Die ÖGB-Urabstimmung – eine Bilanz

Den ÖGB-Vertretern ebenso wie den wohlwollenden Kritikern des ÖGB war eine möglichst große Beteiligung an der ÖGB-Urabstimmung vom September ein wichtiges Anliegen. Durch diese sollte die Position des ÖGB gegenüber Wirtschaftskammer und Bundesregierung gestärkt werden.

Seit der ÖGB-Urabstimmung sind zwei Monate vergangen, der ÖGB verweist auf erste Erfolge seiner Stärkung – Zeit, Bilanz zu ziehen: Was haben die österreichischen Arbeitnehmer nun von der Stärkung des ÖGB? Worin wurde der ÖGB gestärkt? Haben sich die Hoffnungen der wohlwollenden Kritiker des ÖGB auf die "Solidarisierung der Mitglieder und die Hebung der Kampfkraft der Organisation" erfüllt?

Abfertigung neu – der Umstieg vom Umlageverfahren zum Kapitaldeckungsverfahren!

Die Einrichtung eines selbstverwalteten Kassenwesens, das dafür sorgt, dass die im Kapitalismus offenbar unvermeidlichen "Wechselfälle eines Arbeiterlebens" nicht unmittelbar zu einer Gefährdung der Existenz der betroffenen Arbeitnehmer führen, gilt gewöhnlich als große Errungenschaft der Arbeiterbewegung.

"Zu Beginn der ASVG-Pensionsversicherung gab es ein Übereinkommen, daß je ein Drittel des Pensionsaufwandes von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und dem Bund getragen werden sollte. Dieses Drittels des Bundes ist... nur in drei Jahren erreicht worden."(Reithofer, "Sozialpolitik in Österreich", Verlag des ÖGB, S203)

Im Rahmen des Umlageverfahrens werden die aktiven Teile der Arbeitnehmerschaft in Gestalt von zwangsweise abgezogenen Lohnteilen für den Erhalt der nicht mehr brauchbaren Teile der Arbeitnehmerschaft in die Pflicht genommen. Um aber die gewinnbringende Anwendung der Arbeitskraft nicht an zu hohen Lohnkosten scheitern zu lassen, hat es der Staat im Rahmen einer Ausfallshaftung übernommen, die Lücke zwischen den Einnahmen und Ausgaben der Pensionskasse aus seinen Einnahmen aus Steuern und Abgaben zu schließen. Zusätzlich wurde die Kasse so in die Lage versetzt, politisch gewünschte Zahlungen – "für Ersatzzeiten wie Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Kindererziehung..."(ebenda) – zu tätigen.

Erstmals ist in Österreich eine Generation von Arbeitnehmern im Pensionsalter, die nicht durch irgendeinen der zahlreichen von der Politik veranstalteten Kriege dezimiert wurde – "die Menschen werden älter". Gemeinsam mit den lebensverlängernden Nebenwirkungen mancher medizinischer Leistung im Dienste des Erhalts der Arbeitskraft und den beständigen erfolgreichen Versuchen der Unternehmer, sich älterer und damit teurerer Arbeitnehmer zu Gunsten jüngerer billigerer Kollegen zu entledigen, führt dies zu steigenden Ansprüchen an die Pensionskasse. Den steigenden Pensionsansprüchen stehen – nicht zuletzt dank immer löchriger werdender Arbeitsbiographien – nicht im selben Ausmaß steigende Beiträge gegenüber.

Das nimmt die Bundesregierung zum Anlass, die staatlichen Zuzahlungen überhaupt in Frage zu stellen. Staatliche Einnahmen sind zu schade, um in Gestalt eines Zuschusses zu den Pensionskassen alte und nicht mehr brauchbare Arbeitnehmer durchzufüttern. Eine Erhöhung der Beitragssätze lehnt die Politik ab, denn eine zusätzliche Belastung der Wirtschaft kommt keinesfalls in Frage. Daher wird weiter wie schon in den letzten 15 Jahren an den Auszahlungen der Pensionsversicherung gedreht.

Parallel zu dieser "Sicherung" der Sozialversicherungspension durch Senkung des Rentenniveaus bekommen die österreichischen Arbeitnehmer nun einen Umbau des Pensionssystems verpasst - weg vom Umlagesystem und hin zu einem kapitalgedeckten, nach "finanzmathematischen Grundsätzen" funktionierenden – dh. unmittelbar am Gewinn dieser neu zu schaffenden Pensionskassen orientierten – Pensionssystem, bei dem nicht mehr die gesamte Arbeiterklasse für ihre eigene Erhaltung zu sorgen hat, bei dem vielmehr jeder einzelne Arbeitnehmer mit seiner individuellen Beschäftigungsbiographie im Dienste des Kapitals sehen kann, wo er im Alter bleibt.

