würden. Beim Geld, diesem
kapitalistischen Produkt schlechthin, ist so eine Vorstellung ohnehin absurd: Lässt
es sich nicht vermehren, dann taugt es bald nichts. Dann hat es seine Rolle als
Wert ausgespielt. Deswegen ist auch der
Umverteilungsgedanke so meilenweit daneben: Eine massenhafte Geldumverteilung
zugunsten der Armen wäre die zügige Entwertung, die Zerstörung genau der
Qualität des Geldes, für die es gerade unter die hungrigen Massen gebracht
werden soll – nämlich als
Kaufmittel zu taugen.
6. Den kapitalistischen Reichtum gibt es überhaupt nur in genau der
„Verteilung“, die da von attac u.a.
angeprangert wird. Dieser Reichtum braucht dauerhaft Arme, die ihn herstellen, und er
produziert permanent Arme, die als absolut überflüssige Arbeitskräfte
unbrauchbar und als Hungrige nicht von Bedeutung sind. Also ist die Parole vom „Reichtum,
der genug für alle enthält“ so vernünftig dann doch nicht. Im Kapitalismus
gehören Armut und Überfluß eben zusammen. Das ist
gerade der Skandal. Wer den Kapitalismus als eine Produktionsweise mit
ungerechter Verteilung kritisiert, die nur auf attac
mit ihren moralisch hochwertigen Absichten und auf sonstige konstruktive
Vorschläge gewartet hat – der will auch nichts davon wissen, dass jedes Umverteilungsanliegen,
sobald es ernst genommen wird, einen Angriff auf die Grundfesten des
Kapitalismus darstellt.
7. Dieses Anliegen bekäme es ohnehin sofort mit eben jener Einrichtung zu
tun, an die attac in gnadenloser Zutraulichkeit all
seine Forderungen stellt und auf die es seine Hoffnungen richtet. Diese
kapitalistische Ökonomie kann nämlich immer auf die guten Dienste der Politik rechnen, hat also die Staatsgewalt hinter, neben, über, unter und vor
sich. Das ist im übrigen auch jedermann bekannt. Wer einmal der Verlockung des
bargeldlosen „Einkaufs“ nicht widerstanden hat, bekommt schnell unerfreulichen
Kontakt mit einer der zahllosen Vorkehrungen zum Schutz des Privateigentums. Diese staatlichen oder mit staatlichem Segen versehenen
privaten Vorkehrungen machen aus dem Akt der „spontanen“ Bedürfnisbefriedigung
in der Lebensmittelabteilung des Kaufhauses ein Verbrechen und aus dem Hungrigen einen Kriminellen. Vornehm sieht attac in den diversen Sonntagsreden vom Reichtum, der für
alle reicht, davon ab, dass die Herrschaft des
Privateigentums gerade nicht von gierigen und
ungerechten Privateigentümern abgesichert wird, sondern daß das die erste
Aufgabe der Staatsmacht ist.
