GEGENARGUMENTE

Irak-Krieg und UNO: Die Amerikanisierung des Völkerrechts

Zahlreiche Beobachter des Weltgeschehens glauben im Krieg der USA gegen den Irak eine tief greifende Wende in den internationalen Beziehungen der Staatenwelt zu erkennen. Im Griff der Bush-Administration zum Mittel des "Präventivkrieges", unabhängig von einer gemeinschaftlichen Beauftragung durch die UNO und ihren Weltsicherheitsrat, entdecken sie nunmehr auf Seiten der Weltmacht einen Bruch, wenn nicht sogar die Verabschiedung des Völkerrechts als Institut der internationalen Politik. Auffällig ist allerdings der Umstand, dass die Amerikaner sich beharrlich auf ihr Recht zum Krieg berufen.

Sowohl die rechtsbewussten Anhänger von amerikanischen Präventivschlägen also auch ihre europäischen Kritiker stützen sich gleichermaßen auf das Völkerrecht als System internationaler Legitimität. Was hat es nun mit dem Völkerrecht, dieser eigentümlichen Instanz, vor der ein Krieg je nach Standpunkt als Bruch oder als Exekution des Völkerrechts erscheint, auf sich?

I.

Die USA haben dem Rest der Welt das "Angebot" gemacht, mittels einer von ihnen garantierten "neuen Weltordnung" den leidigen Geburtsfehler ihrer rechtlichen Verfasstheit in der UN-Charta endlich auszuräumen: Ein allgemeines, weltweites "Gewaltverbot" zwischen den Nationen, einschließlich der vom zuständigen Sicherheitsrat beschlossenen Ausnahmen davon, kann eben, wenn die Adressaten der Charta laufend Gründe und Mittel für die Anwendung von Gewalt gegeneinander haben, nur unter einer Bedingung wirklich ernst genommen werden: der einer globalen Obrigkeit, die dieses Statut überwacht und durchsetzt. Erst mit einer solchen schlagkräftig von ihnen geführten Aufsicht kann es nach Auffassung der USA gelingen, einem wirklich rechtsstaatlichen Zustand zwischen den Staaten und seinen disziplinarischen Segnungen näher und über den diesbezüglich fiktiven Zustand des Völkerrechts hinaus zu kommen.

Am Willen der US-Weltmacht hat es ja nie gefehlt, den Vereinten Nationen entsprechend den amerikanischen Bedürfnissen den weltpolitischen Weg zu weisen und sich sodann als Auftragnehmer für die rechtmäßige Realisierung amerikanischer Interessen als internationale Notwendigkeiten ins Zeug zu legen. Solange aber die UNO die Rechtsform des Weltgegensatzes zwischen Ost und West war, haben die USA nicht nur tatkräftig an der Korrektur dieser unbefriedigenden Machtverhältnisse gearbeitet, sondern auch den diesen entsprechenden internationalen Rechtszustand für mangelhaft gehalten und nur geduldet.

Seit der Bereinigung des großen Weltgegensatzes mit den Vertragsstaaten des Warschauer Pakts zu Gunsten der unzähligen kleineren Konflikte, in einer von "Lagerdisziplin" freigesetzten Welt des alternativlos ins Recht gesetzten Imperialismus, unternehmen die USA den Versuch, die Machtverhältnisse der "unipolaren" Welt als endgültig entschieden zu behandeln und so rücksichtslos an den Interessen ihrer großen Nation zu messen, wie sie das schon immer für angebracht gehalten haben. Das Völkerrecht soll endlich seinen ohnehin schon lange so gemeinten, aber erst jetzt realisierbaren Sinn als Formalisierung einer amerikanisch regierten Weltfriedens- und Kriegsordnung bekommen. Das "Angebot" der Amerikaner beinhaltet die Übernahme der verantwortungsvollen Rolle des Gewaltmonopolisten und der machtvollen Durchsetzung der UN-Charta, über deren friedens- und ordnungsstiftende Auslegung dann kaum mehr Streit zwischen der "Völkergemeinschaft" und ihrem allein befugten Exekutor zu befürchten wäre.

