Die ÖGB-Urabstimmung – oder wie sich die rot-weiß-rote Staatsgewerkschaft gegen ihre Entmachtung wehrt!

Gewerkschaften wurden einmal aus der Einsicht heraus gegründet, dass Lohnarbeiter von ihrem Dienst für Staat und Kapital nicht leben können, wenn sie sich nicht organisiert zur Wehr setzen: gegen die Techniken der Leistungssteigerung im Betrieb; gegen Lohnsenkungen; gegen die Minderung ihres Lohns, wie sie der "freie Markt" mit Preissteigerungen und Inflation und der Staat durch Erhöhung von Steuern und Senkung von Sozialleistungen bewirken.

Dass jemand, der vom Verkauf seiner Arbeitskraft leben muss, von den Geschäftskalkulationen der Unternehmer abhängt; dass ihn die Unternehmer für ihren Gewinn möglichst intensiv benutzen; dass sie seine Benutzung auch wieder bleiben lassen, wenn es sich für sie nicht lohnt, was für ihn den Verlust seines Einkommens bedeutet; daran hat sich auch am Beginn des neuen Jahrtausends nichts geändert. Arbeitszeitflexibilisierung, Arbeitsintensivierung, Änderungskündigungen, zunehmendes hire&fire, laufende Verschlechterungen des Pensionsrechtes, Stellenabbau und Lohnkürzungen bei Post und Telekom, neue Steuern und Abgaben, mehr Selbstbehalte im Gesundheitsbereich, Nulllohnrunden und Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst usw. geben davon ein beredtes Zeugnis.

Was sich aber geändert hat, ist die Gewerkschaft. Schon seit seiner Gründung nach dem zweiten Weltkrieg versteht sich der ÖGB nicht als Zusammenschluss von Arbeitnehmern, der die Macht der Unternehmer über sie bricht. Im Kapital möchte er nicht den Klassengegner sehen, sondern den Sozialpartner, der gemeinsam mit den Arbeitnehmern den wirtschaftlichen Erfolg Österreichs bewerkstelligt. Im Namen der Lüge, dass ein stetiges Wirtschaftswachstum eine Voraussetzung für das Auskommen der Arbeitnehmer ist, ordnet er deren Interessen dem sozialen Frieden und den zu Sachnotwendigkeiten umdefinierten Interessen der Wirtschaft unter. Keine der oben aufgezählten Maßnahmen ist daher auf die Gegenwehr des ÖGB gestoßen. Im Gegenteil, sie wurden von ihm mit Regierung bzw. Unternehmerseite "sozialpartnerschaftlich" ausverhandelt.

Die Auseinandersetzungen um das neue Lehrerdienstrecht haben gezeigt, dass er gegebenenfalls auch bereit ist, den sozialen Frieden gegen den Streikwillen von Arbeitnehmern durchzusetzen: Bindung eines AHS-Lehrerstreiks an einen Streik auch einer anderen Sektion - nachdem alle anderen Lehrersektionen einen Streik schon ausgeschlossen hatten; unerreichbare Quoren; Ungültigerklärung der nicht wunschgemäß ausgefallenen Abstimmungsergebnisse der Vorarlberger Lehrer; usw.

Wegen seines bedingungslosen Einsatzes für den sozialen Frieden und die nationale Wirtschaftskraft Österreichs, wurde der ÖGB von den vergangenen Regierungen nicht nur respektiert, sondern darüberhinaus auch noch so mancher Funktionär mit den Würden eines höheren Amtes versehen. Seitdem konnten und können die österreichischen Arbeitnehmer Gewerkschaftsführer noch zusätzlich in der Rolle von Aufsichtsratsmitgliedern, Sozialministern, Nationalratspräsidenten, Nationalratsabgeordneten und dergleichen bewundern. Ein "Gewerkschaftsstaat" ist deswegen hierzulande nicht aufgemacht worden, eine freiwillige Staatsgewerkschaft leider schon.