Dieser Umbau des Pensionssystems, mit dem der Staat sich schrittweise aus seiner bisherigen sozialen Verantwortung zurückzieht, heißt "Abfertigung neu". In der Präambel der Sozialpartnereinigung:

"Die Sichtweise der Arbeitnehmervertretung ist "Abfertigung soll Abfertigung bleiben". Aus Arbeitgebersicht wird darauf Wert gelegt, dass das neue Modell "Zusätzliche Pensionsvorsorge" bewirken soll. Einvernehmen besteht darüber, dass der/die Anspruchsberechtigt(e) ausschließlich die Entscheidungsmöglichkeit darüber hat."

bekunden Wirtschaftskammer und ÖGB, dass jeder von ihnen das bekam, was er wollte. Die Unternehmer den von ihnen forcierten Umbau des Pensionssystems und der ÖGB darf seinen Mitgliedern und den sonstigen von ihm Vertretenen diesen Systemwechsel(!) als großen Durchbruch hin zu einer neuen – nach speziell ausgesuchten Rechenbeispielen besseren - Abfertigung verkaufen. Die von ihm ausverhandelte freie Verfügbarkeit(sic!) der Abfertigung zeigt, dass er ihrer tatsächlichen Verwendung als neue Säule einer außerhalb der bisherigen Sozialversicherung angesiedelten Pensionskasse nichts in den Weg legen will. Sachgerecht im Sinne einer Pension, auf die man sich ein Recht genau in dem Maß vergangener Nützlichkeit für Staat und Kapital erwirbt, erfolgen die Zahlungen der Unternehmer in diese neue Kasse für alle Arbeitnehmer und das ab dem ersten Tag ihrer Beschäftigung. Dafür, dass die Arbeitnehmer die Abfertigung künftig auch in diesem Sinn verwenden, wird schon der – von den Unternehmern mit tatkräftiger Unterstützung der Gewerkschaft in die Welt gesetzte - stumme Zwang der Verhältnisse sorgen. Das Placet der Regierung zu dieser von den Sozialpartnern ausverhandelten Lösung steht noch aus – der Regierung ist die Wahlfreiheit für die Verwendung der Abfertigung nicht Garantie genug für den von ihr gewollten Aufbau der neuen Pensionssäule.

Wer meint, die gewerkschaftliche Zustimmung zu einem Systemwechsel stünde im Widerspruch zu Frage 2 der Urabstimung: "Wir fordern die Beibehaltung der Pflichtversicherung, damit auch in Zukunft alle - unabhängig von ihrem Einkommen - auf die Gesundheits- und Pensionsversorgung vertrauen können" täuscht sich. Die Pflichtversicherung wird schließlich nicht abgeschafft sondern nur ausgehungert und sich für eine Pension stark zu machen, von der man auch leben kann, wurde vom ÖGB nicht versprochen.

Lohnerhöhungen und Arbeitszeiten in der Hand von Kapital und ÖGB!

In Frage drei der Urabstimmung konnte man als Gewerkschaftsmitglied seine Zustimmung dazu bekunden, "dass Lohnerhöhungen und Arbeitszeiten auch weiterhin durch die Gewerkschaften in Kollektivverträgen geregelt werden" sollen.

Im Kapitalismus ist ein organisierter Zusammenschluss der Arbeitnehmer notwendig, um der Wirtschaft den ihr selbst fremden Gesichtspunkt der Berücksichtigung des Arbeitnehmerbedürfnisses an einem ordentlichen Auskommen abzunötigen. Eine solche Gewerkschaft ist der ÖGB nicht. Für ihn ist Kollektivvertragspolitik Wirtschaftspolitik. Löhne und Arbeitszeiten der Arbeitnehmer sollen sich zuallererst für die Wirtschaft lohnen:

"Die auf Kontinuität abzielende Lohnpolitik ist also sowohl aus Arbeitnehmersicht als auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu bevorzugen. .... Im Sinne von Stabilität bei den Einkommen und dadurch der Kaufkraft, im Sinne eines fairen Wettbewerbs der Unternehmer einer Branche, im Sinne einer insgesamt gesunden Wirtschaft also, werden wir der Abschaffung der Kollektivverträge – denn nichts anderes würde eine Verlagerung in die Betriebe bedeuten – unsere Zustimmung verweigern."(Bericht von Rudolf Nürnberger in den Finanznachrichten 2/2001)