Saddam Hussein lieferte den weltpolitischen Anlass für die Vorführung, wie unter der Herrschaft eines Völkerrechts, das sich nach Ansicht von Bush "selbst ernst nimmt", der größte begehbare politische Fehler aussieht: Er hat den unbedingten und unversöhnlichen Durchsetzungswillen der USA gegen alle Versuche, sich ihrem nunmehr ungehindert weltweit ausgreifenden Kontrollregime mit eigenen Machtberechnungen zu entziehen, falsch kalkuliert. Der betreffende Machthaber, vor Zeiten noch wohlgelitten und sogar eine Art Subunternehmer der USA im antiislamistischen Irankrieg, war durch seine Hartnäckigkeit gegenüber den Weisungen der USA bei der Verfolgung seines selbstgenehmigten Nationalprojektes in der Kuwait-Frage unwiderruflich und ohne Chance auf Resozialisierung in der politischen Verbrecherkartei aller künftigen US-Regierungen gelandet. An ihm wurde die neue völkerrechtliche Urteilsgewalt des amerikanischen Machtinteresses durchprobiert, ebenso wie der verbliebene Wert von Veto-Rechten im Weltsicherheitsrat, denen entweder, wie im Falle Russlands, die materielle Gewaltgrundlage abhanden gekommen waren oder, wie im Falle Frankreichs und Englands, die alte Sinngebung durch den gemeinsamen sowjetischen Feind. Dabei stellte sich am Ende heraus, dass – was auch sonst – man der mächtigsten Macht das Recht auf Krieg völkerrechtlich einfach nicht verweigern mochte und eine machtvoll erzwungene Konvention oder ein rücksichtslos durchgedrücktes Diktat sich am Ende durch die Anerkennung der davor zurückweichenden "Völkergemeinschaft" auch den moralischen Bonus der internationalen Rechtlichkeit sichern kann.

So hat die amerikanische Staatsmacht im ersten Irak-Krieg den Schein der Bindung ihrer Militärgewalt durch die Formalia des Völkerrechts durchaus aufrecht erhalten und Wert darauf gelegt, den Angriff auf Saddam Hussein zunächst mit dem kollektiven Selbstverteidigungsrecht Kuwaits und seiner "befreundeten Schutzmacht" gemäß Art. 51 der UNO-Satzung zu begründen und sich danach mit entsprechendem diplomatischem Druck auch noch eine rechtfertigende Resolution des Sicherheitsrats für ihr Vorgehen zu besorgen. Die USA haben für ihre Flugverbotszonen, das Sanktionsregime, die Entwaffnung des Irak durch UN-Inspekteure und die gesamte Dauerbelagerung des Landes einschließlich seiner völligen ökonomischen Niederwerfung stets, wenn auch mit mal mehr, mal weniger UN-rechtlichem Gezerre, das rechtliche Placet der New Yorker Völkerrechtszentrale bekommen, wohl wissend, dass es sich dabei um mehr als eine moralische Rechtfertigung ihres nahöstlichen Kontrollregimes handelte: Ist die international anerkannte Rechtlichkeit eines solchen Regimes erst einmal in der Welt, ist sie eben nicht nur ein Stück Idealisierung überlegener Gewalt, sondern praktisch wirksamer Bestandteil der Weltdiplomatie geworden, an dem das abweichende wie das Wohlverhalten der Nationen gemessen wird und das schon wieder eigene "Gründe" und "unabweisbare Notwendigkeiten" für den Umgang mit den geprüften Kandidaten abgibt.

So richtig zufrieden war die amerikanische Schutzmacht des Völkerrechts aber nie mit der Akzeptanz, auf die ihre Offerte in der "Völkergemeinschaft" stieß, obwohl doch von Seiten der USA an alles gedacht war: Sie wollten mit ihren Machtmitteln die Aufsicht über alle Weltgegenden führen, auf die sich amerikanisches Interesse richtet, dabei dem Völkerrecht die Reverenz erweisen, indem man es als die Rechtsform des US-Interesses und dieses als die Verwirklichung des internationalen Rechts auszulegen bereit war. Der Respekt vor den anderen Mitgliedern der Vereinten Nationen sollte so weit gewahrt werden, dass ihnen sogar das Recht zustehen sollte, sich an der amerikanischen Definition von Regelverletzungen zu beteiligen und an der Vollstreckung des Urteils mitzuwirken.