Bei der Erhaltung des sozialen Friedens war der ÖGB so erfolgreich, dass die nunmehrige schwarz-blaue Regierung diesen gar nicht mehr als sein Werk anerkennen will. Wie schon das von der FPÖ geprägte Bild vom "kleinen Mann" zeigt – der soll ja durch die Politik der Regierung nicht größer werden - betrachtet die Regierung den im Land herrschenden sozialen Frieden als eine Selbstverständlichkeit und sie fragt sich daher, mit welchem Recht der ÖGB dann überhaupt in allen wesentlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Gremien Sitz und Stimme hat. Der wirtschaftliche Erfolg Österreichs, dem sich der ÖGB nach eigener Aussage verpflichtet fühlt, sei doch bei der Bundesregierung bestens aufgehoben - so ihre Logik. Umgekehrt sieht die Bundesregierung im Beharren des ÖGB auf Einfluss und Gehörtwerden einen einzigen Beweis dafür, dass es ihm nur um den Erhalt seiner eigenen Macht geht, nicht zum Besten Österreichs, sondern ausschließlich zum Besten der Gewerkschaftsfunktionäre. Entsprechend entschlossen geht sie daran, den ÖGB aus allen Institutionen der staatlichen Macht hinauszukomplimentieren und die Sozialpartnerschaft zu beenden.

Dagegen setzt sich der ÖGB nun zur Wehr. Er möchte die Regierung davon überzeugen, dass seine Bemühungen für den sozialen Frieden unentbehrlich sind und lässt daher zum ersten(!) Mal in seiner Geschichte urabstimmen. Alle unter seinem tatkräftigen Zutun zustandegekommenen Verschlechterungen werden im unters Volk gebrachten Werbematerial ausdrücklich aufgezählt, aber nicht weil er irgendeine davon wieder rückgängig machen möchte – "die Urabstimung betrifft ausschließlich noch nicht durchgeführte Projekte" – sondern als Nachweis, wie wichtig der ÖGB für seine Mitglieder ist, um ihm so eine möglichst hohe Zustimmung bei der Abstimmung zu verschaffen. In seinen Erläuterungen zu den Fragen stellt der ÖGB klar, dass es "vor allem um die Einschätzung zu aktuellen Themen wie Pflichtversicherung, Abfertigung und Sozialpartnerschaft" geht. Eine Einschätzung – eine unverbindliche Auskunft – zu den von der Regierung auf die Tagesordnung gesetzten Themen ist es, die der ÖGB von seinen Mitgliedern haben möchte. Keine Rede davon, dass er sich als Ergebnis dieser Umfrage an irgendwas gebunden fühlte und schon gar keine Rede davon, dass es ihm darum ginge, Verschlechterungen der Arbeits- und Lohnsituation der Arbeitnehmer wenigstens in Zukunft zu verhindern. Die von ihm Vertretenen sollen ihm die Ermächtigung erteilen, auch in Zukunft in ihrem Namen aufzutreten. Diese Zustimmung zur ÖGB-Politik soll der Regierung die nationale Wichtigkeit des ÖGB für den sozialen Frieden beweisen. Für nichts anderes stehen die zur Abstimmung vorgelegten Fragen und sind daher wirklich nicht mit dem Angebot einer materiellen Sicherung geschweige denn einer Besserstellung für die österreichische Arbeitnehmerschaft zu verwechseln.

"1. Wir fordern, dass die österreichische Sozialpartnerschaft gestärkt wird. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer muss auf alle Bereiche der Arbeitswelt ausgeweitet werden."

Dass der ÖGB in den Vertretern des Kapitals – dem Klassengegner der Arbeiter – einen Sozialpartner sieht, verdankt sich der Stellung des ÖGB zur Wirtschaft Österreichs als Gemeinschaftswerk aller. Jedem der beiden Partner wird dabei die Aufgabe zugeschrieben, alles zu tun, um mit den jeweils eigenen Mitteln zum Wachstum der Wirtschaft beizutragen.

Was sonst bei keinem Geschäftsstreit den Verhandlungspartnern in den Sinn käme, nämlich zu berücksichtigen, was der Preis der eigenen Ware für die Gegenseite bedeutet, das macht der ÖGB beim Preis der Ware Arbeitskraft, von dem diese dann leben muss. Im Namen der Lüge, dass der Erfolg der Wirtschaft Voraussetzung für den Lohn ist, wurde in der Vergangenheit noch jede "notwendige Maßnahme zur Kostensenkung mitgetragen", "Reformen, die auch einen Personalabbau inkludieren, wurden und werden auch jetzt eingesehen", auch die Änderungswünsche hinsichtlich der Arbeitszeitregelungen zu Lasten der Arbeitnehmer sind auf Seiten der Gewerkschaft auf viel mehr Verständnis gestoßen, wie umgekehrt die schon lange wieder vergessene Gewerkschaftsforderung nach der 35h-Woche bei vollem Lohnausgleich.