8. Bekannt mögen diese Feststellungen vielleicht sein, sogar langweilig –
überflüssig sind sie dennoch nicht. Schon gar nicht für Leute, die sich
vorgenommen haben, mit ihren Einwänden gegen Armut und Reichtum im Kapitalismus
ernst zu machen. Als Gegner des Hungers und des Sozialabbaues muss man sich
entscheiden: Entweder hat man etwas dagegen, dass staatlich geschütztes
Kapitaleigentum weltweit allen Menschen ohne Geld den Zugang zum Reichtum
versperrt, oder man ist zufrieden damit, zu jener Riege guter Menschen mit dem
kindlichen attac-Weltbild zu gehören, demzufolge alles nicht so sein müßte, wie es ist. Dann richtet man sich eben genügsam in der Empörung darüber ein, dass die
Welt nicht so läuft, wie man sie sich zusammenträumt; dann hält man immer
wieder leicht beleidigt der Staats- und Geldmacht vor, dass sie einfach nicht
dem schönen Bild entsprechen, das sich attac nebst
Anhang von ihr macht; und dann weiß man sich womöglich durch die freie
Erfindung eines ganz besonderen Menschenrechts vollständig ins Recht gesetzt:
Es gibt – hat attac jüngst mitgeteilt – „ein Menschenrecht auf Teilhabe am
Reichtum, das sich niemand (erst) verdienen muss“, weil der Mensch angeblich irgendwie
von Natur aus damit ausgestattet sei. Das stimmt die attac-Gemeinde
vermutlich sehr zuversichtlich: Die Armen haben das Recht auf volle Teller! Zumindest in der
Einbildung der guten Menschen von attac! Und die
Reichen schwimmen im Überfluß – dies aber ganz und
gar zu unrecht. So ist das eben mit solch einem
erfundenen Recht: Es macht nicht satt, sondern blamiert nur immer wieder die Reichen
moralisch ungeheuer. Die können schätzungsweise damit gut leben, haben sie doch
die Gewißheit, dass die Staatsmacht das
kapitalistische Eigentum und sein Geschäftsinteresse ganz praktisch ins Recht
setzt.
Aber dieser Staat ist, zwar nicht wirklich, in der Einbildung der attac-Gemeinde aber schon, ständig mit dem Versuch
beschäftigt, den Armen etwas zukommen zu lassen; er scheitert aber – wieder
nicht in Wirklichkeit, sondern nur im attac-Weltbild
– an knappen Mitteln. Was tun? Attac hilft ihm mit
einer Kampagne:
„Stopp Steuerflucht!“ – Warum das
denn?
„Steueroasen bieten Kapital die Möglichkeit, sich der sozialen
Verantwortung zu entziehen.“(Kampagne Stopp Steuerflucht) „Besonders die Folgen
von Steuerflucht bekommen wir alle im Alltag zu spüren. Wenn Sozialsysteme
zusammengestrichen, die Ausgaben für Bildung immer weiter gekürzt werden und
kaum Gelder für ökologische Reformen zur Verfügung stehen, so ist dies neben
politischen Verteilungsentscheidungen eine unmittelbare Folge der zumindest in
Deutschland immer geringeren Besteuerung von Kapital.“ (Kampagne Stopp Steuerflucht)
So soll sich das also jeder vorstellen, der sich an Armut und Sozialkürzung
in den sogenannten Industrieländern, an Hunger und
Elend in der Dritten Welt oder an Staatsverschuldung und -bankrott der sogenannten Entwicklungsländer stört: Diese häßlichen Erscheinungen der globalen Marktwirtschaft sind
eigentlich gar nicht nötig und von keinem gewollt; sie sind lauter Fälle
unterbliebener Hilfeleistung, wofür „der Reichtum“ eigentlich schon da und groß
genug sein sollte. Und sogar der Weg, den existierenden privaten Reichtum, ja
das „Kapital“ selbst seiner eigentlichen sozialen „Verantwortung“ zuzuführen,
der ist längst erfunden und bestens organisiert: Steuern! Steuern und Steuerstaat sind nach
dieser Sichtweise eine Art Dauerhilfsorganisation, die mehr Unterstützung
verdienen und brauchen. Etwa durch eine Art Nicht-Regierungs-Steuerfahndung, zu
der attac gute Menschen als Kampagne organisiert.
Fragt sich nur: Landen denn die Steuern tatsächlich normalerweise bei den
Armen? So dass man sie radikaler und vermehrt eintreiben muss? Und: Warum hat
diese Abhilfe nicht längst aufgeräumt mit den beklagten Zuständen, wenn das
Finanzministerium angeblich für die „soziale Frage“ zuständig ist? Aber diesen
Fragen nachzugehen, würde in den Augen von attac wohl
nur den Schwung der Kampagne hemmen.