Dieses Angebot sahen und sehen die USA bis heute nicht ausreichend gewürdigt. Die Restmächte des Weltsicherheitsrats und andere Subimperialisten nehmen offenkundig die für sie vorgesehene Rolle als Hilfsbeamte des amerikanisch ausgelegten Völkerrechts nicht an und betrachten sich anscheinend keineswegs als dauerhaft ausgemischt aus einer politischen und moralischen Entscheidungsfindung über die Gewaltverhältnisse der Welt. Sie missbrauchen aus Sicht der USA vielmehr die geltenden Formalia der UN dazu, die machtmäßige und damit auch völkerrechtliche Ausnahmestellung der Vereinigten Staaten zu relativieren. Sie belästigen die Weltmacht mit der Zumutung, sich irgend welchen internationalen Gerichtshöfen zu unterwerfen, und sehen nicht ein, dass das Unterfangen, "Schurkenregime" durch umfassende "Abschreckung" von ihren ordnungswidrigen Missetaten abzuhalten, diese formell und ganz zu Unrecht immer noch als anerkannte Mächte behandelt, wo doch für Saddam und Konsorten nur noch Kapitulation und Entwaffnung in Frage kommen. Stattdessen haben vor allem europäische UN-Nationen die USA periodisch zur Erneuerung der Rechtsgründe für das Sanktionsregime und ihren "low-level-warfare" genötigt. Und manche unter ihnen haben einem Staatsmann, der – das macht immerhin das singulär Verbrecherische an Saddam aus - sich einen aktiven, kriegerischen Verstoß gegen amerikanische Kontrollansprüche erlaubt und den gerechten Gegenkrieg der Weltvormacht an der Macht überlebt hat, sogar die Rückkehr in den Kreis der respektierten Nationen in Aussicht gestellt!

II

Die eigenen Berechnungen der Europäer und Russen und deren völkerrechtlich formalisierte Einmischung in der Causa Saddam, in der die USA zur Gefolgschaft aufriefen, lagen und liegen quer zu der grundsätzlichen, weil exemplarischen Bedeutung, die die Regierung Bush dem Fall zumisst. In Saddams herausfordernder Widersetzlichkeit gegen das von den USA beanspruchte Ordnungs- und Kontrollregime in der Region, auf dem die Amerikaner ausdrücklich und unter Aufbietung ihres gesamten Drohpotentials bestanden haben, das sie mit einem veritablen Krieg durchgesetzt und um die völkerrechtliche Ächtung des Irak ergänzt haben, sehen die USA einen Angriff auf die Integrität ihrer Gewalt, die, würde sie diese Verletzung straflos dulden, weltweit an "Glaubwürdigkeit", also erpresserischer Durchschlagskraft, verlöre. Die moralische Bewertung Saddams und seiner Politik entspricht dem fundamentalistischen Machtanspruch der Führungsnation und bildet rechtlich das Gewaltverhältnis zwischen dem Irak und Amerika dem innerstaatlichen Status von Obrigkeit und Rechtsbrecher nach: Saddam ist ein Verbrecher und sein Benehmen eine Verletzung des Völkerrechts, für das die USA als Garantiemacht einstehen, und das nur durch die bedingungslose Unterwerfung des Missetäters wieder hergestellt werden kann. Die amerikanische Gewalt macht das internationale Recht zum Gegenstand ihres strategischen Kalküls und stattet es deshalb mit den für jedes echte Recht unentbehrlichen Elementen von Urteil und Vollzug aus, um dem moralischen Urteil über staatliches Unrecht politisch-diplomatische Wucht zu verleihen. So landen Verstöße gegen die im Völkerrecht institutionalisierte Ordnung der geltenden imperialistischen Interessen auf kürzestem Wege in der Sphäre der höheren Rechtsgüter und höchsten Werte, mit der Folge, dass die Unterwerfung Saddams für die amerikanischen Verteidiger des Wahren, Guten und Schönen nicht verhandelbar war.