Man kann Nürnberger ruhig glauben, wenn er das Kapital als den Nutznießer der Kollektivverträge benennt. Während so mancher Arbeitnehmer einer diskontinuierlichen Lohnerhöhung sicher einiges abgewinnen könnte, weiß Arbeitnehmervertreter Nürnberger, dass eine kontinuierliche Lohnpolitik im Dienste eines fairen Wettbewerbs, dh. gleicher und berechenbarer Ausbeutungs- und Konkurrenzbedingungen, genau das richtige für die österreichische Wirtschaft ist.

So sehen dann auch die konkreten Kollektivvertragsvereinbarungen aus. Wo sind denn heuer und in den vergangenen Jahren die kollektivvertraglich ausverhandelten "Lohnerhöhungen"? Schon lange ist keine Rede mehr von einem Ausgleich der Produktivitätssteigerung, die in den letzten Jahren in ständig sinkenden Lohnstückkosten zum Ausdruck kommt.

Heute gibt die Inflation die Obergrenze dafür ab, was an "Lohnerhöhung" überhaupt sein darf. Für viele gibt es nicht einmal diesen rechnerischen Inflationsausgleich, siehe beispielsweise öffentlicher Dienst mit 0.8% und Handelsangestellte:

"Unter der Annahme einer 30%-igen Überzahlung quer durch alle Berufsjahrestafeln, Beschäftigungsgruppen und Gehaltstafeln kann von einer Anhebung der Ist-Gehälter von unter 2% ausgegangen werden"(Wirtschaftskammer, 23.11.01)

Kein Grund zur Sorge also für den Handel angesichts der für die Mindestlöhne nicht aber für die Ist-Löhne vereinbarten Erhöhung von 2.3 bis 2.8%!

Die arbeitsrechtlichen Vereinbarungen – Wegfall der Beschränkungen der Samstagarbeit usw. "will man nun in Expertengesprächen aufarbeiten."(Presse 21.11.01) Nachdem die Gewerkschaft schon in den vergangenen Jahren der Zerlegung von Vollzeitarbeitsplätzen in lauter "atypische Beschäftigungsverhältnisse" zugestimmt hat, wird sie sich auch den neuen Anforderungen seitens der Unternehmer sicher nicht verschließen. Dafür können sich die Handelsangestellten mit einer neuen Beratungsstelle des ÖGB trösten, die nicht darauf gerichtet ist, die immer prekärer werdenden Arbeitsverhältnisse zu beseitigen, sondern darauf, auch diese Beschäftigten in den ÖGB zu integrieren, damit auch sie sich in Hinkunft gemeinsam mit ihren "normal" beschäftigten Kollegen mit Aussagen wie der folgenden für dumm verkaufen lassen dürfen:

"Nur die starke gewerkschaftliche Organisation der Handelsangestellten sichert eine kontinuierliche und positive Weiterentwicklung der Einkommen und Arbeitsbedingungen im Handel."(GPA-Aussendung)

So sehr es also wahr ist, dass Arbeitnehmer im Kapitalismus eines organisierten Zusammenschlusses bedürfen, so wahr ist auch, dass sie dabei mit dem ÖGB mehr als schlecht bedient sind. Für den ÖGB müssen Löhne, arbeits- und sozialrechtliche Regelungen zuallererst die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Wirtschaft befördern. Dass sich das mit einem gesicherten und steigenden Wohlstand der Arbeitnehmerhaushalte nicht verträgt, erfahren die mit bedauernder Zustimmung der diversen vom ÖGB gestellten Belegschaftsvertretungen abgebauten und ansonsten verbilligten Arbeitskräfte bei Post, Telekom und anderswo laufend am eigenen Leib.

Man kann dem ÖGB seine fortgesetzte Mitwirkung an der Verarmung der österreichischen Arbeitnehmer vorwerfen, aber sicher nicht einen Verrat an den in der Urabstimmung aufgestellten Forderungen. Es wäre daher für alle jene, die nach wie vor ihr Herz an den ÖGB hängen an der Zeit, "im Gehen zu lernen"(N.N.) und den ÖGB zu kritisieren, anstatt sich selbst zum Hoffnungsträger und Aushängeschild für die angeblich besseren Möglichkeiten des ÖGB zu machen.

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