Anders die Unternehmer, für sie ist diese Stellung des ÖGB eine einzige Aufforderung, ihre wirtschaftlichen Interessen erst recht und ohne Abstriche geltend zu machen. Schließlich sind sie sich mit dem politischen Souverän darin einig, dass das Arbeitsvolk für den Fortschritt von Wirtschaft und Staat einzustehen hat, dass ihre Interessen also zugleich die Notwendigkeiten des Wirtschaftens sind. Arbeitsplätze zu schaffen kommt für sie daher nur dann in Frage, wenn sich daraus ein Nutzen für ihre Bilanzen ergibt; dann kann die Benutzung der Arbeitskräfte nicht intensiv genug sein. Dasselbe Kriterium lässt sie mit ehrlichem Bedauern über zu wenige Geschäftsgelegenheiten von einer weitern Benutzung auch wieder Abstand nehmen.

Keinem Interesse seitens der Unternehmer nach mehr Leistung für weniger Lohn ist der ÖGB je im Wege gestanden. Im Gegenteil, will das Kapital, dass die Arbeiter sich den Notwendigkeiten des Geschäfts fügen, sorgt der ÖGB dafür, dass die Arbeiter das auch noch einsehen. Diesen für Staat und Kapital nützlichen Dienst möchte er von der Regierung auch in Zukunft mit Mitbestimmungsrechten anerkannt wissen.

"3. Wir fordern, dass Lohnerhöhungen und Arbeitszeiten weiterhin durch die Gewerkschaften in Kollektivverträgen geregelt werden."

Da werden Staat und Kapital von Jahr zu Jahr unverschämter hinsichtlich Sozialleistungen, Einkommen und Arbeitsbedingungen. Sie behandeln den Lohn als eine Geldsumme, die zuallererst einmal ihnen zur Verfügung steht. Die Unternehmer verändern laufend die Arbeitsplätze, steigern die Anforderungen und drücken wo nur möglich die Lohnkosten. Der Staat saniert sein Budget indem er Steuern erhöht, Selbstbehalte einführt und auf der anderen Seite "unproduktive" Sozialausgaben streicht.

Kollektivverträge sind bei all dem keine Beschränkung für Kapital und Staat. Gewerkschaftlich ausverhandelte Mindestlöhne, die nie darauf berechnet waren, damit auch ordentlich leben zu können, waren für die Unternehmer immer nur die Basis, durch ein paar zusätzliche Schillinge mehr Arbeit aus den Beschäftigten herauszupressen. So konnten etwa Überstunden – in Zeiten in denen sie noch bezahlt wurden - von den Arbeitnehmern nur deshalb als Angebot gesehen werden, weil ohne das mit ihnen verdiente Geld so manche notwendige Anschaffung hätte unterbleiben müssen. In heutigen Zeiten wirtschaftlich notwendiger Flexibilität der Arbeitnehmer hat sich die Gewerkschaft mit den Unternehmerverbänden schon lange darauf geeinigt, dass die mit Überstunden verbundene Mehrbezahlung den Unternehmen unmöglich zugemutet werden kann. Neue kollektivvertraglich fixierte Arbeitszeitmodelle sorgen seitdem dafür, dass die wirtschaftlich notwendige Mehrarbeitszeit möglichst ohne zusätzliche Kosten für die Betriebe abgeleistet wird – rücksichtslos dagegen, dass die Arbeitnehmer auf dieses Zubrot angewiesen sind.

Lohnkürzung, Arbeitsintensivierung oder Pensionskürzung hat der ÖGB noch immer eingesehen, nur ohne ihn dürfen sie nicht beschlossen werden – dafür, dass das auch in Zukunft so bleibt, sollen seine Mitglieder ihm jetzt ihre Stimme geben.

"2. Wir fordern die Beibehaltung der Pflichtversicherung, damit auch in Zukunft alle - unabhängig von ihrem Einkommen - auf die Gesundheits- und Pensionsversorgung vertrauen können."