Wovon die „Kampagne Stopp Steuerflucht!“ nichts wissen will
Die Kampagne will erst gar nicht wissen, was Armut, Elend und
Verschuldung der Dritten Welt entstehen lässt. Sie wirbt
statt dessen für die nachträgliche Reparatur: Denn erst, wenn das Elend in der Welt ist, soll mit Steuergeldern
geholfen werden. Aber müssen Armut und Elend
denn überhaupt entstehen? Kann man nicht
daran etwas ändern? Was ist das denn für
eine Hilfe, wenn neben ihr Armut und Elend
erhalten bleiben bzw. immer wieder entstehen? So etwas aber hat die attac-Kampagne im Auge, die den Staat und sein Steuerwesen
als eine Art Hilfsorganisation sehen will, also das dauerhafte Vorhandensein von Not unterstellt.
Dass Armut und Elend in dieser politischen Perspektive nie verschwinden, stört
die Vordenker der Kampagne „Stopp Steuerflucht“ offenbar nicht, sondern nährt
ihr Selbstbewusstsein, Unentbehrliches und Gutes zu tun. Die Kampagne wirbt
damit, daß Hilfe möglich sei! – Die Mittel, nämlich
Steuern, seien da. Damit wirbt sie für die Instanzen, die nach ihrer Sicht
diese Möglichkeit verbürgen: der Steuerstaat und – zumindest mit dessen
Beteiligung durch ordentliches Abkassieren – der kapitalistische Reichtum mit
seiner Produktionsweise. Dieses Zutrauen ist unverdient. Ginge man in der
Absicht, Armut und Elend erst gar nicht zustande kommen zu lassen, der Frage
nach, was und wer sie hervorbringen, würde man auf Steuerstaat und kapitalistischen
Reichtum als Produzenten von Armut und
Elend stoßen – und nicht als potentielle Nothelfer:
Erstens ist noch jedem
bekannt, dass der Steuerstaat nimmt und nicht gibt.
Er selbst anerkennt sogar im Zuge seiner Enteignung, dass er Bürger ärmer macht
und bremst seinen Zugriff auf ein von ihm definiertes Existenzminimum. Davon
müssen die Geschonten dann leben, und der Staat spart Sozialhilfe. Der
Steuerstaat – ein Nothelfer?
Zweitens behandelt der Staat seine Bürger als Gleiche und langt bei allen zu. Das
richtet aber gar nicht bei allen das Gleiche an und das soll es auch gar nicht.
Unselbständig Beschäftigten besteuert der Staat ihre Lohn-Einkommen, die staatliche und private
Arbeitgeber knapp bemessen, macht
sie also noch ärmer. Bei Vermögenden und beim privaten Kapital greift die
Steuer auf die periodischen Reichtumszuwächse aus Zinsen und Gewinnen zu. Und bei deren Schmälerung hält sich der Staat
zurück. Dennoch ist es nicht so, wie attac mit Blick
auf die bekannt ungleichen Anteile der Steuerquellen am Steueraufkommen
schreibt: „Es(!)