Der strategische Blick der Weltmacht auf die globale Bedrohungslage und die Verletzlichkeit des amerikanischen Kontrollinteresses, das den gesamten Gewalthaushalt des Planeten misstrauisch prüfend auf dieses Interesse bezieht, schlägt sich folgerichtig in der amerikanischen Bestimmung der völkerrechtlichen Lage nieder: Er erstreckt sich nach dem 11.9. auch auf die Gefährdungen der USA von Seiten nicht befreundeter NGOs und deren mögliche Unterstützung durch einen der notorischen "Schurkenstaaten". Die Möglichkeit wird als reale Gefahr genommen, die reale als eine unmittelbar drohende und diese wiederum als Rechtsgrund für die unwidersprechliche Befugnis zur Führung von Präventiv-Kriegen. Dass im Falle des Irak nach Auffassung des größten Teils einer kundigen Öffentlichkeit keine Gefahrenlage für die USA tatsächlich gegeben war, stört die entschlossenen Rechtsausleger des Weißen Hauses keine Sekunde. Sie machen von ihrer völkerrechtlichen Definitionsgewalt Gebrauch, die sich nicht nur auf die Setzung und Auslegung geltend gemachten Rechts, sondern auch auf die Gegebenheiten und Möglichkeiten der wirklichen Welt bezieht. So findet sich in der Bush-Doktrin vom September 2002 die These, was eine unmittelbare Gefahr sei, müsse unter Berücksichtigung der heutigen Umstände definiert werden. Heute müsse jederzeit mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen gerechnet werden. So gesehen ist die Welt also ohne Unterlass von "unmittelbaren" Gefahren bedroht, ein "Präventivkrieg" zur Abwehr einer erkannten Gefahr deshalb auch immer gerechtfertigt, so dass am Ende die vorbeugende kriegerische Bekämpfung abweichender politischer Bestrebungen innerhalb der Staatenwelt zum Standard-Instrument bei der verantwortungsvollen Durchsetzung des Völkerrechts avancieren muss.

Wo die Lage so dramatisch ist, sollen das Urteil und die nötigen Vollstreckungsmaßnahmen nicht an einer dünnen Beweislage scheitern. Manche der Ratsmitglieder haben sich aber geziert. Sie beriefen sich auf ihre überkommenen Satzungsrechte und wollten sich ihre Zuständigkeit zur Einmischung nicht nehmen lassen: Deswegen bezweifelten sie die rechtliche Korrektheit sofortigen Zuschlagens der USA, stritten mit ihnen über die rechtliche Qualität von Saddams Verstößen, der vorgelegten Beweise, die Verlängerung der Inspektionen und die richtige diplomatische Tonart im Umgang miteinander, kurz: sie hängten den USA eine langwierige völkerrechtliche Diskussion an, die diese nicht zu Unrecht als juristisch verbrämten, aber in der Sache lupenreinen Antiamerikanismus verstanden und verstehen. Einen Antiamerikanismus aber, der sich wohlweislich und so weit irgend möglich auf den rechtlichen Streit beschränkt und sich nicht zur offenen Konfrontation mit der amerikanischem Macht versteigt.

Die USA haben klargestellt, dass ihr Angebot, mit ihrer Weltmacht für die Identität von UN-Völkerrecht und amerikanischem Interesse zu sorgen, nie anders denn als Ultimatum an die alte Zentrale des Völkerrechts in New York zu verstehen war: Wenn die UN und die in ihr versammelten Nationen dem amerikanischen Krieg ihren rechtlichen Segen verweigern, haben sie ihre Rolle ausgespielt. Wenn das Recht sich von der (amerikanischen) Macht trennt, ist es kein Recht mehr, weil es nun einmal nur eine Zutat zur und ein Produkt der Gewalt ist. Diese Trennung durch die Verweigerung einer rechtfertigenden Kriegsresolution zuzulassen, das, so halten die US-Diplomaten ihren Kollegen in der UNO vor, heißt, sich als UN selbst nicht ernst zu nehmen. Die Vereinten Nationen als Staatenverein haben, so die USA, eine Chance zum Überleben: Als passende Formalisierung der Gewaltverhältnisse, die die einzige Weltmacht zu etablieren gedenkt, und als Forum der völkerrechtlichen Anerkennung dieser Verhältnisse und der diplomatischen Bereitstellung von Gefolgschaft für die "herrschende Meinung". Ohne Gewalt ist die "Völkergemeinschaft" eben nicht mehr als ein "bedeutungsloser Debattierclub" (Bush) und das UN-Recht nicht einmal mehr ein Imitat wirklicher Rechtsverhältnisse.