Eine in Form der Versicherungspflicht in den Raum gestellte Teilprivatisierung von Gesundheits- und Pensionsversorgung würde tatsächlich einen großen Teil der arbeitenden Bevölkerung vor existenzielle Probleme stellen. Der ÖGB hält sich viel darauf zugute, zum Erfolg Österreichs, heute eines der reichsten Länder der Welt zu sein, beigetragen zu haben. Dass dieser Reichtum sich offensichtlich nicht in den Haushalten der österreichischen Arbeitnehmerschaft befindet, wenn es nach dieser hervorragenden Aufbauarbeit des ÖGB immer noch so ist, dass die von ihm Vertretenen sich von ihrem Lohn eine ordentliche Gesundheitsversorgung nicht leisten können und vom Lohn eines jahrzehntelangen Arbeitslebens nichts übrig bleibt, was ein sorgenfreies und genussvolles Leben im Alter ermöglichen würde, ist ernstgenommen eine vernichtende Kritik an der Tätigkeit des ÖGB. Nicht so für den ÖGB - statt die Gründe für die Unsicherheit eines Arbeiterlebens zu beseitigen, beglückwünscht er sich und den Staat zum sozialstaatlichen Kassenwesen, das für die in einem Arbeiterleben sicher eintretenden Notlagen Vorsorge treffen soll. Mit dem Staat ist der ÖGB sich darin einig, dass die Arbeiterklasse für ihre Erhaltung selbst aufzukommen hat, es sich also dabei um keine Aufgabe handelt, die als unmittelbare Angelegenheit des Staates "aus seinen Steuermitteln zu finanzieren sei". Dass es dabei nicht um den Erhalt des einzelnen Arbeiters sondern um den der Klasse geht, zeigt sich in der Höhe der im Notfall gewährten Zuwendung und an der kleinlichen und erpresserischen Überprüfung des Willens und der Fähigkeit sich für die Wirtschaft nützlich zu machen.

Angesichts zunehmend löchriger werdender Beschäftigungsbiographien, damit einhergehender Einnahmenausfälle bei gleichzeitig steigender Zahl an Anspruchsberechtigten, wirft die Regierung die Frage der Finanzierbarkeit des Sozialstaates auf. Dass die Finanzwünsche des Staates dem Bürger wichtiger zu sein haben als die eigenen Finanzen, wenn die "Wirtschaft" vermehrt menschlichen Ausschuss fabriziert, das hat dem ÖGB immer eingeleuchtet. So konnten sich schon bisher die österreichischen Arbeitnehmer mit ihrer Pflichtversicherung ihrer Gesundheits- und Altersversorgung nicht sicher sein. Was ihm am von der Regierung andiskutierten Modell der Versicherungspflicht – einer Verpflichtung zur Eigenvorsorge - anstelle der bisherigen Pflichtversicherung fehlt, ist "das Prinzip Solidarität", das in seinen Augen erst den Erhalt der Klasse der Arbeitnehmer gewährleistet. Ein Standpunkt, der auch der Regierung eingeleuchtet haben dürfte, weshalb inzwischen vermehrt von einer Ergänzung der Pflichtversicherung durch marktwirtschaftliche Elemente die Rede ist.

Dass diese Position des ÖGB der Regierung eingeleuchtet hat, ist nicht verwunderlich. Um ein Angebot an die Arbeitnehmer handelt es sich aber gewiss nicht, wenn der ÖGB den Standpunkt der Pflichtversicherung hochhält.

"4. Wir fordern einen Anspruch auf Abfertigung ab dem ersten Tag - auch bei Selbstkündigung - mit freier Verfügbarkeit durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer."

Die Bundesregierung plant die Umwandlung der Abfertigung in eine - nur mehr von den Arbeitnehmern finanzierte - Betriebspension. Dieser Abschaffung der Abfertigung begegnet der ÖGB mit einem eigenen Abfertigungsmodell, das Abfertigungsansprüche ab dem ersten Arbeitstag vorsieht. Über diese Abfertigungsansprüche sollen die Arbeitnehmer, wenn es nach dem ÖGB geht, frei verfügen dürfen(!). Als Absage an das von der Regierung geplante Drei-Säulen-Modell kann man das garantiert nicht verstehen. Dafür dass die Arbeitnehmer die neue Säule auch beanspruchen werden, wird schon der von Unternehmern und ÖGB gemeinsam in die Welt gesetzte stumme Zwang der Verhältnisse sorgen. Aber immerhin, der ÖGB hat dann wieder einmal größeren Schaden von den Arbeitnehmern abgewendet - auf die Abfertigung, die sie nicht mehr bekommen, haben sie wenigstens ab dem ersten Tag einen Anspruch.