kommt(!) zu einer Umverteilung der Steuerlast von Kapital auf Arbeit und damit
von mobilen auf immobile Steuerbasen.“ (Kampagne) Dazu „kommt“ „es“ nicht erst durch
eine „Umverteilung“ einer eigentlich ganz anders strukturierten „Steuerlast“,
das ist schon die zweckmäßige und beabsichtigte Tätigkeit des Steuerstaates. Der begeht dabei
keinen Irrtum oder vergeht sich an seinen eigenen Zielsetzungen. Ganz
eigennützig berechnender Steuerstaat, schont er das private Kapital und dessen
Gewinne und Zinsen beim Steuerabzug, damit es wächst und er sich weiter an
diesem Wachst um beteiligen kann. Sich selbst hilft der Steuerstaat durch diese
Verteilung der Steuerlast schon. Damit nicht genug. Aber nicht nur beim
Steuereintreiben, erst recht beim Verwenden der Steuern stößt
man auf den Staat als Produzenten von Armut und
Elend:
Drittens nämlich steckt er viel Geld in die Errichtung einer Rechtsordnung und
deren Durchsetzung durch Justiz und Polizei, die dem privaten Eigentum die
Macht über alles Produzieren von Reichtum erteilt. Das ist das „Kapital“, das attac zum zweiten Nothelfer erklärt – jedenfalls unter
steuerstaatlicher Aufsicht. Dieses Kapital tut, was es nach seiner staatlichen
Freisetzung auch tun soll. Es betreibt sein Wachstum, indem es die
Lohneinkommen als Kosten behandelt. Es senkt die Lohnkosten bei optimierter
Arbeitsleistung und entlastet sich schon gleich von Sozialabgaben für
entlassene Arbeitslose, Kranke und Rentner. Das produziert arme Beschäftigte und noch ärmere
Unbeschäftigte. Das bringt dafür dem Staat Steuern – und zwar genau in dem
Maße, wie diese rücksichtslose Gewinnproduktion erfolgreich ist.
Viertens verwendet der Staat Steuern nicht nur zur Garantie des Kapitaleigentums, sondern auch zur Förderung des
Kapitalwachstums. Damit produziert er, Armut und
Elend, und zwar sehr zielstrebig. Ein aktuelles Beispiel: Kostspielige und auch
steuerfinanzierte Reformen der Arbeitslosenverwaltung sollen diese zum Anbieter von
Billig-Arbeitskräften für die Unternehmen machen. Oder Staatsbetriebe, die
durch ordentliche Zuschüsse aus Steuermitteln ökonomisch fit gemacht werden
sollen, damit sich privates Kapital findet, das sie übernimmt.
Fünftens: Auch das Elend
in der Dritten Welt wird produziert und ist nicht einfach da. Erst müssen sich
da internationale Konzerne Landstriche für ihren Rohstoffabbau und ihre Plantagen
aneignen, damit dann landlos gewordene Massen ihrem
Elend nachgehen. Die Industrie-Staaten betreiben diese
„Integration in die Weltwirtschaft“, wieder mit viel (Steuer-)Geld und durch
massive politische Einflußnahme. Diese Entwicklung unterstützen auch Entwicklungs-Staaten, die am
Kapitalwachstum per Steuereinnahme partizipieren wollen. Auch das würde ein
objektiver Blick auf die Quellen von Armut und Elend klären: Die
Entwicklungs-Staaten stehen nicht auf einer Stufe mit den menschlichen
Elendsopfern in ihnen. Die Dritte-Welt-Staaten sind Mittäter, auch wenn ihnen ihre Weltmarktteilnahme weniger
Staatseinnahmen als Schulden einbringt.
Warum also kriegt „die Welt“ den Reichtum nicht, der angeblich für sie da
ist? Weil die Steuern dem Staat und nicht „der Welt“ und schon gar nicht den
Armen gehören. Und nicht nur das. Weil der gesamte Reichtum der weltweiten
Marktwirtschaft den privaten Kapitaleignern gehört, und die Garantie dessen
eine der höchsten Zielsetzungen der modernen Staatsgewalten ist. Ausgerechnet
die sind aber nach Meinung der guten Menschen von attac
eine gute Adresse für Nothilfe. Um es einmal so zusammenzufassen, daß es hoffentlich auch diese
Nicht-Regierungs-Steuerfahnder verstehen: Gezahlte Steuern richten
dort, wo sie hingehören, nämlich in der Hand des Steuerstaates, mindestens so viel Armut und Elend an
wie die Steuerflucht in „Steueroasen“,
aus denen heraus das Kapital dann weltweit seine immer gleiche „Verantwortung“
für seine Gewinne wahrnimmt.
Wem ist geholfen, wenn man dem Steuerstaat helfen will?