Dass angesichts des Auftretens der Washingtoner "Unilateralisten" manchem Vertreter eines von Unterordnung betroffenen Rechtsstandpunktes das Wort vom Bruch und Ende des Völkerrechts einfällt, verwundert nicht. Die Wahrheit ist aber, die USA haben das Völkerrecht nicht gebrochen, sondern sie machen sich daran, den Schein des Völkerrechts als von staatlichen Souveränen frei gewählte Verbindlichkeit zu beenden und die Staatenwelt vor eine Alternative zu stellen, die sie selbst entscheiden: Entweder herrscht unverbindliche Freiheit und Willkür in den Verkehrsregeln der Nationen; dann kann aber wohl nicht von der "Herrschaft des Rechts" die Rede sein, die doch angeblich alle wollen. Oder die Völkergemeinschaft unter der laut Bush "gottgewollten Führung" der USA will dem Recht zum Sieg verhelfen; dann muss Schluss sein mit souveräner Unverbindlichkeit in allen internationalen Fragen von gut und böse.

Die USA sind sich sicher, dass die "Stärke des Rechts" keineswegs im Gegensatz zum "Recht des Stärkeren" steht, sondern dass ihrer durchsetzungsfähigen Macht die Rechtlichkeit ganz von selbst zuwächst; und sie haben die Gewaltmittel, diese Sichtweise wahr werden zu lassen. Sie brechen also nicht das Völkerrecht und schaffen es schon gar nicht ab, wenn sie darauf bestehen, dass "der Weg dieser Nation nicht von den Entscheidungen anderer abhängt" (Bush), sondern schreiben es auf äußerst sachgerechte Art fort

III.

Alle anderen Nationen sind von der offenen Übernahme der exklusiven völkerrechtlichen Definitions- und Exekutivgewalt durch die USA betroffen. Ihre und die Degradierung der UNO zur willfährigen Rechtsgemeinde der Vormacht, bei Strafe ihrer dauerhaften Bedeutungslosigkeit, macht den imperialistischen Nationen der zweiten Reihe unmissverständlich klar: Die USA bewerten mit den angestammten Befugnissen und Zuständigkeiten der Mit-Berater und Mit-Stifter des internationalen Rechts auch deren Interessen und die darauf gründenden diplomatischen Verfahrensweisen neu. Der bisherige internationale Brauch der Mitbestimmung der europäischen Mächte, ihre Wichtigkeit als prägende Mitmacher der Vereinten Nationen, die reibungslose Übersetzung ihrer weltweiten Interessen in Rechte, über die sie sich mit den USA nicht selten stritten, deren Bestand aber nicht bestritten war: All diese völkerrechtlich institutionalisierte Rücksichtnahme auf die ehemaligen partners in leadership soll nicht mehr gelten.

Aus dem Verschwinden ihres Hauptfeindes haben die USA zwei sehr prinzipielle Lehren gezogen: Erstens, dass auch die Erstreckung der kapitalistischen Konkurrenz auf den ganzen Globus noch kein idealer sondern immer noch ein mit mancher Misshelligkeit behafteter Zustand ist; und zweitens, dass Amerika sich heute Störungen seiner freien Weltkonkurrenz nicht mehr bieten lassen muss. Gelungene Konkurrenz, das ist für die USA eine, die sie als gerechten Sieger sieht. Dafür und über die unvermeidlichen Verlierer des weltweit freigesetzten Wettbewerbs ist tatsächlich entschlossene Kontrolle angesagt und ein unbegrenzter Bedarf an Gewalt. Die fertige, die "globalisierte" kapitalistische Konkurrenz von Staaten und Kapitalen hat also auch künftig einen Bedarf an Formalisierung, Systematisierung und rechtsförmiger Anwendung dieser Gewalt. Die USA wollen deswegen nicht das Völkerrecht abschaffen. Bei seiner Anwendung sehen sie seine Schwäche. Mit ihrer Macht wollen sie eine Rechtssicherheit stiften für die globalen Geschäfte des Kapitals, auf die sich alle verlassen können; diejenigen, die bereit sind zur Unterordnung, ebenso wie die mit vernichtender Strafe bedrohten widerständigen Gegner des Völkerrechts, die Saddams und Kim Yong Ils der Welt. Und bei der Durchsetzung dieser neuen internationalen Rechtsordnung unter exklusiver Aufsicht der USA, sei es gegen ihre erklärten Feinde, sei es gegen die jetzt zu Unterordnung und Gefolgschaft aufgeforderten früheren Bündnispartner, ist jeder Fall eine Präzedenzfall.