"5. Wir fordern eine schulische und berufliche Bildungsoffensive, um die Zukunftschancen aller zu verbessern. Ziel ist: ein offener Bildungszugang ohne soziale Barrieren."

Die Freiheit der unternehmerischen Entscheidung – Lohn nur dann und nur so lange zu zahlen, wie er sich für den Geschäftserfolg lohnt – sorgt dafür, dass ein Arbeiterleben eine ziemlich riskante Sache ist. Die Beschäftigung von Leuten, aus deren Arbeit kein Profit zu ziehen ist, möchte der ÖGB dem Kapital keinesfalls zumuten. Für ihn ist die Arbeitslosigkeit gleichbedeutend mit mangelnder Brauchbarkeit der nicht angewandten Arbeitskräfte fürs Kapital. Im Namen der Herstellung dieser Brauchbarkeit fordert er eine Bildungsoffensive, von der niemand ausgeschlossen werden soll. Dazu dürfen sich die Mitglieder mit einem deutlichen JA zu Wort melden, das garantiert gegen niemanden in der Republik gerichtet ist, seinen Zweck vielmehr auschließlich darin hat, dem ÖGB als für alle Belange eines Arbeiterlebens verantwortliche und verantwortungsvolle Kraft den Rücken zu stärken.

"6. Wir fordern die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Dienste und den Stopp des unwiderruflichen Ausverkaufs öffentlichen Eigentums (z.B. Betriebe, Strom, Wasser, Wälder), um unsere Grundversorgung zu sichern."

Privatisierungen, Auslagerungen, Kündigungen und Transferierung von Arbeitnehmern in Beschäftigungsgesellschaften gehen für den ÖGB in Ordnung, solange nur die Funktionsfähigkeit des Staates nicht in Mitleidenschaft gezogen wird -– am besten dadurch, dass er bereits in entsprechende Planungen einbezogen wird. Österreichische Arbeitnehmer haben in den Augen des ÖGB ein Recht darauf, dass sich ihre Opfer im Namen des Wohles der Nation für dieses auch wirklich lohnen. Nur wenn das gefährdet ist, kann sich sogar der ÖGB Kampfmaßnahmen vorstellen:

"Soll der ÖGB zur Durchsetzung seiner Forderungen in Verantwortung für die Zukunft unseres Landes und seiner Menschen notfalls auch gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen ergreifen?"

Es muss schon die ganze Republik gefährdet sein, damit dieser starke Arm der Arbeitnehmer sich Kampfmaßnahmen "notfalls" vorstellen kann. Weil diese Kampfmaßnahmen – wenn überhaupt - ja nur in Verantwortung für die Republik geschehen, dürfen sie das wirtschaftliche und politische Geschehen natürlich nicht schädigen. Wie wäre es wieder mit: "Umarmen wir das Parlament!" - pardon, "Machen wir eine Menschenkette um das Parlament!".

Der ÖGB will auch in Zukunft mit Staat und Kapital gemeinsam über die rentabelste Benutzung der nationalen Arbeitskraft beraten.

Mit dieser Urabstimmung will der ÖGB die Bundesregierung dazu auffordern, seinen Beitrag zum sozialen Frieden in Österreich doch nicht zu unterschätzen. Angesichts des großen Vertrauens seiner Mitglieder möge sie ihm doch erlauben, dieses Vertrauen auch weiterhin dazu zu benutzen, die österreichischen Arbeitnehmer auf ihren bedingungslosen Einsatz zum Wohle Österreichs festzulegen. Diesen Vertrauensbeweis sollen die Gewerkschaftmitglieder mit ihrem Ja zu den vorgelegten Fragen erbringen. Wie bei jeder Wahl darf man sich natürlich auch hier bei jedem Kreuz denken, was immer man mag. Am Charakter der Urabstimmung ändert das nichts.

Dass dieser Verein die Organisation der österreichischen Arbeitnehmer ist, spricht nicht im geringsten für den ÖGB. Das beweist nur, was für einen schlimmen Fehler sich die österreichischen Arbeitnehmer bei der Vertretung ihrer Interessen leisten.

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