Dem Steuerstaat natürlich. Aber die Freunde von „Stopp Steuerflucht“
bilden sich ja ein, dass über den Steuerstaat das Geld dann bei den Armen und
Elenden lande. Fragt sich nur: Warum sollen die nur etwas aus dem Steueranteil kriegen? Wieso nicht gleich soviel
vom Reichtum, dass ihre Not wirklich gar nicht entsteht? Warum sollen die nicht
direkt das Geld kriegen bzw. nehmen? Warum die Freunde von „Stopp Steuerflucht“
überhaupt diesen Weg über den Staat gehen wollen, begründen sie kaum. Man kann
aber auch begründet Zweifel haben, dass es ihnen überhaupt auf einen solchen
Umweg über den Steuerstaat hin zu den Armen und Elenden als Endziel ankommt.
Manche ihrer Diagnosen, wo die beklagenswerten Nöte durch Steuerflucht
eigentlich angesiedelt seien und wer folglich Hilfe verdiene, weisen auf ein
ganz anderes Endziel und einen ziemlich direkten kürzeren Weg:
„Es(!) kommt(!) zu einer Umverteilung der Steuerlast von Kapital auf
Arbeit und damit von mobilen auf immobile Steuerbasen ... Das verteuert die
Arbeit und macht es noch schwerer, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.“
(Kampagne)
Erstens ist die Behauptung weltfremd, durch die Lohnsteuern würden die
Löhne in die Höhe getrieben, so als würden Gewerkschaften richtig
unternehmerisch kalkulieren und die Steuerlasten ihrer Mitglieder sofort auf
den Preis der Arbeitskraft überwälzen. Das verhindert schon die berühmte
gewerkschaftliche „Verantwortung“! Aber zweitens, wessen Sorgen macht man sich
denn da? Wem, bitte schön, ist Arbeit zu „teuer“? Den Beschäftigten, die die
Arbeit machen, nicht sie bezahlen ? Den Arbeitslosen, die bestimmt
nicht Arbeit einkaufen wollen? Nein, den Kapitalisten, denen ist Arbeit immer
zu teuer. Und dem Staat, der den Kapitalisten Billiglöhne anbieten will, damit
sie auf seinem „Standort“ und auch für ihn ihr Wachstum erzielen. Wer stört
sich an „der“ Arbeitslosigkeit und bekämpft „teure“ Arbeitskosten? Wieder nicht
die Arbeitslosen, die in diesem System allenfalls an einer möglichst gut, also teuer bezahlte Beschäftigung interessiert
sein müssen. Nein, wieder ist der Staat Sorgeobjekt und Endbegünstigter der
alternativer Steuereintreiber von der attac-Kampagne.
Und gerade nicht die Armen und Elenden. Die kommen schon vor in dieser
Diagnose, aber nicht mit den Sorgen, die sie haben, sondern mit den Sorgen, die sie ihren politischen
Herren machen. Wem ist also geholfen, wenn man
dem Steuerstaat helfen will? Dem Staat, der mit Steuern seine Probleme mit den
Armen erledigt.
Der kleine Unterschied zwischen den gutmeinenden
und den wirklichen Steuereintreibern
Diese ideelle Einmischung in die Arbeit der Finanzämter ist ein Scherz und bringt keinen Cent in irgendeine Staatskasse. Die Kampagne macht sich aber nicht einmal den Steuerstaat zum Freund. Der hat nämlich seine hervorragenden Gründe, seine kapitalkräftigen Steuerquellen zu pflegen und seiner Wirtschaft auch grenzüberschreitend freien Kapitalverkehr zu genehmigen. Ja, er fördert diesen z.B. in die Dritte Welt hinein und hat auch seine eigenen Berechnungen, wenn er „Steueroasen“ einmal respektiert und ein anderes mal auch weniger schätzt. Eine Leistung ist der Kampagne allerdings nicht abzusprechen: Auf jeden Fall trägt sie dazu bei, dass der gute Ruf vom Vater Staat im Volk gepflegt wird. Und das ist leider gar kein Scherz.