Die betroffenen Subimperialisten haben eigentlich viel Verständnis für den Standpunkt, dass die Bedingungen des weltweiten Geschäfts strenge Aufsicht und ständige Gewaltbereitschaft brauchen, nicht zuletzt wenn es um dessen Grundnahrungsmittel, das Erdöl, und seine stets Misstrauen erregenden muselmanischen Verwalter geht. Nur: Ihr Ausschluss von dem Vollzug dieser Aufsicht, aus der Mitbestimmung über Sinn und Zweck, Art und Folgen des Krieges und die Nutzenverteilung nach einer gewaltsamen Neuordnung der Ölregion, und die Monopolisierung all dieser Entscheidungskompetenz bei den Amerikanern: Das alles lässt ihren, wenn nötig und nützlich ebenfalls jederzeit kriegsbereiten Ordnungssinn einfach leer laufen. Sie werden nicht gefragt, trauen sich das Insistieren auf ihrer politischen Mitentscheidung in Konfrontation mit den USA in der Sache nicht zu und nehmen deshalb Zuflucht zum Streit über die Berechtigung des amerikanischen Vorgehens.. Durch die Diskussion um die Legitimität des Krieges wollten sie die USA zur Rücksichtnahme bewegen, wenn die USA diese gerade aufkündigen und sich anschicken, in selbstgewissem völkerrechtlichem Absolutismus eine neue Geschäftsordnung der "Völkergemeinschaft" in Kraft zu setzen.

So wie mit der Gründung der UNO das souveräne Recht der Nationen auf zwischenstaatliche Gewaltanwendung der Vergangenheit angehören sollte, sollen nun die verbliebenen Einspruchsrechte der bisher dazu im Sicherheitsrat befugten Staaten einer prinzipiellen Reform im Geiste des amerikanisch ausgelegten internationalen Rechts unterzogen werden: Gegen das europäische Insistieren, die Machtentfaltung der Vereinten Nationen gegen einen erklärten Außenseiter wie Saddam dürfe nur Resultat freier Vereinbarung der dazu völkerrechtlich berufenen Organe, also ihrer Mitentscheidung, sein, halten die USA den verbindlichen Rechtscharakter der von ihnen für notwendig erklärten, bewaffneten Sanktionsschritte hoch. Um der Gültigkeit des Völkerrechts willen und des Respekts vor ihm, den nur seine rücksichtslose Durchsetzung (durch die USA) garantieren kann, müsse der frei kalkulierende, politische Umgang mit ihm ausgeschlossen sein. Das Bestehen auf den althergebrachten Veto-Rechten entlarve sich demnach in Zeiten, die nach der Mobilisierung aller verfügbaren Rechtsgewalt verlangen, als missbräuchliche, berechnende Förmelei und als eine einzige Sünde gegen den Geist des Völkerrechts. So berufen sich die zur machtvollen Durchsetzung bereiten USA, ebenso wie die europäischen Staaten, die den amerikanischen Drang zum Kriegsmonopol bremsen wollen, auf die Artikel der internationalen Rechtlichkeit. Deren Eigenart ist es, beiden Lagern in ihren "Argumenten" recht zu geben; ein wenig mehr aber der Partei, die, wenn vom Recht der Völker die Rede ist, auf Verbindlichkeit und gewaltsame Durchsetzung pocht - und die Macht dazu hat: Die Satzung der UN hat die Unterordnung der Staaten unter die "Herrschaft des Rechts" im Weltmaßstab zwar als die souveräne Tat der Nationen gefasst. Dass solch ein schöner Widerspruch in einer feierlich beschlossenen Charta zur Idealisierung der bestehenden Gewaltverhältnisse und als Hebel der Diplomatie taugt, nichts aber in Zeiten der kriegerischen Anwendung der rechtmäßigen Gewalt, die Kommando und Gefolgschaft braucht: das ist das Aufklärerische am amerikanischen Bezug auf die Rechtslage.

Mehr zum Thema Amerikanisierung des Völkerrechtes kann man in der Zeitschrift Gegenstandpunkt 1 aus dem Jahr 2003, erhältlich im Buchhandel oder direkt über den Gegenstandpunktverlag, nachlesen.